Zulässigkeit der Entziehung eines Beitragszuschusses zur Krankenversicherung für Rentner nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X; Änderung der Verhältnisse durch den Beschluss des BVerfG vom 15.3.2000
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Beitragsanteilen zur gesetzlichen Krankenversicherung und Pflegeversicherung
sowie die Rückforderung von Zuschüssen zur freiwilligen Krankenversicherung und Pflegeversicherung.
Der im Jahr 1930 geborene Kläger bezieht seit dem 01.02.1995 von der Beklagten eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Da er zu Beginn der Rentenzahlung freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert war, gewährte die Beklagte
ihm mit Bescheid vom 10.07.1995 einen Zuschuss zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung. Ab dem 01.04.2002 wurde der
Kläger Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner bzw. Pflegeversicherung der Rentner und führte seitdem Beiträge zur
freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung nicht mehr ab.
Am 08.10.2008 erhielt die Beklagte durch den automatischen Datenabgleich Kenntnis davon, dass der Kläger seit dem 01.04.2002
Mitglied in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung war.
Mit Bescheid vom 21.10.2008 berechnete die Beklagte die Altersrente des Klägers neu, woraus sich ab dem 01.12.2008 eine monatliche
Zahlung von 411,05 € ergab. Für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.11.2008 ergab sich wegen der Neuberechnung auf Grund des Kranken-
und Pflegeversicherungsverhältnisses ab dem 01.04.2002 eine Überzahlung von 2.513,65 € unter Berücksichtigung einer Verjährung
der Beiträge für die Zeit bis zum 31.12.2003. Die nicht geleisteten Beiträge bzw. Anteile an den Beiträgen für die Kranken-
und Pflegeversicherung seien auch rückwirkend von der Rente einzubehalten und unabhängig davon entstanden, ob der Kläger wisse,
dass aus der Rente Beiträge einzubehalten gewesen seien. Es sei vorgesehen, die Überzahlung auf Grund der rückständigen Beiträge
bzw. Beitragsanteile aus der weiter ihm zu zahlenden Rente einzubehalten.
Zugleich wurde der Bescheid über die Bewilligung eines Zuschusses zur Krankenversicherung mit Wirkung ab dem 01.12.2008 nach
§ 48 SGB X aufgehoben.
Mit Bescheid vom 20.02.2009 hob die Beklagte nach Anhörung des Klägers den Bescheid vom 10.07.1995 über die Bewilligung des
Zuschusses zu den Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 01.04.2002 auf und setzte eine Erstattung für
die Zeit vom 01.04.2002 bis 30.11.2008 in Höhe von 2.606,41 € fest. Die rückwirkende Aufhebung des Bescheides sei statthaft,
da der Kläger auf Grund der ihm zur Verfügung gestellten Informationen aus dem Merkblatt zur "Krankenversicherung der Rentner
und Pflegeversicherung", dem Antrag auf Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung und dem den Beitragszuschuss bewilligenden
Bescheid gewusst haben müsse, dass wesentliche Voraussetzung für die Zahlung des Beitragszuschusses zur Krankenversicherung
das Bestehen einer freiwilligen Krankenversicherung sei. Der Kläger habe auf Grund der schriftlichen Mitteilung der B E auch
gewusst, dass die Krankenkasse die freiwillige Mitgliedschaft zum 31.03.2002 beendet habe, und dass ab 01.04.2002 Versicherungspflicht
in der Krankenversicherung bestanden habe. Der Kläger habe auch gewusst, dass er über den 31.03.2002 hinaus dennoch einen
Beitragszuschuss erhalten habe, was sich ganz offensichtlich aus den jährlichen Rentenanpassungsmitteilungen ergebe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2009 hinsichtlich der Bescheide vom 21.10.2008 und 20.02.2009 entschied die Beklagte, dass
die Nachforderung der Beitragsanteile zur Krankenversicherung der Rentner für die Zeit vom 01.01.2004 bis 30.11.2008 in Höhe
von 2.513,65 € zulässig und noch nicht verjährt sei. Sozialhilfebedürftigkeit trete nicht ein. Hinsichtlich der Forderung
der zu Unrecht gezahlten Zuschüsse zu den Aufwendungen der Kranken- und Pflegeversicherung werde im Rahmen eines zuzurechnenden
Mitverschuldens der B E im Wege der Ermessensausübung die Rückforderung des überzahlten Beitragszuschusses auf die Hälfte,
1.303,20 €, reduziert. Ein vollständiger Verzicht komme nicht in Betracht, da der Kläger auf Grund der Ausführungen in den
beitragszuschussbewilligenden Bescheiden auch wisse, dass eine Änderung des Krankenversicherungsverhältnisses mitzuteilen
gewesen wäre.
