Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines am 17.01.2015 erhobenen Widerspruchs gegen den eine
Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt vom 15.01.2015.
Der bis Ende 2004 als Bankkaufmann tätige Antragsteller erhält mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern seit mehreren
Jahren vom Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Anrechnung seines Einkommens aus seiner selbständigen Tätigkeit als Versicherungsmakler. Nachdem eine Eingliederungsvereinbarung
zwischen den Beteiligten nicht zustande gekommen war, ersetzte der Antragsgegner diese nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II durch Verwaltungsakt vom 15.01.2015. Darin war u.a. für die Zeit vom 02.02.2015 bis zum 18.07.2015 als Verpflichtung des
Antragstellers aufgeführt die regelmäßige Teilnahme an einer Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung nach § 16d Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in der kommunalen Beschäftigungsgesellschaft K GmbH, die unterschiedliche Arbeitsbereiche anbietet. Für den Antragsteller
sollte vor dem Hintergrund seiner beruflichen Interessen, Neigungen und Fähigkeiten ein Einsatz in den Arbeitsbereichen der
K GmbH und in über diese vermittelten Kooperationsbetrieben (Hausmeistertätigkeiten, Betreuungstätigkeiten von Senioren, Betreuungstätigkeiten
von Kindern und/oder Jugendlichen, Betreuungstätigkeiten von behinderten Menschen, Hauswirtschaftshelfertätigkeiten, Botendienste)
in Betracht kommen. Die regelmäßige Arbeit sollte grundsätzlich zwischen 7.30 Uhr und 16.30 Uhr mit einem Umfang von bis zu
20 Stunden abgeleistet und der konkreten Einsatzstelle angepasst werden.
Außerdem sind unter Punkt 2.2 Eigenbemühungen des Antragstellers in den nächsten 6 Monaten und der Nachweis von monatlich
8 Bewerbungsbemühungen jeweils bis zum 15. des Folgemonats geregelt.
Hiergegen erhob der Antragsteller am 17.01.2015 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist.
Pflichtgemäß erschien der Antragsteller am 02.02.2015 um 9.00 Uhr zum Aufnahmegespräch in der Beschäftigungsgesellschaft K
GmbH, trat aber die Maßnahme nicht an, weil er in dieser "keinen Sinn sah."
Seinen am 18.01.2015 gestellten Antrag auf "Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchsund der" Aussetzung der Vollziehunglehnte
das Sozialgericht Koblenz durch Beschluss vom 20.02.2015 ab.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner am 22.02.2015 bei Gericht eingegangenen Beschwerde: Das Sozialgericht habe
sich mit seinen Ausführungen erkennbar nicht auseinandergesetzt und bei seiner Entscheidung die aktuelle Rechtsprechung nicht
berücksichtigt. Die Voraussetzungen des § 16d Abs. 1 Satz 1 SGB II seien nicht erfüllt. Die ihm zugewiesenen Arbeiten seien nicht zusätzlich. Im Übrigen weiche der angegriffene Eingliederungsverwaltungsakt
inhaltlich in wesentlichen Punkten von der verhandelten Eingliederungsvereinbarung ab. Zudem sei bei ihm ein atypischer Sonderfall
gegeben, da er seinen eigenen Bedarf mit seinem Einkommen decken könne und damit seine individuellen Pflichten erfüllt habe.
Es gäbe - und dies habe das Bundessozialgericht wiederholt entscheiden -keinen Leistungsanspruch der Bedarfsgemeinschaft.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Koblenz vom 20.02.2015 aufzuheben sowie die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom
17.01.2015 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15.01.2015 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die seiner Meinung nach zutreffenden Gründe des Sozialgerichts Koblenz.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die bei Gericht eingereichte Verwaltungsakte des Antragsgegners
verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.
Das Sozialgericht hat den Antrag zu Unrecht abgelehnt. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 17.01.2015
gegen den Eingliederungsverwaltungsakt des Antragsgegners vom 15.01.2015 ist gemäß §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ganz anzuordnen.
Das Gericht der Hauptsache kann gem. §
86b Abs.
1 Nr.
2 SGG auf Antrag in den Fällen, in denen - wie hier gem. § 39 Nr. 1 SGB II - Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.
