Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
Rabattverträge zwischen Krankenkassen und pharmazeutischen Unternehmen
Öffentlich-rechtlicher Vertrag
Rechtsnatur des Streitgegenstandes
Gründe
Die statthafte (§
17 Abs.
4 Satz 3
GVG i. V. m. §
172 SGG) und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht (SG) Köln hat in dem angefochtenen Beschluss zu Recht festgestellt, dass der beschrittene Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
zulässig ist.
Das Vorbringen der Beklagten im Beschwerdeverfahren führt zu keiner anderen Beurteilung. Die Beklagte trägt hier insbesondere
vor, dass der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nach §
51 Abs.
2 Satz 1 Alt. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) nicht eröffnet sei, da diese Vorschrift eng auszulegen sei. Es handele sich um eine privatrechtliche Streitigkeit, da Rabattverträge
allgemein keine öffentlich-rechtlichen Verträge seien. Überdies handele es sich auch nicht um eine Angelegenheit der gesetzlichen
Krankenversicherung.
Dies überzeugt nicht. Nach §
51 Abs.
1 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten unter anderem in Angelegenheiten
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen sind. Etwas anderes gilt
nach §
51 Abs.
1 Nr.
2 HS 2
SGG für Streitigkeiten in Angelegenheiten nach §
110 SGB V aufgrund einer Kündigung von Versorgungsverträgen, die für Hochschulkliniken oder Plankrankenhäuser gelten. Außerdem sind
die Sozialgerichte nach § 51 Abs. 2 Satz 1 SSG zuständig für privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der Zulassung
von Trägern und Maßnahmen durch fachkundige Stellen nach dem Fünften Kapitel des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch und in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden.
Ausgenommen von der Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind nach §
51 Abs.
3 SGG Streitigkeiten in Verfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), die Rechtsbeziehungen nach §
69 SGB V betreffen.
Die Zuständigkeitsvorschriften des
SGG einschließlich des §
51 SGG sind zwingend und begründen ausschließliche Zuständigkeiten. Im Regelfall sind daher sämtliche Rechtsstreitigkeiten aus dem
öffentlich-rechtlichen Rechts- und Pflichtenkreis der Krankenkassen, der unmittelbar ihre öffentlichen Aufgaben betrifft,
den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen (vgl. BSG, Beschl. v. 28.09.2010 - B 1 SF 1/10 R -, juris Rn. 15 m.w.N.). Die Zulässigkeit des Rechtswegs richtet sich nach dem Streitgegenstand, der durch den geltend gemachten
prozessualen Anspruch, das heißt durch den Klageantrag und den Klagegrund im Sinne eines bestimmten Sachverhalts festgelegt
wird (st. Rspr., vgl. BSG, Beschl. v. 22.04.2008 - B 1 SF 1/08 R -, juris Rn. 26 m.w.N.). Die Frage, ob eine Streitigkeit öffentlich- oder bürgerlich-rechtlicher Art ist, richtet sich nach
der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, wenn eine ausdrückliche Rechtswegzuweisung
des Gesetzgebers fehlt (st. Rspr., vgl. BSG, Beschl. v. 28.09.2010 - B 1 SF 1/10 R -, juris Rn. 17 m.w.N.; Beschl. v. 06.09.2007 - B 3 SF 1/07 R -, juris Rn. 9). Die Abgrenzung ist dabei von der Sache her zu treffen, wobei Ausgangspunkt für die Prüfung die Frage sein
muss, welcher Art das Klagebegehren nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt ist. Auch wenn ein Anspruch mit bürgerlich-rechtlichen
Gesichtspunkten begründet wird, kann es sich in Wahrheit um einen Anspruch aus öffentlich-rechtlichen Beziehungen handeln,
für den der Zivilrechtsweg verschlossen ist (BSG, Beschl. v. 06.09.2007 - B 3 SF 1/07 R -, juris Rn. 9). Deshalb ist entscheidend darauf abzustellen, ob der zur Klagebegründung vorgetragene Sachverhalt für die
aus ihm hergeleitete Rechtsfolge von Rechtssätzen des Zivil- oder des Sozialrechts geprägt wird. Von daher reicht es für die
Bejahung der Zulässigkeit des von den Klägerinnen beschrittenen Rechtsweg aus, wenn das Klagebegehren in einem Sachverhalt
wurzelt, der jedenfalls kraft solcher Rechtsgrundlagen zu beurteilen ist, die in die (originäre) Rechtswegzuständigkeit des
angerufenen Gerichts fallen (BSG, Beschl. v. 03.08.2011 - B 11 SF 1/10 R -, juris Rn. 18; BSG, BSG, Beschl. v. 06.09.2007 - B 3 SF 1/07 R, juris Rn. 9).
Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet.