Mit Urteil vom 17.01.2011 hat das Sozialgericht Koblenz die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt,
die Beklagte habe zu Recht mit dem Bescheid vom 21.10.2008 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum
vom 01.01.2004 bis 30.11.2008 angefordert. Rechtsgrundlage für die Nacherhebung der Beiträge sei §
255 Abs.
2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) iVm §
60 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI). Danach seien Beiträge, die Versicherungspflichtige aus der Rente zu tragen hätten, von den Trägern der Rentenversicherung
bei Zahlung der Rente einzubehalten und zusammen mit dem Beitragsanteil des Rentenversicherungsträgers abzuführen. Sei bei
Zahlung der Rente die Einbehaltung von Beiträgen unterblieben, so seien die rückständigen Beiträge durch den Träger der Rentenversicherung
aus der weiterhin zu zahlenden Rente einzubehalten. Diese Voraussetzungen lägen hier vor, da der Kläger seit dem 01.04.2002
als Bezieher einer Regelaltersrente in der gesetzlichen Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig
und damit grundsätzlich beitragspflichtig sei. Er habe den Beitrag nicht persönlich zu zahlen, da die Beiträge von den Trägern
der Rentenversicherung bei der Zahlung der Rente einzubehalten und abzuführen seien. Dieser Beitragspflicht sei der Kläger
im Zeitraum vom 01.04.2002 bis 30.11.2008 nicht nachgekommen. Es sei unerheblich, aus welchem Grund die Beitragszahlungen
unterblieben seien.
Die Beklagte habe auch die Verjährungsregelungen (§
25 Viertes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB IV -) zutreffend angewandt. Danach verjährten Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie
fällig geworden seien, so dass die Beklagte von der Beitragserhebung für die Zeit vom 01.04.2002 bis 31.12.2003 abgesehen
habe. Weiteren Einschränkungen unterliege die Nacherhebung der Beitragsentrichtung nicht.
Die Beklagte habe zu Recht die Gewährung des Beitragszuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung gemäß § 48 SGB X ab dem 01.04.2002 aufgehoben. Nach §
106 Abs.
2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VI) erhielten Rentenbezieher, die freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung oder bei einem Krankenversicherungsunternehmen,
das der deutschen Aufsicht unterliege, versichert seien, zu ihrer Rente einen Zuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung,
was nicht gelte, wenn sie gleichzeitig in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert seien. Gemäß § 106a
SGB VI in der bis zum 31.03.2004 geltenden Fassung, erhielten Rentenbezieher, die in der gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig
versichert oder nach den Vorschriften des
SGB XI versichert seien, zu ihrer Rente einen Zuschuss für die Aufwendungen für die Pflegeversicherung. Auf Grund der Änderungen
des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses sei der Kläger ab dem 01.04.2002 aber nicht mehr in der freiwilligen Kranken-
und Pflegeversicherung Mitglied gewesen, sondern vielmehr in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner
pflichtversichert. Damit habe er ab diesem Zeitpunkt keinen Anspruch auf Gewährung eines Beitragszuschusses mehr gehabt. Auch
wenn der Kläger nach seinen Angaben die ihm zugesandten Schreiben zwar durchgelesen, aber gedacht habe, das sei so richtig,
sei davon auszugehen, dass der Kläger gewusst habe, dass er keinen Anspruch auf den Zuschuss zur freiwilligen Kranken- und
Pflegeversicherung gehabt habe. Dieser Zuschuss sei ihm im Bescheid vom 10.07.1995 ausdrücklich als Beitragszuschuss zur freiwilligen
Kranken- und Pflegeversicherung gewährt worden, der er ab dem 01.04.2002 nicht mehr angehört habe. Dennoch habe er diesen
Beitragszuschuss erhalten. Daher habe er wissen müssen, dass ihm ein Beitragszuschuss nicht mehr zustehe, wenn er keine freiwilligen
Beiträge entrichte. Sofern er sich einfach nicht um das Renten- und Kranken- bzw Pflegeversicherungsverhältnis gekümmert habe,
sei ihm zumindest grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Damit lägen insgesamt die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X vor, so dass die Beklagte die Bewilligung des Beitragszuschusses zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bereits
ab Änderung der Verhältnisse habe aufheben können. Sie habe das ihr zustehende Ermessen auf Grund eines atypischen Falles
auch ohne erkennbare Fehler ausgeübt und die Forderung um die Hälfte reduziert, da sie die durch die Krankenversicherung verspätete
Meldung berücksichtigt habe.
