Anspruch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung
Anforderungen an eine Entziehung von Leistungen nach einer Änderung der Verhältnisse
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Entziehung von Leistungen nach Pflegegrad 2.
Die am 00.00.1974 geborene und bei der Beklagten kranken- und pflegeversicherte Klägerin ist gelernte Verwaltungsfachangestellte
und war bis 2012 beim Kreis S beschäftigt. Sie ist geschieden und hat keine Kinder. Nach Bezug von Krankengeld und Arbeitslosengeld
lebte sie zunächst von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid vom 09.07.2020 wurde ihr rückwirkend ab dem 01.05.2019 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (in Höhe von
monatlich: EUR 661,72) zuerkannt. Sie beantragte erstmalig am 26.07.2017 Leistungen der Pflegeversicherung. Sie bewohnte alleinlebend
zunächst zur Miete eine Zechenhaushälfte, seit dem 01.01.2020 lebt sie in einer 56 qm großen Wohnung im Erdgeschoss eines
Mehrfamilienhauses, die über 4 Treppenstufen zu erreichen ist und über eine ebenerdige Dusche verfügt. Sie beschäftigt eine
Haushaltshilfe und wird von ihrer Schwester gepflegt und unterstützt. Als Hilfsmittel nutzt sie zwei Gehstützen, ein Rückenstützmieder,
einen erhöhten Toilettensitz und Vorlagen. Die Klägerin hat einen anerkannten Grad der Behinderung (GdB) von 60.
Der von der Beklagten eingeschaltete Sozialmedizinische Dienst (SMD) stellte in seinem Gutachten vom 12.10.2017 (durch die
Pflegefachkraft <PFK> K) aufgrund Hausbesuchs als pflegebegründende Diagnosen eine Lumboischialgie beidseits mit erheblichen
Mobilitätseinschränkungen sowie depressive Episoden und darüber hinaus eine tröpfelnde Harndranginkontinenz fest. Er ermittelte
anhand der Berechnungs- und Bewertungsregelungen von 6 Modulen zur Bestimmung der Pflegegrade eine Summe von insgesamt 40
gewichteten und damit Pflegegrad 2 zuzuordnenden Punkten (Modul 1 <Mobilität>: 7 Punkte und 7,5 gewichtete Punkte; Modul 2
<kognitive und kommunikative Fähigkeiten>: 0 Punkte; Modul 3 <Verhaltensweisen und psychische Problemlagen>: 0 Punkte; Modul
4 <Selbstversorgung>: 14 Punkte und 20 gewichtete Punkte; Modul 5 <Bewältigung von und Umgang mit krankheits- und therapiebedingten
Anforderungen>: 1 Punkt und 5 gewichtete Punkte; Modul 6 <Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte>: 6 Punkte und
7,5 gewichtete Punkte). Eine Nachuntersuchung werde nach Ablauf von einem Jahr empfohlen.
Die Beklagte bewilligte darauf mit Bescheid vom 23.10.2017 Leistungen nach Pflegegrad 2 rückwirkend ab Antragstellung in Gestalt
von Pflegegeld.
Im Rahmen der Wiederholungsbegutachtung vom 18.12.2018 mit psychiatrischer Zusatzbegutachtung vom 19.01.2019 ermittelte der
SMD (durch die PFK B und die Ärztin J) aufgrund der pflegebegründenden Diagnosen sonstige Bandscheibenschäden, rezidivierende
depressive Störung: gegenwärtig leicht bis mittelgradig und Somatisierungsneigung, sowie der weiteren Diagnosen Schilddrüsenvergrößerung,
Vitamin D-Mangel, Gelenk- und Knieschmerzen, insgesamt nur noch im Modul 3 einen Einzelpunkt für Antriebslosigkeit bei depressiver
Stimmungslage und damit 3,75 gewichtete Punkte. Das Gutachten enthielt ferner die Feststellung, dass die Klägerin aus einer
stationären Reha in einer Fachklinik für psychiatrische Erkrankungen in Ortenau 2016 vorzeitig (wegen mangelnder Compliance
bezüglich einer medizinischen Einstellung) als vollschichtig leistungsfähig vorzeitig entlassen worden sei.
Die Beklagte hörte die Klägerin darauf (mit Schreiben vom 22.01.2019) zur beabsichtigten Aufhebung ihrer Leistungsbewilligung
wegen Fortfalls der Voraussetzungen an.
