Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Rente an den in Marokko lebenden Kläger.
Der 1944 oder 1946 geborene Kläger (früherer/weiterer Vorname: B) war von April 1964 bis April 1974 (mit Unterbrechungen)
im Deutschen Steinkohlenbergbau beschäftigt (letzter Arbeitgeber: G GmbH, E). Zuletzt war er gemeldet in M, B-weg 00. Der
Ermittlungsdienst der Stadtverwaltung M stellte 1975 fest, dass er diese Wohnung verlassen habe und ohne Abmeldung fortgezogen
sei. Aus diesem Grunde wurde er rückwirkend zum 23.9.1974 von Amts wegen abgemeldet. Mit Vormerkungsbescheid vom 4.9.1975
wurden beim Kläger Versicherungszeiten vom 7.4.1964 bis 30.6.1973 (mit Unterbrechungen) festgestellt. Dieser Bescheid konnte
dem Kläger nicht zugestellt werden, da er unbekannt verzogen war.
Mit Schreiben vom 31.3.1976 übersandte die Deutsche Botschaft in Rabat der Bundesknappschaft als Rechtsvorgängerin der Beklagten
(im Folgenden einheitlich: Beklagte) einen Antrag des Klägers vom 12.3.1976 auf Beitragserstattung mit Bergmannsbuch, Lohnsteuerkarte
für 1974, Persönlichkeitsbescheinigung, Versicherungsnachweis und Abmeldebestätigung der Stadt M. Das Antragsformular weist
einen Stempel der Stadt Oujda vom 16. März 1976 auf, aus dem hervorgeht, dass nach Überprüfung der Unterschrift die Identität
des Klägers bestätigt wird. Aus der Persönlichkeitsbescheinigung ergibt sich, dass N C (geb. 1946) und B C (geb. 1944) ein-
und dieselbe Person sind.
Die Beklagte erstattete "auf den Antrag vom 12.3.1976" die Hälfte der in der Zeit vom 7.4.1964 bis 30.4.1974 entrichteten
Pflichtbeiträge in Höhe von DM 9.456,70 nach § 95 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) mit dem Hinweis, die Erstattung schließe
weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegte Versicherungszeiten und das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung aus (Bescheid
vom 11.7.1977). Sie schrieb die Deutsche Botschaft in Rabat mit dem Hinweis an, dass in Kürze die Übersendung des Bescheides
sowie die Überweisung des Erstattungsbetrages erfolgen könnten. Es werde jedoch zuvor gebeten festzustellen, ob der Versicherte
"noch an der mitgeteilten Anschrift wohnhaft sei" (Schreiben vom 26.7.1977). Die Deutsche Botschaft in Rabat teilte der Beklagten
die ihr vom Kläger auf Anfrage mitgeteilte aktuelle Anschrift mit (Schreiben vom 15.11.1977).
Die Beklagte kam zum Ergebnis, dass ein Auszahlungsanspruch bestehe, und verfügte, dass der Bescheid vom 11.7.1977 über die
Kurier- und Poststelle des Auswärtigen Amtes gegen Zustellungszeugnis an die mitgeteilte Adresse abzusenden und eine Zahlungsanweisung
nach Vordruck 68018 über 9.456,70 DM auszustellen sei, zahlbar an den Kläger unter der gleichen Adresse. Eine Durchschrift
der Auszahlungsanordnung befindet sich bei den Akten, nicht jedoch ein Zustellungszeugnis betreffend den Bescheid vom 11.7.1977
oder eine Quittung oder sonstige Auszahlungsbestätigung über den Erhalt des Erstattungsbetrages.
Im Juli 2001 beantragte der Kläger erstmals Rente aus der deutschen Rentenversicherung wegen der von 1964 bis 1974 entrichteten
Beiträge. Die Beklagte lehnte den Antrag unter Hinweis auf die erfolgte Beitragserstattung ab (Bescheid vom 24.8.2001; Widerspruchsbescheid
vom 22.10.2001). Im anschließenden Klageverfahren Sozialgericht (SG) Dortmund, Aktenzeichen (Az) S 31 KN 237/01) schaltete der Kläger Rechtsanwälte aus Deutschland ein, die die Klage zurücknahmen. Etwa zeitgleich beantragte er wegen
Folgen eines Arbeitsunfalls vom August 1966 Entschädigungsleistungen aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung. Das
Verfahren blieb in allen Instanzen ohne Erfolg (LSG NRW, Urteil vom 27.7.2006, Az. L 2 KN 41/04 U).
