Erstattung von Leistungen der Sozialhilfe
Zweitangegangener Rehabilitationsträger
Leistungen der Eingliederungshilfe
Begriff des selbständigen Wohnens
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der für Frau M (nachfolgend: Leistungsberechtigte) erbrachten Leistungen der
Sozialhilfe für die Zeit von September 2011 bis Oktober 2013.
Die am 00.00.1967 geborene Leistungsberechtigte zog sich im September 2010 im Zuge eines durch ein "Zusammensacken" bei einem
Ausritt hervorgerufenen Reitunfalls u.a. ein schweres Schädelhirntrauma und eine Hirnstammblutung zu. Der konkrete Kausalverlauf
des Ereignisses war medizinisch nicht klärbar. Nach stationärer Akutbehandlung und medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen
erfolgte ab Februar 2011 zunächst die Pflege und Betreuung in der Eigentumswohnung durch den Lebensgefährten, die Mutter,
eine studentische Hilfskraft sowie einen einmal täglich erfolgenden Einsatz des Pflegedienstes D. Von der Pflegeversicherung
erhält die Leistungsberechtigte Leistungen nach der Pflegestufe III. In dem MDK-Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit
vom 25.02.2011 wurde eine in erhöhtem Maße eingeschränkte Alltagskompetenz festgestellt. Weiterhin hieß es dort, dass ein
Hilfebedarf bei den gesetzlich definierten Verrichtungen täglich rund um die Uhr, auch nachts, im Bereich der Grundpflege
und zusätzlich mehrfach in der Woche bei der hauswirtschaftlichen Versorgung bestehe (Grundpflege: 270 Minuten/Tag, Hauswirtschaft:
60 Minuten/Tag). Ferner ist bei der Leistungsberechtigten ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit den Merkzeichen G, aG,
B, H und RF festgestellt. Eine gesetzliche Betreuung durch die Mutter für die Aufgabenkreise Gesundheitsfürsorge, Aufenthaltsbestimmung,
alle Vermögensangelegenheiten, Vertretung bei Behörden und Befugnis zum Empfang von Post ist eingerichtet (Beschluss des Amtsgerichts
Köln v. 10.12.2010 - 55 XVII L 977 -). Nachdem der Lebensgefährte aus gesundheitlichen Gründen sowie die Mutter aufgrund Überlastung
teilweise nicht mehr zur Verfügung standen, musste sich die Leistungsberechtigte am 19.07.2011 in Kurzzeitpflege des B-Hauses
in L begeben.
Mit Schreiben des Beklagten vom 18.07.2011 wurde ein Antrag der Leistungsberechtigten vom 06.07.2011 auf Gewährung von Sozialhilfe
in Form der Bewilligung eines Persönlichen Budgets zur Finanzierung von Assistenzkräften im Arbeitgebermodell von dem Beklagten
unter Hinweis auf §
14 des Sozialgesetzbuches Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (
SGB IX) innerhalb der Zweiwochenfrist an die Klägerin weitergeleitet mit der Begründung, erforderlich sei nicht Hilfe zum selbstständigen
Wohnen, sondern Hilfe zur Pflege. Auf Grund der schwerwiegenden gesundheitlichen Einschränkungen sei davon auszugehen, dass
die Leistungsberechtigte nicht in der Lage sei, selbstständig zu wohnen. Sie lebe zwar in einer eigenen Wohnung, könne aber
keine selbstständigen Entscheidungen treffen. Dem Antrag auf Sozialhilfe beigefügt waren u.a. eine individuelle Hilfeplanung
für die Zeit ab Antragstellung sowie ein Kostenvoranschlag eines Pflegedienstes.
Nachdem die Klägerin den Antrag der Leistungsberechtigten hinsichtlich des begehrten Budgets im Arbeitgebermodell zunächst
ablehnte (Bescheid vom 24.08.2011), half sie dem daraufhin eingelegten Widerspruch teilweise ab, indem sie ein trägerübergreifendes
Persönliches Budget in Höhe der Kosten der vorher eingesetzten Pflegedienste, d.h. monatlich 9.466 EUR, bewilligte (Bescheid
vom 30.01.2012). Unter Berücksichtigung des anteiligen Pflegegeldes sowie nach Abzug der Leistungen der Pflegekasse entstanden
aus Sozialhilfemitteln zu finanzierende Kosten in Höhe von 8.999,38 EUR monatlich (Stand: 2013). Es wurden Hilfepläne zur
Sicherstellung der häuslichen Pflege erstellt und fortgeschrieben. Eine Zielvereinbarung für ein persönliches Budget wurde
am 17.11.2011 geschlossen und ebenfalls fortgeschrieben. Die Leistungsberechtigte wurde sodann in ihrer Eigentumswohnung 24
Stunden täglich durch die von ihr im Arbeitgebermodell eingesetzten Assistenten sowie ihre Mutter und den Lebensgefährten
versorgt.
Mit Schreiben vom 31.08.2011 wurde von der Klägerin für die Zeit ab dem 01.09.2011 ein Erstattungsanspruch bei dem Beklagten
geltend gemacht. In der Begründung wurde ausgeführt, für die Leistung der Eingliederungshilfe mit der Zielsetzung "selbstständiges
Wohnen" liege die Zuständigkeit beim überörtlichen Träger. Vom medizinisch-psychosozialen Dienst des Beklagten wurde daraufhin
eine fachliche Stellungnahme vom 11.11.2011 abgegeben, in der es heißt, es bestehe über die Pflege- und Assistenzleistungen
hinaus kein Bedarf an Eingliederungshilfe zum selbstständigen Wohnen.