Am 08.02.2011 hat der Kläger gegen das ihm am 27.01.2011 zugestellte Urteil Berufung eingelegt.
Der Kläger trägt vor,
das Sozialgericht habe übersehen, dass ein rückwirkender Einbehalt ausgeschlossen sei, wenn der Rentner dadurch sozialhilfebedürftig
werde. Dies sei hier der Fall. Er verfüge neben seiner Altersrente in Höhe von 421,88 € über kein weiteres Einkommen und Vermögen.
Seine Ehefrau beziehe eine Rente in Höhe von 262,01 €, so dass er bereits jetzt sozialhilfebedürftig und außer Stande sei,
eine Rückzahlung zu leisten. Eine Bescheinigung des Sozialamtes wolle er nicht vorlegen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 17.01.2011 sowie die Bescheide der Beklagten vom 21.10.2008 und 20.02.2009 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2009 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte trägt vor,
Gegenstand des Berufungsverfahrens sei die Grundentscheidung, ob Beiträge nachträglich zu erheben und die Zuschussbewilligung
für die Vergangenheit aufzuheben sei. Die Frage, ob bzw. in welcher Höhe die rückständigen Beiträge aus der weiterhin zu zahlenden
Rente einzubeziehen seien, sei nicht Gegenstand des Verfahrens.
Im Übrigen wird zur Ergänzung Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen und den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des
Beklagten sowie der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet, da das Sozialgericht zu Recht die Anfechtungsklage (§
54 Abs.
1 SGG) gegen die Bescheide der Beklagten vom 21.10.2008 und 20.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2009
abgewiesen hat.
Der Bescheid vom 20.02.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.10.2009 ist rechtmäßig, da die Beklagte zu Recht
mit diesen Bescheiden den im Bescheid vom 10.07.1995 bewilligten Zuschuss zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung
ab dem 01.04.2002 bis 30.11.2008 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X aufgehoben hat.
In den Verhältnissen, die für die Erteilung des Bescheids vom 10.07.1995 maßgeblich waren, ist zum 01.04.2002 eine wesentliche
Änderung eingetreten. Die diesem Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Zeitpunkt seines Erlasses zugrunde liegenden rechtlichen
Verhältnisse haben sich dadurch geändert, dass die freiwillige Mitgliedschaft des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung
und die deswegen bestehende Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung mit Ablauf des 31. März 2002 geendet hat.
Dies ist zurückzuführen auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15.03.2000 (1 BvL 16/96 u.a., SozR 3-2500 § 5 Nr. 42), mit dem die Unvereinbarkeit des §
5 Abs.
1 Nr.
11 Halbsatz 1
SGB V idF des Gesundheitsstrukturgesetzes mit Artikel
3 Abs.
1 Grundgesetz festgestellt worden ist. Zugleich hatte das BVerfG erkannt, dass sich ab dem 01.04.2002 der Zugang zur Krankenversicherung
der Rentner nach §
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V idF des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz) vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I Seite 2, 4, 77) bestimmt. Da der Kläger von der Option zur Weiterversicherung als freiwillig Versicherter keinen Gebrauch gemacht hatte,
war er seit dem 01.04.2002 als Bezieher einer Regelaltersrente in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung versicherungs-
und beitragspflichtig (§§
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V; §
252 Satz 1
SGB V). Mit der Begründung einer Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenkasse zum 01.04.2002 (und dem damit einhergehenden
Wegfall der Verpflichtung des Klägers zur Entrichtung von Beiträgen für eine freiwillige Krankenversicherung) sind materiellrechtlich
die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Weitergewährung des Zuschusses zu den Aufwendungen für die (freiwillige) Krankenversicherung
nach §
106 Abs.
1 Satz 1
SGB VI weggefallen. Darin liegt eine wesentliche Änderung in den der Bewilligung des Zuschusses zugrunde liegenden rechtlichen Verhältnisse
im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Daher war die Beklagte zunächst berechtigt und verpflichtet, mit dem Bescheid vom 21.10.2008 den Rentenbewilligungsbescheid
vom 10.07.1995 hinsichtlich der Zuschüsse zu den Aufwendungen für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft, d.h. ab dem 01.12.2008 aufzuheben.