Die Klägerin entgegnete (mit Schreiben vom 12.02.2018), dass ihre jahrelangen körperlichen und psychischen Erkrankungen sogar
die Zuordnung zu Pflegegrad 3 rechtfertigten. Wegen der Bandscheibe sei sie über 20 mal im Krankenhaus gewesen und habe vorübergehend
im Rollstuhl gesessen, sie leide unter starken Schmerzen. In der akuten Depressionsphase müsse sie 16 Stunden am Tag versorgt
werden, dies etwa seit Oktober 2018. Das Duschen dauere 20 bis 30 Minuten, weil sie so vorsichtig und verlangsamt sei, sie
nutze einen Duschhocker. Das Waschen erfolge zwar überwiegend selbständig, sei aber ohne Hilfsmittel nicht möglich. Ihre Harninkontinenz
bestehe fort. Derzeit sei sie freiberuflich unter anderem künstlerisch tätig. Sie verfüge über Urheberrechte, weil sie IQ-Spiele
mit Sportwetten und Glücksspielen verknüpfe. Klarzustellen sei, dass sie es lediglich abgelehnt habe, in der auf Rückenschmerzen
spezialisierten Fachklinik Ortenau auf Psychopharmaka eingestellt zu werden. Schlafmittel mache süchtig und sie sei bemüht,
neben ihrer Nikotinsucht keine weitere Abhängigkeit zu fördern. Eine psychiatrische Behandlung würde sie in einer Fachklinik
bevorzugen. Ihrem Schreiben war eine ärztliche Bescheinigung ihres behandelnden Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie
der LWL-Klinik Herten, B. L, vom 28.01.2019 beigefügt, der ihr neben einer leichten bis mittelgradigen depressiven Störung
(F33.1) eine Anpassungsstörung (F43.2) bescheinigte. Ferne übersandte die Klägerin einen Patientenausweis ihrer behandelnden
Hausärztin, der Allgemeinmedizinerin T, mit Auszügen aus ihrer Patientenkartei.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 05.03.2019 gelangte der leitende Arzt des SMD, Dr. V, zu dem Ergebnis, dass die Klägerin
angesichts der von den Gutachterinnen beschriebenen (Rest-)fähigkeiten (allein lebend; keine Einschränkung der Feinmotorik;
selbständig mobil in der Wohnung ggf. mit Gehstöcken; eigenständiger Gang zur Toilette; bewusstseinsklar; ungestörter Tag-/Nachtrhythmus)
als "gut selbständig" zu beurteilen sei und die Kriterien eines Pflegegrades nicht mehr erfülle.
Mit Bescheid vom 06.03.2019 hob die Beklagte die Gewährung von Pflegeleistungen nach Pflegegrad 2 aufgrund Verbesserung der
pflegerelevanten Situation gemäß § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) mit Wirkung für die Zukunft - konkret: mit Ablauf des Bekanntgabetages - auf.
Die Klägerin legte gegen den ihr am 09.03.2019 per Postzustellungsurkunde zugestellten Bescheid (mit Schreiben vom 25.03.2019)
Widerspruch ein. Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung sei auf Grundlage einer fachkompetenten und zutreffenden Begutachtung
unbefristet erfolgt. Die Gutachterin habe sich sogar daran erinnert, dass sie ihren Vater 12 Jahre lang gepflegt habe. Ihre
gesundheitliche Situation habe sich in keiner Hinsicht verbessert.
In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 28.03.2019 stellte der stellvertretende leitende Arzt des SMD, A, fest, dass der Widerspruch
der Klägerin keine konkreten Einwände gegen die durchgeführte Wiederholungsbegutachtung enthalte, die zu einer abweichenden
Beurteilung führen könnten.
Durch Widerspruchsbescheid 22.05.2019 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Während im Oktober
2017 noch die Schwester der Klägerin die vollständige grundpflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung übernommen habe,
sei die Klägerin inzwischen selbst in der Lage die Grundpflege durchzuführen. Sie könne sich nunmehr auch vor dem Waschbecken
stehend selbst waschen. Die Schwester der Klägerin helfe nur noch beim Frisieren und sei beim Duschen in der Wohnung anwesend,
damit sich die Klägerin sicherer fühle. Die bei der Erstbegutachtung festgestellten Stand- und Gangunsicherheiten lägen nicht
mehr vor: Die Klägerin könne sicher und frei stehen. Sie vermöge sich in der Wohnung ohne Begleitung, ggf. unter Zuhilfenahme
eines Gehstocks, zu bewegen und könne Auto fahren. Aus einem Sessel könne sie zügig aufstehen, ihre Medikation selbständig
einnehmen. Auch ihr Alltagsleben und die Sozialkontakte gestalte sie alleine. Während sie zum Zeitpunkt der Erstbegutachtung
noch konstant unter Antriebsverlust gelitten habe, sei ihr Antrieb nunmehr nur phasenweise gemindert und eine Strukturierung
des Tages möglich, der Tag-Nacht-Rhythmus ungestört. Letztlich bestätigten die Angaben der Klägerin zu ihrer künstlerischen
Tätigkeit diese Feststellungen. Der Haushalt werde weiterhin durch eine Haushaltshilfe erledigt. Der somit festzustellende
Gesamtwert von 3,75 gewichteten Punkten rechtfertige nach alledem keine Leistungsgewährung mehr.
