Berücksichtigung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung im Rahmen von SGB-XII-Leistungen
Laktoseintoleranz und Glutenunverträglichkeit
Voraussetzung für die Gewährung eines Mehrbedarfes
Amtsermittlungspflicht
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über höhere Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes
Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung für die Zeit vom 01.09.2013 bis 11.01.2016.
Die am 00.00.1948 geborene Klägerin beantragte am 10.06.2013 bei der Beklagten wegen Vollendung des 65. Lebensjahres Leistungen
der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Gleichzeitig stellte sie einen Antrag auf (weitere) Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung. Zuvor
hatte sie vom Jobcenter (bis 31.08.2013) einen entsprechenden Mehrbedarf von 20% des Eckregelsatzes erhalten. Zur Begründung
führte sie unter Beifügung einer Stellungnahme ihres behandelnden Facharztes für Allgemeinmedizin sowie diverser medizinischer
Unterlagen aus, dass sie an einer Laktoseintoleranz und Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) leide.
Nach Einholung einer amtsärztlichen Stellungnahme lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 07.08.2013 ab. Die Laktoseintoleranz
bedinge keine besondere Ernährung, die mit Mehrkosten verbunden sei. Die Diagnose einer Zöliakie sei nach den vorliegenden
Befunden immunologisch nicht gesichert. Mit Bescheid vom 08.08.2013 bewilligte die Beklagte der Klägerin zusammen mit ihrem
Ehemann, der im langjährigen Leistungsbezug bei der Beklagten stand, sodann Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ohne Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung für den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 31.05.2014. Hinsichtlich
der Ablehnung der Gewährung des Mehrbedarfs nahm die Beklagte auf den "separat beigefügten Bescheid" Bezug.
Die Klägerin legte gegen beide Bescheide am 21.08.2013 mit der Begründung Widerspruch ein, dass die Voraussetzungen für die
Gewährung eines Mehrbedarfes für kostenaufwändige Ernährung aufgrund der bei ihr gesicherten Diagnosen Sprue sowie Laktoseintoleranz
vorlägen. Dies ergebe sich aus den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen.
Nach Einholung einer weiteren ärztlichen Stellungnahme ihres Gesundheitsamtes wies die Beklagte die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid
vom 17.12.2013 als unbegründet zurück. Es könne nicht von einer gesicherten Diagnose der Zöliakie ausgegangen werden. Die
Klägerin leide zwar an einer Laktoseintoleranz, für die sich jedoch keine Mehrkosten feststellen ließen. Den Betroffenen könne
zugemutet werden, auf gewisse Milchprodukte zu verzichten. Durch den Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung müsse nicht
sichergestellt werden, dass jemand umfassend für diejenigen Produkte, welche er krankheitsbedingt nicht verzehren könne, Ersatzprodukte
erwerben könne. Ggf. müsse der Hilfebedürftige auf diese Produkte verzichten. Die Gewährung eines Mehrbedarfs sei erst dann
angezeigt, wenn ohne (teurere) Ersatzprodukte gesundheitliche Einschränkungen drohten oder aber keine ausreichende Auswahl
an Alternativprodukten zur Verfügung stehe.
Nachdem der Bevollmächtigte der Klägerin mit zwei an die Beklagte gerichteten Faxen vom 11.04.2014 an die Bescheidung der
Widersprüche vom 21.08.2013 erinnerte, veranlasste die Beklagte am 28.04.2014 die - erneute - Zustellung des Widerspruchsbescheides
vom 17.12.2013, der dem Bevollmächtigen (mit dem falschen Datum "28.04.2013" versehen) am 30.04.2014 zuging.
Die Klägerin hat hiergegen am 09.05.2014 Klage bei dem Sozialgericht Düsseldorf erhoben und zur Begründung unter Einreichung
diverser medizinischer Unterlagen, eines Ernährungstagebuchs für Mai 2014 sowie Kaufbelegen ausgeführt, dass sie an Laktoseintoleranz
leide. Die Ernährung mit laktosefreien Produkten sei auch mit Mehrkosten verbunden. Laktosefreie Milchprodukte seien teurer
als die üblichen laktosehaltigen Produkte. Dies ergebe sich aus einer - mit eingereichten - Studie des Instituts für Ernährungswissenschaft
und Verbrauchslehre der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, in der die Preise von laktosehaltigen Lebensmitteln mit denen
der laktosefreien Varianten verglichen würden. Zudem leide sie an Glutenunverträglichkeit und habe auch insofern eine von
ihrem Arzt verschriebene Diät einzuhalten. Auch diese sei mit Mehrkosten verbunden. Zwar ergebe sich nach der zwischenzeitlich
ergangenen Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. T vom 12.08.2016, dass nach den neuesten Untersuchungen das Vorliegen
einer Zöliakie bei ihr ausgeschlossen werden könne. Es ergäben sich jedoch Hinweise auf eine Glutensensitivität. Die therapeutischen
Konsequenzen der Zöliakie und der Glutensensitivität seien dieselben, da beide die Einhaltung einer strengen glutenfreien
Kost erfordern würden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.08.2013 und unter Abänderung des Bescheides vom 08.08.2013, beide in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2013 (richtig 17.12.2013), zu verurteilen, ihr höhere Leistungen der Grundsicherung nach
dem SGB XII unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 20% des Eckregelsatzes für die Zeit
von September 2013 bis Januar 2016 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung seien bei der Klägerin nicht gegeben.
