Regelaltersrente
Einreichung einer Berufung in einer fremden Sprache
Voraussetzungen für die Rechtswirksamkeit einer Beitragserstattung
Prima facie-Beweis
Beweiskraft elektronisch gespeicherter Daten
Tatbestand
Streitig ist Regelaltersrente, hilfsweise eine finanzielle Unterstützung.
Der 1945 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger und war in Deutschland vom 6.10.1972 bis zum 5.3.1974, vom 1.4.1974
bis zum 30.11.1976, vom 1.2.1977 bis zum 31.3.1977 und vom 6.4.1977 bis zum 31.10.1978 versicherungspflichtig im Bergbau beschäftigt.
Danach kehrte er nach Marokko zurück, wo er bis heute lebt.
Im Juni 2004 beantragte der Kläger Rentenleistungen unter Vorlage einer Lohnabrechnung der S Bergbau AG Westfalen betreffend
den Monat 7/1976. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil keine auf die Wartezeit anrechenbaren deutschen Versicherungszeiten
mehr bestünden. Die zur deutschen Rentenversicherung in der Zeit vom 6.10.1972 bis zum 30.10.1978 entrichteten Beiträge seien
mit Bescheid vom 20.7.1982 erstattet worden. Versicherungszeiten nach dem 20.7.1982 seien weder behauptet noch nachgewiesen
(Bescheid vom 3.9.2004). Dieser Bescheid konnte trotz Einschaltung der Deutschen Botschaft in Rabat dem Kläger nicht wirksam
zugestellt werden.
Im April 2009 beantragte der Kläger die Gewährung einer Altersrente. Die Beklagte nahm einen (verschlüsselten) Ausdruck des
den Kläger betreffenden (elektronisch gespeicherten) "Gesamtkontospiegels" zu den Akten. Darin sind im Versicherungskonto
des Klägers unter der Schlüssel-Nr 1830 folgende Daten gespeichert: "Antrag 16.06.1982", "Bescheid 20.07.1982", "Erstattung
von 06.10.1972 bis 31.10.1978", "Erstattungsbetrag 0,00" sowie "ESBT-KN 15661,20". Ferner ist nach diesem Kontospiegel - unter
der Schlüssel-Nr 1860 "Ablehnung Versichertenrente" - der Bescheid vom 3.9.2004 gespeichert. Anschließend lehnte die Beklagte
die Gewährung einer Regelaltersrente mit derselben Begründung wie 2004 ab (Bescheid vom 22.5.2009; Widerspruchsbescheid vom
11.11.2009). Der per Einschreiben mit Auslandsrückschein versandte Widerspruchsbescheid konnte wiederum nicht an den Kläger
zugestellt werden; die Beklagte sandte ihn daraufhin erneut mit Begleitschreiben vom 25.1.2010 an den Kläger, dieses Mal mit
einfachem Brief.
Mit seiner am 19.2.2010 beim Sozialgericht (SG) Dortmund in französischer Sprache erhobenen und nicht in die deutsche Sprache übersetzten Klage ("réclamation"), der eine
Kopie des Schreibens vom 25.1.2010 und des diesem Schreiben beigefügten Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009 beigefügt waren,
hat der Kläger darauf hingewiesen, dass er in Deutschland gearbeitet und Beiträge gezahlt habe. Er sei ein alter Mann und
befinde sich in einer schlechten finanziellen Situation. Er bitte, seine Akten nochmals zu prüfen und ihm eine Rente oder
eine finanzielle Hilfe zu gewähren.
Die Beklagte hat ihre Entscheidung weiter für richtig gehalten.
Auf die in französischer Sprache verfasste Aufforderung des SG, Stellung zu der im Jahr 1982 erfolgten Beitragserstattung zu nehmen und hierzu ggf noch vorhandene Unterlagen vorzulegen,
hat der Kläger mitgeteilt, er besitze die angeforderten Dokumente nicht.
Nach Hinweis auf die beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat das SG die Klage abgewiesen: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Regelaltersrente, weil die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt sei.
Auf Grund der Beitragserstattung sei das Versicherungsverhältnis aufgelöst. Es sei davon auszugehen, dass dem Kläger die von
ihm entrichteten Beiträge erstattet worden seien. Der Vorgang der Beitragserstattung ergebe sich aus dem Gesamtkontospiegel.
Es bestehe kein Anhaltspunkt, dass die sich hieraus ergebenden Grunddaten fehlerhaft sein könnten. Der Kläger habe weder im
Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren die Durchführung des vollständigen Beitragserstattungsverfahrens auch nur ansatzweise
in Abrede gestellt. Schließlich zeige das Verhalten des Klägers nach der ersten Antragstellung im Jahr 2004, dass er selbst
nicht davon ausgehe, einen berechtigten Anspruch gegenüber der Beklagten zu haben. Denn anderenfalls hätte er sich nicht erst
wieder im Jahr 2009 bei der Beklagten gemeldet, um seinen vermeintlichen Anspruch geltend zu machen (Gerichtsbescheid vom
14.12.2010, zugestellt am 18.1.2011).
Mit seiner am 23.2.2011 eingegangenen, in französischer Sprache verfassten Berufung ("recours"), deren in Auftrag gegebene
deutsche Übersetzung dem Gericht am 30.3.2011 vorgelegen hat, hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er bittet erneut
um die Überprüfung seiner Akte, damit er eine Altersrente oder eine finanzielle Unterstützung erhalte. Auf die Bitten des
Gerichts - auch in französischer Sprache -, sämtliche Unterlagen, die er noch besitze, vorzulegen sowie Fragen zu der Beitragserstattung
zu beantworten, hat der Kläger ergänzend ausgeführt, er widerspreche der Darstellung der Beklagten. Er bitte um eine günstige
Entscheidung; für weitere Informationen stehe er jederzeit zur Verfügung.