Der behauptete Lebenssachverhalt ist maßgeblich von Rechtsvorschriften des Rechts der Gesetzlichen Krankenversicherung (
SGB V) geprägt, für welche die Sozialgerichte die Sach- und Entscheidungskompetenz haben. Die Kläger erheben gegenüber der Beklagten
den Vorwurf, sie sei ihren (Liefer-)Pflichten aus einem nach §
130a Abs.
8 SGB V geschlossenen Rabattvertrag nicht nachgekommen. Aus diesem Sachvortrag leiten die Kläger Schadenersatzansprüche her, weil
ihr die Rabattbeträge entgangen seien, die sie erhalten hätte, wenn die Beklagte die vertragsgemäße Leistung geliefert hätte
und ihre Versicherten auf diese rabattierten Arzneimittel hätten umgesteuert werden können.
§
130a SGB V bezweckt über den Apothekenrabatt nach §
130 SGB V hinaus einen angemessenen Beitrag der pharmazeutischen Unternehmer und des pharmazeutischen Großhandels zur Stabilisierung
der GKV-Arzneimittelausgaben herbeizuführen (FraktE-BSSichG BT-Drs. 15/28, S. 12; KassKomm/Hess
SGB V §
130a Rn. 2, beck-online; Schneider in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 3. Aufl. 2016, §
130a SGB V, Rn. 8). Die Vorschrift dient auch dazu, das Beitragssatzniveau zu stabilisieren und finanziellen Spielraum fu&776;r notwendige
strukturelle Reformmaßnahmen zu schaffen (BT-Drs. 15/28, S. 1). Arzneimittelrabattverträge ermöglichen es den Krankenkassen
oder ihren Verbänden, mit pharmazeutischen Unternehmern weitere Rabatte für bestimmte Arzneimittel zu vereinbaren, der über
die Rabattverpflichtung (§
130 a Abs.
1 SGB V) hinausreicht. Rabattverträge (nach §
130a Abs.
8 SGB V) stehen in einem engen systematischen Zusammenhang mit den Funktions- und Wirkungszusammenhängen des Vertrags- und Leistungssystems
der GKV. Sie dienen dazu, unmittelbar den gesetzlichen Auftrag der Krankenkassen zur Versorgung der Versicherten zu erfüllen
und sind selbst unmittelbarer Bestandteil der den Krankenkassen zugewiesenen Aufgaben. Nur durch den Abschluss derartiger
Leistungsbeschaffungsverträge sind die Krankenkassen in der Lage, ihre unaufschiebbare Pflicht zu Erbringung der den Versicherten
gesetzlich zustehenden Sachleistungsansprüche zu erfüllen. Das Leistungserbringungsrecht der GKV hat damit zentrale Bedeutung
für die Funktions- und Steuerungsfähigkeit der GKV und der Versorgung der Bevölkerung mit Gesundheitsleistungen (BSG, Beschl. v. 22.04.2008 - B 1 SF 1/08 R -, juris Rn. 54).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und den pharmazeutischen
Unternehmen öffentlich-rechtlicher Natur (BVerfG, Beschl. v. 13.09.2005 - 2 BvF 2/03 -, juris Rn.165 f.; vgl. auch BSG, Urt. v. 28.07. 2008 - B 1 KR 4/08 R -, juris Rn. 34). Auch vor diesem Hintergrund werden - worauf die Beklagte auch selbst hingewiesen hat - Rabattverträge nach
§
130a Abs.
8 SGB V überwiegend auch nicht als privatrechtliche, sondern als öffentlich-rechtliche Verträge angesehen (LSG NRW, Beschl. v. 24.08.2009
- L 21 KR 45/09 SFB -, juris Rn. 58; Schneider in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 3. Aufl. 2016, §
130a SGB V, Rn. 85; Nielsson in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 53 SGB X, Rn. 96; Axer in: Becker/Kingreen,
SGB V, 4. Aufl., §
130a Rn. 21; Luthe, SGb 2011, 372, 373), deren Ermächtigungsgrundlage sich letztlich in § 53 SGB X findet (BVerfG, Beschl. v. 13.09.2005 - 2 BvF 2/03 -, juris Rn.166).
Der von den Klägern geltend gemachte Anspruch steht in unmittelbarem Sachzusammenhang mit der behaupteten Verletzung des zur
Erfüllung spezifisch sozialrechtlicher Zwecke zwischen den Beteiligten geschlossenen Rabattvertrags nach §
130a Abs.
8 SGB V. Der Schwerpunkt des Rechtsstreits liegt damit insgesamt im Bereich von Ansprüchen aus dem öffentlich-rechtlichen Leistungserbringungsrecht
der gesetzlichen Krankenversicherung. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgen Ersatz- oder Schadensersatzansprüche
wegen Verletzung besonderer Verpflichtungen der Rechtsnatur, in die das Rechtsverhältnis eingebettet ist und dem die besondere
Verpflichtung entnommen ist (BSG, Beschl. v. 30.09.2015 - B 3 KR 22/15 B, juris Rn. 23; BSG, Urt. v. 06.09.2007 - B 3 SF 1/07 R - juris Rn. 10; BSG, Beschl. v. 29.09.1994 - 3 BS 2/93 -, juris, Rn. 12).