Beim nächsten Rentenantrag im Oktober 2002 verwies die Beklagte auf den bisher geführten Schriftwechsel, durch den sie die
Angelegenheit als erledigt ansehe, und bat, von weiteren Rentenanträgen abzusehen (Schreiben vom 31.10.2002). Einen Rentenantrag
vom 12.10.2005 (nunmehr in französischer Sprache) lehnte die Beklagte erneut unter Hinweis auf die erfolgte Beitragserstattung
ab (Bescheid vom 2.11.2005; Widerspruchsbescheid vom 6.2.2006). Diese Bescheide wurden bestandskräftig.
Auf einen weiteren Rentenantrag verwies die Beklagte auf die bisherigen ablehnenden Bescheide, die Bindungswirkung erlangt
hätten. Neue Gesichtspunkte seien nicht ersichtlich, so dass der Antrag unter Hinweis auf die Bindungswirkung des Bescheides
vom 2.11.2005 abgelehnt werde (Bescheid vom 29.6.2006).
Den jetzigen Antrag auf Rente vom Februar 2007 lehnte die Beklagte unter Hinweis auf die Bindungswirkung des Bescheides vom
29.6.2006 ab (Bescheid vom 5.3.2007).
Dagegen hat der Kläger noch im März 2007 Klage zum SG Dortmund erhoben und zur Begründung vorgetragen, er sei Opfer der Spielerei
geworden, weil er keinen Antrag gestellt habe "für Rente zu verkaufen". Damals habe er gearbeitet und Beiträge zur Bundesknappschaft
entrichtet. Es sei gesetzlich verboten gewesen, die Rente zu kaufen oder zu verkaufen. Sie dürfe vom Staat auch nicht verbraucht
werden. Er sei wegen einer Arbeitsverletzung 1974 nach Marokko zurückgekehrt. Er habe nicht "gebetet", seine Beiträge zu erstatten,
das sei verboten gewesen.
Die Beklagte hat zunächst das Widerspruchsverfahren durchgeführt und den Widerspruch zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid
vom 4.6.2007). Ein Rentenanspruch bestehe wegen der Beitragserstattung nicht; neue Gesichtspunkte seien nicht vorgetragen
worden. Ihre ablehnenden Entscheidungen hat sie weiter für richtig gehalten.
Nach Anhörung der Beteiligten zur beabsichtigten Verfahrensweise hat das SG die Klage abgewiesen, weil es keine Zweifel daran habe, dass dem Kläger die entrichteten Beiträge erstattet worden seien
und er den Erstattungsbetrag auch tatsächlich erhalten habe (Gerichtsbescheid vom 2.1.2008).
Dagegen hat der Kläger am 25.2.2008 Berufung eingelegt und zur Begründung auf Nachfrage und Bitte des Senats, sich in französischer
Sprache zu äußern, vorgetragen, er habe nie die Rückerstattung seiner Versicherungs- und Rentenbeiträge beantragt. Er habe
von der Gewerkschaft erfahren, dass die Versicherungsbeiträge weder zurückgezahlt noch von der Regierung oder sonst wem verwertet
werden. Er habe nie seine Arbeitspapiere oder seine Rentenversicherungskarte an eine Person oder Behörde weitergegeben und
sei auch nie bei der Botschaft vorstellig geworden. Das Bergmannsbuch sei bei der Firma G in E verblieben, die Lohnsteuerkarte
liege dem Finanzamt vor, der Versicherungsnachweis sei in seiner Wohnung in Deutschland verblieben. Er habe außerdem den Wohnsitz
nicht gewechselt, sein Wohnsitz in Deutschland bestehe noch. Er sei nach Marokko wegen eines Unfalls zurückgekehrt. Ihm stehe
die Altersrente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu, weil er zwischen 1960 und 1970 in Deutschland erwerbstätig
gewesen sei und Beiträge eingezahlt habe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dortmund vom 2.1.2008 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom
5.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.6.2007 zu verurteilen, die Bescheide vom 24.8.2001 (in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 22.10.2001), vom 2.11.2005 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.2.2006) und den