Der Kläger ist am 4.6.2014 vom Termin zur mündlichen Verhandlung mit dem Hinweis benachrichtigt worden, dass auch im Falle
seines Ausbleibens verhandelt und entschieden werden könne.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung ist für den Kläger niemand erschienen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält ihre Entscheidung sowie den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und ist weiter der Auffassung, die für
den Kläger vorgenommene Beitragserstattung ergebe sich nachweislich aus dem Gesamtkontospiegel. Die im Versicherungskonto
gespeicherte Dokumentation der Beitragserstattung korrespondiere schlüssig mit den im Versicherungskonto abgelegten Versicherungszeiten.
Sie hat eine Versicherungskarte des Klägers vorgelegt, auf der lediglich - neben dem Namen, dem Geburtsort sowie zwei Versicherungsnummern
des Klägers - das Datum des Beschäftigungsbeginns am 6.10.1972 eingetragen ist. Diese Karte sei bei Aufnahme der knappschaftlich
versicherten Beschäftigung ausgefertigt worden. Der Umstand, dass auf dieser Karte keine weiteren Eintragungen, insbesondere
keine Vermerke über die durchgeführte Beitragserstattung vorhanden seien, erkläre sich damit, dass im Zeitpunkt der Beendigung
des Beschäftigungsverhältnisses im Oktober 1978 sowie im Zeitpunkt der durchgeführten Beitragserstattung keine manuellen Notierungen
in Papierform mehr vorgenommen worden seien.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat die Beklagte die Parteivernehmung des Klägers beantragt zum Beweis der Tatsache,
dass - wie in ihrem Gesamtkontospiegel vermerkt - ein vollständiges Beitragserstattungsverfahren durchgeführt worden ist.
Sie ist der Ansicht, ihr müsse "im Falle eines Beweisnotstandes" als letztes Beweismittel auch die Parteivernehmung des betroffenen
Versicherten offen stehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten
sowie der Gerichtsakten. Sämtliche Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
A. Der Senat kann trotz Nichterscheinens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung aufgrund einseitiger mündlicher
Verhandlung entscheiden. Denn der Kläger ist in der ordnungsgemäß erfolgten Ladung (§§
63 Abs
1 und
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), 175
Zivilprozessordnung (
ZPO) i.V.m. Art 31 Abs 1 S 3 des Deutsch-Marokkanischen Sozialversicherungsabkommens (DMSVA) vom 25.3.1981, in Kraft seit dem 1.8.1986, BGBl II 1986,
550 ff, 562, 772) auf diese Möglichkeit hingewiesen worden, §
62 SGG.
I. Die Berufung ist zulässig, insbesondere fristgerecht und wirksam eingelegt worden. Der Gerichtsbescheid vom 14.12.2010
wurde dem Kläger ausweislich des Zustellungsvermerks am 18.1.2011 zugestellt. Die Frist zur Einlegung der Berufung beträgt
drei Monate seit der Zustellung, §§
153 Abs
1 i.V.m. 87 Abs
1 S 2, 151
SGG (allgemeine Meinung, vgl nur Bundessozialgericht (BSG), SozR Nr 11 zu §
151 SGG), und endete mit Ablauf des 18.4.2011. Es kann offen bleiben, ob der Kläger bereits mit seinem am 23.2.2011 eingegangenen,
in französischer Sprache verfassten Schreiben wirksam Berufung ("recours") eingelegt hat. Die Gerichtssprache ist (nur) die
deutsche Sprache, §
61 SGG i.V.m. §
184 Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG); eine in einer anderen Sprache eingelegte Berufung wahrt (vorbehaltlich zwischenstaatlicher Sonderregelungen) die Rechtsmittelfrist
grundsätzlich nicht. Diese Regelung ist zwingend und von Amts wegen zu beachten (BSG, Urteil vom 22.10.1986, Az 9a RV 43/85, SozR 1500 § 61 Nr 1; Landessozialgericht (LSG) Berlin, Urteil vom 22.3.2001, Az L 3 U 23/00, [...]). Der Senat kann hier dahinstehen lassen, ob die Einlegung der Berufung in französischer Sprache ausnahmsweise - nämlich
nach Art 31 Abs 2 DMSVA und der tatsächlichen Handhabung der jeweiligen Verbindungsstellen - zulässig ist, weil die französische
Sprache wie eine Amtssprache Marokkos im Rechtsverkehr mit dem (europäischen) Ausland anzusehen ist - wofür Vieles spricht
und wohin auch der Senat tendiert -, oder dem Kläger gegebenenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre
(vgl dazu auch: Urteile des Senats vom 15.11.2011, Az L 18 KN 30/10, vom 29.4.2013, Az L 18 KN 83/12, beide in [...] und zuletzt vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11). Das Gericht hat nämlich das Berufungsschreiben, aus dem sich zweifelsfrei ergibt, dass der Kläger sich gegen den Gerichtsbescheid
("la décision") wendet, ins Deutsche übersetzen lassen; die deutsche Übersetzung lag dem Gericht spätestens am 30.3.2011 und
damit innerhalb der dreimonatigen Berufungsfrist vor. Zwar war das Gericht nicht zur Übersetzung einer in einer Fremdsprache
verfassten Berufungsschrift verpflichtet (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer.
SGG. 11. Aufl 2014. §
61 RdNr 7c mwN); die deutsche Übersetzung ist vom Gericht jedoch zu beachten, wenn sie vorliegt (vgl BSG, Urteil vom 22.10.1986, Az 9a RV 43/85, SozR 1500 § 61 Nr 1).