Mit ihrer hiergegen am 24.06.2019 vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Anliegen weiter
verfolgt. Die Beklagte habe ihre gesundheitlichen Einschränkungen falsch eingeschätzt, die mit wenigstens 60 gewichteten Punkten
zu bewerten seien. Es gebe keinen Grund, warum die ursprünglich zu Recht festgestellten Defizite entfallen sein sollten. Tatsächlich
leide sie an Stressinkontinenz, so dass sie sehr oft zur Toilette müsse und diese nicht weiter als 5 Meter entfernt erreichbar
sein sollte, was ihren Bewegungsradius unabhängig von ihren Rückenschmerzen außerhalb der Wohnung sehr einschränke. Vor allem
aber mache ihr ihre Depression und Schilddrüsenunterfunktion zu schaffen, da diese Krankheiten sie schnell ermüden ließen
und ihren Antrieb erheblich verminderten. Ihr Alltag koste sie enorm viel Anstrengung, auch die Kommunikation mit anderen
Menschen ("für einige bin ich verrückt, für andere wiederum ein Genie"). Aus diesem Grunde hätten ihre Eltern ihr bereits
mit der ersten eigenen Wohnung eine Haushaltshilfe zur Verfügung gestellt, da ihr für diese Verrichtungen die Kraft fehle.
Auch sei ihr Tag-Nacht-Rhythmus gestört: Sie schlafe und wache zu unregelmäßigen Zeiten. Ihre Darstellung hat die Klägerin
durch Übersendung von ärztlichen Behandlungsunterlagen (insbesondere orthopädisch-neurologische Befunde aus 2017; Laborwerte
und aktuelle Auszüge aus der Patientenkartei ihrer Hausärztin) untermauert. Darüber hinaus hat sie einen Arztbericht der Beckenbodenklinik
des Q-Hospitals in Recklinghausen (vom 11.06.2019) zu den Akten gereicht, der ihr bei unspezifischer Beschwerdesymptomatik
einen imperativen Harndrang mit gelegentlicher Dranginkontinenz bescheinigt.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid vom 06.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2019 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie sich auf die angefochtenen Bescheide und das diesen zu Grunde liegende SMD-Gutachten bezogen. Zwar
berichte die Klägerin ausführlich über ihre Lebensumstände. Hieraus ergäben sich aber nach wie vor keine stichhaltigen konkreten
Anhaltspunkte für eine abweichende Beurteilung der hier relevanten Selbsthilfefähigkeiten. Ergänzend hat sie darauf hingewiesen,
dass die Klägerin wegen etwaiger Verschlimmerungen jederzeit einen neuen Antrag stellen könne.
Das Sozialgericht hat Befundberichte bei den behandelnden Ärzten der Klägerin eingeholt:
Die Allgemeinmedizinerin T hat (mit Schreiben vom 12.08.2019) bescheinigt, dass die Klägerin unter folgenden Diagnosen leide:
1. paranoide Schizophrenie, 2. Somatisierungsstörung, 3. Chronisches Schmerzsyndrom mit rez. Lumboischialgie und Bandscheibenschaden,
4. Belastungsinkontinenz, 5. Struma nodosa. Sie gehe nicht von einer wesentlichen Besserung der Befunde aus. Die abschließende
Beurteilung solle auf orthopädischem bzw. psychiatrischem Fachgebiet erfolgen.
Der Oberarzt der Institutsambulanz der LWL Klinik Herten, B. L, hat (mit Schreiben vom 13.08.2019) aus seiner seit August
2013 fortdauernden Behandlung der Klägerin berichtet, "Es besteht z.Z. eine deutlich schwankende Symptomatik zwischen Antriebssteigerung
und Antriebsverminderung. Es zeigt sich immer wieder ein submanisch anmutendes Aktivitätsmuster, wobei sie ihre Belastungsgrenzen
überschreitet, um danach mehrere Tage vollkommen erschöpft den Alltag kaum noch geregelt zu bekommen. Eine eindeutige psychotische
Episode ist seit 2013 nicht mehr beobachtet worden. Z.Z. gibt es keine eindeutigen Hinweise für eine erneute drohende psychotische
Exazerbation bei vorbekannter bipolarer affektiver Psychose. Zumindest muss von einer mittelgradigen Antriebsstörung mit sowohl
maniformer als auch depressiver Komponente ausgegangen werden". Derzeit erfolgten in 4-wöchigen Abständen fachärztliche Termine.
Medikamentös akzeptiert sei eine Schlafmedikation mit Zopiclon, weitere Maßnahmen lehne die Klägerin ab. Bezüglich Medikation
bestehe nur eine eingeschränkte Behandlungs- und Krankheitseinsicht. Eine angemessene Beurteilung der Module stelle sich aus
seiner fachlichen Sicht wie folgt dar: 4.3.11 Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmung: 3 Einzelpunkte; 4.3.12 Sozial inadäquate
Verhaltensweisen: 3 Einzelpunkte wegen der submaniformen Symptomatik; 4.6.1 Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen:
1 Einzelpunkt; 4.6.4 Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen: 1 Einzelpunkt. Trotz dieser Bewertung werde jedoch
der Gesamtpunktwert von 12,5 Punkten für den Pflegegrad 1 nach seinen Berechnungen nicht überschritten.
Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, Dr. U, hat (mit Schreiben vom 12.08.2019) bescheinigt, bei der Klägerin die
Diagnosen (F45.41) Chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychotischen Faktoren, (F32.9) Depression, (M25.56) Knieschmerzen
und (M54.16) Lumbalsyndrom gestellt zu haben. Die orthopädische Einschätzung des SMD-Gutachtens vom 18.12.2018 sei aus seiner
Sicht nachvollziehbar. Allerdings werde das Schmerzbild nach seinem Eindruck durch eine psychiatrische Grunderkrankung getriggert,
die einem psychiatrischen Gutachten vorbehalten sein sollte.
Die Klägerin hat ein Attest ihres Psychologischen Psychotherapeuten, Dipl. Psych. C, von 16.09.2019 zu den Akten gereicht,
der eine Behandlung seit Juli 2019 sowie eine schwere depressive Störung mit psychotischen Symptomen bescheinigt. Die Klägerin
sei in vielen Lebensbereichen eingeschränkt und psychisch nicht belastbar.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben zum Umfang der Pflegebedürftigkeit der Klägerin durch Einholen eines Sachverständigengutachtens
des Arztes für Nervenheilkunde und Geriatrie, Dr. med. W, vom 20.01.2010 (Bl. 184 GA) aufgrund persönlicher Untersuchung der
Klägerin vom 15.01.2019. Dieser hat im Rahmen eines Hausbesuches folgende pflegerelevante Diagnosen gestellt: Im Bereich des
Stütz- und Bewegungsapparates - chronisches Wirbelsäulenleiden im Bereich der LWS im Segment L4/5 mit verblieben intermittierend
auftretenden Schmerzzuständen; im Bereich der inneren Organe - Bluthochdruck, Vitamin D Mangel, partielle Urininkontinenz/Dranginkontinenz;
im Bereich des Nervensystems und der Psyche - somatoforme Störung, sekundäre Fibromylagie; leichte bis mittelschwere chronische
depressive Entwicklung in Form einer Dysthymia. Das Selbsthilfevermögen der Klägerin hat er dabei wie folgt beschrieben: Sie
könne selbständig aufstehen. Der Gang sei ohne Auffälligkeiten und Fallneigung. In der Wohnung sei sie ohne Hilfsmittel ausreichend
sicher und zügig mobil und könne alleine Treppen steigen. Sie sei in der Lage, mit beiden Händen zu hantieren (z.B. mit dem
Handy); zwischenzeitlich habe sie einen Tremor der Hände demonstriert, der jedoch danach zum Stillstand gekommen und unter
Ablenkung nicht feststellbar sei. Toilettengänge erledige sie selbständig; es bestehe eine Stressinkontinenz, deretwegen sie
(bei der Untersuchung nicht erkennbare) Vorlagen benötige, die sie 10 x am Tag selbständig wechsele. Die Klägerin ent- und
bekleide sich selbständig und erreiche mit den Händen die Füße. Sie könne sich mit der Ausnahme gelegentlicher schmerzbedingter
Einschränkungen auch selbstständig waschen, duschen und baden und ihre Nahrung mundgerecht zubereiten. Sie sei ansprechbar
und voll orientiert. Affektiv wirke sie freundlich bis zugewandt, leicht bis allenfalls mittelgradig depressiv bei durchaus
erhaltener Schwingungsfähigkeit. Aufforderungen würden prompt in Handlungsschritte umgesetzt, ein kleinschrittiges Anleiten
sei nicht erforderlich. Die Klägerin verfüge durchaus über Ressourcen ihren Tagesablauf selbständig zu gestalten, z.B. Essen
zu gehen oder das Haus zu verlassen. Es bestünden durchaus Interaktionen mit Personen außerhalb des direkten Umfeldes. Auf
Grundlage dieser Feststellungen ermittelte der Sachverständige im Modul 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen unter
4.3.11 Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage 3 Einzelpunkte und damit 7,5 gewichtete Punkte. Eine wesentliche Änderung
zum SMD-Gutachten vom 17.01.2019 liege damit ebenso wenig vor wie ein relevanter Pflegebedarf. Die Klägerin bedürfe richtliniengemäßer
ambulanter nervenärztlicher und psychotherapeutischer Hilfe und einer Anpassung ihrer Medikation, die mit Ausnahme der Schmerzmedikation
unterhalb der Nachweisgrenze liege.
Die Klägerin ist dem Ergebnis der Begutachtung (mit Schreiben vom 05.05.2020) wie folgt entgegengetreten: Sie werde nicht
viel zu den einzelnen Feststellungen sagen. Dr. W sei ein kompetenter Arzt und "sehr angenehm und cool". Leider ändere dies
nichts an der für die Versicherten überwiegend negativen Quote seiner Gutachten. Sie wolle nur darauf hinweisen, dass ihr
Pflegegrad 2 unbefristet zugesprochen sei, was einer Aufhebung entgegenstehe. Eine Wiederholungsbegutachtung sei nur im Falle
einer Befristung statthaft. Ihre bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen seien jedenfalls seit 2003 unverändert geblieben,
ein GdB von 60 komme nicht ohne weiteres zu Stande.