Zwar leide sie unter Laktoseintoleranz. Diese sei jedoch durch eine Veränderung der Lebensgewohnheiten und das Weglassen bestimmter
Milchprodukte zu therapieren. Mehrkosten entstünden der Klägerin hierdurch nicht. Die Notwendigkeit des Erwerbs teurerer laktosefreier
Lebensmittel könne nicht bestätigt werden. Durch das Weglassen von gewissen Milchprodukten drohten der Klägerin auch keine
gesundheitlichen Einschränkungen. Ein Mehrbedarf wegen Zöliakie käme ebenfalls nicht in Betracht, da die Diagnose der Zöliakie
nicht als zweifelsfrei gesichert anzusehen sei.
Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.
Sodann hat es Beweis durch Einholung eines schriftlichen internistischen Sachverständigengutachtens des Facharztes für Innere
Medizin Dr. P erhoben, welches dieser aufgrund ambulanter Untersuchung der Klägerin am 23.11.2015 erstellt hat. Zuvor hat
es mit Beschluss vom 02.10.2015 ein Befangenheitsgesuch der Klägerin gegen den Sachverständigen zurückgewiesen. Auf den Inhalt
des Gutachtens (Bl. 128 ff. GA) wie auch der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen vom 15.01.2016 (Bl. 189 ff. GA)
auf Einwendungen der Klägerin gegen das Gutachten wird Bezug genommen. Ferner hat die Klägerin eine Stellungnahme des behandelnden
Arztes und Allergologen Dr. T vom 12.08.2016 eingereicht.
Die Beklagte hat mit weiterem Bescheid vom 17.02.2016 einen erneuten, am 11.01.2016 gestellten Antrag der Klägerin auf Gewährung
eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung abgelehnt.
Mit Urteil vom 26.08.2016 hat das Sozialgericht der Klage insoweit stattgegeben, als es die Beklagte unter Aufhebung bzw.
Abänderung der angegriffenen Bescheide verurteilt hat, "der Klägerin höhere Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 10% des Eckregelsatzes für die Zeit
von September 2013 bis Januar 2016 zu zahlen". Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen das
Folgende ausgeführt:
Die zulässige Klage sei im tenorierten Umfang begründet, die angegriffenen Bescheide der Beklagten teilweise rechtswidrig.
Der Klägerin stehe der geltend gemachte Mehrbedarf i.H.v. 10% des Eckregelsatzes zu. Der Streitgegenstand, welcher zulässigerweise
von der Klägerin inhaltlich auf die Frage begrenzt worden sei, ob ihr ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung zustehe,
erstrecke sich in zeitlicher Hinsicht auf den Zeitraum vom 01.09.2013 bis 11.01.2016. Die Beklagte habe mit Bescheid vom 17.02.2016
einen neuerlichen Ablehnungsbescheid für den Zeitraum ab erneuter Antragstellung (11.01.2016) erlassen. Dieser zwischenzeitlich
ergangene neue Bescheid führe für den von ihm betroffenen Zeitraum zu einer Erledigung des früheren Ablehnungsbescheides nach
§ 39 Abs. 2 SGB X.
Die Voraussetzung für die Gewährung eines Mehrbedarfes nach § 30 Abs. 5 SGB XII lägen vor. Die Klägerin leide an einer Erkrankung, die aus medizinischen Gründen eine kostenaufwändige Ernährung erfordere.
Insoweit werde auf das internistische Sachverständigengutachten des Dr. P Bezug genommen. Aus diesem ergebe sich - in Übereinstimmung
mit den zuvor eingeholten Befundberichten der behandelnden Ärzte -, dass die Klägerin an einer Laktoseintoleranz leide und
den Laktose-Gehalt ihrer Nahrung reduzieren müsse. Das Gericht gehe davon aus, dass die bei der Klägerin vorliegende Laktoseintoleranz
eine kostenaufwändige Ernährung erforderlich mache, die mit einer diätetischen Vollkost nicht ausreichend gewährleistet sei.
Sie habe im streitgegenständlichen Zeitraum eine laktosefreie Diät eingehalten und entsprechende Mehrkosten gehabt, wie die
zu den Akten gereichten Kaufbelege ergäben. Auch seien diese Mehrkosten als notwendig anzuerkennen. Insofern folge die Kammer
nicht den Ausführungen des Sachverständigen Dr. P. Dieser habe in seinem Gutachten das Weglassen bestimmter Milchprodukte
empfohlen und dargelegt, dass die Klägerin insoweit auch keine gesundheitlichen Einschränkungen befürchten brauche. Die bei
ihr vorhandene Laktoseintoleranz erfordere zwar eine Reduktion des Laktose-Gehaltes in der Nahrung, eine vollständig laktosefreie
Diät sei für die Klägerin dagegen nicht von Nöten. So vertrage sie weiterhin bestimmte Milchprodukte, nämlich solche, bei
denen der Milchzucker während des Reifungsprozesses weitgehend abgebaut werde, z.B. Hartkäse. Durch das Weglassen von Milchprodukten
sei ein Calciummangel nicht zu erwarten, da Calcium auch in vielen anderen Speisen (z.B. Gemüse) vorkomme. Diese von dem Sachverständigen
empfohlene Ernährungsform entspreche den Empfehlungen des Deutschen Vereins. Auch diese sähen keine spezielle Diät bei Laktoseintoleranz
vor. Die ernährungsmedizinische Behandlung bestehe im Meiden von Nahrungsmitteln, die nicht vertragen würden. Die Deckung
des Calciumsbedarfs sei insbesondere durch den Verzehr von Milchprodukten möglich, die von Natur aus sehr geringe Mengen an
Laktose enthielten. Eine kostenaufwändige Ernährung sei damit in der Regel nicht erforderlich.