Bescheid vom 29.6.2006 zurückzunehmen und ihm ab dem 1.1.2003 Regelaltersrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für richtig. Eine auf Bitte des Senats erfolgte Rückfrage bei der Deutschen Bank
AG, die in den 70er-Jahren von der Beklagten per Einzelauftrag veranlasste Auslandszahlungen abwickelte, habe ergeben, dass
dort keine Unterlagen mehr über den angegebenen Zeitraum archiviert seien. Soweit in den Akten kein Zustellungszeugnis oder
keine Auszahlungsbestätigung vorhanden seien, könne dies darauf beruhen, dass solche Belege nur für sechs Jahre aufzubewahren
waren und deshalb danach nach Ablauf dieser Frist vernichtet worden sind. Im Übrigen spreche der aktenkundige Ablauf des Geschehens
dafür, dass die Beitragserstattung vollumfänglich erfolgt ist. Wäre dies nicht der Fall, hätte sich der Kläger sicher eher
um die Beitragserstattung bemüht. Überdies habe es vor der Neuregelung des Auslandsrentenrechts 1981 der geltenden Praxis
entsprochen, eine Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen zu beantragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt der Senat auf die Gerichtsakten, die beigezogenen Verwaltungsakten
der Beklagten und die Vorprozessakten des SG Dortmund (Az S 31 KN 237/01 und S 31 KN 58/03 U) Bezug; sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist unbegründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 5.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.6.2007 (§
95 Sozialgerichtsgesetz (
SGG)), mit dessen Zustellung die (rechtzeitig erhobene, §
87 Abs
1 Satz 2
SGG) zunächst unzulässige Klage zulässig geworden ist, §
78 Abs
2 iVm Abs
1 Satz 1
SGG. Mit dem Bescheid vom 5.3.2007 hat die Beklagte abgelehnt, frühere Bescheide zurückzunehmen, durch die eine Rentengewährung
bestandskräftig abgelehnt worden war und stattdessen Rente zu gewähren. Wenn auch § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) weder im Ausgangsbescheid noch im Widerspruchsbescheid erwähnt wird, wird doch durch den Verfügungssatz im Ausgangsbescheid
eine dieser Vorschrift entsprechende Regelung getroffen, indem die Beklagte sich auf die Bindungswirkung des letzten ablehnenden
Bescheides bezieht und bei unverändertem Sachverhalt keine Veranlassung für eine Neuprüfung und -entscheidung sieht. Deshalb
ist ein Rentenanspruch (frühestens) ab dem 1.1.2003 streitig, § 44 Abs 4 SGB X. Dem hat der Kläger durch seinen Sachantrag Rechnung getragen. Die Ausführungen im Widerspruchsbescheid lassen allerdings
erkennen, dass die Widerspruchsbehörde den Rentenanspruch originär geprüft hat. Dies wertet der Senat nicht als (neuen) originären
Verfügungssatz (der Widerspruchsausschuss wäre nicht zuständig und hätte auch kein Selbsteintrittsrecht), sondern als zusätzliches
Begründungselement. Da sich die Beklagte damit im Widerspruchsbescheid nur noch hilfsweise auf die Bindungswirkung der alten
Bescheide bezieht, eröffnet sie mit der (erneuten) originären Prüfung dem Kläger die vollständige Neuprüfung des streitigen
Rentenanspruchs im Klageverfahren.
Der Bescheid vom 5.3.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.6.2007 ist nicht rechtswidrig und beschwert den
Kläger deshalb nicht, §
54 Abs
2 Satz 1
SGG. Zu Recht hat das SG die Entscheidung der Beklagte für richtig gehalten, dass der Kläger keinen Anspruch auf Zurücknahme früherer, einen Rentenanspruch
ablehnenden Bescheide (vom 24.8.2001 oder 2.11.2005) und damit auch keinen Anspruch auf (Regelalters-) Rente hat. Unabhängig
davon, welchen Rentenanspruch der Kläger mit seinen früheren Anträgen ggf. außerdem geltend machen wollte, beantragt er vorliegend
ausweislich seines Klageantrags (nur noch) Regelaltersrente. Ein solcher Rentenanspruch besteht nicht.
