Unbegründetheit der Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Gewährung von
Leistungen nach § 2 AsylbLG anstelle zuerkannter Grundleistungen
Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes im Hinblick auf die Zumutbarkeit
des Abwartens bis zur Entscheidung der Hauptsache und auf eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung des Aufenthalts im Bundesgebiet
durch Nichtbekanntgabe des Aufenthaltsortes während eines Kirchenasyls
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt im Wege des Eilrechtsschutzes Leistungen nach §
2 AsylbLG anstelle zuerkannter Grundleistungen nach §
3 AsylbLG.
Der 1988 geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsbürger. Im Dezember 2017 reiste er mit weiteren Familienangehörigen
nach Deutschland ein. Sein Asylgesuch aus Januar 2018 wies das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge durch Bescheid vom
21.03.2018 als unzulässig ab. Zugleich ordnete es die Abschiebung des Antragstellers nach Italien an, weil dieses Land für
die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei. Dagegen erhob der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf
Klage (8 K 2934/18.A). Ein zugleich angestrengtes Eilverfahren blieb erfolglos (Verwaltungsgericht (VG) Düsseldorf, Beschluss vom 19.07.2018
- 8 L 941/18.A). Im Juni 2018 wurde der Antragsteller der Antragsgegnerin zugewiesen.
Nach Abschluss des Eilverfahrens begaben sich der Antragsteller und einige Mitglieder seiner Familie am 31.08.2018 in das
Kirchenasyl der Evangelischen Kirchengemeinde H. Die Gemeinde informierte die Antragsgegnerin und die Ausländerbehörde noch
am gleichen Tag über das Kirchenasyl. Zugleich teilte sie mit, dass die Familie im Gebäude der Evangelischen Kirchengemeinde
in der L-Straße 00 untergebracht sei. Die für den 15.10.2018 geplante Rückführung des Antragstellers nach Italien wurde daraufhin
nicht durchgeführt.
Nachdem die Frist zur Überstellung des Antragstellers nach Italien am 25.01.2019 abgelaufen war, hob das VG Düsseldorf 8 K 2934/18.A den Bescheid des BAMF vom 21.03.2018 mit Urteil vom 15.02.2019 auf. Nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils verließ der
Antragsteller am 18.04.2019 das Kirchenasyl, wurde in einer Gemeinschaftsunterkunft der Antragsgegnerin untergebracht und
erhielt von dieser - wie schon vor Aufnahme in das Kirchenasyl - laufend Grundleistungen nach §
3 AsylbLG.
Durch Bescheid vom 08.07.2019 lehnte das BAMF den Asylantrag des Antragstellers aus Januar 2018 ab. Die dagegen erhobene Klage
ist beim VG Minden (3 K 2271/19.A) anhängig.
Im Mai/Juni 2019 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin Leistungen nach §
2 AsylbLG anstelle der zuerkannten Grundleistungen nach §
3 AsylbLG. Durch Bescheid vom 17.08.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.09.2020 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag
ab. Die hiergegen am 01.10.2020 erhobene Klage wird bei dem Sozialgericht Detmold unter dem Aktenzeichen S 8 AY 75/20 geführt.
Am 01.10.2020 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Detmold ferner um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und vorläufige
Leistungen nach §
2 AsylbLG anstelle der zuerkannten Grundleistungen nach §
3 AsylbLG begehrt. Er halte sich ohne wesentliche Unterbrechung seit 18 Monaten im Bundesgebiet auf und habe seinen Aufenthalt im Bundesgebiet
nicht rechtsmissbräuchlich verlängert. Die Inanspruchnahme des Kirchenasyls stelle kein rechtsmissbräuchliches Verhalten dar.
Es handele sich insbesondere in den Fällen des "offenen" Kirchenasyls, in denen der Ausländerbehörde der Aufenthaltsort -
wie bei ihm - jederzeit bekannt sei, weder um ein rechtliches noch ein tatsächliches Abschiebehindernis. Vielmehr verzichte
die Ausländerbehörde aus politischen oder humanitären Gründen lediglich faktisch auf Vollzugsmaßnahmen. Es wäre aber widersprüchlich,
den Aufenthalt des Antragstellers im Kirchenasyl vorübergehend zu tolerieren, ihm aber andererseits rechtsmissbräuchliches
Verhalten vorzuwerfen. Abweichend von dem Vortrag der Antragsgegnerin sei er während des Kirchenasyls nicht von der L-Straße
00 in den N-Weg umgezogen. Dies könne der Zeuge L1 bestätigen, der sein Kirchenasyl betreut habe. Die Angelegenheit sei eilbedürftig,
weil die Antragsgegnerin ihm notwendige existenzsichernde Leistungen vorenthalte.