Die Kammer könne sich dem nicht anschließen und lehne die Auffassung, der Laktasemangel könne ohne Mehrbedarf durch schlichten
Verzicht auf Milchprodukte vermieden werden, ab. Erst ein Mehrbedarf i.H.v. 10% des Eckregelsatzes biete der Klägerin die
Möglichkeit, die Ernährung auch mit erforderlichen Milchprodukten zu gewährleisten, welche den üblichen Ernährungsgewohnheiten
entsprächen.
Dem Anspruch der Klägerin auf den hier zugesprochenen Mehrbedarf stehe auch nicht entgegen, dass es sich vorliegend um eine
rückwirkende Bewilligung handele. Trotz des Tatbestandsmerkmals der Angemessenheit des Mehrbedarfes könne ausnahmsweise auf
die objektive Bedarfslage abgestellt werden, ohne dass es einer tatsächlichen Umsetzung der erforderlichen kostenintensiven
Ernährung bedürfe. Entscheidend sei insofern nur der objektive Bedarf und die subjektive Kenntnis davon, die tatsächliche
Einhaltung einer besonderen Ernährung sei dagegen keine Voraussetzung. Zwar könne bei einer nachträglichen Gewährung des Mehrbedarfs
dessen Zweck nicht mehr erreicht werden, da die besondere Ernährung für diesen Zeitraum nicht mehr nachholbar sei. In den
Fällen jedoch, bei denen im Klageverfahren nachträglich die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Gewährung des Mehrbedarfs
bestätigt würden, müsse eine nachträgliche Bewilligung unter dem Gesichtspunkt des Gebots des effektiven Rechtsschutzes, dem
insoweit der Vorrang zukomme, möglich sein.
Demgegenüber komme die Gewährung eines Mehrbedarfs auch für die Glutenunverträglichkeit nicht in Betracht. Nach dem Ergebnis
der Beweisaufnahme stehe nicht fest, dass die Klägerin an einer Zöliakie leide. Insofern werde den Ausführungen des Sachverständigen
Dr. P gefolgt. Dieser sei in Übereinstimmung mit dem Befundberichten der behandelnden Ärzte zu dem Ergebnis gelangt, dass
die vorliegenden objektiven Befunde das Vorliegen einer Sprue nicht nachgewiesen hätten. Auch der behandelnde Arzt Dr. T habe
in seinen Stellungnahmen vom 01.12.2014 und 12.08.2016 das Vorliegen einer Zöliakie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen. Auch wenn die Klägerin die Auffassung vertrete, dass bei ihr zumindest eine Glutensensitivität vorliege, könne
dies die Gewährung eines Mehrbedarfs nicht rechtfertigen. Aus der Stellungnahme von Dr. T ergäben sich keine objektiven Befunde,
die diese Annahme stützten. Vielmehr würden die Untersuchungsergebnisse von diesem lediglich als ein Hinweis auf eine Glutensensitivität
interpretiert. Jedenfalls für den hier gegenständlichen Zeitraum sei das Vorliegen einer Glutensensitivität nicht bewiesen
worden.
Gegen dieses der Klägerin und der Beklagten jeweils am 13.09.2016 zugestellte Urteil wenden sich sowohl die Beklagte als auch
die Klägerin mit der am 28.09.2016 (Beklagte) bzw. 11.10.2016 (Klägerin) eingelegten Berufung.
Zur Begründung macht die Beklagte im Wesentlichen das Folgende geltend:
Abgesehen davon, dass eine Laktoseintoleranz der Klägerin weiterhin nicht zweifelsfrei bewiesen sei, sei der Sachverständige
Dr. P davon ausgegangen, dass es sich hierbei allenfalls um eine eher leichte Form mit einer erheblichen Toleranz von Laktose
handele. Darüber hinaus habe der Gutachter eindeutig festgestellt, dass die bei der Klägerin erforderliche besondere Ernährung
keine Mehrkosten verursache. Vor diesem Hintergrund könne nicht nachvollzogen werden, wie das Sozialgericht entgegen der gutachtlichen
Stellungnahme und den Empfehlungen des Deutschen Vereins ohne substantiierte Begründung dazu gelange, die Beklagte zur Zahlung
eines Mehrbedarfs i.H.v. 10% des Eckregelsatzes (= 40,40 EUR mtl.), ohne im Übrigen deren Höhe genau zu ermitteln, zu verpflichten.
Ferner sei das Nichtvorliegen der gesicherten Diagnose einer Zöliakie oder einer Glutensensitivität bei der Klägerin aufgrund
der gleichfalls zutreffenden Feststellungen des Sachverständigen, die auch durch die Stellungnahmen der behandelnden Ärzte
nicht widerlegt würden, bestätigt worden. Dem sei das Sozialgericht insoweit zutreffend gefolgt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.08.2016 abzuändern, die Klage abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 26.08.2016 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.08.2013
unter weitergehender Abänderung des Bescheides vom 08.08.2013, beide in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2013,
zu verurteilen, ihr höhere Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung in Höhe von 20% des Eckregelsatzes für die Zeit
vom 01.09.2013 bis 11.01.2016 zu gewähren sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin macht zur Begründung ihres Rechtsmittels im Wesentlichen das Folgende geltend:
Zu Unrecht habe das Sozialgericht einen weiteren Anspruch auf den Mehrbedarf in Höhe von insgesamt 20% des Eckregelsatzes
verneint. Sie halte es für nachgewiesen, dass sie an einer Glutensensitivität leide, die therapeutisch die gleichen Konsequenzen
wie eine Zöliakie habe. Dies führe zu einem weiteren Mehrbedarf. Hierzu berufe sie sich insbesondere auf die Stellungnahme
von Dr. T vom 12.08.2016. Ferner könne die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben. Das Sozialgericht habe rechtsfehlerfrei
und überzeugend festgestellt, dass sie einen Anspruch mindestens auf Berücksichtigung eines Mehrbedarfs i.H.v. 10% wegen der
Laktoseintoleranz habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten
Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten gegen das Urteil des
Sozialgerichts ist begründet, die ebenfalls statthafte und fristgemäße Berufung der Klägerin hingegen unbegründet. Das Sozialgericht
hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben, weil sie vollumfänglich unbegründet ist. Die Klägerin ist durch die angefochtenen
Bescheide der Beklagten vom 07.08.2013 und 08.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.12.2013 nicht i.S.d.