II. Die Berufung ist begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 22.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009
(§
95 SGG), mit dem die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Regelaltersrente abgelehnt hat. Streitgegenstand ist damit das Begehren
des Klägers, die genannten Bescheide abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Regelaltersrente zu gewähren. Der Senat
geht davon aus, dass ausschließlich Regelaltersrente im Streit ist, weil andere Altersrenten für den Kläger ersichtlich nicht
in Betracht kommen. Insoweit ist die Klage zulässig und entgegen der Auffassung des SG auch begründet. Da die Berufung des Klägers bereits mit dem Hauptbegehren auf Regelaltersrente erfolgreich ist, kann dahin
stehen, ob das bereits in der ersten Instanz verfolgte Hilfsbegehren des Klägers, eine finanzielle Unterstützung ("une aide
financière") zu erhalten, auch Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist.
1. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage statthafte Klage ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben. Zwar
hat das SG die Klageschrift - wohl versehentlich, wie das weitere Verfahren zeigt - nicht in die deutsche Sprache übersetzen lassen.
Allerdings ist, da der Kläger seinem Klageschriftsatz vom 8.2.2010 eine Kopie des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom
11.11.2009 beigefügt hat, mit hinreichender Deutlichkeit zu erkennen, dass der Kläger sich gegen die im Widerspruchsbescheid
getroffene Regelung mit dem zulässigen Rechtsbehelf - der Klage - wenden wollte. Dass der Kläger mit dieser Entscheidung der
Beklagten nicht einverstanden war und diese durch das Gericht überprüfen lassen wollte, ergibt sich zudem daraus, dass er
im Betreff des Schriftsatzes den auch im Deutschen verständlichen Begriff "réclamation" angegeben hat. Entsprechend hat das
SG das Rechtsschutzbegehren des Klägers durchweg als ordnungsgemäß erhobene "Klage" behandelt und ihm nicht die ansonsten wohl
erforderliche "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" gewährt.
2. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22.5.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.11.2009
ist rechtswidrig und beschwert den Kläger, §
54 Abs
2 S 1
SGG. Der Kläger hat ab dem 1.1.2011 Anspruch auf Regelaltersrente.
Nach §
235 Abs
1 S 1 i.V.m. Abs
2 S 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) erhalten Versicherte, die - wie der Kläger - vor dem 1.1.1947 geboren sind, Regelaltersrente, wenn sie das 65. Lebensjahr
vollendet und die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Der an einem unbekannten Tag eines unbekannten Monats im Jahr 1945 geborene
Kläger hat (spätestens) Ende Dezember 2010 das 65. Lebensjahr vollendet. Er hat auch die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren
mit Beitragszeiten (§§
50 Abs
1,
51 Abs
1 SGB VI) erfüllt, weil er unstreitig in Deutschland 71 Monate mit (ausschließlich knappschaftlichen) Beitragszeiten zurückgelegt
hat, so dass es nicht darauf ankommt, ob außerdem nach Art 24 DMSVA (zur "Aufstockung") marokkanische Zeiten zu berücksichtigen
sind.
Dagegen kann die Beklagte nicht mit Erfolg einwenden, Ansprüche aus den zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten bestünden
nicht mehr, weil dem Kläger die entsprechenden Beiträge erstattet worden seien und das Versicherungsverhältnis aufgelöst worden
sei, §
210 Abs
6 S 2 und 3
SGB VI. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht nämlich nicht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine solche Beitragserstattung
erfolgt ist. Die verbleibenden (Rest-)Zweifel wirken sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten der Beklagten
aus. Dieser Grundsatz besagt, dass der Nachteil der Nichterweislichkeit von Tatsachen sich zu Lasten desjenigen auswirkt,
der aus diesen Tatsachen Rechtsfolgen herleitet. Dies ist hier die Beklagte, die gegen den Rentenanspruch des Klägers - rechtsvernichtend
- einwendet, das Versicherungsverhältnis sei 1982 durch eine Beitragserstattung aufgelöst worden.
Eine rechtswirksame Beitragserstattung setzt voraus, dass nachweislich (1) ein Erstattungsantrag, (2) ein wirksamer Erstattungsbescheid
und (3) eine rechtswirksame, befreiende Bewirkung der Leistung (= Erfüllung des Erstattungsanspruchs entsprechend §
362 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB)) vorliegen. Für die ordnungsgemäße und wirksame Durchführung der Beitragserstattung trägt die Beklagte die objektive Beweislast
(vgl dazu und besonders zur Beweislast: BSGE 80, 41 ff = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6; vgl auch LSG NRW, Beschluss vom 21.9.2003, Az L 2 KN 19/03, und Urteil vom 16.8.2007, Az L 2 KN 259/06; stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 KN 30/10 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10, alle bei [...], und zuletzt Urteile vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11, L 18 KN 120/12 und vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11). Es kann offen bleiben, ob die rechtsgestaltende Wirkung der Beitragserstattung aus dem Erstattungsantrag oder aus dem Erstattungsbescheid
folgt (LSG NRW, Urteil vom 18.10.2001, Az L 2 KN 64/01 mwN) und unter welchen Voraussetzungen sich die Beklagte bei nicht erwiesener Erfüllung der Erstattungsforderung nach Treu
und Glauben darauf nicht (mehr) berufen kann. Denn hier ist weder erwiesen, dass der Kläger einen Antrag auf Erstattung der
Beiträge gestellt hat noch dass die Beklagte einen Erstattungsbescheid erlassen, dem Kläger wirksam bekannt gegeben und ihre
Erstattungsschuld erfüllt hat.