Davon abgesehen wären die Sozialgerichte aber auch zuständig, falls man vorliegend von einer privatrechtlichen Streitigkeit
ausginge. Die Sozialgerichte entscheiden nach §
51 Abs.
2 Satz 1 Alt. 2
SGG auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese
Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Vorliegend handelt es sich, wie dargelegt, um eine Streitigkeit, die maßgeblich von
Rechtsvorschriften des Leistungsbringungsrechts der Gesetzlichen Krankenversicherung geprägt ist und damit um eine Angelegenheit
der gesetzlichen Krankenversicherung.
Es liegt auch kein Fall des §
51 Abs.
3 SGG vor. Nach dieser Vorschrift sind von der Zuständigkeit der Sozialgerichte nach §
51 Abs.
1 Nr.
2 HS. 1, Abs.
2 SGG Streitigkeiten in Verfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ausgenommen, die Rechtsbeziehungen nach §
69 SGB V betreffen.
§
69 Abs.
2 Satz 1
SGB V ordnet - soweit nicht eine der in Sätze 2 und 3 genannten Ausnahmen vorliegt - die entsprechende Geltung der §§ 1, 2, 3 Abs.
1, 19, 20, 21, 32-34a, 48-80 und 81 Abs. 2 Nr. 1, 2a und 6, Abs. 3 Nr. 1 und 2, Abs. 4 bis 10 und §§ 82-95 GWB auf die von §
69 Abs.
1 SGB V erfassten Rechtsbeziehungen an. Es handelt sich um eine (Teil-)Rechtsgrundverweisung, so dass bei der entsprechenden Geltung
der wettbewerbsrechtlichen GWB-Vorschriften für die Krankenkassen auch die Voraussetzungen dieser Normen gegeben sein müssen, damit deren Rechtsfolgen eintreten
(BSG v. 17.07.2008 - B 3 KR 23/07 R -, juris Rn. 41; BSG v. 20.11.2008 - B 3 KR 25/07 R -, juris Rn. 44; Engelmann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 3. Aufl. 2016, §
69 SGB V). Maßgebend für die Frage, ob ein Fall des §
51 Abs.
3 SGG vorliegt ist, ob sich der Kläger auf Normen des GWB beruft, nicht aber, ob die Prüfung der Begründetheit der Klage ergibt, dass diese eingreifen. Wenn unter Zugrundelegung des
Tatsachenvortrags des Klägers das GWB unzweifelhaft keine Anwendung findet und sich die Rechtsbeziehungen allein nach dem
SGB V richten, ist der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit gegeben (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt
SGG, 12. Aufl. 2017 §
51 Rn. 23a; Gutzeit in: Roos/Wahrendorf,
SGG, §
51 Rn.47c).
Vorliegend wird ein Rechtsverstoß gegen das GWB weder von den Klägern geltend gemacht, noch ist ein solcher ersichtlich. Ein Schadenersatzanspruch nach § 33a GWB kommt nur dann in Betracht, wenn fahrlässig oder vorsätzlich gegen Vorschriften des GWB und zwar in erster Linie gegen §§ 19 bis 21 GWB sowie gegen Artikel 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder gegen eine Verfügung der Kartellbehörde verstoßen wird. Die Kläger machen nicht den Missbrauch einer marktbeherrschenden
Stellung (§ 19 GWB), ein verbotenes Verhalten der Beklagten als Unternehmen mit relativer oder überlegener Marktmacht (§ 20 GWB) oder einen Verstoß gegen das Boykottverbot bzw. ein sonstiges wettbewerbswidriges Verhalten der Beklagten (§ 21 GWB) geltend. Sie begehren Schadenersatz allein auf Grund einer Verletzung von Lieferpflichten aus dem mit der Beklagten geschlossenen
Rabattvertrag.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a
SGG, 154 Abs. 2
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Die Regelung des §
17b Abs.
2 Satz 1
GVG, wonach im Falle der Verweisung des Rechtsstreits an ein anderes Gericht keine Kostenentscheidung zu treffen ist, findet
bei Beschlüssen nach §
17a GVG keine Anwendung, wenn der beschrittene Rechtsweg für zulässig erachtet wird (vgl. BSG, Beschluss v. 22.04.2008 - B 1 SF 1/08 R -, juris Rn. 84).
Gründe für eine Zulassung der weiteren Beschwerde (§
17a Abs.
4 Satz 4,
5 GVG) liegen nicht vor.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a SGG i. V. m. §§ 47, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG). Bei einer Vorabentscheidung über den Rechtsweg erscheint es angemessen, ein Fünftel des mit der Klage geforderten Betrags
anzusetzen (vgl. BSG, Beschl. v. 22.04.2008 - B 1 SF 1/08 R -, juris Rn. 85).