Mit Schreiben vom 16.07.2012 wurde von der Klägerin bei dem Beklagten erneut ein Erstattungsanspruch geltend gemacht, diesmal
für die Zeit ab dem 01.06.2012. In der Begründung wurde wiederum ausgeführt, für die Leistungen der Eingliederungshilfe mit
der Zielsetzung "selbstständiges Wohnen" liege die Zuständigkeit beim überörtlichen Träger. Eine Bezifferung des Erstattungsanspruchs
für die Zeit von September 2011 bis Mai 2012 erfolgte mit Schreiben vom 15.08.2012.
Die geltend gemachten Erstattungsansprüche wurden mit Schreiben des Beklagten vom 05.04.2013 zurückgewiesen. Ein weiterer
Erstattungsanspruch für die Zeit ab dem 01.06.2013 wurde mit Schreiben der Klägerin vom 03.06.2013 geltend gemacht. Die Bezifferung
des Erstattungsanspruchs für die Zeit von Juni 2012 bis Mai 2013 erfolgte ebenfalls mit Schreiben vom 03.06.2013.
Die Klägerin hat am 17.06.2013 Klage bei dem Sozialgericht Köln erhoben, mit der sie einen Anspruch gegen den Beklagten für
die Zeit vom 01.09.2011 bis 31.10.2013 in Höhe von 216.916,40 EUR geltend gemacht hat. Sie hat die Ansicht vertreten, dass
es sich bei den von ihr erbrachten Leistungen um Eingliederungshilfe im Bereich des selbstständigen Wohnens gehandelt habe.
Die Assistenzkräfte würden nicht ausschließlich pflegerische Tätigkeiten verrichten, sondern die Leistungsberechtigte bei
allen Problemen des täglichen Lebens unterstützen. Durch die Leistungen der Assistenten und der Familie würden der Leistungsberechtigten
der Aufenthalt in ihrer eigenen Wohnung und damit ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Grundsätzlich seien alle Leistungen,
die nicht der Grundpflege und der Hauswirtschaft im engeren Sinne zuzuordnen seien, als Maßnahmen der Eingliederungshilfe
anzusehen und fielen daher in die sachliche Zuständigkeit des Beklagten als überörtlichem Sozialhilfeträger.
Mit Schriftsätzen vom 15.11.2013 und 30.01.2014 hat die Klägerin ergänzend mitgeteilt, dass sich die Leistungsberechtigte
auf ihre Kosten und in ihrer Zuständigkeit ab dem 24.09.2013 in stationärer Vollzeitpflege befinde. Da das persönliche Budget
für Oktober 2013 im Hinblick auf die Gehaltsansprüche der Assistenten während der Kündigungsfrist noch zur Auszahlung gebracht
worden sei, ende ihr Erstattungsanspruch mit dem 31.10.2013.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr für die Zeit von September 2011 bis Oktober 2013 einen Betrag in Höhe von 216.916,40 EUR
zu erstatten
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Leistungsberechtigte sei auf Pflegeleistungen im Rahmen einer umfassenden "Rund-um-die-Uhr-Betreuung" angewiesen. Bei
den der Leistungsberechtigten zu erbringenden Hilfen habe es sich nicht um Hilfen in einer "ambulant betreuten Wohnmöglichkeit"
gehandelt. Die zu erbringenden Assistenz- und Pflegeleistungen seien nicht darauf gerichtet gewesen, sie zum selbstständigen
Wohnen zu befähigen, sondern hätten alleine dem Ausgleich der durch die körperliche Behinderung bedingten Mängel gedient.
Damit sei sie dem nach § 61 Abs. 1 Satz 1 SGB XII anspruchsberechtigten Personenkreis zuzuordnen, und die ihr gewährten Leistungen seien solche der Hilfe zur Pflege, nicht
aber der Eingliederungshilfe gewesen.
Das Sozialgericht hat u.a. die Betreuungsakte der Leistungsberechtigen beigezogen und mit Urteil vom 08.05.2015 die Klage
abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen das Folgende ausgeführt:
Die zulässige Leistungsklage sei unbegründet. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Erstattungsanspruch sei §
14 Abs.
4 SGB IX, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorlägen. Der Beklagte sei für die Leistung nicht zuständig gewesen. Die sachliche Zuständigkeit
des überörtlichen Trägers richte sich nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 der Ausführungsverordnung zum SGB XII - (AV-SGB XII NRW), wonach dieser für alle Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII für behinderte Menschen, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten, außerhalb einer teilstationären oder stationären Einrichtung
zuständig sei, die mit dem Ziel geleistet werden sollen, selbstständiges Wohnen zu ermöglichen oder zu sichern. Bei den gewährten
Leistungen habe es sich nicht um Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII gehandelt, die mit dem Ziel geleistet worden seien, selbstständiges Wohnen zu ermöglichen oder zu sichern. Sinn der Betreuungsleistungen
beim betreuten Wohnen sei die Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung bei Erledigung der alltäglichen Angelegenheiten
im eigenen Wohn- und Lebensbereich in Form einer kontinuierlichen Betreuung. Nach Aktenlage sei der Leistungsberechtigten
für die Zeit ab dem 11.11.2011 ein persönliches Budget bewilligt worden. In der Zeit vom 01.09.2011 bis zum 13.09.2011 und
vom 12.10.2011 bis zum 31.10.2011 sei die 24-Stunden-Pflege durch Pflegedienste sichergestellt worden. Seien nur Leistungen
für die Inanspruchnahme eines Pflegedienstes bewilligt worden, könne es sich nicht um eine Leistung der Eingliederungshilfe
zum selbstständigen Wohnen gehandelt haben. Zwar sei für das persönliche Budget ab dem 01.11.2011 eine Zielvereinbarung geschlossen
worden. Bei der Abgrenzung zwischen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe könne auf die Zielvereinbarung indes
nicht maßgeblich abgestellt werden. Die Abgrenzung habe vielmehr anhand der Zielsetzung der beiden Hilfearten zu erfolgen.
Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege verfolgten im Ausgangspunkt unterschiedliche Zielrichtungen. Mit der Hilfe zur Pflege
werde nicht vornehmlich auf eine Besserung des gesundheitlichen Zustandes, sondern die Erleichterung der Beschwerden zur Ermöglichung
der erforderlichen Verrichtung des Alltags abgestellt. Nebeneffekt einer erfolgreichen Pflege könne die Integration in die
Gesellschaft sein. Demgegenüber habe die Eingliederungshilfe zum Ziel, auf eine Integration des behinderten Menschen in die
Gesellschaft hinzuwirken. Die Eingliederungshilfe sei mithin erfolgsbezogen. Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze sowie
der persönlichen gesundheitlichen Situation der Leistungsberechtigten im streitigen Zeitraum habe es sich vorliegend nicht
um Eingliederungshilfe zum selbstständigen Wohnen gehandelt. Aufgrund des Unfallgeschehens bestünden bei der Leistungsberechtigten
erhebliche körperliche und kognitive Einschränkungen. Sie stehe unter einer umfassenden Betreuung. Nach dem Gutachten zur
Feststellung der Pflegebedürftigkeit aus dem Jahr 2011 sei sie in ihrer Alltagskompetenz in erhöhtem Maße eingeschränkt gewesen.
Ausweislich des im Betreuungsverfahren ergangenen Beschlusses des Amtsgerichts Köln von Dezember 2013 bestehe bei der Leistungsberechtigten
ein organisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma. In dem Bericht der Verfahrenspflegerin heiße es, es sei sehr schnell
deutlich geworden, dass eine Verständigung mit der Leistungsberechtigten nicht möglich sei. Es sei danach offensichtlich,
dass sie den Sinngehalt der an sie gerichteten Fragen nicht erfassen könne. Sie könne sich auch nicht äußern bzw. nicht sprechen.
Es sei offenkundig, dass sie aufgrund ihrer Erkrankung nicht in der Lage sei, ihre Angelegenheiten alleine zu regeln. Erforderlich
sei bei der Leistungsberechtigten demnach eine umfangreiche pflegerische Betreuung gewesen. Dass darüber hinaus Ziele der
Eingliederungshilfe zum selbstständigen Wohnen verfolgt und erreicht worden seien, sei nicht ersichtlich.
Gegen dieses ihr am 20.07.2015 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit der am 27.07.2015 eingelegten Berufung, die
sie im Wesentlichen wie folgt begründet:
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts sei der Beklagte für die der Leistungsberechtigten gewährten Hilfen sachlich zuständig
gewesen. Die Leistungsberechtigte habe im maßgeblichen Erstattungszeitraum zum Personenkreis des § 53 SGB XII gehört und einen Eingliederungsbedarf zum selbstbestimmten Wohnen außerhalb einer teilstationären oder vollstationären Einrichtung
gehabt. Das Sozialgericht stelle fälschlicherweise auf den Begriff der "betreuten Wohnmöglichkeit" in § 98 Abs. 5 SGB XII ab, der nur die örtliche Zuständigkeit regele, worauf es ausweislich der Vorschriften über die hier streitentscheidende sachliche
Zuständigkeit im Rahmen des § 97 SGB XII i.V.m. den einschlägigen landesrechtlichen Vorschriften nicht ankomme. Die Leistungsberechtigte sei komplett bewegungsunfähig
und habe Probleme bei der Aussprache; dennoch habe sie durch Gesten und Kommunikationshilfsmittel Wege gefunden, ihre Wünsche
kundzutun. Sie sei bemüht gewesen, ihren Gesundheitszustand zu verbessern und insgesamt unabhängiger von personeller Hilfe
zu werden. Sie habe auch bereits erhebliche Fortschritte erzielt, müsse beispielsweise nicht mehr beatmet werden und bedürfe
keiner PEG-Sonde mehr, sondern könne wieder feste Nahrung und Getränke zu sich nehmen. Sie habe sich aus dem Wachkoma zurück ins Leben
gekämpft, so dass mit den von der Klägerin erbrachten Leistungen die Ziele der Eingliederungshilfe hätten erfüllt werden können.
Ebenso bringe die Leistungsberechtigte ihre Bedürfnisse und Wünsche auch hinsichtlich der Freizeitgestaltung, der Teilnahme
am gesellschaftlichen Leben und der Gestaltung sozialer Beziehungen nonverbal klar zum Ausdruck. Besonders wichtig seien ihr
die Beziehungen zum Sohn und zum Lebensgefährten. Auch seien Bedarfe der Eingliederungshilfe in dem der ursprünglichen Antragstellung
bei der Beklagten zu Grunde liegenden Hilfeplan enthalten (z.B. in geselliger Runde mit Familie und Freunden feiern, ausgehen,
Essen gehen, Kino, Konzerte, Straßenfeste besuchen, Stadtbummel, mit dem Sohn etwas unternehmen, Ausflüge in die Natur etc.).