Allein aufgrund der im Versicherungskonto elektronisch gespeicherten Daten (dem so genannten "Gesamtkontospiegel") sowie der
Einlassungen des Klägers steht nicht mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden, vernünftige Zweifel ausschließenden
Wahrscheinlichkeit (Beweismaßstab des Vollbeweises) fest, dass die drei genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Dies gilt
selbst dann, wenn man zugunsten der beweisbelasteten Beklagten ergänzend die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins
(sog prima facie-Beweis) heranzieht. Diese Beweisregel gilt auch im sozialgerichtlichen Verfahren (BSGE 8, 245, 247; 12, 242, 246; 19, 52, 54; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer.
SGG. 11. Auf 2014. §
128 RdNr 9 mwN; Pawlak in Hennig.
SGG. Stand August 2007. §
128 RdNr 96; Zeihe. Das
SGG und seine Anwendung. Stand November 2010. 3.G. vor §
103; stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011, Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 KN 30/10, L 18 (2) KN 42/08 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012, Az L 18 KN 32/10, alle bei [...], und zuletzt Urteile vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11, L 18 KN 120/12 und vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11). Sie besagt, dass bei typischen Geschehensabläufen auf eine Tatsache geschlossen werden kann, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung
regelmäßig Folge eines solchen Geschehensablaufs ist (BSG in: Breithaupt 1999, 357, 362; Keller. aaO. RdNr 9a). Dabei wird der (Voll )Beweis einer Tatsache vermutet, solange nicht
Tatsachen erwiesen sind, die den vermuteten typischen Geschehensablauf in Zweifel ziehen (vgl Keller. AaO. RdNr 9e mwN; Pawlak.
AaO. RdNrn 94, 99). Ein nachweislich durch eigenen Antrag eingeleitetes und durch bewilligenden Bescheid abgeschlossenes Verwaltungsverfahren
zur (vollständigen) Beitragserstattung lässt bei Fehlen entgegenstehender Tatsachen typischerweise den Schluss zu, dass ein
(Erstattungs )Bescheid zugegangen und die geschuldete Leistung bewirkt worden ist (stRspr des Senats, vgl Urteile vom 13.9.2011,
Az L 18 (2) KN 223/07, vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 KN 30/10 und L 18 (2) KN 239/09, vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10, alle bei [...], und zuletzt Urteile vom 29.4.2014, Az L 18 KN 21/11, L 18 KN 120/12 und vom 6.5.2014, Az L 18 KN 210/11; LSG NRW, Urteile vom 3.6.2005, Az L 4 RJ 12/03, sowie vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06; LSG Hamburg, Urteil vom 27.4.2006, Az L 6 RJ 89/04 mwN). Letzteres muss jedenfalls dann gelten, wenn die Leistungsbewirkung nicht substantiiert bestritten worden ist und sich
auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Leistungserbringung nicht zeitnah erfolgt ist (wie etwa zeitnahe Nachfragen
des Versicherten, wo das Geld bleibe, vgl LSG NRW, Urteile vom 17.2.1997, Az L 4 J 16/95, und vom 3.6.2005, Az L 4 RJ 12/03; Bayerisches LSG, Urteile vom 14.5.2002, Az L 19 RJ 3/02, und vom 8.12.2004, Az L 19 RJ 203/03). Auch von einem solchen typischen Geschehensablauf kann nicht ausgegangen werden, weil es bereits an Urkunden (oder sonstigen
Beweismitteln) fehlt, die einen Erstattungsantrag des Klägers beweisen.
Urkundliche Unterlagen zu dem von der Beklagten behaupteten Erstattungsverfahren (zB Antrag(sformular), Erstattungsbescheid)
finden sich in den gesamten Akten nicht; dies gilt gleichermaßen für Nachweise über den Zugang eines Erstattungsbescheides
sowie die Auszahlung bzw Überweisung des Erstattungsbetrages. Die aktenkundige Versicherungskarte ist als Urkunde insoweit
unergiebig. Die Beklagte stützt sich zum Nachweis eines ordnungsgemäß durchgeführten Erstattungsverfahrens deshalb ausschließlich
auf die im elektronischen Versicherungskonto des Klägers gespeicherten Daten. Diese Daten allein genügen zur Überzeugung des
Senats aber nicht, eine vollständige wirksame Beitragserstattung mit der erforderlichen, an Sicherheit grenzenden, vernünftige
Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit zu beweisen. Sie lassen bestenfalls den Schluss auf einen intern abgelaufenen Verwaltungsvorgang
zu und (im Übrigen) allenfalls als denkbar erscheinen, dass (außerdem) ein wirksamer Erstattungsantrag des betreffenden Versicherten
gestellt und ein Erstattungsbescheid an ihn ergangen ist (vgl zuletzt Senatsurteil vom 24.4.2012, Az L 18 KN 82/10, und Urteile vom 15.11.2011, Az L 18 (2) KN 42/08, L 18 (2) KN 239/09 und L 18 KN 30/10, sämtlich zitiert nach [...]; zuvor insbesondere Urteile des 2. Senats des LSG NRW vom 16.12.2010, Az L 2 KN 169/09, vom 22.11.2007, Az L 2 KN 140/06, und vom 16.8.2007, Az L 2 KN 259/06, diese zitiert nach www.sozialgerichtsbarkeit.de). Zum Nachweis der wirksamen Antragstellung durch den Versicherten, des
Zugangs eines Erstattungsbescheids und der Erfüllung der Erstattungsforderung bedarf es in der Regel (mindestens) weiterer
feststehender Hilfstatsachen, die den Schluss auf die maßgeblichen Haupttatsachen (Antragstellung, Zugang eines Erstattungsbescheides,
Leistung mit befreiender Wirkung an den - ehemaligen - Versicherten) zulassen. Der - vom SG zitierten - abweichenden Auffassung des Bayerischen LSG (zB Urteil vom 17.7.2013, Az L 13 R 275/12 sowie Urteil vom 18.11.2009, Az L 13 R 559/08, beide zitiert nach [...]) schließt sich der Senat nicht an, weil diese Rechtsprechung nicht erklärt, inwiefern sich aus
elektronisch gespeicherten Daten nach den maßgeblichen prozessualen Beweisgrundsätzen im Wege des Strengbeweises (vgl dazu