Der Antragsteller hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leistungen gemäß §
2 AsylbLG unter Anrechnung der zuerkannten Leistungen nach §
3 AsylbLG nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Antragsgegnerin hat schriftsätzlich beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie hat die Auffassung vertreten, der Antragsteller habe seinen Aufenthalt im Bundesgebiet durch das Kirchenasyl rechtsmissbräuchlich
verlängert und könne daher keine Leistungen nach §
2 AsylbLG beanspruchen. Zwar sei der Staat durch das Kirchenasyl nicht am Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen gehindert; er verzichte
jedoch aus Respekt vor der Kirche regelmäßig auf eine zwangsweise Durchsetzung der Ausreisepflicht. Der Antragsteller habe
sich daher faktisch dem staatlichen Zugriff entzogen. Dass der Staat freiwillig aufenthaltsbeendende Maßnahmen unterlassen
habe, sei unerheblich. Im Übrigen sei der Ausländerbehörde eine Überstellung des Antragstellers nach Italien auch nicht zu
jeder Zeit möglich gewesen; denn er habe sich nicht während der gesamten Dauer des Kirchenasyls unter der von ihm angegebenen
Anschrift (L-Straße 00) aufgehalten. Familienmitglieder des Antragstellers, die sich ebenfalls im Kirchenasyl befunden hätten,
hätten nach Verlassen des Kirchenasyls vielmehr angegeben, dass die gesamte Familie sich zwischenzeitlich im N-Weg 0 aufgehalten
habe.
Durch Beschluss vom 03.12.2020 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Wegen
der Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidung Bezug genommen.
Dagegen hat der Antragsteller am 22.12.2020 Beschwerde eingelegt und Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt.
Er trägt ergänzend vor, ein Ausreisepflichtiger, der sich im offenen Kirchenasyl befinde, sei weder unauffindbar noch flüchtig.
Hierfürspreche auch die Entscheidung EuGH vom 19.03.2019 - C-163/17. Danach müsse die Flucht für die Nichtdurchführbarkeit von Überstellungsmaßnahmen nach der Dublin III-VO kausal sein. An
einer solchen Kausalität fehle es jedoch, wenn der Staat während des Kirchenasyls auf die Rückführung des Asylantragstellers
verzichte, obwohl ihm dessen Anschrift bekannt sei.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 03.12.2020 zu ändern und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung
zu verpflichten, ihm, unter Anrechnung der zuerkannten Leistungen nach §
3 AsylbLG Leistungen nach §
2 AsylbLG nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren,
sowie ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde des Antragstellers zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluss hingegen für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Vorgänge
(Verwaltungs- und Ausländerakte der Antragsgegnerin) Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde des Antragstellers, mit der er zukunftsoffen und damit für einen überjährigen Zeitraum (vgl. §
172 Abs.
3 Ziffer 1 i.V.m. §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG) Leistungen gemäß §
2 AsylbLG anstelle der ihm gewährten Grundleistungen nach §
3 AsylbLG begehrt, ist unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Ergebnis zu Recht
abgelehnt; denn die Voraussetzungen des §
86b Abs.
2 Satz 1
SGG sind nicht erfüllt.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig,
wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Der Erlass einer solchen
Regelungsanordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrundes voraus. Ein Anordnungsanspruch
liegt vor, wenn der Antragsteller das Bestehen eines Rechtsverhältnisses glaubhaft macht, aus dem er eigene materiell-rechtliche
Ansprüche ableitet. Maßgeblich sind grundsätzlich die Erfolgsaussichten der Hauptsache (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
86b Rn. 27 ff.). Ein Anordnungsgrund ist nur gegeben, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass ihm unter Berücksichtigung
der widerstreitenden öffentlichen Belange ein Abwarten bis zur Entscheidung der Hauptsache nicht zuzumuten ist. Voraussetzung
hierfür ist das Vorliegen einer gegenwärtigen Notlage, die eine unverzügliche Entscheidung als unabweisbar erscheinen lässt.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund allerdings nicht isoliert nebeneinander. Es besteht vielmehr zwischen
beiden eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw.
Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt.
a) Ausgehend hiervon hat der Antragsteller schon nicht glaubhaft gemacht, dass die Angelegenheit eilbedürftig ist (= Anordnungsgrund
i.S.v. §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG).