Aber auch die rückwirkende Abänderung ab dem 01.04.2004 hat die Beklagte zu Recht hier vorgenommen. Der Anspruch der Beklagten
hierzu ergibt aus §§ 50; 48 Abs. 1 Nr. 3 SGB X.
In den Fällen einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X soll der Verwaltungsakt nach Satz 2 dieser Vorschrift mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben
werden, wenn und soweit
1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen
der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur
Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat, dass
der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen
ist.
Ob die Voraussetzungen einer rückwirkenden Aufhebung des Bescheids vom 10.07.1995 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X vorlagen, wovon das Sozialgericht ausgegangen ist, lässt der Senat dahinstehen. Daher kann die Frage offen bleiben, ob die
hierzu erforderliche jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Unrichtigkeit des Weiterbezugs des Zuschusses
zum freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung als nachgewiesen anzusehen ist, wofür manches spricht.
Die Änderung ist im vorliegenden Fall jedenfalls nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X zulässig. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X dann geboten, wenn und soweit dies durch den dieser Vorschrift vom Gesetzgeber zugewiesenen Zweck gefordert wird. Nach der
Rechtsprechung des BSG (SozR 3-2500 § 56 Nr 2; SozR 1300 § 48 Nr 22; und Urteil vom 26.08.1994 - 13 RJ 29/93 - juris) ist die Norm auch in Fallgestaltungen anwendbar, in denen der Anspruch infolge nachträglich erzielter Einkünfte
zum Ruhen gekommen ist oder wenn etwa von demselben Sozialleistungsträger eine andere höhere Leistung gewährt wird, die den
Bezug der schon empfangenen Sozialleistung ausschließt.
Der vom Gesetzgeber mit § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X verfolgte Zweck gebietet eine Heranziehung dieser Norm auch in Fallgestaltungen der vorliegenden Art, in denen noch ein Beitragszuschuss
gewährt worden ist, obwohl der zu bezuschussende Beitrag nach Erlass des Bewilligungsbescheides durch eine rechtliche Änderung
(wie hier durch die Neuregelung zum 01.04.2002) entfallen war. Eine Weiterzahlung entsprechender Beitragszuschüsse nach Wegfall
des zu bezuschussenden Beitrages wäre in jedenfalls gleichem Maße sinnentleert wie die Belassung einer Sozialleistung, deren
gesetzlicher Zuwendungsgrund durch eine nachträgliche Erzielung von Einkommen oder Vermögen weggefallen ist und bezüglich
derer § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X schon nach seinem ausdrücklich geregelten Anwendungsbereich eine Rückforderung auch für die Vergangenheit vorsieht. Eine
Besserstellung des Leistungsempfängers durch den nachträglichen Wegfall einer Beitragspflicht verbessert grundsätzlich ebenso
seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wie die nachträgliche Erzielung von Einkommen und Vermögen. Es ist letztlich als
ein Versehen des Gesetzgebers zu werten, dass er nicht allgemein auf den nachträglichen Wegfall der der Bewilligung der Sozialleistung
zugrunde liegenden wirtschaftlichen Verhältnisse abgestellt hat, sondern ausdrücklich nur den (in der Verwaltungspraxis weitaus
am häufigsten anzutreffenden) Fall der nachträglichen Erzielung von Einkommen bzw. Vermögen erfasst hat (ebenso Landessozialgericht
Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.08.2010. Az.: L 2 R 16/08 -juris mwN). Für eine erweiternde Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X spricht außerdem, dass die Beklagte nach § 45 SGB X zur Rückforderung der gewährten Beitragszuschüsse berechtigt wäre, wenn sie den Renten- und Beitragszuschussbewilligungsbescheid
erst im April 2002 erlassen hätte und dieser damit als anfänglich rechtswidrig zu beurteilen wäre. Bei ansonsten gleichem
Ablauf hätte sich der Kläger nicht auf schutzwürdiges Vertrauen im Sinne des § 45 Abs. 2 SGB X berufen können, da schutzwürdige Vertrauensbetätigung nicht ersichtlich ist. Die übrigen Voraussetzungen des § 48 SGB X, insbesondere die Beachtung der Fristen (§ 48 Abs. 4 SGB X) liegen vor.
