Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
Rücknahme eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens
Anforderungen an einen objektiv konkretisierbaren Antrag im Sinne von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X
Tatbestand
Streitig ist der Anspruch der Kläger auf Rücknahme eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheids im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens.
Der 1978 geborene Kläger zu 1 ist der Vater der am 2012 geborenen Klägerin zu 2 und des am 2009 geborenen Klägers zu 3. Die
Kläger wohnen zusammen mit der Ehefrau des Klägers zu 1 und Mutter der Kläger zu 2 und 3 in einer Mietwohnung in L a R . Mietvertragspartner
sind der Kläger zu 1 und seine Ehefrau. Die Grundmiete für die Wohnung betrug 545,30 Euro monatlich. Hinzu kamen Heizkosten
in Höhe von 30 Euro und Nebenkosten in Höhe von insgesamt 150 Euro monatlich einschließlich Kosten für zentrale Warmwasserversorgung
sowie ein Beitrag von 4,50 Euro monatlich für eine Haftpflichtversicherung, zu deren Abschluss eine mietvertragliche Verpflichtung
bestand. Auf den Mietvertrag vom 2012 auf Bl. 15ff. der Beklagtenakte Band I wird insoweit Bezug genommen.
1. Seit dem 01.10.2012 bezogen die Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und stellten durch den Kläger zu 1 am 12.09.2013 einen Weiterbewilligungsantrag.
Der Kläger zu 1, der als Raumausstatter selbstständig tätig war, machte im Rahmen des Formulars EKS - Erklärung zum Einkommen
aus selbstständiger Tätigkeit etc. - Angaben zum voraussichtlichen Einkommen, aus denen der Beklagte einen voraussichtlichen
durchschnittlichen monatlichen Gewinn in Höhe von 353,67 Euro errechnete. Für die Kläger zu 2 und 3 erhielt die Familie Kindergeld
in Höhe von jeweils 184 Euro monatlich. Die Ehefrau des Klägers zu 1 bezog im Zeitraum vom 01.11.2013 bis zum 28.02.2014 Betreuungsgeld
nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz in Höhe von 100 Euro monatlich.
Mit Bescheid vom 14.10.2013 bewilligte der Beklagte den Klägern für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 28.02.2014 vorläufig
Leistungen nach dem SGB II. Dem Kläger zu 1 wurden 444,63 Euro für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.10.2013 bewilligt, wobei im Bescheid zwischen
dem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts (280,38 Euro) und Bedarfen für Unterkunft und Heizung (164,25 Euro) differenziert
wurde. Für den Zeitraum vom 01.11.2013 bis zum 28.02.2014 wurden ihm 419,60 Euro bewilligt, wobei auch hier zwischen dem Regelbedarf
zur Sicherung des Lebensunterhalts (255,35 Euro) und Bedarfen für Unterkunft und Heizung (164,25 Euro) differenziert wurde.
Grund für die vorläufige Bewilligung waren die zu erwartenden Einnahmen aus selbstständiger Tätigkeit des Klägers zu 1. Den
Klägern zu 2 und 3 wurden für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.10.2013 Leistungen in Höhe von jeweils 177,13 Euro (Regelbedarf
12,88 Euro und Bedarfe für Unterkunft und Heizung 164,25 Euro) bewilligt, für die Zeit vom 01.11.2013 bis zum 28.02.2014 jeweils
Leistungen in Höhe von 167,16 Euro monatlich (Regelbedarf 2,91 Euro und Bedarfe für Unterkunft und Heizung 164,25 Euro). Der
Ehefrau des Klägers zu 1 bewilligte der Beklagte im genannten Bescheid ebenfalls entsprechende Leistungen wie dem Kläger zu
1. Dabei legte der Beklagte eine Kaltmiete von 477,00 Euro zzgl. Heizkosten in Höhe von 30,00 Euro, Nebenkosten in Höhe von
75,00 Euro und Kosten für Wasser/Abwasser/Warmwasser in Höhe von 75,00 Euro zugrunde, die er nach gleichen Kopfteilen auf
alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilte.