Die Erfolgsaussicht des Antrages beurteilt sich nach dem Ergebnis einer Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse
des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung und dem Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen
Vollziehung. Hierbei sind neben einer allgemeinen Abwägung der Folgen bei Gewährung bzw. Nichtgewährung des vorläufigen Rechtsschutzes
auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfes in der Hauptsache von Bedeutung (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 11. Auflage, §
86b Rz. 12c ff.). Dabei kann aber nicht außer Acht gelassen werden, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung
in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheides grundsätzlich Vorrang vor dem Interesse
des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 26.07.2006 - L 20 B 144/06 AS ER).
1. Die hiernach anzustellende Interessenabwägung geht zu Gunsten des Antragstellers aus. Es bestehen ernstliche Zweifel an
der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsentscheidung vom 15.01.2015, weil in dem Bescheid als mögliche und über die
K GmbH zu vermittelnde Einsatzbereiche des Antragstellers in Kooperationsbetrieben auch Betreuungstätigkeiten von Senioren,
Kindern und/oder Jugendlichen sowie behinderten Menschen vorgesehen sind.
Die Zuweisung in eine Arbeitsgelegenheit steht nach § 16d Abs. 1 Satz 1 SGB II ("können") im Ermessen des Leistungsträgers. Der Leistungsberechtigte hat zwar keinen Anspruch auf Schaffung oder Zuweisung
in eine (bestimmte) Arbeitsgelegenheit, aber die Vorschrift gewährt dem Leistungsberechtigten einen Anspruch auf ein sachgerechtes
Tätigwerden (vgl. Stölting in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 16d Rz. 36). Der Leistungsträger muss also in jedem einzelnen Fall prüfen, ob im konkreten Fall die Zuweisung in eine Arbeitsgelegenheit
erforderlich ist oder ob es andere Möglichkeiten gibt, die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern. Das dem
Leistungsträger eingeräumte Ermessen ist entsprechend dem Zweck der Vorschrift, nämlich der Erhaltung und Wiedererlangung
der Beschäftigungsfähigkeit auszuüben. Dies setzt sowohl voraus, dass die Arbeitsgelegenheit grundsätzlich inhaltlich so ausgestaltet
sein muss, dass sie zu einer Verbesserung der Eingliederungschancen beitragen kann als auch, dass der Leistungsberechtigte
in der Lage ist, diese Arbeiten auszuüben. Darüber hinaus muss die Tätigkeit zumutbar im Sinne der in § 10 Abs. 1 SGB II enthaltenen Kriterien sein.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist vorliegend nicht von einer sachgerechten und dem Zweck der Vorschrift entsprechenden Ermessensausübung
des Antragsgegners auszugehen. Der Senat hat erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsteller aufgrund seiner Vorbildung und
seinen sich in seinen bisherigen beruflichen Tätigkeiten gezeigten Interessen und Neigungen in der Lage ist, solche Betreuungstätigkeiten
in einem Kooperationsbetrieb eigenständig auszuüben.
Der Antragsgegner geht offenbar davon aus, dass für die konkreten Tätigkeiten keinerlei Vorbildung oder sonstige Voraussetzungen
erforderlich sind, so dass jede Person unabhängig von ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit oder Erfahrung in diesem Bereich
(eigenständig) eingesetzt werden kann. Dieser Auffassung schließt sich der Senat nicht an. Neben den hohen fachlichen Voraussetzungen,
wie sie sich zum Beispiel im Studiengang Soziale Arbeit oder in der Ausbildung zum Erzieher/in widerspiegeln, sind auch erhebliche
persönliche Voraussetzungen, wie zum Beispiel Einfühlungsvermögen, Toleranz, erforderlich, um in dem gesellschaftspolitisch
so wichtigen und sehr vielfältigen Bereich tätig sein zu können. Bei der Betreuung von Senioren und behinderten Menschen spielen
geistige, psychische und/oder körperliche Beeinträchtigungen eine Rolle. Der Betreuer muss die speziellen Bedürfnisse der
Betroffenen erkennen, sie begleiten und im Rahmen ihrer Möglichkeiten fördern.
Im Bereich Kinderbetreuung ist die ganzheitliche Entwicklung der Kinder entscheidend. Dazu zählen sprachliche, geistige und
motorische Fähigkeiten, das Sozialverhalten und die Persönlichkeit. Die Betreuer müssen den Alltag alters- und situationsgerecht
mit geleiteten Abschnitten und freiem Spiel, Einzel- und Gruppenaktivitäten gestalten und den Kindern ermöglichen, vielfältige
Lernerfahrungen zu machen, sich individuell zu entfalten und gleichzeitig in der Gruppe zurechtzufinden.