Deshalb hat hier die Beklagte zu Recht rückwirkend den Bescheid vom 10.07.1995 hinsichtlich der Bewilligung eines Beitragszuschusses
zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung ab 01.04.2002 aufhoben, so dass nach § 50 Satz 1 SGB X die sich daraus ergebenden Beträge zu erstatten sind, wobei im Widerspruchsbescheid eine Reduzierung wegen der verspäteten
Meldung der BEK auf die Hälfte der Forderung im Rahmen der Ermessensausübung vorgenommen worden ist.
Schließlich war die Beklagte auch berechtigt und verpflichtet, rückwirkend Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung
des Klägers für die Zeit ab dem 01.01.2004 anzufordern.
Rechtsgrundlage für die Nacherhebung im Bescheid vom 21.10.2008 ist §
255 Abs.
1 SGB V. Danach sind Beiträge, die Versicherungspflichtige aus ihrer Rente zu tragen haben, von den Trägern der Rentenversicherung
bei der Zahlung der Rente einzubehalten und zusammen mit dem Beitragsanteil des Rentenversicherungsträgers abzuführen. Ist
bei der Zahlung der Rente die Einbehaltung von Beiträgen unterblieben, sind die rückständigen Beiträge durch den Träger der
Rentenversicherung aus der weiterhin zu zahlenden Rente einzubehalten (§
255 Abs.
2 Satz 1
SGB V).
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier unstreitig vor. Der Kläger war in der Zeit ab dem 01.01.2002 als Bezieher
einer Regelaltersrente versicherungspflichtig in der gesetzlichen Kranken- und der sozialen Pflegeversicherung (§
5 Abs.
1 Nr.
11 SGB V und §
29 Abs.
1 Nr.
11 SGB XI), da er nicht (mehr) freiwillig versichert war. Damit ist er nach §
252 Satz 1
SGB V grundsätzlich beitragszahlungspflichtig. Dieser Beitragspflicht hat der Kläger in dem hier streitigen Zeitraum nicht genügt.
Es sind von seiner Rente keinerlei Beitragsanteile einbehalten oder sonstwie bezahlt worden.
Damit liegen die Voraussetzungen des §
255 Abs.
2 SGB V für eine Nacherhebung vor. Diese Bestimmung enthält keinen Ermessensspielraum des Trägers der Rentenversicherung und auch
keine Regelung über einen irgendwie gearteten Vertrauensschutz. Daher muss der Rentenversicherungsträger bei Nichterfüllung
der Abführungspflicht die rückständigen Beiträge von der Rente abziehen (vgl. BSG Urteil vom 15.06.2000, SozR 3-2500 § 255
Nr. 1), hier also rückwirkend ab dem 01.02.2002. Diese Nacherhebung von Beiträgen verstößt grundsätzlich nicht gegen Treue
und Glauben, jedenfalls wenn sie innerhalb der Grenzen der Verjährung erfolgt (so BSG Urteil vom 23.05.1989, SozR 2200 § 393a Nr. 3 zu dem insoweit inhaltsgleichen früheren Recht des § 393a
RVO; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 14.04.2005, Aktenzeichen: L 7 R 952/04), was die Beklagte hier mit der Begrenzung der Nacherhebung ab dem 01.01.2004 beachtet hat.
Die in § 255 Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz vorgesehene Einschränkung durch §
51 Abs.
2 SGB I, wonach eine Aufrechnung nicht möglich ist, soweit der Leistungsberechtigte nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im
Sinne des SGB XII (früher BSHG) wird, sind von der Beklagten bei der Ausführung zu beachten. Der Kläger hat zwar vorgetragen, durch Vollziehung der Nachforderung
sozialhilfebedürftig zu werden. Dies ist aber durch eine substantiiert Darlegung seiner sämtlichen Ein- und Ausgaben bzw.
eine entsprechende amtliche Bescheinigung nicht nachgewiesen. Der Kläger hat vielmehr zuletzt vor dem Sozialgericht erklärt,
eine Bescheinigung des Sozialamtes könne nicht vorgelegt werden.
Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf §
193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG) nicht vorliegen.