Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht einer Klage
Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag nach Ablauf der Frist für eine Rücknahmefiktion
Wegfall des Rechtsschutzinteresses nach einer Betreibensaufforderung
Gründe
Die zulässige, insbesondere fristgerecht am 11.05.2018 eingelegte Beschwerde des Klägers gegen den ihm am 26.04.2018 zugestellten
Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 19.04.2018 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt,
dem Kläger für das Klageverfahren gegen den Bescheid des Beklagten vom 13.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchbescheides
vom 27.04.2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
1.) Gemäß §
73a Abs.
1 Satz 1 des
Sozialgerichtsgesetzes - (
SGG) i.V.m. §§
114 ff. der
Zivilprozessordnung - (
ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder
Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist
dann gegeben, wenn - bei summarischer Prüfung - eine gewisse Möglichkeit des Obsiegens in der Hauptsache - auch im Sinne eines
Teilerfolges - besteht (B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
73a Rn. 7 ff., m.w.N.).
a) Die hinreichende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs lässt sich allerdings nicht schon deswegen verneinen, weil das Sozialgericht
den Standpunkt vertreten hat, dass das Verfahren aufgrund der Rücknahmefiktion des §
102 Abs.
2 Satz 1
SGG beendet sei und eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe deshalb nicht (mehr) in Betracht komme. Die Entscheidung über den
Prozesskostenhilfeantrag erst nach Ablauf der Frist des §
102 Abs.
2 Satz 1
SGG (hier: 22.03.2018) verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör. Vor der Entscheidung über einen Prozesskostenhilfeantrag
kann einem Beteiligten bereits das Betreiben des Gerichtsverfahrens nicht aufgegeben werden (LSG NRW, Beschl. v. 08.11.2013
- L 19 AS 1186/13 B -, juris Rn. 21; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.04.2013 - L 5 KR 605/12 -, juris Rn. 34). Im Hinblick auf die Funktion der Prozesskostenhilfe, den rechtsstaatlich gebotenen Rechtsschutz auch für
nicht bemittelte Kläger zu gewährleisten, ist es ferner grundsätzlich nicht zulässig, das Hauptsacheverfahren abzuschließen,
ohne zuvor über einen entscheidungsreifen Prozesskostenhilfeantrag zu entscheiden. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf die
Anwendung der Vorschriften über die Klagerücknahmefiktion (LSG NRW, Beschl. v. 08.11.2013 - L 19 AS 1186/13 B -, juris Rn. 21; LSG NRW, Beschl. v. 30.11.2015 - L 19 AS 1912/15 B -, juris Rn. 3; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.04.2013 - L 5 KR 605/12 -, juris Rn. 34).
Ist der Prozesskostenhilfeantrag noch nicht bewilligungsreif, muss ggf. zuerst eine Frist zur Glaubhaftmachung der Angaben
über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, Substantiierung des Prozesskostenhilfeantrages oder Beantwortung
bestimmter Fragen gesetzt werden; erst bei fruchtlosem Verstreichen dieser Frist kann sodann der Prozesskostenhilfeantrag
abgelehnt (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
118 Abs.
2 Satz 4
ZPO).
b) Hier spricht bereits alles gegen die Annahme des Sozialgerichts, das Rechtsschutzinteresse des Klägers sei weggefallen.
Da die Rücknahmefiktion aufgrund ihrer möglicherweise irreversiblen Folgen (insbesondere Bestandskraft der angefochtenen behördlichen
Entscheidung) in das Recht auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art.
19 Abs.
4 GG bzw. die entsprechenden, im Einzelfall betroffenen materiellen Grundrechte eingreift, kann das Vorliegen der Voraussetzungen
des §
102 Abs.
2 Satz 1
SGG nur unter einer strikten Einzelfallbetrachtung angenommen werden. So darf ein Gericht im Einzelfall erst dann von einem Wegfall
des Rechtsschutzbedürfnisses ausgehen, wenn das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm
an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist. Für eine Betreibensaufforderung genügt nicht jegliches Unterlassen einer
Mitwirkungshandlung, vielmehr ist nur das Unterlassen solcher Mitwirkungshandlungen erheblich, die für die Feststellung entscheidungserheblicher
Tatsachen bedeutsam und nach der Rechtsansicht des Gerichts notwendig sind, um den Sachverhalt zur Entscheidungsreife aufzuklären.
Damit nimmt der Gesetzgeber insoweit auf die sich aus §
103 SGG ergebenden Mitwirkungspflichten Bezug. §
102 Abs.
2 SGG dient damit nicht der Sanktionierung eines Verstoßes gegen prozessuale Mitwirkungspflichten oder des unkooperativen Verhaltens
eines Beteiligten. Die Rücknahmefiktion soll die Voraussetzung für die Annahme eines weggefallenen Rechtsschutzinteresses
festlegen und gesetzlich legitimieren (s. zum Vorstehenden BVerfG, Beschl. v. 17.09.2012 - 1 BvR 2254/11; BSG, Urt. v. 01.07.2010 - B 13 R 74/09 R; LSG NRW, Beschl. v. 30.11.2015 - L 19 AS 1912/15 B -, juris Rn. 5).
