Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenerstattung für eine durchgeführte Hyperthermie- und Immunrestorationsbehandlung.
Der 1966 geborene und bei der Beklagten gegen Krankheit versicherte Kläger erkrankte 2004 an einem Adenoidsyzstischen Karzinom
der Glandula parotis (Ohrspeicheldrüsenkrebs) links. Nach operativer Entfernung des Tumors mit anschließender kombinierter
Chemo- und Bestrahlungstherapie wurde 2006 eine Teilresektion der Zungenunterseite erforderlich. Nachdem 2009 Metastasen in
beiden Lungenflügeln diagnostiziert und mit Chemotherapie behandelt worden waren, stabilisierte sich der Zustand des Klägers
zunächst. Als die Metastasierung wieder fortschritt, empfahlen die behandelnden Ärzte der Universitätsklinik L dem Kläger,
weiter abzuwarten, da sich der Befund nur unwesentlich verändere und der Kläger symptomfrei sei. Für eine noch mögliche palliative
Chemotherapie bestehe noch keine Indikation.
Der Kläger begab sich auf Empfehlung von Bekannten zu dem Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilkunde Dr. H in das Medical
Center D. Dr. H bot seinen Patienten eine Behandlung mit dem sogenannten "H Model" an, welches Hyperthermie, Immunrestorationsbehandlungen,
Verwendung der weißen Mistelbeere, Ozontherapie und Livestyleänderungen beinhalten kann. Dr. H empfahl dem Kläger nach Untersuchung
am 10.1.2012 eine kombinierte Behandlung aus Hyperthermie, dendritischer Zellimpfung und Immunrestoration (mit hochdosierten
Vitaminen, Antioxidanten, Enzymen und Spurenelementen), die der Kläger über Dr. H am 16.5.2012 als Sachleistung bei der Beklagten
beantragte. Bereits am 13.5.2012 begann der Kläger nach einem Behandlungsplan mit einer zweimal wöchentlich stattfindenden
kombinierten Hyperthermie und Infusionstherapie, die einmal monatlich durch eine Ganzkörperhyperthermie ergänzt wurde. Dendritische
Zellimpfungen erhielt der Kläger nicht. Nachdem der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) darauf hingewiesen hatte,
dass die Hyperthermie vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) von der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen worden sei
und ein Wirksamkeitsnachweis für diese Behandlungsmethode nicht existiere, lehnte die Beklage den Antrag mit Bescheid vom
29.6.2012 ab. Mit seinem Widerspruch legte der Kläger medizinische Unterlagen und Artikel sowie die ihm bisher gestellten
Rechnungen vor und wies darauf hin, dass Dr. H mit der angewandten Therapie seit Jahren gute Ergebnisse erziele und davon
überzeigt sei, dass auch er gute Chancen auf eine partielle Remission und eine Verbesserung der Lebensqualität habe. Nachdem
der MDK erneut auf die fehlenden Wirksamkeitsnachweise der als experimentell zu bezeichnenden Therapie hingewiesen hatte,
wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.3.2013 als unbegründet zurück. Den erneuten Antrag des Klägers
auf Kostenübernahme der Hyperthermie-/Infusionsbehandlung wies die Beklagte mit Bescheid vom 22.4.2013 unter Bezugnahme auf
den Widerspruchsbescheid vom 20.3.2013 zurück.
Mit seiner dagegen am 5.4.2013 erhobenen Klage hat der Kläger betont, dass die Behandlung ihm eine nicht ganz entfernt liegende
Aussicht auf Erfolg biete, da es ernsthaft Hinweise auf einen positiven Einfluss gebe. Sein Zustand sei stabil, die Metastasierung
sei zu einem Stillstand gekommen und er sei nun in der Lage, ein ganz normales Leben zu führen. Die Beklagte überspanne die
vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 6.12.2005 (1 BvR 347/98) benannten Voraussetzungen, da es gerade nicht erforderlich sei, für die Wirksamkeit einer Methode wissenschaftliche Nachweise
einer Phase II- oder Phase-III-Studie vorzulegen. Da er an einer seltenen Krebserkrankung leide, sei es ohnehin unwahrscheinlich,
dass dazu eine entsprechende Studie aufgelegt werde. Weil ihm die Schulmedizin keine Behandlungsoption mehr habe anbieten
können, sei die streitgegenständliche Behandlung das Mittel der Wahl. Der Kläger hat weitere Rechnungen über die streitgegenständliche
Behandlung und zahlreiche medizinische Berichte vorgelegt.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29.6.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.3.2013 zu verurteilen,
die ihm für die Hyperthermiebehandlungen und die Immunrestorationstherapie entstandenen Kosten im Zeitraum von Mai 2012 bis
November 2014 in Höhe von insgesamt 27.463,20 Euro zu erstatten.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat auf die Ausführungen des MDK Bezug genommen. Da nach wie vor ein Wirksamkeitsnachweis fehle und die Therapie
derzeit in der wissenschaftlichen Entwicklung stecke, rate sogar die Deutsche Krebsgesellschaft von ihr ab. Ferner hat die
Beklagte auf das Urteil des LSG Schleswig-Holstein vom 12.1.2012 (L 5 KR 49/10) Bezug genommen.
