Tatbestand
Der Kläger begehrt als überörtlicher Träger der Sozialhilfe von der Beklagten die Erstattung von 1.470 EUR für die stationäre
Kurzzeitbetreuung des bei dieser versicherten pflegebedürftigen U K (fortan: Versicherter) im Jahr 2008.
Der 1999 geborene Versicherte leidet an Trisomie 21. Er erhält von der Beklagten seit 2007 Leistungen der Pflegeversicherung
bei häuslicher Pflege. Im Jahr 2007 gewährte die Beklagte dem Versicherten gem. §
39 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) Leistungen der Verhinderungspflege in Höhe des Maximalbetrags i.H.v. 1.432 EUR für 28 Tage, als dieser während der Verhinderung
seiner Pflegepersonen mehrfach in der Kurzzeiteinrichtung für Menschen mit Behinderungen "G" in N stationär untergebracht
war. Dabei handelte es sich um eine therapeutische Einrichtung für heilpädagogisches Arbeiten mit Tieren, deren Tagespflegesatz
97 EUR betrug und die keinen Vertrag zur Kurzzeitpflege abgeschlossen hatte. Für die Restkosten, die nicht durch den Maximalbetrag
der Verhinderungspflege abgedeckt waren, gewährte der Kläger ebenso wie für die Kosten für eine über die 28 Tage hinausgehende
Unterbringung des Versicherten im G Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII). Auch in den Jahren 2009-2011 wurde der Versicherte zeitweise im G untergebracht und schöpfte den Maximalbetrag nach §
39 SGB XI jeweils aus.
Auf den Antrag des Versicherten bewilligte der Kläger diesem mit Bescheid vom 5.3.2008 Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung
nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII für die Kosten der Betreuung im G an 60 Tagen im Jahr 2008. Die Pflegekasse möge die Leistungen ebenfalls direkt an die Einrichtung
überweisen, da er nur die Restkosten übernehme.
Am 28.03.2008 beantragte der Versicherte bei der Beklagten für die im Antrag näher aufgelisteten Zeiträume in 2008 "Verhinderungspflege"
auf dem G. Mit Bescheid vom 01.04.2008 teilte die Beklagte dem Versicherten mit, dass sie die Kosten der Verhinderungspflege
für einen Teil dieser Zeiträume (bis zum Erreichen des maximalen Betrags von 1.432 EUR pro Jahr) übernehme. Da der Versicherte
für 2008 keine entsprechenden Leistungen abrief, zahlte die Beklagte das Pflegegeld ohne Abzüge an ihn aus. Die Kosten für
die Unterbringung des Versicherten im G an 60 Tagen in 2008 i.H.v. 5.820 EUR zahlte der Kläger.
Auf die Anfrage des Klägers vom 04.03.2009 teilte die Beklagte diesem mit, dass im Jahr 2008 keine Leistungen der Verhinderungs-
oder Kurzzeitpflege vom Versicherten in Anspruch genommen worden seien. Daraufhin machte der Kläger am 04.05.2009 gegenüber
der Beklagten einen Erstattungsanspruch für die von ihm an 60 näher bezeichneten Tagen im Jahr 2008 an den Versicherten geleistete
Hilfe zur angemessenen Schulausbildung im G nach § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) in Höhe von 97 EUR täglich geltend. Die Beklagte lehnte die Erstattung mit der Begründung ab, dass die Hilfe zu einer angemessenen
Schulbildung nicht zum Leistungsspektrum der Pflegeversicherung gehöre und es an einer sachlichen Gleichwertigkeit der Leistungen
fehle.
Mit seiner am 18.12.2012 erhobenen Klage hat der Kläger seinen Erstattungsanspruch weiterverfolgt. Da die im G gewährte Hilfe
auch die erforderliche Pflege umfasst habe, wie sich aus § 55 Absatz 1 S. 1 SGB XII ergebe, bestehe eine Kongruenz zwischen der Leistung der Pflegekasse nach §
42 SGB XI und der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII. Sein Erstattungsanspruch ergebe sich aus §
13 Abs.
4 SGB XI. Bei dieser Norm handele es sich um eine lex speciales zu den §§ 102 ff. SGB X. Zwar sei bis heute keine Vereinbarung zwischen den Beteiligten im Sinne des §
13 Abs.
4 SGB XI geschlossen worden. Es sei aber mit deren Regelungsgedanken nicht vereinbar, dass der Leistungsanspruch gegenüber der Pflegeversicherung
vollständig untergehe, nur weil die Leistung gegenüber dem Versicherten zunächst in voller Höhe vom Träger der Sozialhilfe
erbracht worden sei. Er habe seinen Erstattungsanspruch auch formal wirksam angemeldet, da er sowohl die im Jahr 2008 angefallenen
Zeiträume als auch den täglichen Pauschalbetrag von 97 EUR genannt habe. Der Kläger hat eine Aufstellung der von ihm für die
Unterbringung in 2008 aufgewandten Kosten i.H.v. 5.820 EUR zu den Akten gereicht.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm einen Betrag in Höhe von 1.470 EUR nebst 4 Prozent Zinsen seit dem 1. Januar 2013 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ein Anspruch nach den §§ 104 ff. SGB X scheitere bereits daran, dass die Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII im Verhältnis zur Pflegeversicherung nicht nachrangig seien. Selbst wenn man in §