Soweit er Leistungen für die Zeit vor Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes (am 01.10.2020) begehrt, gilt dies schon
deshalb, weil Leistungen für die Vergangenheit, also die Zeit vor Eingang des Eilantrags bei dem Sozialgericht, im Wege einer
einstweiligen Anordnung grundsätzlich nicht zuzusprechen sind. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die unterbliebene Leistungsgewährung
in der Vergangenheit in die Gegenwart fortwirkt und eine aktuelle Notlage bewirkt (vgl. Keller, a.a.O., § 86b Rn. 35a m.w.N.).
Ein solcher sog. Nachholbedarf ist hier aber weder vorgetragen noch erkennbar.
b) Aber auch im Übrigen (für die Zeit ab dem 01.10.2020) hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass ihm ein Abwarten
der Entscheidung in der Hauptsache nicht zumutbar wäre. Allein der Umstand, dass hier (höhere) Leistungen der sozialen Sicherung
im Streit stehen, reicht insofern nicht aus. Zwar kann im Falle eines Eilantrags auf existenzsichernde Leistungen, die der
Gesetzgeber als Pauschalbetrag berechnet, nicht verlangt werden, im Einzelnen darzulegen, welche Bedarfe in welchem Umfang
durch die bereits gewährten Leistungen nicht gedeckt sind. Doch muss nachvollziehbar sein, dass aufgrund der konkret-individuellen
Lebensumstände wesentliche Nachteile eintreten, wenn keine Eilentscheidung ergeht (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 01.10.2020
- 1 BvR 1106/20 Rn. 18). Der Antragsteller hat jedoch schon nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht, welche konkreten Umstände
es ihm unzumutbar machen sollten, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens weiterhin lediglich Grundleistungen nach §
3 AsylbLG anstelle der begehrten (höheren) sog. Analogleistungen nach §
2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII zu erhalten. Er hat die Eilbedürftigkeit lediglich pauschal damit begründet, dass ihm existenzsichernde Leistungen vorenthalten
würden.
Ob ein solcher Vortrag ausnahmsweise ausreicht, wenn ein Anordnungsanspruch offensichtlich besteht, muss der Senat nicht entscheiden;
denn es drängt sich hier nicht ohne Weiteres auf, dass der Antragsteller von der Antragsgegnerin die begehrten Analogleistungen
nach §
2 Abs.
1 AsylbLG beanspruchen kann. Nach dieser Vorschrift ist das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die sich seit 18 Monaten ohne wesentliche Unterbrechung im
Bundesgebiet aufhalten und die Dauer des Aufenthalts nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Der Antragsteller
hat jedoch nicht glaubhaft gemacht, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst zu haben.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (grundlegend: Urteil vom 17.6.2008 - B 8/9b AY 1/07 R Rn. 32 ff.) setzt
ein rechtsmissbräuchliches Verhalten im Sinne von §
2 Abs.
1 AsylbLG in objektiver Hinsicht ein unredliches, von der Rechtsordnung missbilligtes Verhalten voraus. Dabei genügt angesichts des
Sanktionscharakters des §
2 AsylbLG nicht schon jedes irgendwie zu missbilligende Verhalten. Art, Ausmaß und Folgen der Pflichtverletzung wiegen so schwer, dass
auch der Pflichtverletzung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein erhebliches Gewicht zukommen muss. Daher kann
nur ein Verhalten, das unter jeweiliger Berücksichtigung des Einzelfalls, der besonderen Situation eines Ausländers in der
Bundesrepublik Deutschland und der besonderen Eigenheiten des
AsylbLG unentschuldbar ist (Sozialwidrigkeit), zum Ausschluss von Analogleistungen führen. Eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer
liegt regelmäßig schon dann vor, wenn bei generell-abstrakter Betrachtungsweise das rechtsmissbräuchliche Verhalten typischerweise
die Aufenthaltsdauer verlängern kann. Eine Ausnahme hiervon ist zu machen, wenn eine etwaige Ausreisepflicht des betroffenen
Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum des Rechtsmissbrauchs nicht hätte vollzogen werden
können. In subjektiver Hinsicht ist schließlich Vorsatz bzgl. der tatsächlichen Umstände sowie der Beeinflussung der Dauer
des Aufenthalts erforderlich.
bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist es keineswegs offensichtlich, dass der Antragsteller seinen Aufenthalt im Bundesgebiet
nicht rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat. Dabei muss der Senat nicht entscheiden, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen
die Inanspruchnahme von Kirchenasyl ein rechtsmissbräuchliches Verhalten darstellt (vgl. hierzu Bayerisches LSG, Urteil vom
28.05.2020 - L 19 AY 38/18, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27.04.2020 - L 8 AY 20/19 B ER, LSG Mecklenburg-Vorpommern,
Beschluss vom 13.09.2020 - L 9 AY 9/20 B ER, und Hessisches LSG, Beschluss vom 04.06.2020 - L 4 AY 5/20 B ER). Denn es ist
jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass der Antragsteller seinen Aufenthalt im Bundesgebiet jedenfalls dadurch rechtsmissbräuchlich
verlängert hat, dass der Antragsgegnerin und der Ausländerbehörde sein Aufenthaltsort während des Kirchenasyls nicht fortlaufend
bekannt war.