Der Leistungsberechtigten sei im Rahmen des 24-stündigen täglichen Einsatzes der Assistenzkräfte ein selbstständiges Leben
in ihrer eigenen behindertengerechten Wohnung ermöglicht worden. Auch habe sie durch Mimik, Gestik und Bedienung einer Buchstabentafel
bzw. eines elektronischen Kommunikationshilfsmittels klar zum Ausdruck gebracht, was sie wolle, was sich auch daran zeige,
dass sie bei bestehenden Meinungsverschiedenheiten aggressiv reagiere. Dies sei deutlicher Hinweis auf die eigene Meinungsbildung
und das Bedürfnis der Leistungsberechtigten, mitgestaltend einzugreifen. Die Assistenzkräfte hätten nicht ausschließlich pflegerische
Tätigkeiten verrichtet, sondern die Leistungsberechtigte bei allen Problemen des täglichen Lebens unterstützt. Die Klägerin
verbleibe bei ihrer Auffassung, dass alle Leistungen, die nicht der Grundpflege und der Hauswirtschaft im engeren Sinne zuzuordnen
seien - letztere hätten bei der Leistungsberechtigten unstreitig nicht ausgereicht -, als Maßnahmen der Eingliederungshilfe
anzusehen seien und daher in die sachliche Zuständigkeit des Beklagten fielen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 08.05.2015 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie 216.916,40 EUR zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Sozialgericht habe zutreffend entschieden, dass es sich bei den gegenüber der Leistungsberechtigten im streitigen Zeitraum
erbrachten Leistungen nicht um Eingliederungshilfe zum selbstständigen Wohnen gehandelt habe. Soweit die Klägerin darauf abstellen
wolle, die Assistenzkräfte hätten nicht ausschließlich pflegerische Tätigkeiten ausgeübt, sondern die Leistungsberechtigte
auch bei allen Problemen des täglichen Lebens unterstützt, sei dies auch im Rahmen der sozialhilferechtlichen Hilfe zur Pflege
abgedeckt. Denn diese beziehe sich nicht nur auf den reinen pflegerischen Bedarf, sondern schaffe auch die Möglichkeit des
Aufbaus sozialer Kontakte für den Pflegebedürftigen. Die Hilfe zur Pflege beinhalte Eingliederungs- und Teilhabeelemente,
ohne dass sie dadurch zur Eingliederungshilfe werde. Damit sei die Auffassung der Klägerin, dass alle Leistungen außerhalb
der Grundpflege und Hauswirtschaft im engeren Sinne solche der Eingliederungshilfe seien, nicht haltbar. Ebenso sei es keineswegs
fehlerhaft, sich auch hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit am Begriff des Betreuten Wohnens zu orientieren. Hierbei komme
es darauf an, ob die Hilfen eine finale Ausrichtung auf die Selbstbestimmtheit des Wohnens aufwiesen. Dies sei hier nicht
der Fall gewesen. Aufgrund der Schwere des Krankheitsbildes der Leistungsberechtigten sei diese auf die Anwesenheit der Assistenten
in Kombination mit dem Lebensgefährten und der Mutter rund um die Uhr angewiesen gewesen. Es habe eindeutig die Pflege im
Vordergrund gestanden und nicht etwa eine weitere Verselbstständigung im eigenen Wohnumfeld.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, beigezogene Kopien aus der Betreuungsakte
des Amtsgerichts Köln sowie die Verwaltungsvorgänge der Klägerin und des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben
vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, insbesondere statthafte (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes -
SGG) und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln ist unbegründet. Das Sozialgericht
hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil sie unbegründet ist. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Erstattungsanspruch
wegen im streitgegenständlichen Zeitraum erbrachter Leistungen der sozialhilferechtlichen Eingliederungshilfe zum Zwecke der
Ermöglichung selbständigen Wohnens der Leistungsberechtigten.
1.) Die Klägerin verfolgt ihr Begehren auf Erstattung zulässig mit der "echten" Leistungsklage nach §
54 Abs.
5 SGG. Denn die beteiligten Sozialhilfeträger stehen einander nicht in einem Verhältnis von Über- und Unterordnung, sondern in
einem Gleichordnungsverhältnis gegenüber. Aus diesem Grund schied eine Geltendmachung des (vermeintlichen) Erstattungsanspruchs
durch die Klägerin durch Verwaltungsakt aus (s. LSG NRW, Urt. v. 15.04.2013 - L 20 SO 453/11 -, [...] Rn. 60; vgl. auch BSG, Urt. v. 16.02.2012 - B 9 VG 1/10 R -, [...] Rn. 14), was ausweislich der an den Beklagten gerichteten Schreiben vom 31.08.2011, 16.07.2011 und 03.06.2013 auch
nicht der Fall gewesen ist. Die Klägerin hat ferner ihr Zahlungsbegehren konkret beziffert, was angesichts des abgeschlossenen
Leistungszeitraums (01.09.2011 bis 31.10.2013) auch erforderlich war (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 20.11.2008 - B 3 KR 25/07 R -, [...] Rn. 14).
2.) Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten aus keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt
einen Anspruch auf Erstattung ihrer im streitigen Zeitraum erbrachten Aufwendungen der Sozialhilfe.