Ansprüche auf Altersrente für Versicherte setzen u.a. die Erfüllung einer Wartezeit voraus, vgl §§ 35ff Sechstes Buch Sozialgesetzbuch
(
SGB VI). Nach der hier einzig als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden Vorschrift des §
235 Abs
1 iVm mit Abs
2 Satz 1
SGB VI - der Kläger ist nach beiden Alternativen (1944 und Januar 1946) vor dem 1.1.1947 geboren - erhält Regelaltersrente, wer
das 65. Lebensjahr vollendet hat und die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Zwar hat der Kläger spätestens im Januar 2011 das
65. Lebensjahr vollendet, er hat indes nicht die allgemeine Wartezeit erfüllt. Die allgemeine Wartezeit beträgt für die Regelaltersrente
fünf Jahre, §
50 Abs
1 SGB VII. Für die Erfüllung der Wartezeit erforderliche Kalendermonate mit Beitragszeiten (§§
51 Abs
1 und 4, 54f
SGB VI) liegen beim Kläger nicht (mehr) vor. Es trifft zu, dass der Kläger langjährig (von 1964 bis 1974) in Deutschland gearbeitet
und auch Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet hat. Dadurch sind zunächst - eine Rentenanwartschaft begründende
- Beitragszeiten vorhanden gewesen. Daraus kann der Kläger jedoch heute keine Rechte mehr herleiten, weil ihm diese Beiträge
1977 nach der damals maßgeblichen Vorschrift des § 95 Abs 7 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) erstattet worden sind. Durch die
Beitragserstattung ist das bisherige Versicherungsverhältnis aufgelöst worden. Ansprüche aus den bis zur Erstattung zurückgelegten
rentenrechtlichen Zeiten bestehen nicht mehr (§
210 Abs
6 Satz 2 und 3
SGB VI; entsprechend auch nach dem bis 1991 geltenden § 95 Abs 7 RKG, gleichlautend § 1303 Abs 7
Reichsversicherungsordnung (
RVO), vgl dazu BSG SozR 3 - 2200 § 1303 Nr 5). Die Gesetzesregelung ist so konzipiert, dass - und das galt auch schon früher - eine Erstattung nur insgesamt und nicht
teilweise beansprucht werden kann, §
210 Abs
6 Satz 1
SGB VI. Kommt es zu einer (immer: vollständigen) Erstattung, wird das Versicherungsverhältnis, das bis zum Erstattungszeitpunkt
bestand, gänzlich und unwiederbringlich aufgelöst (§
210 Abs
6 Satz 2
SGB VI). Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass nur die Hälfte der gezahlten Beiträge zu erstatten war und erstattet wurde (BSG,
Beschluss vom 7.4.2008, Az. 5b KN 1/08 BH), und ist mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar (BVerfG SozR 2200 § 1303 Nr 34;
BSG SozR 3-2600 § 210 Nr 2).
Nach dem Gesamtinhalt der Akten steht zur Überzeugung des Senats fest, dass dem Kläger 1977 sämtliche Beiträge (wie gesetzlich
vorgesehen: zur Hälfte) rechtswirksam erstattet worden sind.
Eine rechtswirksame Beitragserstattung setzt voraus, dass nachweislich (1) ein Erstattungsantrag, (2) ein wirksamer Erstattungsbescheid
und (3) eine rechtswirksame, befreiende Bewirkung der Leistung (= Erfüllung des Erstattungsanspruchs entsprechend § 362 des
Bürgerlichen Gesetzbuches) vorliegen (vgl dazu und besonders zur Beweislast: BSGE 80, 41 ff = SozR 3 - 2200 § 1303 Nr 6; vgl auch LSG NRW, Beschluss vom 21.9.2003, Az L 2 KN 19/03 und Urteil vom 16.8.2007, Az L 2 KN 259/06). Das ist hier der Fall. Denn für den Senat steht aufgrund der Angaben in den Verwaltungsakten der Beklagten, und nach der
allgemeinen Lebenserfahrung auch unter Berücksichtigung der eigenen Angaben des Klägers mit an Sicherheit grenzender, vernünftige
Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit (Beweismaßstab des Vollbeweises) fest, dass alle drei Voraussetzungen erfüllt sind.
Es kann offen bleiben, ob die rechtsgestaltende Wirkung der Beitragserstattung aus dem Erstattungsantrag oder aus dem Erstattungsbescheid
folgt (LSG NRW Urteil vom 18.10.2001, Az L 2 KN 64/01 mwN). Denn hier liegen sowohl ein wirksamer Antrag als auch ein bestandskräftiger Erstattungsbescheid vor. Dies entnimmt
der Senat aus den Verwaltungsakten der Beklagten, in denen sich sowohl der Antrag des Klägers vom 12.3.1976 (im Original)
als auch mehrere Durchschriften des Bescheides der Bundesknappschaft Saarbrücken befinden. Soweit der Kläger nunmehr behauptet,
er haben keinen Erstattungsantrag gestellt, sieht der Senat dies als widerlegt an. Denn auf dem Antragsformular befindet sich
ein amtlicher Stempel der Stadt Oujda, mit dem die Unterschrift des Klägers nach Prüfung seiner Identität bestätigt wird.