Das Sozialgericht hat die Beteiligten (mit Verfügung vom 22.04.2020) zu seiner Absicht angehört, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid
nach §
105 SGG zu entscheiden.
Durch Gerichtsbescheid vom 23.09.2020 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe zur Überzeugung der Kammer
kein Anspruch auf Leistungen aus der Pflegeversicherung unter Zugrundelegung von Pflegegrad 2 "über den 24.01.2019" hinaus
zu. Die Aufhebung der ursprünglichen Bewilligung durch Bescheid vom 06.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2019
sei rechtmäßig erfolgt. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X seien gegeben: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei von einer deutlichen Verbesserung der gesundheitlichen Einschränkungen
der Klägerin im Verhältnis zur Erstbegutachtung auszugehen. Der vom SMD am 18.12.2018 und vom gerichtlichen Sachverständigen
Dr. W am 20.01.2020 ermittelte Punktwert sei nachvollziehbar und überzeugend unterhalb eines Pflegegrades anzusiedeln.
Die Klägerin hat gegen den (ihr am 07.10.2020 zugestellten) Gerichtsbescheid am 15.10.2020 Berufung eingelegt. Zu Unrecht
sei das Sozialgericht von einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ausgegangen, da ihre Gesundheit und
die darauf beruhenden Einschränkungen unverändert seien. Ihr Orthopäde Dr. U und die PFK der Erstbegutachtung hätten dies
bestätigt. Sie habe 2013 ihr Gedächtnis verloren und sei "aus diesem Trans" erst 2019 wieder richtig aufgewacht. Sie habe
bereits darauf hingewiesen, dass eine Wiederholungsbegutachtung in ihrem Falle nicht statthaft gewesen sei. Nach §
18 Abs.
3a Sozialgesetzbuch Elftes Buch (
SGB XI) sei die Beklagte auch verpflichtet gewesen, ihr mindestens drei unabhängige Gutachter zur Auswahl zu benennen. Ferner hätte
sie die Klägerin auf die Möglichkeit hinweisen müssen, sich bei Beschwerden über den SMD an den Ombudsmann iSv §
278 Abs.
3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) wenden zu können. Auf die schlechten Bewertungen von Dr. W durch Versicherte habe sie bereits hingewiesen. Zu korrigieren
sei, dass sie bei der Untersuchung durch ihn sehr wohl eine Slipeinlage getragen habe und er sie beim Aufstehen vom Bett unterstützt
habe. Auch habe sie sehr wohl Schwierigkeiten sich eigenständig an- und auszuziehen. Nicht umsonst liege ihr Pflegebedarf
im Durschnitt aller Begutachtungen mindestens bei Pflegegrad 3. Bislang habe sie indes von einem Höherstufungsantrag abgesehen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.09.2020 zu ändern und antragsgemäß zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe und ihren bisherigen Sachvortrag.
Die Beklagte hat auf Nachfrage des Senates (mit Schriftsatz vom 02.12.2020) mitgeteilt, dass die Klägerin nach wie vor keinen
Folge- bzw. Verschlimmerungsantrag gestellt hat.
Dr. W hat (mit Schreiben vom 20.12.2020) zu den Einwänden der Klägerin aus der Berufungsschrift dahingehend ergänzend Stellung
bezogen, dass Slipeinlagen nicht als Inkontinenzmaterial zu werten seien. Hierauf komme es jedoch auch nicht an, da die Klägerin
auch die Slipeinlagen selbständig wechsle. Seine dokumentierte Schilderung der Untersuchungssituation bestätige, dass er die
Klägerin beim Aufstehen nicht unterstützt habe. Sie sei vielmehr in der Lage gewesen, sich selbständig hinzulegen, sich im
Bett umzudrehen und auch wieder aufzustehen. Die Ausführungen der Klägerin könnten daher insgesamt zu keiner abweichenden
sozialmedizinischen Beurteilung führen.
Die Klägerin hat hiergegen (mit Schreiben vom 14.01.2021) erneut eingewandt, Dr. W habe offenbar vergessen, dass er sie im
Laufe der Untersuchung kurz im Reflex festgehalten habe. Auch verknüpfe er die Zuordnung zu einem Pflegegrad zu Unrecht mit
der Nachweisbarkeit von Medikamenten. Ihre Stressinkontinenz habe er unzureichend gewürdigt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl. Schriftsatz
der Beklagten vom 19.01.2021; Schriftsatz der Klägerin vom 14.01.2021).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann gem. §§
153 Abs.
1 i.V.m. 124 Abs.