Mit Änderungsbescheid vom 23.11.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 1 für die Zeit vom 01.01.2014 bis 28.02.2014 Leistungen
in Höhe von monatlich 428,01 Euro (Regelbedarf: 263,76 Euro, Bedarfe für Unterkunft und Heizung: 164,25 Euro). Den Kläger
zu 2 und 3 wurden für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 28.02.2014 jeweils Leistungen in Höhe von 171,97 Euro monatlich
(Regelbedarf: 7,72 Euro, Bedarfe für Unterkunft und Heizung: 164,25 Euro) bewilligt. Der Ehefrau des Klägers zu 1 bewilligte
der Beklagte im genannten Bescheid ebenfalls entsprechende Leistungen wie dem Kläger zu 1. Weiter bestimmte der Beklagte,
dass "die bisher in diesem Zusammenhang ergangenen Bescheide (...) insoweit zum 01.01.2014 aufgehoben" werden. Als Grund für
die Änderung war die Anpassung der Regelbedarfe zum 01.01.2014 genannt. Im Anschluss an Rechtsbehelfsbelehrung und Grußformel
hatte der Beklagte unter "Beachten Sie bitte folgende Punkte besonders" u.a. folgenden Hinweis angefügt: "4. Soweit die Leistungen
bisher vorläufig bewilligt wurden, bleibt die Vorläufigkeit bestehen (§ 40 Absatz 2 Nummer 1 SGB II in Verbindung mit §
328 SGB III). Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen."
2. Am 23.06.2014 gab der Kläger zu 1 bei dem Beklagten eine abschließende Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit
(EKS) für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 28.02.2014 ab. Danach habe er für den gesamten Zeitraum Betriebseinnahmen in
Höhe von 14.181 Euro und Ausgaben in Höhe von 9.510,81 Euro gehabt. Bei den Ausgaben waren eine Investition in Höhe von 7.600
Euro für die Anschaffung eines PKW und diesbezügliche weitere Kosten für Steuern, Versicherung und laufende Betriebskosten
in Höhe von insgesamt 1.074,72 Euro enthalten.
Mit Schreiben vom 27.11.2014, im Betreff als "Anhörung nach § 24 SGB X aEKS 10/13 - 02/14" bezeichnet, forderte der Beklagte den Kläger zu 1 auf, alle Nachweise für die Betriebseinnahmen und -ausgaben,
ebenso die Kontoauszüge (schriftlich und privat) und ggf. monatliche BWA´s vom Steuerberater für den oben genannten Bewilligungszeitraum
bis zum 15.12.2014 einzureichen. Dabei wies der Beklagte darauf hin, dass das Einkommen, sollten die Nachweise nicht erbracht
werden, für die abschließende Entscheidung geschätzt werde, wobei dann davon ausgegangen würde, dass mit dem Einkommen der
komplette Bedarf der Bedarfsgemeinschaft hätte gedeckt werden können und die Leistungen dann in voller Höhe inkl. der Beiträge
zur Kranken- und Pflegeversicherung von allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft zu erstatten seien.
Mit Bescheid vom 10.02.2015, im Betreff als "Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruches"
bezeichnet, teilte der Beklagte dem Kläger zu 1 mit, dass, da nun über seinen Leistungsanspruch endgültig habe entschieden
werden können, festgestellt worden sei, dass er keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts habe. Die
abschließende EKS für den Zeitraum Oktober 2013 bis Februar 2014 habe einen Gewinn von 2.668,98 Euro ergeben. Die Kfz-Kosten
könnten nicht anerkannt werden, da kein Fahrtenbuch als Nachweis für ein Betriebs-Kfz geführt worden sei. Der Beklagte verlangte
daher vom Kläger zu 1 die Erstattung von insgesamt 2.139,85 Euro. Bei der Klägerin zu 2 und bei dem Kläger zu 3 wurde der
Erstattungsbetrag jeweils auf insgesamt 855,39 Euro festgesetzt. Insgesamt verlangte der Beklagte die Erstattung von 3.850,63
Euro. Die Beträge schlüsselte der Beklagte nach den den Klägern zu 1, 2 und 3 jeweils als Regelbedarf Alg II bzw. Sozialgeld,
Bedarfe für Unterkunft und Heizung und Mehrbedarf Energie-Warmwasser vom 01.10.2013 bis 28.02.2014 erbrachten Leistungen gesondert
auf.
