Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts und die hieraus resultierenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge
für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 31.11.2006 für die Beschäftigten H T (Beigeladene zu 1) und T B (Beigeladene zu 2),
wie sie von der Beklagten im Rahmen einer Betriebsprüfung festgestellt worden sind.
Im November 2006 führte die Klägerin als Arbeitgeberin der Beigeladenen zu 1) und 2) die Gesamtbeiträge zur Sozialversicherung
abzüglich eines Betrages in Höhe von 1.511,63 EUR ab. Bei dieser Beitragsentrichtung brachte sie rückwirkend für die nebenberuflich
als Pflegekräfte bei ihr tätigen Beigeladenen zu 1) und 2) eine steuerfreie Aufwandsentschädigung gemäß §
3 Nr. 26 Einkommenssteuergesetz (
EStG) in der vorgenannten Höhe für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis zum 30.11.2006 (Beigeladene zu 1) und den Zeitraum vom 01.09.2006
bis zum 30.11.2006 (Beigeladene zu 2) in Ansatz und minderte damit die beitragspflichtigen Arbeitsentgelte in diesem Zeitraum.
Am 19.03.2007 und 14.09.2007 fand bei der Klägerin eine Betriebsprüfung statt. Dabei stellte die Beklagte fest, dass der Steuerfreibetrag
gemäß §
3 Nr. 26 Einkommenssteuergesetz (
EStG) durch die Klägerin rückwirkend angesetzt wurde, wodurch es zu einer Minderung des beitragspflichtigen Arbeitsentgelts der
Beigeladenen zu 1 und 2 für die Kalenderjahre 2005 und 2006 kam.
Mit Bescheid vom 09.11.2007 machte die Beklagte einen Betrag in Höhe von 1.511,63 EUR geltend, wobei sie für den Monat Dezember
2006 eine Gutschrift von insgesamt 288,72 Euro unter Berücksichtigung des §
3 Nr. 26
EStG für beide Beschäftigte in Ansatz brachte. Ihre Nachforderung begründete sie damit, dass die rückwirkende Ansetzung der steuerfreien
Aufwandsentschädigung nicht möglich sei. Die Beitragsforderung sei eine öffentlich-rechtliche Forderung, die hinsichtlich
ihres Entstehens und ihrer Fälligkeit den Vorschriften der §§
22 und
23 des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IV) unterliege. Dabei entstünden die Beitragsansprüche, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Die Beitragsbemessung
erfolge dabei auf der Grundlage der beitragspflichtigen Einnahmen. Beitragspflichtiges Arbeitsentgelt sei derjenige Betrag,
der in den ursprünglichen Beitragsnachweisen der Beitragsberechnung zugrunde gelegt werde und aus dem Beiträge gezahlt würden.
Im Sozialversicherungsrecht könne es aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich nicht hingenommen werden, dass nach Auszahlung
des Arbeitsentgeltes und dessen Nachweis gegenüber den Einzugsstellen die Bestimmung über die endgültige Höhe des Arbeitsentgeltes
und damit die Höhe der Beiträge von rückwirkend in Anspruch genommenen Rechtsvorschriften wie z.B. §
3 Nr.
26 EStG abhänge. Dass gemäß §
14 Abs.
1 Satz 3
SGB IV die in §
3 Nr.
26 EStG genannten steuerfreien Einnahmen nicht zum Arbeitsentgelt in der Sozialversicherung zählten, sei dabei ebenso unstreitig
wie der Umstand, dass die genannte Bestimmung auf die Tätigkeit der Beigeladenen Anwendung finde.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein und führte aus, ein rückwirkender Eingriff in ein rechtmäßig abgewickeltes
Versicherungsverhältnis liege durch die rückwirkende Berücksichtigung des Steuerfreibetrages gemäß §
3 Nr. 26
EStG nicht vor. Nachdem im Rahmen einer internen Revision festgestellt worden sei, dass irrtümlich und fehlerhaft die Rechtsvorschrift
des §
3 Nr. 26
EStG nicht angewandt worden sei, sei die rückwirkende Ansetzung dieses Freibetrages korrekt und zutreffend. Maßgeblich für die
Entstehung von Beitragsansprüchen sei das Arbeitsentgelt gemäß §
14 SGB IV. Gemäß §
14 Abs.
1 Satz 3
SGB IV würden steuerfreie Aufwandsentschädigungen und die in §
3 Nr.
26 EStG genannten steuerfreien Einnahmen jedoch nicht als Arbeitsentgelt gelten. Nach §
26 Abs.
2 SGB IV seien zu Unrecht entrichtete Beiträge zu erstatten.
Gleichzeitig beantragte die Klägerin die Aussetzung der Vollziehung des Beitragsbescheides. Die Beklagte lehnte die Aussetzung
ab, woraufhin die Klägerin die geltend gemachte Nachforderung am 25.01.2008 zahlte.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2009 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, durch rückwirkende Änderungen
der Grundlagen des Versicherungsverhältnisses könnten grundsätzlich weder die Beiträge noch die Versicherungsleistung für
die zurückliegende Zeit berührt werden.