In seinem Befundbericht von Juli 2014 hat Dr. U vom Universitätsklinikum L angegeben, dass eine Standardtherapie für den Kläger
derzeit nicht vorhanden und auch nicht indiziert sei. Nach den Leitlinien führe man daher ein "watch and wait"-Konzept mit
regelmäßigen Kontrollen durch. Aus dem Arztbrief der Klinik aus 10/2014 hat sich ergeben, dass sich einzelne pulmonale Metastasen
als größenprogredient im Milimeterbereich erwiesen haben. Dr. H hat im August 2014 ausgeführt, der stabile Zustand des Klägers
belege den Erfolg der durchgeführten Therapie. Da dieser austherapiert sei, bestehe Anlass genug für die gewählte Alternativtherapie.
Prof. Dr. C, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Internistische Onkologie, Medikamentöse Tumortherapie und Palliativmedizin,
der seit 1998 eigene klinische Erfahrungen mit lokoregionaler und Tiefenhyperthermiebehandlung hat, hat nach §
106 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) am 2.2.2015 ein Gutachten erstattet. Darin hat er ausgeführt, dass der Kläger an einem inoperablen multifokalen metastasierenden
adenoidzystischen Ohrspeicheldrüsenkarzinom leide, welches allenfalls minimal wachse und ohne klinische oder laborchemische
Symptomatik sei. Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung bestehe nicht. Als Behandlungsalternative
gebe es nach den Leitlinien eine Chemotherapieoption mit guter Ansprechwahrscheinlichkeit bis zu 50 Prozent bei geringer Belastung
einschließlich einer Cisplatin-freien Chemotherapie. Nach seiner klinischen Erfahrung und dem wissenschaftlichen Stand der
Forschung in der Literatur gebe es keine evidenz-basierte Aussicht der von Dr. H angewandten Kombinationsbehandlung oder der
isolierten Hyperthermie- bzw. der Immunrestorationstherapie. Ermutigende experimentelle Ergebnisse seien lediglich bei einer
Kombination aus Hyperthermie- und Chemotherapiebehandlung zu verzeichnen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 21.12.2015
hat er ausgeführt, dass die Immunrestorationstherapie des Dr. H, die in wissenschaftlichen Abhandlungen nicht erwähnt werde,
nicht auf das Niveau der Immuntherapie bei Krebs im Seminar in Oncology 2014 gehoben werden könne. Immunbiologische Effekte
der isolierten Hyperthermie seien so unterschwellig, dass es kein Indiz für eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf
gebe.