a) Als Anspruchsgrundlage für das Erstattungsbegehren der Klägerin kommt nur §
14 Abs.
4 Satz 1
SGB IX in Betracht. Danach gilt: Wird nach Bewilligung der Leistung durch einen Rehabilitationsträger nach §
14 Abs.
1 Satz 2 bis 4
SGB IX festgestellt, dass ein anderer Rehabilitationsträger für die Leistung zuständig ist, erstattet dieser dem Rehabilitationsträger,
der die Leistung erbracht hat, dessen Aufwendungen nach den für diesen geltenden Rechtsvorschriften. §
14 Abs.
4 SGB IX normiert insbesondere mit seinem Verweis auf §
14 Abs.
1 Satz 2
SGB IX einen Erstattungsanspruch ausschließlich zu Gunsten des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers. Hier hat der beklagte Landschaftsverband
den bei ihm am 06.07.2011 gestellten Antrag der Leistungsberechtigten auf Gewährung von Sozialhilfe mit Schreiben vom 18.07.2011
und damit innerhalb von zwei Wochen an die nach seiner Auffassung zuständige Klägerin weitergeleitet. Der grundsätzlichen
Anwendbarkeit von §
14 Abs.
4 SGB IX steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte das Vorliegen von (in seine Zuständigkeit fallenden) Leistungen der Eingliederungshilfe
verneint hat und die Zuständigkeitsregelung des §
14 SGB IX nur für Leistungen zur Teilhabe gilt, die zwar die Eingliederungshilfe nach dem Sechsten Kapitel des SGB XII erfassen, nicht aber die Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII (vgl. hierzu SächsLSG, Beschl. v. 23.06.2015 - L 8 SO 8/15 B ER -, [...] Rn. 15). Für die Anwendung des §
14 Abs.
1 und
2 SGB IX genügt es, dass die Klägerin als kreisfreie Stadt ein Rehabilitationsträger i.S.d. §§
5 Nr. 4, 6 Nr. 7
SGB IX ist - was hier der Fall ist - und es sich insbesondere bei dem ursprünglichen Antrag der Leistungsberechtigten vom 06.07.2011
jedenfalls auch um einen Rehabilitationsantrag gehandelt hat (s. BSG, Urt. v. 25.09.2014 - B 8 SO 7/13 R -, [...] Rn. 19 f.). Nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung war der ursprüngliche Antrag
der Leistungsberechtigten zumindest auch als Rehabilitationsantrag auszulegen. Denn diese wollte offensichtlich nicht nur
Leistungen der Hilfe zur Pflege, sondern ausweislich der dem Antrag beigefügten Unterlagen, insbesondere des Basisbogens zur
individuellen Hilfeplanung des beklagten Landschaftsverbandes, Leistungen zur Teilhabe im Hinblick auf Hilfen zum selbstständigen
Wohnen erhalten. Entscheidungserheblich ist für die Anwendung des §
14 SGB IX hingegen nicht, ob die erbrachten Leistungen solche der Teilhabe waren (BSG, Urt. v. 25.09.2014 - B 8 SO 7/13 R -, [...] Rn. 20; vgl. auch BayLSG, Urt. v. 21.01.2016 - L 8 SO 235/14 -, [...] Rn. 33).
b) Der Beklagte war als überörtlicher Sozialhilfe- bzw. Rehabilitationsträger jedoch nicht für die der Leistungsberechtigten
im streitgegenständlichen Zeitraum erbrachten Hilfen sachlich zuständig. Zuständig war vielmehr allein die Klägerin als örtliche
Sozialhilfeträgerin.
Die sachliche Zuständigkeit des beklagten Landschaftsverbandes als überörtlichem Träger der Sozialhilfe bestimmt sich nach
§ 97 Abs. 2 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 des Landesausführungsgesetzes zum SGB XII - (AG-SGB XII NRW) i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AV-SGB XII NRW, letztere Regelung gültig bis 30.06.2016. Danach ist der überörtliche Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig für alle
Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII für behinderte Menschen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, außerhalb einer teilstationären oder stationären Einrichtung,
die mit dem Ziel geleistet werden sollen, selbstständiges Wohnen zu ermöglichen oder zu sichern; neben den Leistungen nach
§§ 53, 54 SGB XII umfasst die Zuständigkeit insbesondere auch die Hilfen nach §
55 Abs.
2 Nr.
3 bis 7
SGB IX und andere im Einzelfall notwendige Hilfen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel SGB XII, ohne die ein selbstständiges Wohnen nicht erreicht oder gesichert werden kann.
Diese Voraussetzungen liegen, wie das Sozialgericht zu Recht entschieden hat, nicht vor. Zwar gehörte die am 01.06.1967 geborene
Leistungsberechtigte im streitigen Zeitraum (01.09.2011 bis 31.10.2013) zum dem Grunde nach leistungsberechtigten Personenkreis
der Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 SGB XII, weil sie durch eine Behinderung i.S.d. §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX - bei ihr war im o.a. Zeitraum ein GdB von 100 mit den Merkzeichen G, aG, B, H und RF festgestellt - in ihrer Fähigkeit,
an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt war. Auch hatte sie das 18. Lebensjahr vollendet und wurde durch Familienangehörige
und Assistenzkräfte in der eigenen Wohnung ambulant versorgt. Es handelte sich jedoch nicht um Leistungen der Eingliederungshilfe
mit der Hauptzielrichtung, der Leistungsberechtigten "selbstständiges Wohnen zu ermöglichen oder zu sichern". Eindeutige Hauptzielrichtung
dieser Leistungen war vielmehr die Hilfe zur Pflege nach Maßgabe der §§ 61 ff. SGB XII.