Schließlich fügt sich auch der für den Antrag auf Beitragserstattung gewählte Zeitpunkt (März 1976, also etwa 1 ½ - 2 Jahre
nach der Rückkehr des Klägers nach Marokko) nahtlos ins Bild. Eine Beitragserstattung war nämlich erst 2 Jahre nach Ende der
versicherungspflichtigen Beschäftigung, d.h. nach Ablauf der damals nach § 95 Abs 1 Satz 2 RKG geltenden zweijährigen Wartefrist möglich (heute: §
210 Abs
2 SGB VI).
Sowohl Erstattungsbescheid als auch Erstattungsbetrag sind in die Verfügungsgewalt des Klägers gelangt. Zwar ergibt sich den
Akten nur, dass die Beklagte den Bescheid am 22.11.1977 über die Kurier- und Poststelle des Auswärtigen Amtes "gegen Zustellungszeugnis"
abgeschickt und angeordnet hat, dass der Betrag von DM 9.456,70 an den Kläger ausgezahlt werde. Urkunden, die die Haupttatsache
des Zugangs bzw. Erhalts unmittelbar belegen (wie Zustellungszeugnis, Empfangsquittung), befinden sich nicht bei den Akten.
Zur Überzeugung des Senats steht gleichwohl fest, dass der Erstattungsbescheid zugegangen und der geschuldete Erstattungsbetrag
auch tatsächlich in die Verfügungsgewalt des Klägers gelangt ist, und die Beklagte damit die Leistung auch bewirkt hat. Diese
Überzeugung leitet der Senat aus einem Beweis des ersten Anscheins her (sog. prima facie - Beweis). Diese Beweisregel gilt
auch im sozialgerichtlichen Verfahren (BSGE 8, 245, 247; 12, 242, 246; 19, 52, 54; Leitherer in: Meyer-Ladewig u.a.
SGG. Kommentar. 9. Auflage 2008. §
128 Rdnr 9 mwN; Pawlak in: Hennig.
SGG. Stand August 2007. §
128 Rdnr 96; Zeihe. Das
SGG und seine Anwendung. Stand November 2010. 3.G. vor §
103). Sie besagt, dass bei typischen Geschehensabläufen auf eine Tatsache geschlossen werden kann, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung
regelmäßig Folge eines solchen Geschehensablaufs ist (BSG in: Breithaupt 1999, 357, 362; Leitherer. AaO. Rdnr 9a). Dabei wird
der (Voll-)Beweis einer Tatsache vermutet, so lange nicht Tatsachen erwiesen sind, die den vermuteten typischen Geschehensablauf
in Zweifel ziehen (vgl Leitherer. aaO. Rndnr 9e mwN; Pawlak. aaO. Rdnrn 94, 99). Ein durch bewilligenden Bescheid abgeschlossenes
Verwaltungsverfahren zur (vollständigen) Beitragserstattung lässt typischerweise den Schluss zu, dass der Bescheid zugegangen
und die geschuldete Leistung bewirkt worden ist (LSG NRW, Urteil vom 3.6.2005, Az L 4 RJ 12/03; LSG Hamburg, Urteil vom 27.4.2006, Az L 6 RJ 89/04 mwN; LSG NRW, Urteil vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06). Dies muss jedenfalls gelten, wenn die Leistungsbewirkung nicht substantiiert bestritten worden ist und sich auch sonst
keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Leistungserbringung nicht zeitnah erfolgt ist (wie etwa zeitnahe Nachfragen des
Versicherten, wo das Geld bleibe, vgl LSG NRW, Urteile vom 17.2.1997, Az L 4 J 16/95, und vom 3.6.2005 aE, Az L 4 RJ 12/03; Bay. LSG, Urteile vom 14.5.2002, Az L 19 RJ 3/02, und 8.12.2004, Az L 19 RJ 203/03).