§
54 Abs.
2 SGG beschwert, weil sich diese als rechtmäßig erweisen, soweit die Gewährung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung
abgelehnt wird. Sie hat gegen den Beklagten bereits dem Grunde nach keinen Anspruch auf diese Leistung im streitigen Zeitraum
vom 01.09.2013 bis 11.01.2016.
1.) Streitgegenständlich sind die Bescheide der als örtlicher Träger der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII sachlich und örtlich zuständigen Beklagten vom 07.08.2013 und 08.08.2013, beide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 17.12.2013. Inhaltlich ist alleiniger Streitgegenstand der (behauptete) Anspruch der Klägerin auf einen Mehrbedarf wegen
kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 42 Nr. 2 i.V.m. § 30 Abs. 5 SGB XII, den sie statthaft im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage verfolgt (§
54 Abs.
1 und 4 i.V.m. §
56 SGG). Nach der Rechtsprechung des für Sozialhilfe zuständigen 8. Senats des BSG können - im Unterschied zur Rechtslage nach dem SGB II (vgl. zu § 21 Abs. 5 SGB II BSG, Urt. v. 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R -, juris Rn. 12) - u.a. auch die Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII als eigenständige Ansprüche begehrt werden, soweit die entsprechenden Bewilligungsbescheide hierüber jeweils gesonderte Verfügungssätze
enthalten, woraus wiederum die zulässige Beschränkung des Streitgegenstandes folgt (BSG, Urt. 26.08.2008 - B 8/9b SO 10/06 R -, juris Rn. 12 ff.; BSG, Urt. v. 19.05.2009 - B 8 SO 8/08 R -, juris Rn. 13). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, weil die Klägerin am 30.06.2013
ausdrücklich den Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 SGB XII (und nicht etwa sonstige höhere Leistungen der Grundsicherung, "insbesondere.", s. hierzu BSG, Urt. v. 09.06.2011 - B 8 SO 11/10 R -, juris Rn. 11) beantragt und die Beklagte mit eigenständigem Bescheid vom 07.08.2013
und damit außerhalb der Entscheidung über die Gewährung der sonstigen Hilfe zum Lebensunterhalt als eigenständigen Verfügungssatz
eine Regelung hierüber getroffen hat. Dem steht auch der anschließende Bewilligungsbescheid der Beklagten über die Gewährung
von Leistungen der Grundsicherung vom 08.08.2013 nicht entgegen. Abgesehen davon, dass sie hierbei den Antrag der Klägerin
auf Gewährung des Mehrbedarfs "Krankenkostzulage" erneut abgelehnt hat, hat sie auf den Ablehnungsbescheid vom 07.08.2013
ausdrücklich Bezug genommen ("Bitte beachten Sie meinen separat beigefügten Bescheid") und hiermit für einen objektiv verständigen
Adressaten dieses Bescheides verdeutlicht, dass es sich bei der Ablehnung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung
um einen eigenständigen Verfügungssatz handelt. Es kann deshalb auch dahinstehen, ob es sich bei der entsprechenden Formulierung
im Bewilligungsbescheid vom 08.08.2013 nicht bloß um eine wiederholende Verfügung gehandelt hat.
In zeitlicher Hinsicht ist der Streitgegenstand auf den Zeitraum von 01.09.2013 bis 11.01.2016 beschränkt. Die Beklagte hat
das Begehren der Klägerin auf Gewährung des Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung mit Bescheid vom 07.08.2013 zunächst
ohne zeitliche Begrenzung abgelehnt, so dass im Grundsatz über den geltend gemachten Anspruch für die gesamte bis zum für
die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt verstrichene Zeit, d.h. bis zur letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, zu befinden
wäre. Da die Beklagte jedoch mit während des laufenden Klageverfahrens ergangenem Bescheid vom 07.02.2016 einen erneuten,
am 11.01.2016 gestellten Antrag der Klägerin auf Gewährung eines Mehrbedarfes wegen kostenaufwändiger Ernährung abgelehnt
hat, hat dieser Bescheid die angefochtenen Bescheide für den von ihnen betroffenen Zeitraum gemäß § 39 Abs. 2 SGB X erledigt (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 11.12.2007 - B 8/9b SO 12/06 R -, juris Rn. 8; BSG, Urt. v. 02.02.2010 - B 8 SO 21/08 R -, juris Rn. 9). Dagegen kommt eine weitere zeitliche Beschränkung des Streitgegenstandes
in Ansehung des Bewilligungsbescheides der Beklagten vom 08.08.2013 auf die Zeit bis einschließlich Mai 2014 nicht in Betracht.
