SGB-XII-Leistungen
Vorläufige Leistungsbewilligung
Scheinbarer Verwaltungsakt
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Beschwerde Prozesskostenhilfe für ein Verfahren vor dem Sozialgericht, in dem höhere Leistungen
nach dem SGB XII streitbefangen sind.
Durch Beschluss vom 04.02.2016 verpflichtete das Sozialgericht Gelsenkirchen (S 2 SO 1/16 ER) die Beklagte im Wege der einstweiligen
Anordnung, der Klägerin vom 04.01. bis zum 31.03.2016, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens,
vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe des Regelbedarfs von monatlich 404 EUR zu gewähren. Leistungen
für Unterkunft und Heizung könne die Klägerin hingegen mangels Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung nicht
beanspruchen.
Durch als solchen bezeichneten "Bescheid" vom 09.02.2016 in der Gestalt des "Widerspruchsbescheides" vom 08.07.2016 bewilligte
die Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB XII vom 04.01. bis zum 31.03.2016 in Höhe von insgesamt 768,90 EUR. In den Gründen der Bescheide nahm sie jeweils auf den Beschluss
des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 04.02.2016 Bezug. Die vermeintlichen "Bescheide" waren jeweils mit einer Rechtsbehelfsbelehrung,
gerichtet auf die Erhebung eines Widerspruchs (so der Bescheid vom 09.02.2016) bzw. einer Klage (so der Widerspruchsbescheid
vom 09.02.2016), versehen.
Dagegen hat die Klägerin am 26.07.2016 bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen Klage erhoben sowie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung
ihres Bevollmächtigten begehrt. Die angefochtenen Bescheide seien rechtswidrig; denn die Beklagte sei verpflichtet, ihr über
den zuerkannten Regelbedarf hinaus Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung sowie einen Beitragszuschuss zur freiwilligen
Krankenversicherung nach dem SGB XII zu gewähren. Die Bescheide enthielten nicht nur eine vorläufige, sondern eine endgültige Regelung. Der mit einer Rechtsbehelfsbelehrung
versehene Ausgangsbescheid vom 09.02.2016 lasse nicht erkennen, dass er lediglich in Ausführung der Eilentscheidung des Sozialgerichts
vom 04.02.2016 ergangen sei.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Klägerin könne jedenfalls keine höheren Leistungen nach dem SGB XII beanspruchen; denn sie sei gemäß § 21 SGB XII als Erwerbsfähige von dem leistungsberechtigten Personenkreis des SGB XII ausgeschlossen.
Durch Beschluss vom 17.10.2016 hat das Sozialgericht den Antrag der Klägerin auf Prozesskostenhilfe mangels hinreichender
Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt. Die Beklagte habe die Eilentscheidung des Sozialgerichts in den angefochtenen Bescheiden
zutreffend lediglich vorläufig umgesetzt. In dem Ausgangsbescheid vom 09.02.2016 sei ausdrücklich auf die Entscheidung des
Sozialgerichts hingewiesen worden. Der Umstand, dass der Bescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen sei, ändere nichts
an dessen Vorläufigkeit. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidung Bezug genommen.
Dagegen hat die Klägerin am 08.11.2016 Beschwerde eingelegt. Sie meint, die Beklagte habe durch die dem Ausgangsbescheid beigefügte
Rechtsbehelfsbelehrung zumindest einen falschen Rechtsschein gesetzt, der zur Klageerhebung berechtigt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge
der Beklagten sowie der Streitakte S 2 SO 1/16 ER Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
1. Die Beschwerde ist gemäß §
172,
173 SGG zulässig, insbesondere nach §§
172 Abs.
3 Nr.
1 statthaft; denn schon die ergänzend begehrten Kosten der Unterkunft und Heizung, welche sich nach den Angaben der Klägerin
in der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf monatlich 325 EUR belaufen, überschreiten für
die hier streitige Zeit vom 04.01. bis zum 31.03.2016 den Mindestbeschwerdewert von 750,01 EUR (vgl. §
144 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGG).
2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt. Der
Klägerin steht für das Verfahren vor dem Sozialgericht keine Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten zu.
Nach §
73a SGG i.V.m. §§
114 ff.
ZPO ist einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ein Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigter
beizuordnen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht
mutwillig erscheint.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar mag die Klägerin nicht in der Lage sein, die Kosten der Prozessführung
aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Die Klage bietet nach der im Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen, aber auch ausreichenden
summarischen Prüfung (vgl. BVerfG, NJW 97, S. 2745) jedoch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Prozesskostenhilfe
Begehrenden auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar
hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, Kommentar, 11. Auflage 2014, §
73a Rn. 7a).
Ausgehend hiervon hat die der Beschwerde zugrunde liegende Klage, mit welcher die Klägerin höhere Leistungen nach dem SGB XII begehrt, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die gegen den vermeintlichen "Bescheid" vom 09.02.2016 in der Gestalt des
"Widerspruchsbescheides" vom 08.07.2016 erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 und 4, §
56 SGG) ist bereits unstatthaft.
a) Jedenfalls der vermeintliche (Ausgangs-)"Bescheid" vom 09.02.2016 ist bei summarischer Prüfung nicht als Verwaltungsakt
i.S.v. § 31 SGB X zu qualifizieren - mit der Folge, dass es bereits an einem gerichtlich überprüfbaren Ausgangsbescheid i.S.v. §