13 Abs.
4 SGB XI überhaupt einen eigenständigen Erstattungsanspruch sehe, seien dessen Voraussetzungen offensichtlich nicht erfüllt, da eine
entsprechende Vereinbarung nie geschlossen worden sei. Im Übrigen habe der Versicherte im Jahr 2008 bei ihr Leistungen der
Verhinderungspflege, nicht jedoch Leistungen der Kurzzeitpflege nach §
42 SGB XI beantragt. Sie habe dementsprechend nur die beantragten Leistungen nach §
39 SGB XI bewilligt. Eine Parallelleistung i.S.d. §
27 Abs.
2 Satz 2
SGB XI sei in 2008 noch nicht vorgesehen gewesen. Da der G auch keinen Vertrag über Kurzzeitpflege gehabt habe, sei bereits dem
Grunde nach vor Inkrafttreten des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes (PfWG) zum 01.07.2008 eine Kostenübernahme für Leistungen
der Kurzzeitpflege nicht möglich gewesen. Zudem scheide nach der Rechtsprechung eine differenzierende Aufspaltung einer Maßnahme
in Leistungen der Eingliederungshilfe einerseits und der Pflegeleistungen andererseits aus (LSG Baden-Württemberg, Urteil
vom 28.06.2007 -L 7 SO 414/07-). Da der Kläger die Leistungen als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung bewilligt habe,
bleibe kein Raum für Leistungen der Pflegekasse. Die Leistungen der Eingliederungshilfe seien diesen gegenüber auch nicht
nachrangig, da der Gesetzgeber deutlich zwischen den Leistungen der Eingliederungshilfe (§§ 53-60 SGB XII) und den Hilfen zur Pflege (§§ 61-66 SGB XII) differenziert habe. Die Leistungen seien in unterschiedlichen Kapiteln geregelt und an unterschiedliche Voraussetzungen
geknüpft. Eine Nachrangigkeit der Eingliederungshilfe gegenüber der Kurzzeitpflege führe auch zu einer unzumutbaren Belastung
der Berechtigten, da diese gezwungen seien, die ihnen zustehenden Leistungen der Beklagten für die stationären Einrichtungen
der Eingliederungshilfe zu verwenden, so dass die Maximalbeträge bereits ausgeschöpft seien, wenn eine Kurzzeitpflege oder
Verhinderungspflege im Verlauf des Jahres erforderlich werde. Zudem gehe weder aus dem Schreiben des Klägers vom 28.04.2009
noch aus der Klagebegründung hervor, ob und in welchem Umfang der Kläger Leistungen übernommen habe, sodass der Anspruch schon
nach § 111 SGB X wegen verspäteter Geltendmachung ausgeschlossen sei. §
42 Abs.
3 SGB XI könne erst für die Zeit nach dem 01.07.2008 Wirkung zu entfalten, da erst ab diesem Zeitraum die Möglichkeit einer pauschalen
Erstattung geschaffen worden sei.
Das Sozialgericht hat die Leistungsklage mit Urteil vom 19.2.2016 mit der Begründung abgewiesen, dass es bereits an einer
Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch fehle. Denn es fehle bereits an der Grundvoraussetzung des
§§
13 Abs.
4 SGB XI, da die Beteiligten keine Vereinbarung über die Kostentragung getroffen hätten. Darüber hinaus sei auch nicht erkennbar,
dass dem Versicherten (wenigstens ab dem 1.7.2008) ein Anspruch auf Leistungen der Kurzzeitpflege zugestanden habe, da die
materiell-rechtlichen Voraussetzungen des §
42 Abs.
1 SGB XI offenbar nicht erfüllt gewesen seien. Die Betreuung habe weder für eine Übergangszeit im Anschluss an eine stationäre Behandlung
noch in einer sonstigen Krisensituation, in der vorübergehend häusliche oder teilstationäre Pflege nicht möglich oder nicht
ausreichend gewesen sei, stattgefunden. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Kläger mit Bescheid vom 05.03.2008 elf der
zwölf Kurzzeitbetreuungen für Zeiträume in der Zukunft bewilligt habe.
Gegen das ihm am 25.02.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.03.2016 Berufung eingelegt und sein Anliegen weiterverfolgt.
