Unzulässigkeit der Ablehnung von Richtern im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an das Vorliegen eines gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs
Gründe
I.
Der Kläger begehrt die Ablehnung aller in Betracht kommenden Richterinnen und Richter am Landessozialgericht (LSG) Essen.
In der Hauptsache wendet er sich mit seiner Berufung gegen einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Köln vom 03.01.2020, mit dem seine Klage auf Feststellung eines Anspruches nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) und Anfechtung eines Versagensbescheides (für die Zeit ab August 2019) abgewiesen wurde.
In der Vergangenheit führte der Kläger Verfahren im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende und in der Arbeitslosenversicherung,
die beim 19., 20. und dem erkennenden Senat des LSG Nordrhein-Westfalen anhängig waren, wobei es in Eilverfahren beim 19.
Senat (L 19 AS 1597/19 B ER und L 19 AS 2006/19 B ER) u.a. auch um den Leistungsbezug des Klägers nach dem SGB II im Jahr 2019 ging. Diese Verfahren sind - mit Ausnahme des vorliegenden Ablehnungsgesuches und des zu Grunde liegenden Berufungsverfahrens
- sämtlich abgeschlossen.
Auf Anfrage der Berichterstatterin in dem Berufungsverfahren erklärten die Beteiligten (am 19.03. bzw. 20.05.2020) ihr Einverständnis
mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.
Unter dem 18.10.2021 wurde die Sache für den 11.11.2021 unter gleichzeitiger Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers
zur mündlichen Verhandlung geladen.
Am 23.10.2021 beantragte er Akteneinsicht u. a. zur Vervollständigung seiner Unterlagen und Vorbereitung auf die mündliche
Verhandlung. Am 25.10.2021 widersprach er der Anordnung seines persönlichen Erscheinens. Hierzu berief er sich auf das Fortbestehen
der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Das Reisen in öffentlichen Verkehrsmitteln während der Pandemie lehne er ab.
Ferner habe das Gericht nicht dargelegt, warum nun doch mündlich verhandelt werden solle. Dieses Vorgehen sei nicht nachvollziehbar.
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 26.10.2021 wurde der Verhandlungstermin aufgehoben. Außerdem wurde der Kläger darauf hingewiesen,
dass er Akteneinsicht beim SG Köln oder in den Räumlichkeiten des LSG Nordrhein-Westfalen nehmen könne. Ein Termin hierfür
möge zuvor telefonisch abgestimmt werden (Schreiben der Berichterstatterin vom 26.10.2021).
Am 08.11.2021 stellt der Kläger ein "Ablehnungsgesuch gegen alle in Betracht kommenden Richter*innen am Landessozialgericht
in Essen".
Zur Begründung führt er aus, eine Mitarbeiterin des Beklagten habe im Zeitraum August 2019 bis Februar 2020 unwahre Tatsachenbehauptungen
über ihn verbreitet und damit gerechtfertigt, zustehende Leistungen zu versagen. Dadurch sei ihm und seinem Kind schwerer
Schaden zugefügt worden.
Das LSG habe die rechtswidrige Leistungsversagung durch den Beklagten per Urteil gebilligt und damit als eine der letzten
Bastionen des Rechtsstaates versagt. Entsprechend spreche er gegenüber allen beteiligten Richtern am Landessozialgericht Essen
aufgrund der in der Vergangenheit erlassenen rechtswidrigen Urteile zu seinen Lasten sein Misstrauen aus, in dieser Sache
in Zukunft neutral zu entscheiden. Für ein Ablehnungsgesuch genüge allein der "böse Schein" mangelnder Objektivität. Diese
werde belegt durch vorausgegangene rechtswidrige Urteile des Gerichts zu seinen Lasten. Dass das LSG nun erneut ohne Darlegung
von Sachgründen eine Anhörung angesetzt habe, erwecke erneut berechtigtes Misstrauen gegen das Gericht. Es zu unterlassen
darzulegen, was Streitgegenstand dieses Verfahrens sei, erhärte sein Misstrauen.
II.