2. Unerheblich ist es, ob die unter Punkt 2.2 geregelten weiteren Aufgaben des Antragstellers rechtmäßig sind. Selbst wenn
dies nicht wäre, stünde dies der Anordnung der aufschiebenden Wirkung in vollem Umfang nicht entgegen, obwohl §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG auch die Möglichkeit einer nur teilweisen Anordnung der aufschiebenden Wirkung vorsieht.
Der Eingliederungsverwaltungsakt muss vielmehr unter Berücksichtigung des mit einer Eingliederungsvereinbarung verfolgten
gesetzgeberischen Konzepts als insgesamt rechtswidrig angesehen werden. Eine Teilaufhebung eines Verwaltungsakts bzw. die
teilweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nur möglich, wenn ein Teil des Verwaltungsakts selbständig und unabhängig
von dem anderen bestehen bleiben bzw. aufgehoben werden kann, zwischen den Teilen kein unabdingbarer Zusammenhang besteht,
ein Teil durch die Aufhebung eines anderen Teils keinen anderen Inhalt erlangt und anzunehmen ist, dass der Verwaltungsakt
auch nur mit dem rechtmäßigen Teil erlassen worden wäre (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
131 Rz. 3 b m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze dürfte es sich bei einem Eingliederungsverwaltungsakt nicht um
einen teilbaren Verwaltungsakt handeln. Einer Eingliederungsvereinbarung, an deren Stelle gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II unter bestimmten Voraussetzungen der Eingliederungsverwaltungsakt tritt, liegt ein auf den Einzelfall zugeschnittenes Eingliederungskonzept
zugrunde. Nach den Fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit zu § 15 SGB II (Fassung vom 20.08.2012, Rz. 15.1) handelt es sich um ein wirkungsorientiertes Instrument zur Erzeugung von Verbindlichkeit
im Integrationsprozess mit den erwerbsfähigen leistungsberechtigten Personen. Wegen der unterschiedlich anzutreffenden konkreten
Voraussetzungen im Hinblick auf die Integrationschancen am Arbeitsmarkt bedarf die Eingliederungsvereinbarung dabei einer
individuellen Ausgestaltung. Eine sorgfältige Standortbestimmung bei der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person, die
die Stärken und den Unterstützungsbedarf identifiziert und daraus folgende Handlungsbedarfe aufzeigt, ist nach den Fachlichen
Hinweisen zwingende Grundlage für eine erfolgreiche Eingliederungsstrategie. Stellt sich vor diesem Hintergrund eine Eingliederungsvereinbarung
bzw. ein sie ersetzender Verwaltungsakt als das Instrument einer auf den Einzelfall angepassten Eingliederungsstrategie mit
einer Vielzahl aufeinander abgestimmter Maßnahmen dar, ist die für die Teilbarkeit eines derartigen Verwaltungsakts erforderliche
Annahme, dass dieser von der Behörde auch ohne die als rechtswidrig erkannten Regelungen erlassen worden wäre, grundsätzlich
nicht gerechtfertigt (so überzeugend LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 04.04.2012 - L 15 AS 77/12 B ER). Vielmehr ist in einem solchen Fall wie bei einer Änderung in den persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen
oder einer erkennbaren Erfolglosigkeit bzw. Ineffektivität oder sonstigen Sachwidrigkeit der abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarung
eine Anpassungslage entstanden, die eine Überprüfung der bislang verfolgten Eingliederungsstrategie und ggf. Modifikation
der einzusetzenden Mittel erfordert, um die Passgenauigkeit der Eingliederungsmaßnahmen sicherzustellen und zu gewährleisten,
dass die erfolgte Standortbestimmung noch zutrifft. Unter Berücksichtigung des gesetzlichen Ziels und Zwecks einer Eingliederungsvereinbarung
ist es daher nicht sachgerecht, den bisherigen Eingliederungsverwaltungsakt, dessen Regelungen sich als teilweise rechtswidrig
erwiesen haben und mit dem die angestrebte Verbindlichkeit im Integrationsprozess nicht erreicht worden ist, für die Restlaufzeit
ungeprüft fortzuführen. Diese Gesichtspunkte müssen im Anordnungsverfahren nach §
86 Abs.
1 Satz 2
SGG dazu führen, dass die aufschiebende Wirkung ganz angeordnet wird (vgl. überzeugend LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom
04.04.2012 - L 15 AS 77/12 B ER; a.A. LSG Hamburg, Beschluss vom 10.04.2013 - L 4 AS 93/13 B ER). .
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).