Dem steht, wie bereits erwähnt, der eigenständige Regelungscharakter des Ablehnungsbescheides vom 07.08.2013, der seitens
der Beklagten im Bewilligungsbescheid nochmals hervorgehoben worden ist, entgegen. Auch kann der ursprüngliche Antrag der
Klägerin auf Gewährung des Mehrbedarfs vom 10.06.2013 nicht als solcher auf Abänderung von Bewilligungsbescheiden nach Maßgabe
des § 48 SGB X ausgelegt werden, wodurch sich ggf. eine zeitliche Beschränkung auf den Bewilligungsabschnitt des betreffenden Bescheides
ergeben würde. Denn zu diesem Zeitpunkt war noch kein Bewilligungsbescheid der Beklagten nach dem Vierten Kapitel des SGB XII existent, da die Klägerin noch im Bezug von Leistungen nach dem SGB II stand. Vielmehr handelt es sich bei dem Bescheid vom 08.08.2013 um eine erstmalige Bewilligung ab dem 01.09.2013, was hier
einer Anwendung von § 48 SGB X und damit einer Beschränkung des Streitgegenstandes auf den laufenden Bewilligungsabschnitt entgegensteht.
2.) Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 42 Nr. 2 i.V.m. § 30 Abs. 5 SGB XII. Danach wird für Kranke, Genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen,
die einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt. Voraussetzung für die Gewährung
des Mehrbedarfs ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die eine Ernährung erfordert, deren Kosten höher ("aufwändiger")
sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der Fall ist. Da eine Vollkosternährung vom Regelbedarf gedeckt ist, besteht
eine kostenaufwändige Ernährung grundsätzlich nur bei einer besonderen, von der Vollkost abweichenden Ernährungsform (BSG, Urt. v. 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R -, juris Rn. 19). Erforderlich ist ferner ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einer drohenden oder bestehenden Erkrankung
und der Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung (s. BSG, Urt. v. 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R -, juris Rn. 20; BSG, Urt. v. 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R -, juris Rn. 21; BSG, Urt. v. 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R -, juris Rn. 12; BSG, Urt. v. 20.01.2016 - B 14 AS 8/15 R -, juris Rn. 15 zur Parallelvorschrift des § 21 Abs. 5 SGB II). Die hierzu erforderlichen Feststellungen sind von Amts wegen zu ermitteln (§§ 20 SGB X, 103
SGG, vgl. BSG, Urt. v. 24.02.2011 - B 14 AS 49/10 R -, juris Rn. 25; BSG, Urt. v. 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R -, juris Rn. 15). Dabei entbinden die auch hier einschlägigen Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen
in der Sozialhilfe, zuletzt vom 10.12.2014, nicht von der Ermittlungspflicht im Einzelfall, weil sie insbesondere nicht als
antizipiertes Sachverständigengutachten anzusehen sind (s. BSG, Urt. v. 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R -, juris Rn. 20 ff.). Sie dienen jedoch nach wie vor als wichtige Orientierungshilfe (BSG, Urt. v. 22.11.2011 - B 4 AS 138/10 R -, juris Rn. 23; BSG, Urt. V. 14.02.2013 - B 14 AS 48/12 R -, juris Rn. 16; BSG, Urt. v. 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R -, juris Rn. 19).
a) Einem Anspruch der Klägerin auf den Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 SGB XII steht nach Auffassung des Senats bereits entgegen, dass hier ausschließlich eine Leistung für einen in der Vergangenheit
liegenden Zeitraum begehrt wird. Zwar hat das BSG zur parallelen Regelung des § 21 Abs. 5 SGB II entschieden, dass die Voraussetzungen für den Anspruch auf Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bereits bei "Vorliegen
der objektiven Bedarfslage" erfüllt seien und es deshalb nicht mehr darauf ankomme, dass bei einer nachträglich verpflichtenden
Gewährung des Mehrbedarfs dessen Zweck nicht mehr erreicht werden könne, da die besondere Ernährung für diesen Zeitraum nicht
mehr nachholbar und damit auch die Einflussnahme auf die gesundheitliche Beeinträchtigung nicht mehr möglich sei. In diesen
Fällen sei dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art.