2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben. Auch wenn ein Gerichtsbescheid
(§
105 SGG) vorangegangen ist, können die Beteiligten auf eine mündliche Verhandlung in der zweiten Instanz verzichten, denn gegen den
Willen der Beteiligten muss keine mündliche Verhandlung durchgeführt werden (vgl. Sächsisches LSG, Urteil vom 6.5.2010, L
3 AS 588/09, juris; Humpert in: Jansen,
SGG, §
124 Rz. 7).
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht Gelsenkirchen hat die zulässig erhobene Anfechtungsklage (§
54 Abs.
1 S. 1
SGG) zu Recht abgewiesen.
Der Bescheid der Beklagten vom 06.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.05.2019 ist rechtmäßig. Der Klägerin
steht über den Tag der Bekanntgabe der Aufhebungsentscheidung - hier: den 09.03.2019, insoweit bedarf die erstinstanzliche
Entscheidung einer korrigierenden Klarstellung - hinaus und damit ab dem 10.03.2019 kein Anspruch mehr auf Leistungen der
Pflegeversicherung nach Pflegegrad 2 zu.
Der angefochtene Bescheid ist formell rechtmäßig. Nach § 33 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Soweit er einen begünstigenden Verwaltungsakt aufhebt, folgt
hieraus, dass er Adressat, Umfang der Aufhebung und Wirkungszeitraum erkennen lassen muss (BSG, Urteil vom 23.02.1989 - 11/7 RAr 103/87, juris Rn. 21; BSG, Urteil vom 09.12.2004 - B 6 KA 44/03 R - BSGE 94, 50; Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 33 SGB X Rn. 3; Pattar in: JurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 33 Rn. 43). Soweit der angefochtene Bescheid vom 06.03.2019 die auf der Grundlage des Bescheides vom 23.10.2017 erfolgte ursprüngliche
Leistungsbewilligung lediglich "für die Zukunft mit Ablauf der Bekanntgabe des Bescheides" aufhebt, lässt sich damit zwar
der Wirkungszeitpunkt nicht unmittelbar feststellen. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe ist jedoch ein Anknüpfungspunkt, der sich
objektiv ohne weiteres bestimmen lässt. Vorliegend erfolgte die Zustellung - unstreitig - durch Postzustellungsurkunde am
09.03.2019. Dass dieser Tag auf einen Sonnabend fiel, ist für die Feststellung des Bekanntgabezeitpunkts unerheblich; § 26 Abs. 3 S. 1 SGB X (vgl. auch §
64 Abs.
3 SGG), der den Ablauf einer solchen Frist auf den nächstfolgenden Werktag datiert, gelangt nicht zur Anwendung (vgl. BSG, Urteil vom 06.05.2010, B 14 AS 12/09 R, juris, Rn. 12).
Die Leistungsentziehung mit Wirkung ab dem 10.03.2019 war auch materiell rechtmäßig. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen
Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Diese Voraussetzungen liegen vor.
Der ursprüngliche Bescheid der Beklagten über die unbefristete Bewilligung von Pflegegeld ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung,
denn dieser Verwaltungsakt erschöpfte sich nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der
Rechtslage, sondern begründete oder veränderte inhaltlich ein auf Dauer angelegtes Rechtsverhältnis (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2005 - B 3 P 8/04 R, Rn. 16, juris).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist auch das Tatbestandsmerkmal einer wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen
zu bejahen. Eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X liegt dann vor, wenn die Behörde unter nunmehr objektiv gegebenen Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen
(vgl. Steinwedel in: Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2016, § 48 SGB X, Rn. 13 ff. m.w.N.). Maßgeblich hierfür ist der Vergleich der Verhältnisse, die der ursprünglichen Bewilligung des Pflegegeldes
zu Grunde gelegen haben, mit jenen Verhältnissen, die zur Entziehung der Leistung geführt haben. Eine eventuell später erneut
eintretende Änderung (bspw. erneute Verschlechterung des Gesundheitszustandes) ist demgegenüber für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit
der Aufhebungsentscheidung unerheblich. Hierbei ist auf das der Bewilligung und auch der Entziehung der Leistung zugrunde
liegende materielle Recht abzustellen. Die Bewilligung und Entziehung von Leistungen richtet sich vorliegend nach dem zum
Zeitpunkt der Antragstellung (vgl. § 140 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch <SGB XI>) bereits maßgeblichen Recht in Gestalt
des ab dem 01.01.2017 in Kraft getretenen Zweiten Pflegestärkungsgesetz (BT-Drs. 18/5926 = BR-Drs. 354/15), mit dem sowohl
ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff als auch ein neues Begutachtungsverfahren eingeführt wurde.
§
14 SGB XI n.F. definiert danach den Begriff der Pflegebedürftigkeit wie folgt neu:
Pflegebedürftig sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen
und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen (Abs. 1 S. 1). Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder
psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder
bewältigen können (Abs. 1 S. 2). Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und
mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen (Abs. 1 S. 3).
Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind
die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien (Abs. 2):
1. Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;
2. kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse
oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von
Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von
Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;
3. Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen
von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale
Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit
bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;
4. Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich
Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung
und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer
Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma,
Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten,
die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;
5. Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:
a) in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie
Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,
b) in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von
Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,
c) in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder
therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen
zur Frühförderung bei Kindern sowie
d) in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, Sichbeschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft
gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.
Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten, die dazu führen, dass die Haushaltsführung nicht mehr ohne Hilfe
bewältigt werden kann, werden dagegen bei den Kriterien der in Absatz 2 genannten Bereiche berücksichtigt (Abs. 3).
Das Verfahren zur Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit ist ergänzend in §
15 SGB XI festgelegt:
Danach erhalten Pflegebedürftige einen Grad der Pflegebedürftigkeit (Pflegegrad) nach der Schwere der Beeinträchtigungen der
Selbständigkeit oder der Fähigkeiten (Abs. 1 S. 1). Der Pflegegrad wird mit Hilfe eines pflegefachlich begründeten Begutachtungsinstruments
ermittelt (Abs. 1 S. 2).
Dieses ist in 6 Module gegliedert, die den sechs Bereichen in § 14 Absatz 2 entsprechen (Abs. 2 S. 1). In jedem Modul sind
für die in den Bereichen genannten Kriterien die in einer Anlage 1 dargestellten Kategorien vorgesehen (Abs. 2 S. 2). Die
Kategorien stellen die in ihnen zum Ausdruck kommenden verschiedenen Schweregrade der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit
oder der Fähigkeiten dar (Abs. 2 S. 3). Den Kategorien werden in Bezug auf die einzelnen Kriterien pflegefachlich fundierte
Einzelpunkte zugeordnet, die aus Anlage 1 ersichtlich sind (Abs. 2 S. 4). In jedem Modul werden die jeweils erreichbaren Summen
aus Einzelpunkten nach den in Anlage 2 festgelegten Punktbereichen gegliedert (Abs. 2 S. 5). Die Summen der Punkte werden
nach den in ihnen zum Ausdruck kommenden Schweregraden der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten wie
folgt bezeichnet (Abs. 2 S. 6):
1.
Punktbereich 0: keine Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
2.
Punktbereich 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
3.
Punktbereich 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
4.
Punktbereich 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten und
5.
Punktbereich 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten.
Jedem Punktbereich in einem Modul werden unter Berücksichtigung der in ihm zum Ausdruck kommenden Schwere der Beeinträchtigungen
der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sowie der folgenden Gewichtung der Module die in Anlage 2 festgelegten, gewichteten
Punkte zugeordnet (Abs. 2 S. 7).
Die Module des Begutachtungsinstruments werden wie folgt gewichtet (Abs. 2 S. 8):
1.
Mobilität mit 10 Prozent,
2.
kognitive und kommunikative Fähigkeiten sowie Verhaltensweisen und psychische Problemlagen zusammen mit 15 Prozent,
3.
Selbstversorgung mit 40 Prozent,
4.
Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen mit 20 Prozent,
5.
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte mit 15 Prozent.
Zur Ermittlung des Pflegegrades sind die bei der Begutachtung festgestellten Einzelpunkte in jedem Modul zu addieren und dem
in Anlage 2 festgelegten Punktbereich sowie den sich daraus ergebenden gewichteten Punkten zuzuordnen (Abs. 3 S. 1). Den Modulen 2 und 3 ist ein gemeinsamer gewichteter Punkt zuzuordnen, der aus den höchsten gewichteten Punkten entweder des
Moduls 2 oder des Moduls 3 besteht (Abs. 3 S. 2). Aus den gewichteten Punkten aller Module sind durch Addition die Gesamtpunkte zu bilden (Abs. 3 S. 3). Auf
der Basis der erreichten Gesamtpunkte sind pflegebedürftige Personen in einen der nachfolgenden Pflegegrade einzuordnen (Abs.
3 S. 4):
1.
ab 12,5 bis unter 27 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 1: geringe Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
2.
ab 27 bis unter 47,5 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 2: erhebliche Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
3.
ab 47,5 bis unter 70 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 3: schwere Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
4.
ab 70 bis unter 90 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 4: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten,
5.
ab 90 bis 100 Gesamtpunkten in den Pflegegrad 5: schwerste Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten mit
besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung.
Nach diesen Grundsätzen ist der angegriffene Bescheid der Beklagten als rechtmäßig anzusehen. Die Klägerin hatte jedenfalls
zum Zeitpunkt der Leistungsaufhebung im März 2019 keinen Anspruch mehr auf Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung,
weil die Voraussetzungen für diesen Anspruch nicht mehr vorgelegen haben.
Der Senat folgt insofern den überzeugenden Ausführungen des erfahrenen gerichtlichen Sachverständigen Dr. W. Dieser hat unter
ausführlicher Beschreibung der vorhandenen Ressourcen und Selbshilfefähigkeiten der Klägerin überzeugend ausgeführt, dass
lediglich im Modul 3: Verhaltensweisen und psychische Problemlagen unter Punkt 4.3.11 Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage
3 Einzelpunkte und damit 7,5 gewichtete Punkte zu vergeben sind.
Fachmedizinisch belegte Anhaltspunkte, warum die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen zur Einschätzung des Umfangs
ihrer Pflegebedürftigkeit unzutreffend sein sollten, lassen sich den umfangreichen Ausführungen der Klägerin zu ihrer Krankheitsgeschichte
nicht entnehmen.