aa) Der Begriff des "selbstständigen Wohnens" i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AV-SGB XII NRW kann nicht losgelöst von dem zu Grunde liegenden materiell-rechtlichen Vorschriften der Eingliederungshilfe im Zusammenhang
mit selbstbestimmtem Wohnen (§§ 53, 54 SGB XII i.V.m. §
55 Abs.
2 Nr.
6 SGB IX) ausgelegt werden. Dass der Landesgesetzgeber hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit des überörtlichen Sozialhilfeträgers
mit dem Begriff des "selbstständigen Wohnens" etwas anderes gemeint haben könnte als die entsprechenden materiell-rechtlichen
Vorgaben des Bundesrechts hinsichtlich der Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, ist nicht ersichtlich, so dass
auch dahingestellt bleiben kann, ob sich das Landesrecht bei einem eigenständigen Begriffsverständnis des "selbstständigen
Wohnens" überhaupt noch innerhalb der bundesgesetzlichen Ermächtigung nach § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII bewegen würde. Schon der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AV-SGB XII NRW knüpft erkennbar an die Leistung der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 SGB XII sowie Hilfen nach §
55 Abs.
2 Nummer
3 bis 7
SGB IX an, so dass hinsichtlich der Begriffsbestimmung des "selbstständigen Wohnens" insbesondere an §
55 Abs.
2 Nr.
6 SGB IX (Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten) angeknüpft werden kann (in diesem Sinne bereits Senat,
Urt. v. 28.05.2015 - L 9 SO 231/12 -, [...] Rn. 77 a.E.). Ähnlich wie bei der die örtliche Zuständigkeit betreffenden Regelung
des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB XII gebietet es bereits der sozialhilferechtliche Gesamtfallgrundsatz, unterschiedliche Zuständigkeiten der Sozialhilfeträger
auch und gerade im Interesse der Leistungsberechtigten zu verhindern. Folglich ist auch bei der sachlichen Zuständigkeit die
notwendige Abgrenzung zu den Hilfen zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII anhand der materiellen-rechtlichen Bestimmungen der Eingliederungshilfe, hier also in erster Linie an §
55 Abs.
2 Nr.
6 SGB IX, vorzunehmen. Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang auf ein im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegtes Schreiben
des Beklagten vom 25.11.2009 beruft, wonach die Zuständigkeit für die Gewährung von ambulanten Sozialhilfeleistungen an behinderte,
pflegebedürftige Personen, deren individueller Unterstützungsbedarf durch den Einsatz eines oder mehrerer persönlicher Assistenten
gedeckt wird, ab dem 01.01.2010 von der Klägerin in diejenige des Beklagten übergehen soll, folgt hieraus rechtlich nichts
Abweichendes. Abgesehen davon, dass bestimmten Vereinbarungen und Absprachen zwischen den Sozialleistungsträgern oder auch
nur einseitigen Zuständigkeitserklärungen keinerlei rechtliche Bindungswirkung, schon gar nicht für die Sozialgerichte, zukommt,
ist die o.a. Abgrenzung stets anhand des jeweiligen Einzelfalles vorzunehmen. Dass eine "abstrakte" Zuständigkeitserklärung
der Verwaltungsvereinfachung dienen mag, kann für die Abgrenzung zwischen Eingliederungshilfe einerseits und Hilfe zur Pflege
andererseits nicht das Entscheidende sein. Dies zeigt gerade der vorliegende Fall.
bb) Im Ausgangspunkt verfolgen Eingliederungshilfe (§§ 53 ff. SGB XII) und Hilfe zur Pflege unterschiedliche Zielrichtungen (§§ 61 ff. SGB XII). Mit der Hilfe zur Pflege wird nicht vornehmlich auf die Besserung des gesundheitlichen Zustandes, sondern vielmehr auf
die Erleichterung der Beschwerden zur Ermöglichung der erforderlichen Verrichtungen des Alltags abgestellt. Der behinderte
Mensch soll nicht an den Grunderfordernissen des täglichen Lebens scheitern. Demgegenüber hat die Eingliederungshilfe zum
Ziel, auf eine Integration des behinderten Menschen in die Gesellschaft hinzuwirken (jurisPK-SGB XII/Meßling, § 61 Rn. 16;
SächsLSG, Beschl. v. 23.06.2015 - L 8 SO 8/15 B ER -, [...] Rn. 15, jeweils m.w.N.). Es ist im Grundsatz auch zutreffend,
dass sich diese beiden Hilfearten nicht von vornherein gegenseitig ausschließen. So ist die Eingliederungshilfe ebenso offen
für pflegerische Gesichtspunkte (s. §§ 53 Abs. 3 Satz 2, 55 SGB XII), wie die Hilfe zur Pflege, insbesondere über die "anderen Verrichtungen" i.S.d. § 61 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, auch Elemente der Eingliederungshilfe enthält, etwa Hilfen zur Wahrnehmung von Tätigkeiten, die der Sicherung sozialer Bereiche
des Lebens dienen, also etwa Kommunikation, Bildung und Freizeit (jurisPK-SGB XII/Meßling, § 61 Rn. 17, 20; SächsLSG, Beschl.
v. 23.06.2015 - L 8 SO 8/15 B ER -, [...] Rn. 15). Da sich vorliegend eine sachliche Zuständigkeit des Beklagten jedoch nur
bei Leistungen der Eingliederungshilfe zur Ermöglichung oder Sicherung des selbstständigen Wohnens ergeben kann, muss sich
die notwendige Abgrenzung "bereichsschärfer", hier also in erster Linie an §
55 Abs.
2 Nr.
6 SGB IX orientieren (s.o.). Hierzu hat der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des BSG bereits mehrfach entschieden, dass es sich bei der Betreuung in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten der Art nach
nicht um eine vorwiegend medizinische oder pflegerische Betreuung handeln darf, sondern dass Hauptzielrichtung der Leistungen
die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sein muss (BSG, Urt. v. 28.08.2011 - B 8 SO 7/10 R -, [...] Rn. 15; Senat, Urt. v. 25.06.2015 - L 9 SO 24/13 -, [...] Rn. 67 ff.; Senat,
Urt. v. 18.02.2016 - L 9 SO 153/14 - n.v.). Entscheidend ist also das Ziel der Hilfe, das beim ambulant-betreuten Wohnen umfassend
in der Verselbstständigung der Lebensführung des behinderten Menschen in seinem eigenen Wohn- und Lebensumfeld zu sehen ist.