Gegenüber der Ehefrau des Klägers zu 1 erließ der Beklagte einen weiteren Erstattungsbescheid vom 10.02.2015 über einen Betrag
vom 2.139,85 Euro.
3. Am 12.04.2015 gingen bei dem Beklagten drei Schreiben der damaligen Bevollmächtigten der Kläger vom 08.04.2015 "wegen Erstattungsbescheid
vom 10.02.2015 (10/13-02/14)" ein, in dem diese darum bat, nunmehr über den Widerspruch zu entscheiden.
Mit Schreiben vom 17.04.2015 informierte der Beklagte die damalige Bevollmächtigte der Kläger darüber, dass dort keine Widersprüche
vorlägen und daher darum gebeten werde, eine Kopie des Widerspruchsschreibens, eine Faxbestätigung sowie die Vollmachten vorzulegen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.05.2015 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.02.2015 als unzulässig,
da verfristet, zurück.
4. Am 07.05.2015 gingen bei dem Beklagten drei Schreiben der damaligen Bevollmächtigten der Kläger vom 08.04.2015 "wegen Bescheid
vom 14.10.2013, vorläufig (10/13-02/14)" ein, in dem diese unter Vollmachtsvorlage die "endgültige Festsetzung der Leistungen
nach SGB II" beantragte.
Mit Schreiben vom 08.05.2015 informierte der Beklagte die damalige Bevollmächtigte der Kläger darüber, dass der vorläufige
Bewilligungsbescheid vom 14.10.2013 mit Erstattungsbescheid bei endgültiger Festsetzung des Leistungsanspruchs vom 10.02.2015
an den Kläger zu 1 auch als Vertreter seiner minderjährigen Kinder, der Kläger zu 2 und 3, bereits endgültig entschieden worden
sei.
5. Am 07.05.2015 gingen bei dem Beklagten drei weitere Schreiben der damaligen Bevollmächtigten der Kläger vom 06.03.2015
"wegen Erstattungsbescheid vom 10.02.2015 (10/13-02/14)" ein, in dem diese eine Überprüfung des Bescheids vom 10.02.2015 gemäß
§ 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) beantragte.
Mit Schreiben vom 08.05.2015 forderte der Beklagte die damalige Bevollmächtigte der Kläger auf, ihre Anträge gemäß § 44 SGB X zu begründen.
Mit Schreiben vom 25.06.2015 bat die damalige Bevollmächtigte der Kläger die Beklagte darum, über die Überprüfungsanträge
zu entscheiden; eine Begründung der Anträge erfolgte nicht.
Mit Bescheid vom 29.07.2015 lehnte der Beklagte die Überprüfungsanträge der Kläger "ohne Sach- und Rechtsprüfung" ab. Zur
Begründung führte er aus, dass es für einen Antrag im Sinne des § 44 SGB X erforderlich sei, dass Gründe für deren Unrichtigkeit angegeben würden. Werde der Antrag pauschal gestellt, so könne dieser
ohne Sach- und Rechtsprüfung durch die Behörde abgelehnt werden. Gründe, die für die Unrichtigkeit des Bescheids (vom 10.02.2015)
sprächen, seien trotz Aufforderung nicht vorgetragen worden, so dass der Antrag unzulässig und eine Sach- und Rechtsprüfung
nicht erforderlich sei.
Dagegen erhoben die Kläger jeweils mit Schreiben vom 10.08.2015 (Eingang beim Beklagten am 17.08.2015) Widerspruch. Die Widersprüche
wurden - auch nach Hinweis des Beklagten mit Schreiben vom 31.08.2015, dass die dortigen Feststellungen keine Anhaltspunkte
für eine Fehlerhaftigkeit des Bescheids ergeben hätten, und weitere Nachfrage des Beklagten, warum der Bescheid nicht richtig
sein sollte - nicht begründet.
Mit einem einheitlichen Widerspruchsbescheid vom 25.11.2015 (Geschäftszeichen: , und ) wies der Beklagte die Widersprüche
der Kläger als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Kläger nichts vorgebracht hätten, was für die
Unrichtigkeit der Entscheidung (vom 10.02.2015) sprechen könne. Es ergäben sich auch keine neuen Erkenntnisse, die dafür sprächen,
dass die Entscheidung falsch sei. Der Beklagte habe daher eine sachliche Prüfung des Bescheides vom 10.02.2015 ablehnen dürfen.