Soweit Dr. W in Bewertungsportalen von Versicherten tendenziell schlecht abschneidet, hat dies keine Relevanz, da allein das
vorliegende sozialmedizinische Gutachten zu bewerten ist. Diese Begutachtung steht jedoch - unabhängig davon, dass die Klägerin
Dr. W selbst als kompetent bezeichnet - nicht nur im Einklang mit dem angegriffenen Gutachten des SMD vom 18.12.2018, sondern
auch mit den Feststellungen des behandelnden Facharztes der Klägerin, dem Oberarzt der Institutsambulanz der LWL Klinik Herten,
B. L. Nach dessen Befundbericht vom 13.08.2019 hat bei der Klägerin seit 2013 keine psychotische Exazerbation bei vorbekannter
bipolarer affektiver Psychose mehr stattgefunden und es lägen auch keine Anzeichen vor, dass diese unmittelbar bevorstehe.
Vielmehr erfolgten fachärztliche Termine in 4-wöchigen Abständen. Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin ausschließlich dem
Bewertungsschema des eigenen Behandlers folgen wollte, wäre danach nicht einmal die Schwelle zu Pflegegrad 1 erreicht: Der
Arzt L geht im Modul 3 unter Punkt 4.3.11 ebenfalls von 3 Einzelpunkten aus, berücksichtigt aber anders als Dr. W auch unter
Punkt 4.3.12 noch 3 weitere Einzelpunkte, so dass die Klägerin in diesem Modul insgesamt 6 Einzelpunkte erreichen würde, was
insgesamt 7,5 gewichteten Punkten entspricht. Unter Addition der von Herrn L im Modul 6 unter 4.6.1 (Gestaltung des Tagesablaufs
und Anpassung an Veränderungen) und unter 4.6.4 (Vornehmen von in die Zukunft gerichteter Planung) jeweils vergebenen zusätzlichen
Einzelpunkten, die 3,75 gewichteten Punkten entsprechen, würde die Klägerin nämlich ebenfalls nur zu 11,25 gewichteten Gesamtpunkten
gelangen und damit nach der Einschätzung des eigenen langjährig behandelnden Facharztes den ab 12,5 Gesamtpunkten beginnenden
Pflegegrad 1 verfehlen.
Soweit die Klägerin dagegen eine Durchschnittsbewertung sämtlicher erstellter Gutachten zur Berechnung ihres Pflegegrades
vorschlägt, entbehrt diese Vorgehensweise jeglicher Grundlage und widerspricht dem vorangestellten gesetzlichen Bewertungsschema.
Auch aus dem Umstand, dass das Pflegegeld zunächst unbefristet gewährt wurde, kann die Klägerin nichts anderes herleiten.
Die befristete Gewährung von Pflegeleistungen ist nach §
33 Abs.
1 S. 3
SGB XI eine Option, aber weder gesetzliche Pflicht noch Regel. Regelhaft handelt es sich bei der Bewilligung von Sach- und/oder
Geldleistungen aufgrund von Pflegebedürftigkeit nach §§
36 ff.
SGB XI vielmehr um eine Dauerleistung, die unter den Voraussetzungen der §§ 45 ff. SGB X zu entziehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 07.07.2005, a.a.O.). Darüber hinaus war die Wiederholungsbegutachtung nach einem Jahr im Erstgutachten ausdrücklich
in Aussicht genommen.
Soweit die Klägerin einen Verstoß gegen §
18 Abs.
3a SGB XI rügt, trägt dieser Vorwurf nicht. Die Pflicht zur Benennung von mindestens drei Gutachtern gilt nur in den Fällen der Beauftragung
unabhängiger Gutachter, nicht jedoch - wenn wie hier - der eigene Medizinische Dienst (hier: SMD) herangezogen wird.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Argumentation der Klägerin, die Beklagte habe sie über die Möglichkeit sich beim
Ombudsmann über den SMD zu beschweren, unzureichend informiert. Zum einen handelt es sich bei der Einrichtung des Ombudsmannes
iSv §
278 SGB V um eine veröffentlichte gesetzliche Vorschrift, deren Kenntnis für jedermann zugänglich ist. Zum anderen hat die Klägerin
gegen die Entziehungsentscheidung der Beklagten inhaltlich Widerspruch eingelegt, ohne zu erkennen zu geben, dass darüber
hinaus auch eine dienstliche Beschwerde zu prüfen sein sollte; auf diesem Wege ließe sich unabhängig davon auch kein Pflegegrad
erwirken.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§
193,
183 SGG
Gründe für eine Zulassung der Revision nach Maßgabe des §
160 Abs.
2 SGG sind nicht ersichtlich.