Prof. Dr. T, Frauenarzt, Radiologe und gyn. Onkologe hat im Auftrag des Klägers nach §
109 SGG in seinem Gutachten vom 17.8.2015 erläutert, dass er selbst über langjährige Erfahrungen mit Hyperthermie und komplemetärmedizinischen
Behandlungen verfüge. Zwar täusche die Symptomfreiheit des Klägers eine günstige Prognose vor. Dennoch sei in einem begrenzten
Zeitraum mit einer nachlassenden Lungenfunktion und einer entsprechenden Lebensbegrenzung zu rechen. Im Mai 2012 sei durchaus
noch eine dritte Chemotherapie-Serie verfügbar gewesen, die allerdings nur bei akuter Symptomatik indiziert gewesen sei, aller
Voraussicht nach aber auch nicht so effektiv hätte wirken können und von dem Patienten gefühlsmäßig verständlicherweise nicht
mehr akzeptiert werde. Daher sei die Empfehlung der Universitätsklinik durchaus nachvollziehbar. Nachvollziehbar sei aber
auch, dass ein junger Patient in dieser Lage nach Alternativen suche, um sein Leben zu verlängern. Im Gegensatz zu seinem
Vorgutachter sei festzuhalten, dass die Immunrestorationstherapie mit hoher Wahrscheinlichkeit ebenso effektiv sei wie eine
Lebensumstellung oder spezifischer Sport und die Prognose mindestens ebenso verbessern könne wie manche Chemotherapie. Bei
der Ganzkörperhyperthermie sei der immunologische Effekt erwiesen. Dagegen seien lokale Hyperthermien ohne begleitende Chemotherapie
weniger wirksam, zumal in der Lunge tumorozide Temperaturen von über 42 Grad kaum erreicht werden könnten. Im Ergebnis sei
die von ihm keinesfalls komplett nachvollziehbare und noch weniger evaluierbare Behandlung offensichtlich aber über Jahre
effektiv gewesen.
Der Kläger hat die streitgegenständliche Behandlung im November 2014 aus Kostengründen abgebrochen. Nachdem die pulmonalen
Metastasen des Klägers weiter diffus zugenommen hatten und der Verdacht auf eine Pleurakarzinose geäußert worden war, hat
sich der Kläger zu einer Resektion der Lungenmetastasen im Klinikum Heidelberg entschlossen, die Ende 2015/Anfang 2016 durchgeführt
worden ist. Bei der Kontrolluntersuchung im September 2016 ist der Kläger tumorfrei gewesen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19.2.2016 abgewiesen. Da der G-BA in seiner im Mai 2005 in Kraft getretenen
Richtlinie "Nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden" die Hyperthermie in Anlage B Nr. 42 ausdrücklich von
der vertragsärztlichen Versorgung ausgeschlossen habe, komme nur noch §
2 Abs.
1a S.1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) als Anspruchsgrundlage in Betracht. Dessen Voraussetzungen seien aber nicht erfüllt. Ob der Kläger an einer innerhalb eines
kürzeren Krankheitsverlaufs zum Tode führenden Erkrankung leide, könne dahinstehen, da jedenfalls eine dem allgemein medizinischen
Standard entsprechende Behandlung zur Verfügung gestanden habe. Denn zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt im Mai 2012 habe
noch eine Chemotherapie als Kombinations- oder Monochemotherapie mit und ohne Cisplatin als palliative Therapie zur Verfügung
gestanden. Dass man diese nach dem Therapiekonzept "watch and wait" wegen des guten Allgemeinzustands des Klägers erst bei
einer deutlichen Verschlechterung als indiziert angesehen habe, rechtfertige nicht den Rückschluss, dass keine schulmedizinische
Methode verfügbar gewesen sei. Desweiteren fehle es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme an ausreichenden Hinweisen für eine
spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsfall im Einzelfall. Prof Dr. C habe überzeugend ausgeführt, dass es für die
isolierte (d.h. ohne eine begleitende Chemotherapie stattfindende) Hyperthermiebehandlung keinen entsprechenden Wirksamkeitsnachweis
gebe. Diese Aussage sei durch Dr. H nicht entkräftet worden, die sehr allgemein gehalten und nicht durch medizinische Belege
einer Wirksamkeit unterfüttert worden sei. Auch Prof. Dr. T habe keine entsprechenden Wirksamkeitsnachweise vorlegen können
und sogar bezweifelt, dass bei der Erwärmung der Lunge Temperaturen erreicht werden könnten, die zu einem Absterben der Krebszellen
führten. Dass sich Hyperthermie und Immunrestorationsbehandlung insgesamt positiv auf den Gesundheitszustand des Klägers ausgewirkt
hätten, reiche für einen Anspruch gegenüber der Beklagten nicht aus, weil - wie Prof. Dr. T erläutert habe - auch eine gesunde
Lebensweise und Sport einen ähnlichen Effekt erzielten. Da die Voraussetzungen des §
2 Abs.
1a Satz 1
SGB V bereits nicht erfüllt seien, könne dahinstehen, ob der Kläger, der mit der Behandlung bereits vor Erlass des ablehnenden
Bescheids begonnen habe, den Beschaffungsweg nach §
13 Abs.
3 Satz 1
SGB V eingehalten habe.