M. Kühl in: Breitkreutz-Fichte.
SGG. Kommentar. 2. Aufl. 2014, §
118 Rdnr 2) die Antragstellung, die Bekanntgabe des darin erwähnten Bescheids und die Erfüllung des festgestellten Erstattungsanspruchs
ergeben sollen.
Der Ausdruck des Gesamtkontospiegels, also der in dem von der Beklagten geführten elektronischen Versicherungskonto des Klägers
gespeicherten Daten, ist keine öffentliche Urkunde, aus der sich die genannten Haupttatsachen ergeben, weder eine öffentliche
Urkunde über Erklärungen nach §
118 Abs
1 S 1
SGG i.V.m. §
415 Abs
1 ZPO noch eine öffentliche Urkunde über eine amtliche Entscheidung nach §
417 ZPO. Allein mit einem solchen Ausdruck kann nicht bewiesen werden, dass die dort gespeicherten Vorgänge (Datum eines Antrags
sowie eines Bescheids, Erstattungszeitraum sowie -betrag) so wie dort gespeichert stattgefunden haben. Der Ausdruck kann insoweit
keine Urkunde sein, weil es sich lediglich um einen "Ausdruck" handelt, der (allenfalls) dokumentiert, dass die entsprechenden
Daten elektronisch gespeichert sind. Zur objektiven Richtigkeit der Daten besagt er nichts. Urkunden in diesem Sinne können
nur schriftliche Dokumente sein, von denen ein Original existiert bzw existiert hat, vgl §
435 ZPO. Beweiskraft kann einer Urkunde nur zukommen, wenn sie echt ist oder dies vermutet wird (§§
437 ff
ZPO; vgl Huber in: Musielak.
ZPO. 11. Aufl 2014. §
415 RdNr 2). Diese Anforderungen kann ein (beliebig wiederholbarer) Ausdruck elektronisch gespeicherter Daten von vornherein
nicht erfüllen.
Der Ausdruck des Gesamtkontospiegels steht auch nicht - selbst wenn er mit einem Beglaubigungsvermerk versehen wäre - nach
§
416a ZPO einer öffentlichen Urkunde in beglaubigter Abschrift gleich. Nach dieser Vorschrift steht der mit einem Beglaubigungsvermerk
versehene Ausdruck eines öffentlichen elektronischen Dokuments gemäß §
371a Abs
3 ZPO einer öffentlichen Urkunde in beglaubigter Abschrift gleich, wenn ihn eine öffentliche Behörde innerhalb der Grenzen ihrer
Amtsbefugnisse oder eine mit öffentlichem Glauben versehene Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der
vorgeschriebenen Form erstellt hat. Bei dem elektronischen Gesamtkontospiegel, also den in dem Versicherungskonto gespeicherten
Daten, handelt es sich gerade nicht um ein öffentliches elektronisches Dokument nach §
371a Abs
3 S 1
ZPO. Danach sind öffentliche elektronische Dokumente (nur) elektronische Dokumente, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb
der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen
Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form erstellt worden sind. Die Regelung des §
416a ZPO soll gewährleisten, dass der Beweis durch Urkunden in Papierform auch dann geführt werden kann, wenn das Originaldokument
(nur) in elektronischer Form besteht. Die Vorschrift bestimmt, unter welchen Voraussetzungen dem Papier-Ausdruck eines bestimmten
elektronischen Dokuments die Wirkungen einer Urkunde zukommen können (Huber. AaO. § 416a RdNr 1). Daraus ergibt sich, dass
ein öffentliches elektronisches Dokument iS der §
371a Abs
3 S 1 und §
416a ZPO mit Ausnahme der Schriftlichkeit die Merkmale einer öffentlichen Urkunde iS der §§
415, 417 f
ZPO erfüllen muss, um mit diesen gleichgestellt werden zu können. Dies ist bei dem elektronischen Gesamtkontospiegel nicht der
Fall.
Der elektronische Gesamtkontospiegel kann keiner öffentlichen Urkunde über Erklärungen nach §
415 Abs
1 ZPO gleichgestellt werden. Die Beweiskraft nach dieser Vorschrift erstreckt sich darauf, dass die Erklärung samt dem niedergelegten
Inhalt und den Begleitumständen (Zeit, Ort, Behörde, Urkundsperson) zutreffend und vollständig so wie beurkundet, bzw - bei
öffentlichen elektronischen Dokumenten - gespeichert, und nicht anders abgegeben wurde (Huber. aaO. § 415 RdNr 10). Daten
mit dieser Aussagekraft über bei der Beklagten abgegebene Erklärungen enthält der elektronische Gesamtkontospiegel nicht.
Der Kontospiegel gibt lediglich die Daten "Antrag 16.06.1982" wieder. Dies stellt die bloße Angabe dar, dass an dem genannten
Datum eine Erklärung gegenüber der Beklagten bzw ihrer Rechtsvorgängerin, der Bundesknappschaft, abgegeben worden sein soll.