19 Abs.
4 GG) Vorrang zu geben, da andernfalls der Sozialleistungsträger durch unberechtigtes Bestreiten des Anspruchs den Beginn der
Leistung oder gar den ab Antragstellung entstandenen Anspruch vereiteln könne und so die Einklagbarkeit abgelehnter Leistungen
nicht effektiv wäre (BSG, Urt. v. 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R -, juris Rn. 24). Dies hält der Senat für nicht überzeugend. Einer rückwirkenden Gewährung des Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 5 SGB XII stehen vielmehr, anders als das BSG meint, sowohl die Zweckbindung der Leistung, als auch ihre Ausgestaltung als Deckung des individuellen, gerade aus der konkreten
Erkrankung erwachsenen Bedarfes des Betroffenen entgegen. Soweit das BSG ausführt, dass der Gesetzgeber das Erfordernis eines zweckentsprechenden Einsatzes der konkreten Leistung in § 21 SGB II nicht normiert habe, obwohl ihm die Möglichkeit einer solchen Regelung bekannt gewesen sei (BSG, a.a.O. -, juris Rn. 23), übersieht es, dass sich die Zweckbindung von Leistungen auch ohne deren ausdrückliche Normierung
ergeben kann. Es reicht aus, dass die Zweckbestimmung aus den Voraussetzungen für die Leistungsgewährung folgt, soweit sich
aus dem Gesamtzusammenhang die vom Gesetzgeber gewollte Zweckbindung eindeutig ableiten lässt (zutr. Stotz, in: jurisPR-SozR
20/2014 Anm. 2 unter Hinweis auf BSG, Urt. v. 03.12.2002 - B 2 U 12/02 R - BSGE 90, 172). Bei § 21 Abs. 5 SGB II bzw. § 30 Abs. 5 SGB XII ergibt sich die Zweckbindung aus dem zwingenden Nachweis der medizinischen Erforderlichkeit der kostenaufwändigen Ernährung
(s. auch BT-Drs. 15/1516, S. 57), womit der Gesetzgeber deutlich gemacht hat, dass der Mehrbedarf keine Erschwerniszulage,
sondern eine der Krankenbehandlung dienende Leistung sein soll. Dies folgt auch aus dem Sinn und Zweck des krankheitsbedingten
Mehrbedarfs. Denn dieser besteht darin, drohende oder bestehende Gesundheitsschäden durch die bedarfsgerechte Ernährung abzuwenden
oder zu lindern (vgl. BSG, Urt. v. 10.05.2011 - B 4 AS 100/10 R -, juris Rn. 20). Dieser Zweck kann jedoch nicht erreicht werden, wenn nicht zugleich von den Anspruchstellern verlangt
werden darf, dass sie den gewährten Mehrbedarf auch tatsächlich für die Anschaffung der besonderen kostenaufwändigen Ernährung
einsetzen (zutr. Stotz, a.a.O.). Hierfür spricht auch nicht zuletzt der Wortlaut des § 30 Abs. 5 SGB II, denn anders als die übrigen Mehrbedarfe des § 30 SGB XII wird er nicht pauschal, sondern individuell entsprechend der Erkrankung des Betroffenen ("in angemessener Höhe") gewährt
(so auch Stotz, a.a.O.). Damit unterscheidet sich diese Leistung gerade von solchen, die pauschaliert gewährt werden und bei
denen entsprechend der gesetzgeberischen Grundkonzeption im Leistungsrecht des SGB II/SGB XII davon ausgegangen wird, dass
es dem Leistungsberechtigten überlassen bleibt, wie er die Pauschale einsetzt. Dementsprechend hat der für Sozialhilfe zuständige
8. Senat des BSG im Zusammenhang mit einer rückwirkenden Bewilligung von Sozialhilfe im Rahmen des § 44 SGB X entschieden, dass Mehrbedarfe, bei denen nur die Höhe des Bedarfs, nicht aber der (nachzuweisende) Bedarf als solcher vom
Gesetzgeber typisierend unterstellt wird, so etwa auch für kostenaufwändige Ernährung nach § 30 Abs. 5 SGB XII, für die Vergangenheit nicht mehr zu erbringen sind, wenn etwa der Leistungsberechtigte auf die kostenaufwändige Ernährung
verzichtet. Dann sind Sozialhilfeleistungen trotz rechtswidriger Leistungsablehnung nicht nachträglich zu erbringen, weil
die Sozialhilfe ihren Zweck nicht mehr erfüllen kann. Entsprechend haben sich die ablehnenden Bescheide bereits auf andere
Weise erledigt, § 39 Abs. 2 SGB X (BSG, Urt. v. 29.09.2009 - B 8 S 16/08 R -, juris Rn. 17). Soweit der 14. Senat des BSG hiergegen einwendet, dass die Entscheidung des 8. Senats zu seinem Urteil nicht im Widerspruch stehe, weil diese im Kontext
der Anwendbarkeit von § 44 SGB X im Sozialhilferecht zu sehen sei (BSG, Urt. v. 20.02.2014 - B 14 AS 65/12 R -, juris Rn. 24 a.E.), beruht dies auf einer Verkennung dieser Entscheidung. Denn die Besonderheit einer Anwendbarkeit
des § 44 SGB X im Sozialhilferecht resultiert in erster Linie aus der einschränkenden Voraussetzung des ununterbrochenen Fortbestehens von
Hilfebedürftigkeit, während der Frage, ob ein ausschließlich in der Vergangenheit liegender Bedarf noch zu decken ist oder
sich nach Maßgabe des § 39 Abs. 2 SGB X erledigt hat, auch außerhalb des § 44 SGB X Bedeutung zukommt. Schließlich ist auch das Argument des BSG, dass es das Gebot effektiven Rechtsschutzes erfordere, den Mehrbedarf nachträglich zu gewähren, nicht überzeugend. So hat
ein Leistungsberechtigter bei einer Verweigerung des Mehrbedarfs durch den Leistungsträger die Möglichkeit, einstweiligen
Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Gerade für solche Fälle, in denen aus medizinischen Gründen eine besondere, kostenaufwändige
Ernährung eingehalten werden muss, dem Betroffenen aber die finanziellen Mittel dazu fehlen, erscheint der einstweilige Rechtsschutz
die sich aufdrängende zumutbare Rechtsschutzform für den Anspruchsteller, um effektiven Rechtsschutz zu erhalten (so auch
überzeugend Stotz, a.a.O.). Auch hieran zeigt sich im Übrigen die Sinnwidrigkeit, einen Mehrbedarf erst nachträglich zu gewähren,
obwohl die besondere Ernährung nicht mehr nachholbar ist. Letzten Endes mutiert der entsprechende Mehrbedarf dadurch zu einem
reinen Entschädigungsanspruch, dessen Unvereinbarkeit mit dem dargestellten Sinn und Zweck des § 30 Abs. 5 SGB XII quasi mit Händen zu greifen ist.
b) Aber selbst für den Fall der Zulässigkeit einer rückwirkenden Gewährung des Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 5 SGB XII scheidet unabhängig hiervon ein entsprechender Anspruch der Klägerin aus, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen ("objektive
Bedarfslage") nicht vorliegen. Zwar besteht bei ihr eine (leichte) Laktose-Intoleranz.