54 Abs.
1 SGG fehlen dürfte; denn der "Bescheid" enthält nicht - wie dies in § 31 S. 1 SGB X vorausgesetzt wird - eine eigenständige Regelung über den Umfang des Leistungsanspruchs der Klägerin nach dem SGB XII vom 04.01. bis zum 31.03.2016 und ist auch nach dem objektiven Empfängerhorizont (vgl. zu dieser Voraussetzung bei der Auslegung
von Verwaltungsakten u.a. BSG vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 8/07 R, Rn. 12) nicht entsprechend auslegbar. Mit dem Bescheid vom 09.02.2016 hat die Beklagte
vielmehr lediglich in Ausführung der Entscheidung des Sozialgerichts vom 04.02.2016 in dem vorangegangenen Eilverfahren (S
2 SO 1/16 ER) (einstweilen) Leistungen für den o.g. Zeitraum zugesprochen. Zwar ergibt sich dies nicht schon aus dem Verfügungssatz
jenes Bescheides. In den ergänzend heranzuziehenden Gründen wird jedoch ausdrücklich - durch Fettdruck hervorgehoben - darauf
hingewiesen, dass die Beklagte der Klägerin die zuerkannten Leistungen "Bezug nehmend auf den Beschluss des Sozialgerichts"
erbringt. Ein Bescheid, der lediglich eine gerichtliche Entscheidung umsetzt, trifft aber grundsätzlich keine Regelung i.S.v.
§ 31 SGB X, soweit die Behörde darin nur der gerichtlich auferlegten Verpflichtung entspricht, ohne diese noch konkretisieren zu müssen
(vgl. BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 V 82/02 B Rn. 6; Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 31 Rn. 30a). Einer solchen eigenständigen Konkretisierung bedurfte es hier mit Blick auf den sowohl in zeitlicher Hinsicht als
auch der Höhe nach konkret zugesprochenen Leistungsumfang jedoch nicht. Das gilt zumindest bzgl. der im aktuellen Klageverfahren
allein streitbefangenen, vom Sozialgericht mit Beschluss vom 04.02.2016 nicht einstweilen zuerkannten Leistungen (für Kosten
der Unterkunft und Heizung sowie für freiwillige Beiträge zur Krankenversicherung).
Der Umstand, dass der "Bescheid" vom 09.02.2016 als solcher bezeichnet und mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen ist,
rechtfertigt keine andere Beurteilung; denn auf die äußere Form der Erklärung kommt es für die Frage, ob ein Verwaltungsakt
im materiellen Sinne vorliegt, bei summarischer Prüfung letztlich nicht entscheidend an (so auch Luthe in Schlegel/Voelzke,
jurisPK-SGB X, § 31 SGB X, Rn. 27; a.A. möglicherweise Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 31 Rn. 25).
b) Der "Bescheid" vom 09.02.2016 ist bei summarischer Prüfung auch nicht deshalb aufzuheben, weil der ungerechtfertigte Rechtsschein
eines Verwaltungsakts beseitigt werden müsste.
Zwar ist ein scheinbarer Verwaltungsakt mit der Anfechtungsklage angreifbar (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 26.06.1987 - 8 C 21/86; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.04.2014 - L 21 R 172/11, Rn. 24) und auch aufzuheben, wenn er den Anschein vermittelt, es werde eine verbindliche Regelung getroffen, und der Adressat
daher mit dem Risiko behaftet ist, dass ihm zukünftig dieser dann "bestandkräftige Verwaltungsakt" entgegengehalten wird (vgl.
hierzu BSG, Urteil 24.07.2003 - B 4 RA 60/02 R, [...] Rn. 18).
Einem solchen Risiko ist die Klägerin allein durch die Existenz des Bescheides vom 09.02.2016 jedoch nicht ausgesetzt. Die
Beklagte hat durch die gewählte Bezeichnung als "Bescheid" sowie ihren Hinweis in der Rechtsbehelfsbelehrung, der "Bescheid"
vom 09.02.2016 könne mit dem Widerspruch angefochten werden, zwar den Anschein vermittelt, über den vorläufigen Leistungsanspruch
der Klägerin vom 04.01. bis zum 31.03.2016 durch Verwaltungsakt entschieden zu haben, obwohl es sich lediglich um einen "Ausführungsbescheid"
ohne selbständigen Regelungscharakter handelte (s.o.). Einen weitergehenden Rechtschein in dem Sinne, dass der vermeintliche
Bescheid sogar eine endgültige Regelung über den Leistungsumfang in dem genannten Zeitraum trifft, erzeugt die angefügte Rechtsbehelfsbelehrung
jedoch nicht; denn der Rechtsschein kann nicht über den eigentlichen (materiellen) Inhalt eines Nicht-Verwaltungsakts hinausgehen.
Denn bei einer - wie hier - erkennbar nur vorläufigen Leistungsbewilligung besteht auch vom Empfängerhorizont von vornherein
nicht das Risiko, im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens (in dem erst über den endgültigen Leistungsumfang entschieden wird)
auf einen "bestandskräftigen" Verwaltungsakt verwiesen zu werden. Einer solchen Gefahr war die Klägerin im Übrigen ebenso
wenig im Rahmen eines etwaigen weiteren Eilverfahrens ausgesetzt; denn schon im Zeitpunkt der Klageerhebung (am 26.07.2016)
war der Leistungszeitraum, für den die Beklagte durch den "Bescheid" vom 09.02.2016 vorläufig Leistungen bewilligt hatte,
bereits abgelaufen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
73a SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO.
4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).