Nach Auffassung des BSG ist hierbei ein "weites Verständnis" geboten, so dass Leistungen des ambulant-betreuten Wohnens nicht auf unmittelbar wohnungsbezogene
Hilfen, z.B. Hilfe zum Sauberhalten der Wohnung, beschränkt werden können. Der behinderte Mensch soll vielmehr dazu befähigt
werden, alle wichtigen Alltagsverrichtungen in seinem Wohn- und Lebensbereich möglichst selbständig vorzunehmen. Es genügt
danach mithin, ist aber auch erforderlich, dass durch die geleistete Hilfe das selbstständige Leben und Wohnen ermöglicht
werden soll, in dem z.B. einer Isolation bzw. Verwahrlosung, einer relevanten psychischen Beeinträchtigung oder einer stationären
Unterbringung entgegengewirkt wird, die mit einer Übernahme der Gesamtverantwortung für die gesamte Lebensführung des behinderten
Menschen durch die Einrichtung einhergeht, damit der behinderte Mensch durch den Verbleib in der eigenen Wohnung einen Freiraum
für die individuelle Gestaltung seiner Lebensführung erhält (so jetzt BSG, Urt. v. 30.06.2016 - B 8 SO 7/15 R -, [...] Rn. 19).
cc) Ob angesichts dieser Ausführungen an der bisherigen Rechtsprechung des Senats, wonach Leistungen des Betreuten Wohnens
wohnungsbezogen und final auf die Selbstständigkeit "beim Wohnen" und im Wohnumfeld ausgerichtet sein müssen (s. Senat, Urt.
v. 28.05.2015 - L 9 SO 231/12 -, [...] Rn. 77 f. im Anschluss an LSG NRW, Urt. v. 22.12.2014 - L 20 SO 236/13 -, [...] Rn.
61, 65) festgehalten werden kann, kann für den vorliegenden Fall dahinstehen, da selbst bei Zugrundelegung dieser möglicherweise
"weicheren" Kriterien unter Würdigung des gesamten Akteninhalts eine für die Abgrenzung zur Hilfe zur Pflege nach wie vor
einzufordernde Hauptzielrichtung der gegenüber der Leistungsberechtigten im streitigen Zeitraum erbrachten Leistungen im Sinne
von Hilfen zur Ermöglichung oder Sicherung selbstständigen Wohnens nicht einmal ansatzweise zur Überzeugung des Senats festgestellt
werden kann. Im Gegenteil lag hier der eindeutige, beinahe ausschließliche Schwerpunkt dieser Leistungen auf der Hilfe zur
Pflege.
So weisen sämtliche medizinischen und sonstigen Unterlagen, beginnend mit dem die Pflegestufe III feststellenden Pflegegutachten
vom 25.02.2011, den Hilfeplänen der Klägerin zur Sicherstellung der häuslichen Pflege vom 22.08.2011, 20.12.2011, 25.06.2012
und 04.01.2013 sowie den beigezogenen Unterlagen bzw. Berichten im Rahmen des Betreuungsverfahrens bei dem Amtsgericht Köln
auf, dass bei der Leistungsberechtigten von Beginn an eine 24-Stunden-Pflege und damit eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch
Übernahme fast aller täglich wiederkehrenden Verrichtungen bei nahezu völliger Immobilität erforderlich gewesen ist. Dies
ist angesichts der schwersten Gesundheitsstörungen, die die Leistungsberechtigte vor dem Sturz vom Pferd oder als Folge ihres
Reitunfalls erlitten hat (Schweres Schädel-Hirn-Trauma und Hirnstammblutung und hirnorganisches Psychosyndrom) einleuchtend.
Auf Grund dieser Erkrankungen war die Leistungsberechtigte zu keinem Zeitpunkt innerhalb des streitigen Leistungszeitraums
in der Lage zu sprechen. Vielmehr konnte sie sich nur nonverbal über diverse Hilfsmittel und Gesten wie Blickkontakt und Handbewegungen
auszudrücken. Ob die Leistungsberechtigte hiermit in der Lage gewesen ist, ihre Wünsche kundzutun und damit den Willen zum
Ausdruck zu bringen, ihre täglichen Belange mit zu gestalten - so die Auffassung der Klägerin - ist angesichts des Berichts
der Verfahrenspflegerin im Betreuungsverfahren (dazu unten) sehr zweifelhaft. Selbst wenn, ändert dies aber nichts daran,
dass sie völlig hilflos war und auch niemals nur andeutungsweise in der Lage gewesen wäre, ein selbstbestimmtes Leben in ihrem
eigenen Wohnumfeld zu führen. So wurden nach dem Bericht der Rehabilitationsklinik (S) L vom 23.02.2011 über die stationäre
Behandlung der Leistungsberechtigten die Angehörigen, insbesondere die Mutter und der Lebenspartner der Leistungsberechtigten,
ausdrücklich darauf hingewiesen, "dass in Anbetracht aller [ ] geschilderten Probleme eine poststationäre Versorgung in der
Wohnung der Pat. [ ] riskant bzw. unter den gegebenen Umständen nicht vertretbar ist, zumal die Patientin dort (abgesehen
vom ambulanten Pflegedienst) vorwiegend vom berufstätigen Lebenspartner versorgt werden soll mit punktueller Unterstützung
der Mutter. Wir haben stattdessen die Versorgung in einer Pflegeeinrichtung empfohlen". Auch hat die Klägerin nach Aktenlage
selbst frühzeitig die Erforderlichkeit einer vollstationären pflegerischen Versorgung der Leistungsberechtigten erwogen, dementsprechend
den Antrag auf Bewilligung eines persönlichen Budgets zunächst abgelehnt und ist hiervon nur angesichts des entgegenstehenden