Für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses fehlen angesichts dessen die Grundlagen. So enthält bereits die Klageschrift
vom 04.05.2017 eine, wenn auch knappe, Begründung, soweit der Kläger ausgeführt hat, der Beklagte habe den Widerspruch nicht
mit der Begründung zurückweisen dürfen, er sei für Leistungen nach § 67 SGB XII nicht zuständig. Sein - des Klägers - Antrag hätte gemäß §
16 Abs.
1 SGB I weitergeleitet werden müssen. Auch hat der Kläger auf seine ursprüngliche Widerspruchsbegründung (s. Schreiben vom 14.02.2017)
Bezug genommen. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger nach Auffassung des Sozialgerichts die Klage nicht näher begründet
hat. Hierfür reicht eine fehlende Klagebegründung, die gemäß §
92 Abs.
1 Satz 3
SGG nicht zu den zwingend vorgeschriebenen Inhalten einer Klageschrift gehört, als solche nicht aus (s. nur LSG NRW, Beschl.
v. 22.01.2016 - L 19 AS 1863/15 B -, juris Rn. 16 m.w.N.).
Der Kläger hat ferner mit Schriftsatz vom 20.06.2017 eine formgerechte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse (§
117 ZPO) vorgelegt, dem insbesondere der Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 13.02.2017 über Leistungen des notwendigen Lebensunterhalts
in Einrichtungen gemäß § 27b SGB XII beigefügt gewesen ist. Weiterhin hat der Kläger auf die Betreibensaufforderung des Sozialgerichts vom 13.12.2017 mit Schriftsatz
vom 27.12.2017 reagiert und Akteneinsicht beantragt, die ihm auch von Seiten des Sozialgerichts gewährt worden ist. Auch resultierten
die eingetretenen Verzögerungen zumindest auch aus organisatorischen Problemen infolge des Ausscheidens des Prozessbevollmächtigten
des Klägers aus der Sozietät, welcher er im Zeitpunkt der Klageerhebung noch angehört hatte. Aus dieser Gemengelage heraus
ist es bei Anwendung der o.a. verfassungsgerichtlichen und höchstrichterlichen Grundsätze zur Klagerücknahmefiktion ohne Weiteres
ersichtlich gewesen, dass das Rechtsschutzinteresse des Klägers nicht weggefallen war. Damit ist der Antrag mit dem Eingang
des Schriftsatzes vom 20.6.2017 bei dem Sozialgericht am 23.06.2017 bereits entscheidungsreif gewesen.
c) Das Sozialgericht hat dem Kläger im Ergebnis jedoch zu Recht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe versagt, da die Klage
im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs keine hinreichende Erfolgsaussicht i.S.d. §
114 ZPO geboten hat. Denn eine (fortdauernde) Beschwer des Klägers ist durch den angegriffenen Bescheid des Beklagten vom 13.02.2017
in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 27.04.2017 nicht ersichtlich. Hinsichtlich der noch im Widerspruchsverfahren
von dem Kläger monierten Einkommensanrechnung bezüglich des gezahlten Kindergeldes sowie der übernommenen Beiträge zur Kranken-
und Pflegeversicherung im Rahmen der bewilligten Leistungen für den notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen gemäß § 27b SGB XII ab dem 01.12.2016 nimmt der Senat auf den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 27.04.2017 Bezug, den er für zutreffend
hält. Soweit der Kläger ausweislich seiner Klagebegründung u.a. nur seine Einwände gegen die fehlende Übernahme von Mietkosten
sowie Räumungskosten der vor stationärer Unterbringung innegehaltenen Wohnung aufrecht erhalten hat, fehlte es seinem Begehren
ungeachtet der Rechtsfrage, ob solche Kosten als weiterer notwendiger Lebensunterhalt i.S.d. § 27b Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB XII angesehen werden können (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 15.11.2012 - B 8 SO 25/11 R -, juris Rn. 14 ff.), an einer Beschwer. Denn die Stadt T hat ausweislich einer aktenkundigen
E-Mail vom 29.03.2017 dem Betreuer des Klägers zugesichert, "die Kosten für das anzumietende Fahrzeug zum Transport der aus
der Wohnung des Herrn E von privater Seite geräumten Möbel und persönlichen Gegenstände seitens der Abteilung Soziales der
Stadt T gemäß § 67 i.V.m. § 68 SGB XII" zu übernehmen. Dass die entsprechenden und etwaige vom Kläger angemahnte weitere Kosten von Seiten der Stadt T dennoch nicht
übernommen worden sind, ist nicht ersichtlich und von dem Kläger insbesondere nicht geltend gemacht worden. Da es sich lediglich
um einmalige Bedarfe gehandelt hat, beschwert es den Kläger auch insoweit nicht, dass diese von dem Beklagten im angegriffenen
Bewilligungsbescheid nicht übernommen worden sind, da es deswegen nicht zu einer fortdauernden Bedarfsunterdeckung während
der stationären Unterbringung des Klägers (bis März 2018) gekommen sein kann.
2.) Die Kostenentscheidung beruht auf §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
127 Abs.
4 ZPO.
3.) Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar, §
177 SGG.