Diese bedingt jedoch keine von der Vollkost abweichende, kostenaufwändige Ernährung. Ferner ist eine Gluten-Überempfindlichkeit
in Form der Zöliakie oder nur als Glutensensitivität bei der Klägerin objektiv nicht nachweisbar, so dass auch insoweit eine
kostenaufwändige, glutenfreie Kost bei ihr nicht erforderlich war bzw. ist.
Der Senat stützt sich hierbei maßgeblich auf das Ergebnis der im Klageverfahren durchgeführten medizinischen Sachaufklärung
(§
103 SGG) durch Einholung des internistischen Gutachtens des Facharztes für Innere Medizin Dr. P vom 23.11.2015 einschließlich seiner
ergänzenden Stellungnahme vom 15.01.2016. Der Sachverständige hat die Klägerin am 20.11.2015 persönlich untersucht, dazu laborchemische
Untersuchungen sowie einen Laktose-Toleranztest vorgenommen, die aktenkundigen medizinischen Unterlagen (einschließlich der
Befundberichte der behandelnden Ärzte) beigezogen und ist zu einer schlüssigen, vollständigen und überzeugenden Gesamtbeurteilung
gelangt.
Danach ist bei der Klägerin zwar eine Laktose-Intoleranz dem Grunde nach nachgewiesen. Jedoch handelt es sich auf der Grundlage
der vom Sachverständigen erhobenen Funktionsbefunde unter Berücksichtigung der Ergebnisse des von ihm durchgeführten Laktosetoleranztests
um eine eher leichte Form mit einer erheblichen Toleranz von Laktose, die eine Reduktion des Laktose-Gehaltes in der Nahrung
erforderlich macht, um eine Intoleranz-Symptomatik zu vermeiden. Dagegen ist eine vollständig laktosefreie Diät für die Klägerin
nicht vonnöten. Insbesondere kann sie solche Milchprodukte ohne Gefährdung ihrer Gesundheit konsumieren, bei denen der Milchzucker
bei fortschreitendem Reifungsprozess weitgehend abgebaut wird, wie z.B. bei Hartkäse. Gleiches gilt auch für zahlreiche Sauermilch-Produkte,
da diese trotz ihres Laktose-Gehaltes milchzucker-speisende Enzyme enthalten, die wiederum einer Intoleranz-Symptomatik vorbeugen.
Auch hat der Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt, dass ein etwaiger Calciummangel durch das Weglassen von Milchprodukten
nicht zu erwarten ist, da Calcium auch in vielen anderen Speisen (z.B. Brokkoli oder andere Kohlgemüse) vorkommt und auf diesem
Wege ohne Weiteres mit einer Mischkost substituiert werden kann. Folglich besteht die Notwendigkeit einer "besonderen" Ernährung
der Klägerin darin, den Laktose-Gehalt der Nahrung zu reduzieren. Hierfür ist jedoch eine kostenaufwändige Ernährung, d.h.
eine von der Vollkost abweichende Ernährungsform, deren Kosten höher sind als dies für Personen ohne diese Einschränkung der
Fall ist, etwa durch teure Ersatzprodukte, gerade nicht erforderlich. Die Klägerin kann vielmehr über Vollkostprodukte mit
der Möglichkeit einer variantenreichen Ernährung die typischen Anzeichen einer Laktoseintoleranz vermeiden und ansonsten nicht
verträgliche Milchprodukte einfach weglassen.
Dieses Ergebnis stimmt auch mit den auf aktuellen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen beruhenden Empfehlungen des Deutschen
Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (4. Aufl. 2014) überein. Darin heißt es unter Punkt 3.2.1
(Laktoseintoleranz), dass die Verträglichkeit von Laktose keinen eindeutigen systematischen Regeln unterliege, sondern individuell
unterschiedlich sei. In der Regel würden jedoch 12 g bis 15 g, teilweise bis zu 24 g Laktose pro Tag toleriert, so dass eine
Substitution mit speziellen Nahrungsmitteln nicht erforderlich sei. Therapeutisch gebe es bei Laktoseintoleranz keine spezielle
Diät. Es werde eine Vollkost mit einer auf das Beschwerdebild angepassten Ernährung empfohlen. Die ernährungsmedizinische
Behandlung bestehe im Meiden von Nahrungsmitteln, die nicht vertragen würden. Die Deckung des Calciumbedarfs sei insbesondere
durch den Verzehr von Milchprodukten möglich, die von Natur aus sehr geringe Mengen an Laktose enthielten (z.B. reifer Käse).
Eine kostenaufwändige Ernährung sei damit in der Regel nicht erforderlich. Diese Erkenntnisse decken sich weitgehend mit den
Feststellungen des Sachverständigen Dr. P sowie im Übrigen mit dem durch die Klägerin eingereichten Ernährungsplan für Mai
2014, aus dem im Wesentlichen eine normale Vollkosternährung (Obst, Gemüse, Käse) hervorgeht, ohne dass die Klägerin hinsichtlich
der Laktoseintoleranz eine hieraus erwachsende Gesundheitsgefährdung auch nur ansatzweise dargelegt hätte. Etwas Anderes geht
auch aus den aktenkundigen Befundberichten der behandelnden Ärzte nicht hervor.