Eine Beitragserstattung wird regelmäßig mit dem Ziel beantragt, zeitnah einen (idR hohen) Geldbetrag zur weiteren Verfügung
zu erhalten. Ist ein solches Beitragserstattungsverfahren dokumentiert und besteht kein besonderer Anlass zu Zweifeln, dass
der verfolgte Zweck erfüllt worden ist, darf regelmäßig auf ein ordnungsgemäß durch Bewirken der Leistung abgeschlossenes
Verfahren geschlossen werden. Es entspricht nämlich der allgemeinen Lebenserfahrung, dass derjenige, der die Erstattung von
über einen Zeitraum von etwa 10 Jahren zur Rentenversicherung entrichteten Beiträgen erwartet, nachfragt, wenn er auf seinen
Antrag keine weitere Nachricht erhält. Hinzu kommt hier, dass der Kläger der Deutschen Botschaft in Marokko noch kurz vor
der Auszahlungsanordnung auf Nachfrage seine aktuelle Adresse mitgeteilt hatte, an die die Erstattungszahlung erfolgen sollte.
Bliebe die Zahlung in einer solchen Fallkonstellation aus, erfolgten nach allgemeiner Lebenserfahrung regelmäßig Nachfragen
nach dem Verbleib des Geldes. Solche Nachfragen oder sonstige Schwierigkeiten bei der Abwicklung sind aber hier weder behauptet
noch sonst ersichtlich. Der Kläger hat sich vielmehr erst wieder 2001 bei der Beklagten gemeldet. Ob vor diesem Hintergrund
nach langer Zeit (hier: nach etwa 30 Jahren) einfaches Bestreiten genügte, um die Tatsachenvermutung zu erschüttern, kann
dahin stehen. Denn die entsprechenden Behauptungen des Klägers sind nicht glaubhaft. Der Kläger bestreitet die Durchführung
des gesamten Erstattungsverfahrens: er habe keinen Erstattungsantrag gestellt, weder Bergmannsbuch noch Lohnsteuerkarte beigefügt
noch seinen Wohnsitz in Deutschland aufgegeben; die genannten Unterlagen befänden sich noch an ihrem früheren Bestimmungsort.
Diese Angaben werden durch den Akteninhalt widerlegt. Bei den Akten befinden sich sowohl die Original-Lohnsteuerkarte für
1974, das Original-Bergmannsbuch als auch eine Abmeldebestätigung der Stadtverwaltung M vom 3.2.1976 (zum 23.9.1974) im Original.
Damit sind die entsprechenden Angaben des Klägers nachweislich unwahr und offenbar zweckgerichtet. Dies führt dazu, dass der
Senat die Angaben des Klägers insgesamt für unglaubhaft und nicht geeignet hält, Zweifel an der Richtigkeit des angenommenen
typischen Geschehensablaufs zu begründen.
Auch die Einlassung des Klägers, er habe "seine Rente nicht verkauft, weil dies verboten gewesen sei", hält der Senat für
nicht glaubhaft. Vielmehr hat der Kläger mit der Beitragserstattung die 1977 noch einzige Möglichkeit der wirtschaftlichen
Verwertung seiner Beiträge wahrgenommen. Denn es gab im Zeitpunkt der Beitragserstattung (noch) keine Möglichkeit, Renten
aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung an in ihrem Heimatland lebende Marokkaner zu zahlen; damit war es für einen
in sein Heimatland zurückkehrenden Marokkaner sinnlos, die Beiträge auf seinem Versicherungskonto stehen zu lassen. Einer
(späteren) Rentenzahlung stand die Regelung des § 105 Abs 1 Nr 1 RKG aF (gleichlautend § 1315 Abs 1 Nr 1
RVO aF) entgegen; danach ruhte die Rente eines Ausländers, der sich freiwillig gewöhnlich außerhalb des Bundesgebiets aufhielt.
Deshalb konnte der Kläger zur damaligen Zeit die zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge lediglich
in Form der Beitragserstattung (§ 95 RKG, entsprechend § 1303
RVO) verwerten. Etwas anderes galt damals auch nicht kraft eines Sozialversicherungsabkommens, da das Deutsch-Marokkanischen
Sozialversicherungsabkommens (DMSVA) vom 25.3.1981 erst 1986 in Kraft trat (BGBl II 1986; 550ff, 562, 772; vgl zu alledem BSG SozR 3 - 6610 Artikel 5 Nr 1).
Sonstige Tatbestände, die abgesehen von den Zeiten, für die die Beiträge erstattet worden sind, die Erfüllung der allgemeinen
Wartezeit begründen könnten, sind nicht ersichtlich, insbesondere nicht solche der vorzeitigen Wartezeiterfüllung im Sinne
von §
53 SGB VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183 Sätze 1 und 3, 193 Abs
1 Satz 1
SGG.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht, §
160 Abs
2 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.