Der tatsächliche Inhalt der Erklärung, der die Bewertung zulässt, es handele sich rechtlich um einen Antrag auf Erstattung
der zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichteten Beiträge, ist dem Gesamtkontospiegel gerade nicht zu entnehmen. Auch
aus dem Umstand, dass die Beklagte diesen Antrag unter der "Schlüsselnummer" 1830, die nach Angabe der Beklagten für die Speicherung
von Beitragserstattungsverfahren gebraucht wird, gespeichert haben mag, kann nicht auf den Inhalt der abgegebenen Erklärung
geschlossen werden. Vielmehr muss sich aus dem öffentlichen elektronischen Dokument selbst die Erklärung mitsamt dem niedergelegten
Inhalt ergeben, damit sich die Beweiskraft nach §
415 Abs
1 ZPO hierauf erstrecken kann. Darüber hinaus geht die Zuweisung zu dieser "Schlüsselnummer" nicht auf den Erklärenden, sondern
auf die Beklagte zurück. Sie kann deshalb auch auf einer unzutreffenden Wertung einer Erklärung beruhen. Daneben ergibt sich
aus den Daten des elektronischen Gesamtkontospiegels auch nicht, wer den etwaigen "Antrag" gestellt haben soll, ob dies der
Kläger persönlich, ein Bevollmächtigter oder eine - uU nicht wirksam bevollmächtigte - dritte Person war. Da der Kläger nur
bis Oktober 1978 in Deutschland beschäftigt war, liegt nahe, dass er im Zeitpunkt, an dem der Antrag gestellt worden sein
soll, bereits nach Marokko zurückgekehrt war, so dass mindestens möglich erscheint, dass ein Dritter den (etwaigen) Antrag
gestellt hat. In diesem Fall müsste die Beklagte nachweisen, dass diese dritte Person ordnungsgemäß von dem Kläger bevollmächtigt
worden ist. Die Person des Erklärenden sowie mögliche Vollmachten des Versicherten lassen sich den gespeicherten Daten nicht
entnehmen, so dass eine wirksame, dem Kläger zurechenbare Antragstellung dem elektronischen Gesamtkontospiegel gerade nicht
mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen ist.
Dem elektronischen Gesamtkontospiegel kann auch nicht die Beweiskraft von öffentlichen Urkunden über amtliche Anordnungen,
Verfügungen oder Entscheidungen nach §
417 ZPO zukommen, da er keine amtliche Entscheidung iS eines Verwaltungsakts ist. Im hier maßgeblichen Zusammenhang sind ihm lediglich
die Daten "Bescheid 20.7.1982", "Erstattung von 06.10.1972 bis 31.10.1978", "Erstattungsbetrag 0,00" sowie "ESBT-KN 15661,20"
zu entnehmen. Dies reicht nicht aus, um den elektronischen Gesamtkontospiegel einer öffentlichen Urkunde nach §
417 ZPO gleichstellen zu können. Die Beweiskraft nach dieser Vorschrift umfasst, dass die Anordnung, Verfügung oder Entscheidung
tatsächlich erlassen wurde und hierbei den Inhalt hat, der sich aus der Urkunde ergibt, und unter den in der Urkunde angegebenen
Umständen ergangen ist, also Beweis erbringt auch hinsichtlich Ort und Zeit (Krafka in: BeckOK
ZPO. Stand: 15.6.2014. §
417 RdNr 5). Der vorliegende Sachverhalt zeigt besonders deutlich, dass sich aus dem elektronischen Gesamtkontospiegel nicht
entnehmen lässt, ob die dort gespeicherten Bescheide formell wirksam erlassen, also dem Versicherten (auch) bekannt gegeben
worden sind, § 39 Abs 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Denn in dem Kontospiegel ist unter der "Schlüsselnummer" 1860 sowie dem Hinweis "Ablehnung Versichertenrente" der Bescheid
vom 3.9.2004 gespeichert. Nach dem Inhalt der Akten der Beklagten konnte dieser Bescheid aber trotz mehrfacher Versuche dem
Kläger gerade nicht zugestellt werden, ist mithin also nie wirksam geworden. Im elektronischen Versicherungskonto ist er gleichwohl
(wie der angebliche Bescheid vom 20.7.1982) gespeichert. Vor diesem Hintergrund ist der Senat nicht restlos davon überzeugt,
dass sich aus der bloßen Speicherung von Bescheiddaten in einem elektronischen Gesamtkontospiegel mit der nötigen Sicherheit
entnehmen lässt, diese Bescheide seien wirksam erlassen worden.
Im Wege des Augenscheinbeweises kann dem Ausdruck des elektronischen Gesamtkontospiegel allenfalls entnommen werden, dass
Bedienstete (oder Beauftragte) der Beklagten diese Daten irgendwann eingegeben und gespeichert haben. Den sicheren Schluss
auf die entscheidungserheblichen Tatsachen lässt die Inaugenscheinnahme des elektronischen Gesamtkontospiegel bzw der Ausdrucke
nicht zu. Es kann daraus bestenfalls der - wahrscheinliche, da Eingabefehler nie ganz auszuschließen sind - Schluss gezogen
werden, dass zum Versichertenkonto des Klägers ein Vorgang existierte, den die Beklagte intern als "Erstattungsverfahren"
bewertet und bearbeitet hat.
Selbst Geschehensabläufe, die typischerweise den Schluss auf eine Beitragserstattung zulassen, sind danach nicht erwiesen.
