Gründe
I.
In der Hauptsache begehrt die Klägerin eine Nachzahlung von Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel Zwölftes
Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Die am 00.00.1982 geborene Klägerin ist gesundheitlich stark eingeschränkt. Schwerbehindertenrechtlich besteht ein Grad der
Behinderung von 100. Außerdem wurden der Klägerin die Merkzeichen "G" und "H" zuerkannt. Seit Mai 2003 ist sie im Arbeitsbereich
einer Werkstatt für Behinderte Menschen (WfBM) beschäftigt.
Seit über sieben Jahren steht sie im Leistungsbezug bei der Beklagten, die ihr in der Vergangenheit Sozialhilfe, zuletzt Leistungen
der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII, gewährte.
In der Vergangenheit lebte die Klägerin zunächst gemeinsam mit ihren Eltern die Mutter verstarb am 00.00.2011, ihren beiden
Geschwistern, ihrem Onkel und ihrer Nichte in einem Haushalt. Zum 01.08.2011 bezog sie gemeinsam mit ihrer Schwester und ihrer
Nichte eine andere Wohnung. Auch nach dem Umzug bewilligte die Beklagte der Klägerin Leistungen der Grundsicherung nach dem
SGB XII (Bescheid vom 18.08.2011).
Im Rahmen der Leistungsberechnung berücksichtigte die Beklagte - jedenfalls seit 2007 - für die Klägerin einen Regelbedarf
nach §§ 42 Satz 1 Nr. 1, 28 SGB XII i.V.m. § 3 Abs. 2 Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung von § 28 SGB XII (RSV) in Höhe
von 80 % des Eckregelsatzes (zuzüglich eines Mehrbedarfszuschlages wegen Schwerbehinderung (§§ 42 Satz 1 Nr. 3, 30 Abs. 1
Nr. 2 SGB XII).
Bereits am 30.03.2011 beantragte die Klägerin bei der Beklagten unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG)
vom 23.03.2010 - B 8 SO 17/09 R die Überprüfung der ihr seit dem 01.01.2006 bewilligten Grundsicherungsleistungen. Sie machte
geltend, nach der genannten Entscheidung stünden ihr Regelsatzleistungen in Höhe des ungekürzten Eckregelsatzes zu. Die jeweiligen
Unterschiedsbeträge seien für die Vergangenheit nachzuzahlen.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 13.04.2011 ab. Das BSG habe zwar in Abkehr von der bisher unstreitigen
Rechtsauffassung unter Hinweis auf Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und dem SGB XII entschieden,
dass Einsparungen bei gemeinsamem Haushalt nur angenommen werden könnten, wenn die zusammen lebenden Personen eine Bedarfsgemeinschaft
im Sinne des SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft im Sinne von § 19 Abs. 1 SGB XII bildeten. Der Gesetzgeber habe jedoch nunmehr
mit dem rückwirkend zum 01.01.2011 in Kraft getretenen Regelbedarfsermittlungsgesetz (RBEG) sowie Änderungen des SGB XII entschieden,
dass für erwachsene leistungsberechtigte Personen, die weder einen eigenen Haushalt führten noch als Ehegatte, Lebenspartner
oder in ehelicher Gemeinschaft oder lebenspartnerähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führten, die Regelbedarfsstufe
3 eingeführt werde. Mit dieser neuen gesetzlichen Regelung habe der Gesetzgeber nunmehr in Kenntnis der Rechtsauffassung des
BSG die vor dem Urteil geltende Regelung bestätigt und eindeutige Rahmenbedingungen für die Gewährung von Regelsätzen geschaffen.
Daher seien auch die in der Vergangenheit gegenüber der Klägerin erlassenen Grundsicherungsbescheide nicht rechtswidrig gewesen.
Mit ihrem dagegen gerichteten Widerspruch machte die Klägerin geltend, über den 01.01.2011 hinaus hätte der Gesetzgeber eine
rückwirkende Änderung nicht vornehmen können, weil ihm dies aus verfassungsrechtlichen Gründen verwehrt gewesen wäre. Die
Widerspruchsbehörde wies den Widerspruch unter ausführlicher Darstellung der Rechtsprechung des BSG sowie der Gesetzesbegründung
zum RBEG und inhaltlich im Wesentlichen identischer Begründung wie im Ausgangsbescheid mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011
zurück.