(1) Der Antragsteller trägt zwar vor, dass er sich während des Kirchenasyls vom 31.08.2018 bis zum 18.04.2019 fortlaufend
unter der (der Antragsgegnerin und der Ausländerbehörde bekannten) Anschrift L-Straße 00 aufgehalten hat. Eine entsprechende
eidesstattliche Versicherung, die geeignet wäre, seinen Vortrag glaubhaft zu machen, hat er jedoch nicht vorgelegt. Es bedarf
vielmehr weiterer Ermittlungen im Hauptsacheverfahren, ob und ggf. wann der Antragsteller - ebenso wie seine übrigen Familienangehörigen
- während des Kirchenasyls von der L-Straße 00 in den N-Weg 0 umgezogen ist. Denn die Nichtbekanntgabe der aktuellen Anschrift
ist - vergleichbar einem Untertauchen - (auch unabhängig von der Inanspruchnahme von Kirchenasyl) unter Berücksichtigung (auch)
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (s.o.) jedenfalls dann typischerweise geeignet, den Aufenthalt im Bundesgebiet rechtsmissbräuchlich
zu verlängern, wenn der Ausländerbehörde der Aufenthaltsort des Betroffenen über einen längeren Zeitraum nicht bekannt gegeben
wird (vgl. zur Rechtsmissbräuchlichkeit eines "Untertauchens" für längere Zeit schon den Beschluss des Senats vom 06.08.2010
- L 20 B 45/09 AY Rn. 9). Da der Antragsteller sich über einen Zeitraum von mehr als sieben Monaten im Kirchenasyl befunden hat, hat er
sich jedoch - je nach dem Zeitpunkt eines etwaigen Umzugs - seither möglicherweise längerfristig dem Zugriff der Behörden
entzogen.
(2) Ob die Ausländerbehörde selbst bei fortlaufender Kenntnis der aktuellen Anschrift aufgrund des Kirchenasyls von einer
zwangsweisen Abschiebung des Antragstellers nach Italien abgesehen hätte, ist unerheblich; denn ob das Verhalten des Antragstellers
für den Verbleib im Bundesgebiet konkret kausal war, ist im Rahmen des §
2 Abs.
1 AsylbLG nicht maßgeblich (s.o. zur generell-abstrakten Betrachtungsweise). Abweichendes gilt nur dann, wenn eine etwaige Ausreisepflicht
des betroffenen Ausländers unabhängig von seinem Verhalten ohnehin in dem gesamten Zeitraum des Rechtsmissbrauchs nicht hätte
vollzogen werden können. Derartige Umstände sind hier jedoch nicht ersichtlich. Insbesondere steht das Kirchenasyl einer zwangsweisen
Rückführung nicht zwingend entgegen. Vielmehr verzichtet der Staat aus Respekt vor den kirchlichen Einrichtungen lediglich
freiwillig darauf, die Ausreisepflicht während des Kirchenasyls durchzusetzen. Handelt es sich insofern um ein außerrechtliches
Kriterium, ist etwaigen Restzweifeln, ob dies bei der generell-abstrakten Beurteilung im Rahmen des §
2 Abs.
1 AsylbLG von Bedeutung sein kann, im Hauptsacheverfahren nachzugehen.
(3) Stellt sich im Hauptsacheverfahren heraus, dass der Antragsteller während des Kirchenasyls umgezogen ist und den maßgeblichen
Behörden sein neuer Aufenthaltsort für einen längeren Zeitraum nicht bekannt war, so bedarf es überdies weiterer Ermittlungen,
ob er im Sinne der eingangs dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung auch vorsätzlich gehandelt hat.
2. Obwohl der Eilantrag keinen Erfolg hat, sieht der Senat im vorliegenden Einzelfall die Voraussetzungen für die Bewilligung
von Prozesskostenhilfe (§
73a SGG i.V.m. §§
114 ff.
ZPO) als gegeben an. Denn im Fall des (bedürftigem) Antragstellers entscheidet der Senat erstmals unter Berücksichtigung der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 01.10.2020 - BvR 1106/20; auch verhält er sich erstmals zur Frage der Bedeutung eines Kirchenasyls im Rahmen von §
2 Abs.
1 AsylbLG.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
4. Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).