Dies gilt selbst dann, wenn man in Rechnung stellt, dass die zur Beitragserstattung gespeicherten Daten durchaus eine gewisse
Plausibilität haben. Den letzten Pflichtbeitrag in Deutschland hat der Kläger im Oktober 1978 entrichtet. Nach § 95 Abs 1
S 2 Reichsknappschaftsgesetz war eine Beitragserstattung auch damals idR erst zwei Jahre nach Ende der versicherungspflichtigen
Beschäftigung möglich. Im Zeitpunkt der gespeicherten Antragstellung im Juni 1982 (aber auch bereits 1980) war diese Frist
abgelaufen. Daraus lässt sich aber gerade nicht typischerweise folgern, dass eine Beitragserstattung immer nach Ablauf der
maßgeblichen Wartefrist wirksam durchgeführt worden ist. So sind dem Senat (und damit auch der Beklagten) auch Fälle bekannt,
in denen eine Beitragserstattung gar nicht oder nicht zeitnah dokumentiert ist oder vom Rentenversicherungsträger (zB anlässlich
eines Rentenantrags) angeregt worden ist. Auch die Versicherungskarte kann - ungeachtet des Beweiswerts im Übrigen - nicht
für einen typischen Geschehensablauf herangezogen werden, da auf ihr nicht - wie in vielen vergleichbaren Fällen - eine Beitragserstattung
(durch Stempel oder handschriftlich) vermerkt ist. Worauf dies ggf. beruhen könnte, ist unerheblich. Wesentlich ist in diesem
Zusammenhang, dass ein solcher Vermerk fehlt.
Entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten folgt nichts Anderes daraus, dass der Kläger weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren den Vortrag
der Beklagten substantiiert bestritten hat. Dieses Schweigen des Klägers ist unergiebig. Immerhin ist der Kläger dem Vortrag
der Beklagten ausdrücklich entgegengetreten ("trifft nicht zu") und hat erklärt, die angeforderten Unterlagen lägen ihm nicht
vor. Welche weitergehenden Angaben zu "Nichttatsachen" von einem (mit hoher Wahrscheinlichkeit prozessunerfahrenen) Kläger
verlangt werden sollen, ist dem Senat nicht klar. Aus den Äußerungen des Klägers ergeben sich (anders als in vielen ähnlich
gelagerten Verfahren) auch keine mittelbaren Hinweise auf eine Erstattung oder den Erhalt eines Geldbetrages (dies unterscheidet
den vorliegenden Sachverhalt im Übrigen von demjenigen, der dem Urteil des Bayerischen LSG vom 18.11.2009, Az L 13 R 559/08, zugrunde lag, da der dortige Kläger "nach anfänglichem Zögern eingeräumt (hatte), er habe damals einen Geldbetrag erhalten;
er (hatte) diesen nur nicht als Beitragserstattung, sondern als Zahlung von Arbeitsentgelt" eingestuft).
Ein Anhaltspunkt dafür, dass die Beitragserstattung rechtswirksam erfolgt ist, ergibt sich schließlich entgegen der Auffassung
des SG nicht aus dem Verhalten des Klägers nach dem ersten Antrag, insbesondere nicht aus der Tatsache, dass er sich erst wieder
im Jahr 2009 bei der Beklagten gemeldet hat. Auch dieses Verhalten ist unergiebig. Aus dem fünfjährigen Zuwarten bis zur erneuten
Antragstellung kann nicht der Schluss gezogen werden, der Kläger selbst wisse, dass er - wegen der Beitragserstattung - keinen
Anspruch auf die Regelaltersrente habe. Denn daraus, dass der zum zweiten Mal von der Beklagten die Gewährung einer Rente
begehrt und diesen Anspruch bis in die zweite Instanz verfolgt, kann ebenso der gegenteilige Schluss gezogen werden.
Es liegt schließlich kein Sachverhalt vor, der zu einer Umkehr der Beweislast oder einer Absenkung des Beweismaßstabs führte.
Die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung als "Beweisnotstand" bezeichnete Beweislage resultiert in erster Linie
daraus, dass sie ihre etwaigen (Original-)Unterlagen zu dem von ihr behaupteten Beitragserstattungsverfahren vernichtet hat,
so dass ihr nur noch der elektronische Datenbestand des Versicherungskontos, der Gesamtkontospiegel, zu Nachweiszwecken zur
Verfügung steht. Hieraus ergeben sich weder eine Absenkung des Beweismaßstabs noch eine Umkehr der Beweislast oder eine der
Beklagten zugutekommende Beweiserleichterung. In Fällen einer Beweisnot (bei typischen und unverschuldeten Beweisschwierigkeiten)
kann im sozialgerichtlichen Verfahren im Einzelfall zwar eine Beweiserleichterung angenommen werden, so dass sich das Gericht
über Zweifel hinwegsetzen und eine Tatsache als bewiesen ansehen kann (BSG, Urteil vom 2.9.2004, Az B 7 AL 88/03 R, [...] RdNr 17; vgl auch Keller. aaO. § 128 RdNr 3e mwN). Selbst wenn ein typischer und unverschuldeter Beweisnotstand vorläge,
wäre der Senat jedoch weder befugt, das Beweismaß zu verringern (BSG, Urteil vom 27.5.1997, Az 2 RU 38/96, [...] RdNr 25), noch träte eine Umkehr der Beweislast ein (BSG, Beschluss vom 4.2.1998, Az B 2 U 304/97 B, [...] RdNr 4). Nach den dargestellten Grundsätzen können die Beweisschwierigkeiten der Beklagten nicht dazu führen, dass
zu ihren Gunsten Beweiserleichterungen eingreifen, so dass an den Beweis der ordnungsgemäßen Beitragserstattung weniger hohe
Anforderungen gestellt werden könnten.