Soweit endlich nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins "bei Besonderheiten des Einzelfalls" und damit im Ausnahmefall
eine besondere Ernährungsform bei Laktoseintoleranz erforderlich ist, hat der Sachverständige eine solche außergewöhnliche
Situation aufgrund der erhobenen Befunde schlüssig und nachvollziehbar verneint. Dies gilt im Übrigen auch, soweit die Klägerin
gegen das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme eingewendet hat, dass eine kostenaufwändige Ernährung gerade beim Zusammenwirken
mehrerer Nahrungsmittelunverträglichkeiten entsprechend Punkt 3.2 der Empfehlungen des Deutschen Vereins gerechtfertigt sei.
Dies wäre jedoch (allenfalls) nur dann denkbar, wenn sich das von der Klägerin behauptete zusätzliche Bestehen einer Glutenunverträglichkeit
in Form der Zöliakie oder zumindest einer Glutensensitivität durch entsprechende objektive Befunde bestätigt hätte. Dies ist
nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen unter besonderer Berücksichtigung seiner ergänzenden Stellungnahme
vom 15.01.2016 jedoch gerade nicht der Fall (s. hierzu sogleich), so dass die Notwendigkeit einer kostenaufwändigen Ernährung
auch nicht auf diesen Aspekt gestützt werden kann.
In Anbetracht dieses eindeutigen, durch Befundtatsachen unterlegten Ergebnisses ist es schlechterdings nicht nachvollziehbar,
wie das Sozialgericht, noch dazu ohne jegliche Auseinandersetzung mit dem von ihm eingeholten Sachverständigengutachten, zur
Erforderlichkeit eines Mehrbedarfs von (pauschal) 10% des Eckregelsatzes unter bloßer "Ablehnung" der Auffassung, der Laktasemangel
könne ohne Mehrbedarf durch schlichten Verzicht auf Milchprodukte vermieden werden, gelangt ist. Im Gegenteil hat Dr. P gerade
in Übereinstimmung mit anerkannten ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen schlüssig dargelegt, warum ein Meiden oder die
Reduktion laktosehaltiger Lebensmittel gerade keine Mehrkosten verursacht, weil eine variantenreiche Mischkost für die Klägerin
ausreicht und daher eine Substitution durch teure Ersatzprodukte nicht erforderlich ist.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt auch ein ernährungsbedingter Mehrbedarf wegen einer Glutenunverträglichkeit (Zöliakie,
Sprue) oder nur Glutenempfindlichkeit nicht in Betracht. Denn es fehlt bereits an objektiven Befunden, die die gesicherte
Diagnose des Vorliegens einer Zöliakie oder nur einer Glutensensitivität begründen. Dementsprechend bedarf es auch keiner
kostenaufwändigen Ernährung der Klägerin in Form glutenfreier Produkte. Auch insoweit folgt der Senat den schlüssigen Feststellungen
des Sachverständigen Dr. P in seinem Gutachten vom 23.11.2015 und der ergänzenden Stellungnahme vom 15.01.2016. Dieser hat
unter Auswertung der aktenkundigen medizinischen Unterlagen, etwa der Bescheinigung des Facharztes für Innere Medizin und
Gastroenterologie Dr. Q vom 21.10.2014 sowie des Berichts des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. L vom 08.12.2014, überzeugend
ausgeführt, dass bei der Klägerin zwar histologische Hinweise auf eine möglicherweise bestehende Sprue vorgelegen hätten,
die sich jedoch ausweislich einer ergänzenden laborchemischen Untersuchung nicht im Sinne eines nachgewiesenen Krankheitsbildes
erhärten ließen. Ferner hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 15.01.2016 auf Einwendungen der Klägerin
ausgeführt, dass auch auf der Grundlage bisher durchgeführter Untersuchungsmethoden, insbesondere einer serologischen Diagnostik
(Blutuntersuchung), kein objektiv sicherer Nachweis für das Vorliegen einer Zöliakie geführt werden kann. Soweit die Klägerin
ihr Begehren im Berufungsverfahren schließlich weiterhin auf die Stellungnahme des Allergologen Dr. T vom 12.08.2016 stützt,
ist diese nicht geeignet, das Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme - erst recht bezogen auf den hier streitigen Zeitraum
- ernsthaft infrage zu stellen. So hat er, wie bereits in seinem Befundbericht vom 01.12.2014, das Vorliegen einer Zöliakie
"mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" selbst ausgeschlossen. Hinsichtlich der von ihm in den Vordergrund gerückten
(bloßen) Glutenempfindlichkeit hat er in seiner Bescheinigung vom 12.08.2016 lediglich von einem "Verdacht" oder "Hinweis"
gesprochen, den er aus dem Auftreten von in der Vergangenheit deutlich erhöhen sog. igA Antikörpern ableitet. Somit fehlt
es auch aus der Sicht des Dr. T an einer gesicherten Diagnose, die sich aus entsprechenden objektiven Befunden ableiten lässt.
Im Übrigen hat der Sachverständige Dr. P, wie soeben erwähnt, den "Beweiswert" bloßer serologischer Untersuchungen zum Nachweis
einer Glutenunverträglichkeit bzw. - empfindlichkeit, deutlich infrage gestellt, wogegen der Senat nichts zu erinnern hat.
Da nach alledem ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung nach § 30 Abs. 5 SGB XII im streitigen Zeitraum vom 01.09.2013 bis 11.01.2016 nicht besteht, war die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
3.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.
4.) Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG) bestehen nicht.