Gegen das ihm am 7.7.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.7.2016 Berufung eingelegt und sein Anliegen weiterverfolgt.
Es sei falsch, dass ihm eine schulmedizinische Behandlungsmethode zur Verfügung gestanden habe. Die Universitätsklinik habe
die Chemotherapie im Rahmen der "watch an wait"-Strategie nur für den Fall vorgesehen, dass sich sein Zustand drastisch verschlechtere.
Eine Alternative, die die Erkrankung habe stoppen oder aufhalten können, sei ihm gerade nicht angeboten worden. Der Umstand,
dass die Tumore erst wieder gewachsen seien, nachdem er die streitgegenständliche Behandlung aus Kostengründen habe abbrechen
müssen, lasse stark vermuten, dass sie den Krankheitsverlauf tatsächlich zum Stillstand gebracht habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 19.4.2016 aufzuheben und nach dem Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin vom 1.12.2016 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten, die
Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf der Kostenerstattung der ihm für die kombinierte Hyperthermie- und Immunrestorationstherapie
entstandenen Behandlungskosten i.H.v. 27.463,20 Euro.
Da der Kläger Kostenerstattung für die von ihm von Mai 2012 bis November 2014 durchgeführte Behandlung begehrt, ist hinsichtlich
des Stands der wissenschaftlichen Erkenntnisse und Forschungsergebnisse auf eben diesen Zeitraum abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt
war die Hyperthermie (Beschluss des G-BA vom 18.1.2005 mit Wirkung vom 15.5.2005) als nicht anerkannte Untersuchungs- und
Behandlungsmethode von der vertragsärztlichen Versorgung ausdrücklich ausgeschlossen. Auch zum streitgegenständlichen Zeitpunkt
gab es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme immer noch keine objektivierbaren medizinischen Erkenntnisse dahingehend, dass
die isolierte Hyperthermie einen positiven Einfluss auf irgendeine Form von Tumor- oder Krebserkrankungen hat. Solche Belege
sind auch von Dr. H und Prof. Dr. T nicht vorgelegt worden. Dr. T bezeichnet die Therapie vielmehr als von ihm keinesfalls
komplett nachvollziehbare und noch weniger evaluierbare Behandlung und fragt sich, ob in der Lunge tumorozide Temperaturen
von über 42 Grad überhaupt erreicht werden können. Zum streitgegenständlichen Zeitpunkt gab es zum inoperablen Lungenkarzinom
lediglich eine Studie an 41 Patienten (Dupuy/J Vasc Int Rad 2006), die zu dem Ergebnis gelangte, dass bei einer kombinierten
Behandlung aus Hyperthermie und Chemotherapie das Rezidivrisiko verringert und die Überlebensrate verbessert werde. Unabhängig
davon fehlt es sogar bis heute an einem Wirksamkeitsnachweis für Hyperthermiebehandlungen ohne begleitende Chemotherapie.
Der G-BA schließt die Hyperthermie bis heute in seinen "Richtlinien der Methoden Vertragsärztlicher Versorgung" (zuletzt geändert
am 16.6.2016 zum 8.9.2016) von der vertragsärztlichen Versorgung aus. Die Deutsche Krebsgesellschaft weist auf ihrer Homepage
(www.krebsgesellschaft.de) darauf hin, dass nicht pauschal beantwortet werden könne, ob eine Hyperthermie wirke und dass eine
positive Auswirkung auf die Lebenszeit bisher wissenschaftlich nicht bescheinigt werden könne. Die vom Kläger erwähnten Studien
der Universitätsklinik München (eine abgeschlossene Studie zum Weichteilsarkom und zwei laufende Studien zum Pankreas- und
Rektumkarzinom, siehe unter http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Medizinische-Klinik- und-Poliklinik-III/de/klinik/hyperthermie-start/3
klinische studien/aktuelle-studien/pankreas/phase-2/index.html) beziehen sich ebenfalls ausschließlich auf eine Kombinationsbehandlung
aus Chemotherapie und Hyperthermie. Diese Behandlungsform ist hier jedoch gerade nicht streitgegenständlich.
Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.