Die Klägerin hat am 03.09.2009 Klage zum Sozialgericht (SG) Koblenz erhoben, mit der sie von der Beklagten die Erstattung und Verzinsung zu viel gezahlter Sozialversicherungsbeiträge
in Höhe von 1222,91 Euro und zugleich die Aufhebung des die Beitragspflicht feststellenden Bescheids vom 09.11.2007 in Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2009 geltend gemacht hat.
Zu deren Begründung hat sie vorgetragen, dass ihre interne Revision festgestellt habe, dass bei einigen ihren Mitarbeitern
der gesetzliche Steuerfreibetrag nach §
3 Nr. 26
EStG in der Vergangenheit in fehlerhafter Weise nicht angesetzt worden sei. Dass die Voraussetzungen dieser Bestimmung unstreitig
erfüllt seien, werde auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt. Dies habe zur Zahlung erhöhter Sozialversicherungsbeiträge
geführt, da steuerfreie Aufwandsentschädigungen nach §
14 Abs.
1 S. 3
SGB IV kein Arbeitsentgelt darstellten. Die Klägerin habe dann im November 2006 eine Verrechnung für den rückwirkenden Zeitraum
vorgenommen. Die Beigeladenen hätten eine steuerbegünstigte Tätigkeit nebenberuflich bei einem begünstigten Arbeitgeber ausgeübt.
Es gehe daher nicht um eine nachträgliche Änderung tatsächlicher Umstände oder eine nachträgliche Änderung rechtlicher Verhältnisse.
Vielmehr habe die Klägerin die Bestimmung des §
3 Nr. 26
EStG irrtümlich nicht zur Anwendung gebracht, obwohl deren Voraussetzungen vorgelegen hätten.
Während des Klageverfahrens haben die Beigeladenen zu 1) und 2) jeweils folgende wortlautgleiche Einverständniserklärung vom
23.12. bzw. 30.12.2009 vorgelegt: "Hiermit erkläre ich mein Einverständnis damit, dass die M Kranken- und Pflegegesellschaft
mbH in dem vorliegenden Rechtsstreit auch die Rückzahlung der Arbeitnehmeranteile geltend macht und dass die Beiträge im Falle
eines Obsiegens an die M Kranken- und Pflegegesellschaft mbH gezahlt werden. Diese wird mir die auf mich entfallenden Anteile
erstatten."
Durch Urteil vom 27.08.2010 hat das SG die Beklagte unter "Abänderung" des Bescheids vom 09.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2009 verurteilt,
überzahlte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1222,91 EUR nebst 4% Zinsen ab dem 26.01.2008 zurückzuzahlen. Zur Begründung
hat es Folgendes ausgeführt: Die Beklagte habe keinen Anspruch auf Nacherhebung von Sozialversicherungsbeiträgen für die nebenberuflich
beschäftigten Krankenschwestern, die Beigeladene zu 1) und die Beigeladene zu 2) für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.12.2006.
Da die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückerstattung der zuviel gezahlten Sozialversicherungsbeiträge in Höhe
von 1.511,63 EUR nach §
26 Abs.
2 SGB IV gehabt habe, habe sie bei der Beitragsentrichtung im November 2006 diesen Betrag bei der Beitragsabführung berücksichtigen
und von den noch zu zahlenden Beiträgen einbehalten bzw. ihn verrechnen können. Die Beklagte habe mit ihrer Gutschrift in
Höhe von 288,72 EUR den Steuerfreibetrag für November und Dezember 2006 bis zur Höchstgrenze berücksichtigt. Hierdurch habe
sich der Betrag, den die Beklagte zu.U.nrecht von der Klägerin gefordert habe, auf 1222,91 EUR reduziert. Da die Klägerin
diesen Betrag am 26.01.2008 an die Beklagte gezahlt habe, habe sie einen entsprechen Anspruch auf Rückzahlung nach §
26 Abs.
2 SGB IV. Die Klägerin habe die Beiträge in Höhe von 1.222,91 EUR zu.U.nrecht an die Beklagte gezahlt, da sie bei der Berechnung des
beitragspflichtigen Arbeitsentgeltes die Regelung des §
3 Nr.
26 EStG nicht berücksichtigt habe. Nach §
14 Abs.
1 SGB IV seien Arbeitsentgelte alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch
auf die Einnahmen bestehe, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet würden und ob sie unmittelbar aus
der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt würden. Gemäß §
14 Abs.
1 Satz 3
SGB IV gälten nicht als Arbeitsentgelt steuerfreie Aufwandsentschädigungen und die in §
3 Nr. 26 und 26a des Einkommenssteuergesetzes genannten steuerfreien Einnahmen. Zwischen den Beteiligten sei es unstreitig,
dass die Voraussetzungen des §
3 Nr. 26
EStG vorlägen. Sowohl die Beigeladene zu 1) als auch die Beigeladene zu 2) hätten in der Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.12.2006
nebenberuflich eine nach §
3 Nr. 26
EStG begünstigte Tätigkeit zu einem steuerbegünstigten Zweck bei einem steuerbegünstigten Arbeitgeber ausgeübt. Die Klägerin habe
diesen steuerfreien Betrag bis zum 31.10.2006 bei der Berechnung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages jedoch nicht berücksichtigt.