Willens der Leistungsberechtigten und ihrer Familie trotz angespannter häuslicher Versorgungssituation sowie ausdrücklich
ohne Ausräumung der vom eigenen sozialmedizinischen Dienst der Klägerin formulierten "fachlichen Bedenken" abgerückt (s. Hilfeplan
zur Sicherung der häuslichen Pflege vom 20.12.2011, S. 8). Allein die Motivation, ein Höchstmaß an selbstbestimmten Leben
zu erreichen (und mehr war es in der Gesamtschau der aktenkundigen Unterlagen schlichtweg nicht), macht die gewährten Leistungen
jedoch noch nicht zu solchen der Erreichung und Sicherung selbstbestimmten Wohnens (so schon Senat, Urt. v. 18.02.2016 - L
9 SO 153/14 - n.v.). In diesem Zusammenhang ist es auch bezeichnend, dass sich die eigenen, o.a. Hilfepläne der Klägerin fast
ausschließlich mit der Sicherstellung der häuslichen Pflege durch die Mutter und den Lebensgefährten sowie die eingesetzten
Assistenzkräfte befassen, der Punkt "Hilfe zum selbstständigen Wohnen/Eingliederungshilfe" jedoch lediglich im Hilfeplan vom
22.08.2011 und noch nicht mal einer ganzen Seite auftaucht (s. Bl. 53 VA Klägerin). Schon dies zeigt bildlich auf, welche
fast ausschließliche Zielrichtung die der Leistungsberechtigten gewährten Hilfen gehabt haben, nämlich die Sicherung der alltäglichen
Verrichtungen im Rahmen der Hilfe zur Pflege.
Entgegen den Andeutungen der Klägerin haben sich nämlich insbesondere auch die kognitiven Fähigkeiten der Leistungsberechtigten,
die sie überhaupt erst in die Lage versetzt hätten, einen Freiraum für die individuelle Lebensgestaltung im eigenen Wohnumfeld
zu erzielen, im Leistungszeitraum keineswegs verbessert. So hat das Sozialgericht zutreffend auf einen Bericht der als Verfahrenspflegerin
im Betreuungsverfahren eingesetzten Rechtsanwältin Frau F vom 09.12.2013 hingewiesen, wonach eine Verständigung mit der Leistungsberechtigten
nicht möglich und es offensichtlich gewesen sei, dass diese den Sinngehalt der an sie gerichteten Fragen nicht erfassen könne.
Dementsprechend war auch eine ambulante Betreuung im häuslichen Umfeld nicht mehr möglich, so dass sie ab dem 24.09.2013 in
stationäre Vollzeitpflege aufgenommen werden musste.
Soweit die Klägerin im Rahmen ihres Berufungsvorbringens geltend macht, dass die Leistungsberechtigte ihre Bedürfnisse und
Wünsche auch hinsichtlich der "Freizeitgestaltung, der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und der Gestaltung sozialer Beziehungen"
nonverbal klar zum Ausdruck gebracht habe, ihr die Beziehungen zum Sohn und zur Lebensgefährten besonders wichtig seien und
in diesem Zusammenhang auch auf den aktenkundigen Hilfeplan des Beklagten, der bereits der ursprünglichen Antragstellung zu
Grunde gelegen hat, hinweist, führt auch dies nicht weiter. Wie bereits erwähnt, macht eine besondere Motivation, ein Höchstmaß
an selbstbestimmtem Leben zu erreichen, die gewährten Leistungen noch nicht zu solchen der Ermöglichung bzw. Sicherung selbstbestimmten
Wohnens. Hinsichtlich der Pflege der Beziehungen zu Familienangehörigen ist darauf hinzuweisen, dass es sich hierbei schon
nicht um einen spezifischen Eingliederungshilfebedarf i.S.d. §§ 53, 54 SGB XII handelt (s. bereits Senat, Urt. v. 28.05.2015 - L 9 SO 303/13 -, [...] Rn. 42). Auch die geplante Freizeitgestaltung ("Einkäufe,
Begleitung zu Konzerten, Theater oder Kino") hatte, soweit sie denn überhaupt stattgefunden hat, was jedenfalls aus den aktenkundigen
Hilfeplänen im streitigen Zeitraum nicht hervorgeht und selbst von der Klägerin nicht behauptet wird, eine gegenüber der permanenten
Sicherstellung des Pflegebedarfs weit untergeordnete, geradezu zu vernachlässigende Bedeutung und vermag eine erforderliche
Hauptzielrichtung im Hinblick auf die Sicherstellung selbstständigen Wohnens nicht einmal ansatzweise zu begründen. Gleiches
gilt im Übrigen für die aktenkundige Zielvereinbarung für ein Persönliches Budget aus dem Jahr 2011, wo es zwar heißt, dass
die Budgetnehmerin u.a. Leistungen der Eingliederungshilfe in Anspruch nimmt und es Ziel des Persönlichen Budgets sei, der
Budgetnehmerin in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben und die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft
zu ermöglichen. Eine Konkretisierung dergestalt, durch welche genauen Hilfeleistungen dieses selbstbestimmte Leben überhaupt
ermöglicht werden sollte, fehlt jedoch in dieser Zielvereinbarung, so dass auch diese für eine Hauptzielrichtung hinsichtlich
der Ermöglichung selbstbestimmten Wohnens nichts hergibt.
4.) Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 3 Satz 1, 63 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes - (GKG).
5.) Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG) bestehen nicht.