Dagegen hat die Klägerin - anwaltlich vertreten - am 27.06.2011 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Aachen erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt. Es verbleibe bei der Feststellung, dass der Gesetzgeber im Grunde
frei gewesen sei, mit Wirkung für die Zukunft Änderungen vorzunehmen. Für die Vergangenheit bleibe dies jedoch unzulässig.
Im Hinblick auf eine weitere Entscheidung des BSG - betreffend die Verpflichtung von Behörden zur nachträglichen Erbringung
von Sozialhilfeleistungen (Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 16/08 R) - hat die Klägerin ergänzend ausgeführt, das BSG habe dort
verschiedene Konstellationen geprüft und im Einzelnen dargelegt, in welchen Fällen eine nachträgliche Bewilligung in Betracht
komme, und in welchen nicht. Hier liege eine Fallgestaltung, bei der eine Nacherbringung von Sozialhilfeleistungen von vornherein
nicht in Betracht komme, nicht vor. Im Übrigen hat die Klägerin den zur Überprüfung gestellten Zeitraum auf die Zeit bis zum
13.06.2007 (Tag vor Vollendung des 25. Lebensjahres) beschränkt.
Gleichzeitig mit Erhebung der Klage hat sie die Bewilligung ratenfreier Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten
beantragt.
Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Bevollmächtigten abgelehnt (Beschluss vom 19.09.2011).
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Regelung des § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zur rückwirkenden Korrektur bestandskräftiger - von der Klägerin als rechtswidrig angesehener - Leistungsbescheide sei zwar
sozialhilferechtlich nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Jedoch müssten Sozialleistungen für einen abgeschlossenen zurückliegenden
Zeitraum nur dann erbracht werden, wenn die Notlage im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch bestehe (BSG, Urteil
vom 29.09.2009, a.a.O.). Die Klägerin habe weder substantiiert dargelegt noch den Nachweis geführt, dass bei ihr zum Zeitpunkt
des Überprüfungsantrages (30.03.2011) aus der Zeit vom 13.06.2007 bis zum 31.12.2010 noch ein sozialhilferechtlicher Bedarf
in Höhe von 20 % (Differenz zwischen bewilligter und begehrter Leistung) des Eckregelsatzes bestehe. Sie habe das Überprüfungsbegehren
nicht mit einem aus der Vergangenheit resultierenden Bedarf, sondern - auf einem von dritter Seite offenbar vorformulierten
Vordruck - mit der Entscheidung des BSG vom 23.03.2010 (B 8 SO 17/09 R) begründet. Ein fortbestehender Bedarf aus der Vergangenheit
sei nicht ersichtlich. Im Übrigen sei die Entscheidung der Beklagten, bestandskräftige Bescheide zu überprüfen und Sozialhilfe
(nicht) nachzuzahlen auch in der Sache nicht zu beanstanden, wie sie sich insbesondere aus den zutreffenden Ausführungen in
dem angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 21.06.2011 ergebe.
Dagegen richtet sich die am 14.10.2011 eingelegte Beschwerde der Klägerin. Die Entscheidung des SG gehe zu Unrecht davon aus, dass die Sozialhilfe ihren Zweck nicht mehr erfüllen könne, selbst wenn Bedürftigkeit im Sinne
des SGB XII oder des SGB II fortbestehe. Dies habe das BSG in dem Urteil vom 29.09.2009 nur für einmalige oder Mehrbedarfe
festgestellt. Hier sei es insoweit anders gewesen, als die durch die rechtswidrige "Zu-Gering-Leistung" der Beklagten entstandene
Lücke durch die Hilfe Dritter gedeckt worden sei. Denn die Klägerin habe bis vor wenigen Wochen in einem Haushalt mit ihren
Eltern, zwei Geschwistern, einer Nichte und einem Onkel gelebt. Bei einem solchen Familienverbund sei es naheliegend, dass
sämtliche anderen Familienmitglieder ihren Gürtel entsprechend enger schnallten, um somit die fehlende Unterstützung durch
den Sozialhilfeträger zu substituieren. Im Übrigen sei unstreitig, dass die Bedürftigkeit der Klägerin im Sinne des SGB XII
ununterbrochen fortbestehe. Dabei bedürfe es bei pauschalierten Leistungen, die - wie der Regelsatz - typisierend von einer
Bedarfsdeckung ausgingen und nicht nur die Höhe des nachzuweisenden Bedarfs typisierend pauschalierten, nicht des Nachweises
anderweitiger Bedarfsdeckung, wenn sie nicht nur der Befriedigung eines aktuellen, sondern auch eines zukünftigen und vergangenen
Bedarfs dienten. Diese Pauschalen nähmen nicht an der von der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung angenommenen "Existenzschwäche"
des Sozialhilfeanspruches teil. Die in dem Urteil vom 23.03.2010 (a.a.O.) geäußerte Rechtsauffassung habe das BSG zuletzt
nochmals in dem Urteil vom 09.06.2011 - B 8 SO 11/10 R bestätigt.
Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Ein Fortbestehen der Bedürftigkeit habe die Klägerin weder
dargelegt noch nachgewiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Prozesskostenhilfe wird nach §
73a Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) i.V.m. §
114 Satz 1
Zivilprozessordnung (
ZPO) gewährt, wenn der Betroffene nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht
aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint.
Die Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss über das Fortbestehen der Bedürftigkeit bzw. die Anforderungen an dessen Nachweis
entsprechen nicht der Rechtsprechung des BSG in dem Urteil vom 29.09.2009 - B 8 SO 16/08 R. Es trifft zwar zu, dass das BSG
(a.a.O. Rn. 14/15) im Hinblick auf § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X einen Anspruch auf Nachgewährung von Sozialhilfeleistungen nur dann für gegeben hält, wenn der Bedarf als solcher überhaupt
angefallen ist und zum Zeitpunkt der Nachgewährung - vor Abschluss der letzten Tatsacheninstanz - Bedürftigkeit noch nicht
entfallen ist. Sofern es wie hier um den Regelbedarf geht - also um Bedarfe, die auch tatsächlich angefallen sind, ist nach
den Ausführungen des BSG (a.a.O. Rn. 18/19) jedoch insoweit allein maßgebend, ob im Anschluss an den Nachgewährungszeitraum
Bedürftigkeit nach einem Grundsicherungssystem (SGB II oder SGB XII) ununterbrochen weiter bestanden hat oder nicht (so auch
Urteil des Senats vom 24.10.2011 - L 20 AY 114/10). Nach dem bisherigen Sachstand ist unstreitig, dass die Klägerin seit dem
31.12.2010 durchgängig bedürftig im Sinne des (Vierten Kapitels des) SGB XII war. Hieran hat sich insbesondere durch ihren
Umzug nichts geändert. Es bedarf daher weder des Nachweises einer anderweitigen Bedarfsdeckung (BSG a.a.O. Rn. 20) noch -
entgegen der Auffassung des SG - der substantiierten Darlegung oder des Nachweises noch offener Bedarfe aus der Vergangenheit.
Die in dem angefochtenen Beschluss vertretene - nicht näher begründete - Auffassung, die Entscheidung der Beklagten sei auch
im Übrigen in der Sache nicht zu beanstanden, ist mit der Rechtsprechung des BSG zumindest nicht ohne weiteres in Einklang
zu bringen. Das BSG hat in den beiden Entscheidungen vom 23.03.2010 und 09.06.2011 (B 8 SO 17/09 R Rn. 19 ff. bzw. B 8 SO
11/10 R Rn. 18 ff.) nicht auf den Willen des Gesetzgebers abgestellt, sondern für die Auslegung von § 3 Abs. 2 RSV im Wesentlichen
den zum 01.01.2005 eingetretenen Systemwechsel und den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz (Art.
3 Abs.
1 GG) für maßgebend gehalten. Es ist für den Senat nicht erkennbar, weswegen Erwägungen, die der Gesetzgeber für die Ausgestaltung
der Regelbedarfe für die Zeit ab dem 01.01.2011 angestellt hat, zu einer Änderung dieser Argumentation führen könnten. Dies
gilt umso mehr, als das BSG (a.a.O. Rn. 21) dies in der jüngeren Entscheidung bereits selbst zumindest angedeutet hat.
Auch ansonsten sind jedenfalls bisher keine rechtlichen Gesichtspunkte vorgetragen oder erkennbar, die eine einschränkende
Anwendung des § 44 SGB X auf die vorliegende Fallgestaltung nahe legen könnten.
Die Rechtsverfolgung ist daher auch nicht mutwillig.
Im Hinblick auf die Angaben der Klägerin in dem Antragsvordruck und die Tatsache, dass sie von der Beklagten weiter laufend
Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII bezieht, erfüllt sie ebenfalls die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen
für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
73a SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).