Es handelt sich weder um typische noch um unverschuldete Beweisschwierigkeiten. Typische Beweisschwierigkeiten sind solche,
die auf den Besonderheiten des jeweiligen Sachverhalts basieren, also etwa regelmäßig eintreten, wenn Versicherte, die im
Ausland leben, Rentenleistungen beantragen. Das ist hier nicht der Fall. Vielmehr ist dem Senat aus vielen vergleichbaren
Verfahren bekannt, dass andere Rentenversicherungsträger, gelegentlich auch die Beklagte selbst, noch über Unterlagen zu Beitragserstattungsverfahren
verfügen, selbst wenn diese vor langer Zeit stattgefunden haben. Dies beruht offenbar auf der klugen Entscheidung, Unterlagen
auch nach Ablauf von Aufbewahrungsfristen aufzubewahren, wenn sie zum Nachweis der darin urkundlich belegten Tatsachen noch
benötigt werden. Es liegen damit auch keine unverschuldeten Beweisschwierigkeiten vor, da die Beklagte diese selbst dadurch
herbeigeführt hat, dass sie die Unterlagen zu dem behaupteten Beitragserstattungsverfahren vernichtet hat.
Die Regelaltersrente beginnt mit dem Monat Januar 2011, §
99 Abs
1 Satz 1
SGB VI. Die Voraussetzungen dieser Norm liegen erst für den Beginn des Monats Januar 2011 nachweislich vor. Es ist nach Lage der
Akten nämlich lediglich erwiesen, dass der Kläger im Jahr 1945 geboren wurde. Dass kein früheres Geburtsdatum als der letzte
Tag dieses Jahres erwiesen ist, wirkt sich nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers aus. Der Senat
geht davon aus, dass er durch diese gesetzeskonforme Rentengewährung dem allgemein gefassten (Haupt-)Begehren des Klägers
vollständig entspricht, so dass eine Zurückweisung der Berufung im Übrigen nicht erforderlich ist.
3. Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif. Eine weitergehende Beweiserhebung iS des "Beweisantrags" der Beklagten ist nicht
geboten.
Bei dem Antrag auf "Parteivernehmung des Klägers", also den Kläger persönlich anzuhören, handelt es sich nicht um einen prozessordnungsgemäßen
Beweisantrag. Nach den Vorschriften des
SGG ist die Parteivernehmung kein im Sozialgerichtsverfahren zulässiges Beweismittel, denn §
118 Abs
1 SGG verweist nicht auf die §§
445 ff
ZPO (stRspr; vgl nur BSG, Beschlüsse vom 24.11.1990, Az 1 BA 45/90, [...], sowie vom 18.2.2003, Az B 11 AL 273/02 B, [...]; M. Kühl. AaO). Hieran ändert sich entgegen der Auffassung der Beklagten nichts dadurch, dass sie sich auf einen "Beweisnotstand"
beruft. Die im Sozialgerichtsverfahren zulässigen (Streng-)Beweismittel werden auch dann nicht erweitert, wenn ein Beweisnotstand
iS von typischen und unverschuldeten Beweisschwierigkeiten (s.o.) vorliegt.
Es ist zwar zutreffend, dass besondere Beweisschwierigkeiten bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden können, etwa wenn
übliche Beweismittel (Zeugen, Urkunden) nicht zur Verfügung stehen, so dass vorhandene Erkenntnisquellen, etwa Beteiligtenvorbringen,
an Gewicht gewinnen (vgl hierzu Keller. aaO. § 128 RdNr 3e mwN). Das gilt insbesondere für den Fall, dass der Beteiligte Tatsachen
aus eigener Wahrnehmung angibt, und andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen (vgl dazu Beschluss des Senats vom 22.5.2013,
Az L 18 KN 52/10; [...] Rdnr 28). So liegt der Fall hier aber nicht. Die Beklagte erhofft sich vielmehr vom Kläger "ins Blaue hinein", dass
er Angaben machen könnte, die ihren Standpunkt bestätigen. Allein deshalb fühlt sich der Senat nicht gedrängt, dem "Beweisantrag"
der Beklagten nachzugehen und den Kläger entweder in Marokko oder in Deutschland zu der von der Beklagten behaupteten Beitragserstattung
persönlich anzuhören. Denn der Senat hat sämtliche vorhandenen Erkenntnisquellen einschließlich des Vorbringens der Beteiligten
- und damit auch das des Klägers - berücksichtigt und in die Beweiswürdigung eingezogen. Der Kläger hat den Vortrag der Beklagten
zur Erstattung zur Gänze bestritten und vorgetragen, die angeforderten Unterlagen lägen ihm (folglich) nicht vor. Dieser Vortrag
des Klägers blieb über die Dauer des gesamten Verfahrens frei von Widersprüchen. Welche über diesen Vortrag hinausgehenden
Erkenntnisse die Beklagte sich von der persönlichen Anhörung des Klägers zu der von ihr behaupteten Beitragserstattung verspricht,
vermag der Senat nicht zu erkennen. Auch die Beklagte trägt keinen konkreten Sachverhalt vor, den der Kläger vortragen oder
bestätigen soll. Der Beweisantrag ist offenbar lediglich von der vagen Hoffnung getragen, der Kläger könnte - anders als mit
seinem Vortrag im schriftlichen Verfahren - nunmehr ihre Behauptungen bestätigen. Da hierfür angesichts des bisherigen Vortrags
des Klägers tatsächliche Grundlagen gänzlich fehlen, handelt es sich bei dem "Beweisantrag" der Beklagten um einen unzulässigen
Ausforschungsbeweis (vgl hierzu: BSG, Beschluss vom 19.11.2009, Az B 13 R 303/09 B, [...] RdNr 12).
B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183 S 1, 193 Abs
1 S 1
SGG.
C. Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, vgl §
160 Abs
2 SGG. Maßgeblich für die Entscheidung sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.