Aussetzung der Vollstreckung durch einstweilige Anordnung
Interessenabwägung bei einer Aussetzungsentscheidung
Berücksichtigung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels
1. Die Anordnung nach §
199 Abs.
2 SGG, die Vollstreckung einstweilen auszusetzen, ist eine Ermessensentscheidung.
2. Sie erfordert regelmäßig eine Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners,
nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges zu leisten.
3. Bei der Bewertung der Umstände des Einzelfalls können auch die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels von Bedeutung sein.
4. Für die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung bedarf es regelmäßig besonderer rechtfertigender Umstände, die über die
Nachteile hinausgehen, die für den Antragsteller mit der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel als
solcher in der Regel verbunden sind.
Gründe
Nach §
199 Abs.
2 SGG kann der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung durch einstweilige Anordnung
aussetzen, wenn das Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat.
Der Aussetzungsantrag ist zulässig.
Der vom Antragsteller mit der Beschwerde angefochtene Beschluss des Sozialgerichts vom 13.11.2014 ist ein vollstreckbarer
Titel (§
199 Abs.
1 Nr.
2 SGG). Mit ihm wurde der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsgegner ab dem 24.10.2014 bis
zur Aufnahme der Zahlungen nach dem BAföG, längstens jedoch bis zum 31.05.2015 wieder Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe des mit Bescheid vom 28.07.2014
bewilligten monatlichen Zahlbetrages darlehensweise zu erbringen. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde
hat keine aufschiebende Wirkung (s §
175 Satz 1 und
2 SGG).
Der Antrag ist auch begründet.
Die Anordnung nach §
199 Abs.
2 SGG, die Vollstreckung einstweilen auszusetzen, ist eine Ermessensentscheidung (s BSG SozR 4-1500 § 154 Nr. 1; LSG BW Beschluss vom 26.01.2006 - L 8 AS 403/06 ER; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer
SGG 10. Aufl. § 199 Rdnr 8 mwN; aA BSG SozR 3-1500 § 199 Nr. 1). Sie erfordert regelmäßig eine Abwägung des Interesses des Gläubigers an der Vollziehung mit dem Interesse des Schuldners,
nicht vor der Beendigung des Instanzenzuges zu leisten (s Leitherer aaO mwN). Bei der Bewertung der Umstände des Einzelfalls
können auch die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels von Bedeutung sein (s BSG SozR 4 aaO). Für die einstweilige Aussetzung der Vollstreckung bedarf es aber regelmäßig besonderer rechtfertigender Umstände,
die über die Nachteile hinausgehen, die für den Antragsteller mit der Zwangsvollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen
Titel als solcher in der Regel verbunden sind. Dies folgt aus der Entscheidung des Gesetzgebers, dass die Rechtsmittel Berufung
und Beschwerde schon grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben (§
154 Abs.
1 i.V.m. §
86 a; §
154 Abs.
2 SGG (Berufung); §
175 Satz 1 und
2 SGG (Beschwerde)) (vgl. hierzu auch BSG Beschluss vom 05.09.2001 - B 3 KR 47/01 R) und - bezogen auf die hier eingelegte Beschwerde - keiner der in §
175 Satz 1 und
2 SGG aufgeführten Tatbestände gegeben ist, der ausnahmsweise die aufschiebende Wirkung nach sich zieht.
In einem Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Antragsteller mit
dem Aussetzungsantrag ebenfalls eine nur vorläufige Regelung über die Aussetzung der Vollstreckung bis zur Beendigung des
Instanzenzuges erstrebt. Ist aber schon das in der Hauptsache geführte Eilverfahren im Sinne eines nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 4
SGG effizienten Rechtsschutzes darauf gerichtet, durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Beeinträchtigungen
abzuwenden, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können (s etwa BVerfG Beschluss vom 10.10.2003
- 1 BvR 2025/03; BVerfG aaO), so bedarf es für eine vorläufige Aussetzung der Vollstreckung nach §
199 Abs.
2 SGG im Eilverfahren der Glaubhaftmachung weiterer schwerwiegender Nachteile, die nicht anders abwendbar sind als in dem schmalen
Zeitfenster bis zur Entscheidung über die Beschwerde (zur Glaubhaftmachung s Bay LSG Beschluss vom 08.02.2006 - L 10 AS 17/06 ER; LSG BW Beschluss vom 24.06.2008 - L 7 AS 2955/08 ER). Damit ist der Anwendungsbereich des §
199 Abs.
2 SGG auch und gerade in Eilverfahren von vorneherein auf wenige Fallgestaltungen beschränkt.
In Anwendung dieser Maßstäbe hat der Antrag ausnahmsweise Erfolg, weil es sich - jedenfalls nach dem bisher bekannten Akteninhalt
- um eine Entscheidung handelt, die möglicherweise nicht hätte ergehen dürfen, an der der Antragsteller nach weiterem Zeitablauf
nicht (mehr) zumutbar festgehalten werden darf (zur Berücksichtigung der Erfolgsaussichten des Rechtsmittels bei Entscheidungen
nach §
199 Abs.
2 SGG vgl. BSG Beschluss vom 09.05.2001 - B 3 KR 47/01 R; Leitherer in Meyer-Ladewig/Leitherer/Keller aaO).
Durch Bescheid vom 11.09.2014 waren dem Antragsgegner die mit Bescheid vom 28.07.2014 für die Zeit vom 01.08.2014 bis zum
31.01.2015 bewilligten Leistungen mit Wirkung vom 01.10.2014 entzogen worden, da der Kläger zum 01.09.2014 eine grundsätzlich
nach dem BAföG förderfähige Ausbildung zum Erzieher aufgenommen hatte. Gegen diesen Aufhebungsbescheid hat der Antragsgegner, soweit erkennbar,
nicht Widerspruch eingelegt.
Wechselt der Antragsgegner mit Aufnahme einer solchen Ausbildung aber das Leistungssystem (SGB II - BAföG) sind Ansprüche auf Leistungen auch vorläufiger Art in dem neuen System geltend zu machen. Dies auch und vor allem mit Blick
auf den Umstand, dass das BAföG mit den Regelungen in §§ 36, 51 Abs. 2 Leistungsansprüche vorsieht, die als Vorausleistungen Übergangszeiten bis zur endgültigen Klärung von Anspruchsvoraussetzungen
abdecken helfen sollen.
Wenn dem Antragsgegner von den zuständigen Stellen avisiert worden sein sollte, dass die Gewährung solcher Leistungen ohne
Beibringung bestimmter Unterlagen der Eltern nicht möglich sei, bleibt die Frage, warum die Versorgungslücke nicht durch eine
einstweilige Anordnung im neuen System geschlossen werden können sollte. Art und Umfang notwendiger Ermittlungen und von Mitwirkungspflichten
sowie die Feststellung möglicher Verzögerungen im Bereich des Leistungsträgers sind dort jedenfalls schneller abzuklären.
Die vom Sozialgericht besonders in den Vordergrund gestellte Erwägung, zugewendete Leistungen könnten später zwischen den
Leistungsträgern im Wege des Erstattungsanspruchs ausgeglichen werden, begegnet schon grundsätzlichen Bedenken, könnte aber
ohne Einschränkung auf Gewährung effizienten Rechtsschutzes auch im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren fruchtbar gemacht
werden. Jedenfalls nach Ablauf von mehr als drei Monaten besteht keine Veranlassung (mehr), auf einen vermeintlichen Anspruch
nach dem BAföG in Vorleistung zu treten, obwohl feststeht, dass die Leistungspflicht nach dem SGB II im Kern entfallen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.