Der Senat entscheidet über das Ablehnungsgesuch, welches sich gegen alle (in Betracht kommenden) Richterinnen und Richter
des LSG Nordrhein-Westfalen richtet, in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung, weil die hierfür gegebene Begründung offensichtlich
untauglich und das Gesuch damit unzulässig ist (vgl. zu dieser Möglichkeit Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
Sozialgerichtsgesetz [SGG], 13. Auflage 2020, §
60 Rn. 10d m. w. N.). Aus demselben Grund ist auch nicht (nach §
60 Abs.
1 SGG i. V. m. §
45 Abs.
3 Zivilprozessordnung) das Bundessozialgericht (BSG) zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch berufen (vgl. Flint in Flint in jurisPK-
SGG, Stand: 08.09.2021, §
60 Rn. 140; LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 18.12.2015, L 29 SF 314/15 AB juris Rn. 8 ff.)
In der Rechtsprechung sowohl des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) (vgl. etwa Beschluss vom 11.03.2013, 1 BvR 2853/11 juris Rn. 30 m. w. N.) als auch des BSG (vgl. etwa Beschlüsse vom 24.01.2020, B 10 ÜG 4/20 B juris Rn. 20 ff., und vom 21.12.2017, B 14 AS 4/17 B juris Rn. 9 f., beide m. w. N.) ist anerkannt, dass bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des gänzlich untauglichen
oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs eine Entscheidung des abgelehnten Richters selbst mit der Verfassungsgarantie
des Art.
101 Abs.
1 Satz 2
Grundgesetz nicht in Konflikt gerät, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und
deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist.
Ein solcher Fall liegt hier vor.
Völlige Untauglichkeit der Begründung eines Ablehnungsgesuches ist anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes
Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens selbst entbehrlich ist. Hierfür kommen regelmäßig solche Gesuche in Betracht, die
Handlungen des Richters beanstanden, welche nach der Prozessordnung vorgeschrieben sind oder sich ohne weiteres aus der Stellung
des Richters ergeben. Unzulässig ist ein Ablehnungsgesuch daher, wenn der Ablehnende die bloße Tatsache beanstandet, ein Richter
habe an einer Vor- oder Zwischenentscheidung mitgewirkt. Unzulässig ist das Gesuch auch, wenn sich der Richter an den von
der Prozessordnung vorgeschriebenen Verfahrensgang hält, der Ablehnende aber eine Änderung begehrt (zum Ganzen BVerfG a. a.
O.).
Nach dieser Maßgabe ist das pauschal auf sämtliche (in Betracht kommenden) Richterinnen und Richter des LSG bezogene Ablehnungsgesuch
des Klägers als ungeeignet bzw. sogar als rechtsmissbräuchlich anzusehen. Einem solchen Gesuch mangelt es an einer hinreichend
konkreten Begründung, weil in aller Regel nur einzelne Richterinnen und Richter mit Bezug auf ein bestimmtes Verhalten und
ein konkretes Verfahren, nicht aber ein gesamter Spruchkörper geschweige denn ein ganzes Gericht als befangen abgelehnt werden
können (vgl. dazu Keller a. a. O. Rn. 10b m. w. N. sowie BVerfG a. a. O. Rn. 28 m. w. N.).
Soweit von dem Ablehnungsgesuch auch die Richterinnen und Richter des erkennenden Senats betroffen sind, fehlt es im Wesentlichen
ebenfalls an einer hinreichenden Konkretisierung seines Vorbringens, welches sich in der Kritik erschöpft, der Senat habe
die Sache trotz Vorliegens einer Zustimmung mit einer Entscheidung nach §
124 Abs.
2 SGG für einen Verhandlungstermin vorgesehen. Diese Kritik ist zur Begründung eines Befangenheitsgesuches gänzlich ungeeignet,
da sich der Senat damit innerhalb der prozessualen Vorgaben gehalten hat. Denn die Einverständniserklärung der Beteiligten
nach §
124 SGG entfaltet für das Gericht keine Bindungswirkung (vgl. Keller in Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, 13. Auflage 2020, §
124 Rn. 4).
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§
177 SGG).