Der Abschluss einer Vereinbarung sei nicht zwingende Voraussetzung des Erstattungsanspruchs nach §
13 Abs.
4 SGB XI, da es sich lediglich um eine Sollvorschrift handele. Darüber hinaus könne ein Anspruch auf Pflege nach §
42 SGB XI auch für Zeiten der Krankheit, des Urlaubs oder einer sonstigen Verhinderung der Pflegeperson, die nicht mit Leistungen der
häuslichen Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson überbrückt werden könne, überbrückt werden, so dass im vorliegenden Fall
grundsätzlich ein Anspruch auf Kurzzeitpflege bestanden habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts vom 19.2.2016 aufzuheben und nach dem Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie nimmt auf ihre bisherigen Ausführungen und das erstinstanzliche Urteil Bezug. Ein Anspruch auf Kurzzeitpflege setze voraus,
dass die Zeiten nicht mit Leistungen nach §
39 SGB XI überbrückt werden könnten. Im vorliegenden Fall seien aber noch nicht einmal Leistungen nach §
39 SGB XI in Anspruch genommen worden.
Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin vom 01.12.2016 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden
erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstand wird auf die Verwaltungsakten des Klägers, die Verwaltungsakten
der Beklagten und die Gerichtsakten, die sämtlich Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht mit Urteil vom 29.2.2016 abgewiesen. Dem Kläger
steht kein Zahlungsanspruch i.H.v. 1.470 EUR gegen die Beklagte zu.
Der Kläger kann seinen Erstattungsanspruch nicht auf die §§ 102 ff SGB X stützen. Der Kläger hat die Hilfe zur angemessenen Schulbildung nach § 54 Abs. 1 SGB XII weder vorläufig erbracht (§102 SGB X), noch ist seine Leistungsverpflichtung nachträglich entfallen (§ 103 SGB X) oder war er gegenüber der Beklagten nur nachrangig verpflichtet (§ 104 SGB X) oder für die erbrachte Leistung unzuständig (§ 105 SGB X). Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Der geltend gemachte Erstattungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 13 Abs. 4 SGB X. Zwar ist es trotz der umfassenden Regelung der Erstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern in den §§ 102 ff. SGB X nach §
37 Satz 1 Erstes Buch Gesetzbuch (
SGB I) rechtlich zulässig, noch weitere spezialgesetzliche Erstattungsansprüche zu regeln. §
13 Abs.
4 SGB XI regelt aber keinen unmittelbaren Erstattungsanspruch. Dazu ist die Regelung des §
13 Abs.
4 SGB XI schon zu unbestimmt, da sie nicht vorgibt, welcher der Leistungsträger unter welchen Voraussetzungen endgültig leisten und
welcher erstattungsberechtigt sein soll. Die Norm bestimmt lediglich, dass bei einem Zusammentreffen von Pflegeleistungen
mit Leistungen der Eingliederungshilfe oder mit weitergehenden Pflegeleistungen nach dem Zwölften Buch die Pflegekassen und
der Träger der Sozialhilfe vereinbaren sollen, dass im Verhältnis zum Pflegebedürftigen nur eine Stelle die Leistungen übernimmt
und die andere Stelle die Kosten der von ihr zu tragenden Leistungen erstattet. An einer solchen Vereinbarung, die Grundlage
eines Erstattungsbegehrens sein könnte, fehlt es hier. Der Kläger, der einen Erstattungsanspruch auch ohne eine solche Vereinbarung
annimmt, verkennt, dass Gesetze nicht entgegen ihres Wortlauts ausgelegt werden können. Auch der Umstand, dass der Gesetzgeber
die Norm als Sollvorschrift ausgestaltet hat, lässt nicht den Schluss zu, dass er einen Erstattungsanspruch unmittelbar aus
dem Gesetz heraus generieren wollte. §
13 Abs.
4 SGB XI wurde erst im Vermittlungsverfahren eingeführt. Ziel des Gesetzgebers war es, dem Pflegebedürftigen, der sowohl aus der gesetzlichen
Pflegeversicherung als auch nach dem SGB XII (damals: BSHG) leistungsberechtigt ist, eine Auseinandersetzung mit verschiedenen Leistungsträgern zu ersparen. Er sollte die ihm insgesamt
zustehenden Leistungen aus einer Hand erhalten, ohne von der durch die Leistungsträger selbst vorzunehmende Abwicklung der
Erstattung behelligt zu werden. Im zweiten Vermittlungsverfahren wurde die Kann-Vorschrift hinsichtlich der zu treffenden
Vereinbarung in eine Soll-Vorschrift umgewandelt (siehe dazu insgesamt (allerdings noch als § 11a): BT-Drs. 12/6424, S.2 und
BR-Drs. 910/93, S.3.). Durch diese Wandlung hat der Gesetzgeber verdeutlicht, dass es nicht ins völlige Belieben der Leistungsträger
gestellt ist, eine Vereinbarung zu treffen, sondern sie vielmehr im Regelfall gehalten sind, eine entsprechende Vereinbarung
abzuschließen (Kruse in LPK-
SGB XI, 4. Auflage 2014, §
13 Rz. 35). Einen solchen öffentlich-rechtlichen Vertrag, der Grundlage eines Erstattungsanspruchs sein könnte und in dem die
Details zur Erstattung geregelt werden könnten, haben die Beteiligten (trotz der scheinbar zahlreichen Streitverfahren auch
bis heute) nicht geschlossen.
Die Revision wird nicht zugelassen.