Dementsprechend seien Beiträge abgeführt worden, die unter Berücksichtigung der steuerfreien Pauschale steuerfrei gewesen
seien und daher nach §
14 Abs.
1 Satz 3
SGB IV nicht als Arbeitsentgelt anzusehen gewesen seien. Der Rechtsauffassung der Beklagten könne nicht gefolgt werden, soweit sie
geltend mache, durch die Berücksichtigung von §
3 Nr. 26
EStG werde in rechtswidriger Weise rückwirkend eine Änderung der Grundlagen des Versicherungsverhältnisses herbeigeführt. Die
Beklagte verkenne insoweit, dass weder eine nachträgliche Änderung tatsächlicher Umstände noch eine nachträgliche Änderung
der rechtlichen Verhältnisse durch die Berücksichtigung der steuerfreien Pauschale eintrete. Insoweit könne sich die Beklagte
auch nicht auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berufen, dass in rechtmäßig abgewickelte Versicherungsverhältnisse
nicht mehr rückwirkend eingegriffen werden dürfe. Die Regelung des §
3 Nr. 26
EStG habe zum Zeitpunkt der Beitragsabführung bereits vorgelegen und sei lediglich im Zeitpunkt der Beitragsberechnung von Seiten
des Arbeitgebers nicht zur Anwendung gebracht worden. Die Klägerin habe aufgrund des §
26 Abs.
2 SGB IV i.V.m. §
28 Nr.
2 SGB IV die Beiträge von der laufenden Beitragszahlung im November 2006 im Wege der Verrechnung einbehalten können. Die aufgrund
des rechtswidrigen Bescheids erbrachte Leistung in Höhe von 1.222,91 EUR habe die Beklagte an die Klägerin zurückzuzahlen.
Der Zinsanspruch beruhe auf §
27 Abs.
1 SGB IV.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 21.09.2010 zugestellte Urteil am 21.10.2010 Berufung eingelegt.
Zu deren Begründung trägt sie vor, dass die Auffassung des SG, wonach die im Steuerrecht zulässige rückwirkende Anwendung von §
3 Nr. 26
EStG auf für in vergangenen Abrechnungszeiträumen gezahlte Aufwandsentschädigungen auch in der Sozialversicherung nachträglich
zur Beitragsfreiheit führe, nicht haltbar sei. Diese Auffassung verkenne die Unterschiede zwischen Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht.
Während im Steuerrecht die rückwirkende Berücksichtigung steuerfreier Einnahmen für in der Vergangenheit liegende Abrechnungszeiträume
zulässig sei, weil die Abgaben zur Erfüllung staatlicher Aufgaben im Gegensatz zum Sozialversicherungsrecht grundsätzlich
zweckfrei allein nach der Leistungsfähigkeit erhoben würden, stehe der Anwendung dieses Rechtsgedankens in der Sozialversicherung
das mit Aufnahme der Beschäftigung durch Gesetz begründete Versicherungsverhältnis entgegen. Die rückwirkende Inanspruchnahme
des Tatbestands von §
3 Nr. 26
EStG und eine damit einhergehende rückwirkende Nichtberücksichtigung dieser Bestandteile im Rahmen des beitragspflichtigen Entgelts
verletze das schutzwürdige Vertrauen des Versicherten in sein bestehendes und "abgewickeltes" Versicherungsverhältnis. Der
ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei der Grundsatz zu entnehmen, dass in "abgewickelte" Versicherungsverhältnisse
nicht eingegriffen werden dürfe. Mithin sei für den Bereich der Sozialversicherung eine Übertragung nicht ausgeschöpfter steuerfreier
Beiträge auf abgelaufene Entgeltabrechnungszeiträume mit der Folge nachträglicher Beitragsfreiheit unzulässig.
Die Klägerin hat hierzu ausgeführt, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass eine nachträgliche Änderung tatsächlicher
Verhältnisse oder eine nachträgliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse durch die Berücksichtigung der steuerfreien Pauschale
eintrete. Insofern geht der Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach in rechtmäßig abgewickelte Versicherungsverhältnisse
nicht mehr rückwirkend eingegriffen werden dürfe, fehl. Die Regelung des §
3 Nr. 26
EStG habe zum Zeitpunkt der Beitragsabführung bereits vorgelegen. Sie sei lediglich im Zeitpunkt der Beitragsberechnung durch
die Klägerin nicht zur Anwendung gebracht worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 27.08.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen stellen keine Anträge.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten
Bezug genommen, die vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Sie hat demgegenüber jedoch keinen Erfolg, als das SG den von der Klägerin angefochtenen Bescheid vom 09.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2009 in Höhe von
1221,91 EUR "abgeändert" hat.
Diesem Begehren hat das SG zu Recht stattgegeben, da es den angefochtenen Bescheid in dieser Höhe "abgeändert", mithin aufgehoben hat.