Auch die Rechtsbehelfsstelle müsse sich auf die Bindungswirkung berufen.
Dagegen haben die Kläger am 28.12.2015 Klage beim Sozialgericht Speyer (SG) erhoben und zur Begründung vorgetragen, dass die Leistungen mit Bescheid vom 14.10.2013 lediglich vorläufig bewilligt worden
seien. Eine endgültige Bewilligung der Leistungen sei nur für Januar 2014 und Februar 2014 mit Bescheid vom 23.11.2013 erfolgt.
Für den übrigen Zeitraum sei kein endgültiger Leistungsbescheid erlassen worden. Ohne eine endgültige Leistungsbewilligung
könne aber keine Erstattung gefordert werden. Darüber hinaus habe in engem zeitlichem Zusammenhang mit einem Erstattungsbescheid
ein Änderungsbescheid zu ergehen, wonach die tatsächlich zustehenden Leistungen zu berechnen seien. Durch den Änderungsbescheid
und den Rückforderungsbescheid zusammen könne der Leistungsempfänger dann nachvollziehen, ob die Rückforderung berechtigt
sei und die Leistungen korrekt berechnet worden seien. An diesem Änderungsbescheid mangele es hier ebenfalls. Ungeachtet dessen
sei die Kaltmiete zu niedrig bewilligt worden. So seien hier lediglich 477 Euro monatlich bewilligt worden. Angefallen seien
jedoch 545,30 Euro monatlich. Die Haftpflichtversicherung von monatlich 4,50 Euro sei ebenfalls anzuerkennen. Nach der Entscheidung
des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.11.2006 (B 7b AS 10/06 R) habe der Beklagte die Kosten der Unterkunft und Heizung nicht rechtsfehlerfrei gekürzt, weil der Beklagte eine konkrete
Angemessenheitsprüfung durchzuführen habe, wenn die Wohnung nach den abstrakten Maßstäben unangemessen wäre. Dies habe der
Beklagte nicht getan; eine konkrete Angemessenheitsprüfung sei nicht durchgeführt worden. Es sei ständige Rechtsprechung des
BSG, dass bei falscher Rechtsanwendung keine Begründung des Überprüfungsantrags erfolgen müsse. Vorliegend handele es sich um
eine falsche Rechtsanwendung, so dass der Überprüfungsantrag bestimmt genug gewesen sei. Ein Überprüfungsantrag sei nach der
Rechtsprechung des BSG im Übrigen dann bestimmt genug, wenn der zu überprüfende Bescheid genannt werde bzw. eindeutig von der Behörde bestimmbar
sei, was hier der Fall gewesen sei. Der Beklagte habe zudem durch die Bestimmung, dass der Erstattungsbetrag komplett an den
Inkassoservice der Bundesagentur für Arbeit zu überweisen sei, sein Ermessen gemäß § 43 Abs. 1 SGB II nicht ausgeübt. Hiernach müsse in Bezug auf die Frage, ob eine Aufrechnung angeordnet werde, Ermessen ausgeübt werden. Dies
habe der Beklagte unterlassen.
Die Kläger haben noch Beitragsrechnungen über eine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung vorgelegt. Auf Bl. 23, 33 ff. der
Gerichtsakte wird insoweit Bezug genommen.
Der Beklagte ist dem klägerischen Vorbringen dergestalt entgegen getreten, als er ausgeführt hat, dass im Rahmen der Überprüfungsanträge
keinerlei Sachvortrag erfolgt sei, was an dem Bescheid vom 10.02.2015 hätte falsch sein sollen. Auf eine Aufforderung des
Beklagten, den Überprüfungsantrag zu begründen, habe die Klägerbevollmächtigte nicht reagiert. Auch im Widerspruchsverfahren
sei - trotz nochmaliger Anforderung einer Begründung - keinerlei Sachvortrag erfolgt. Im Klageverfahren trage die Bevollmächtigte
nun erstmals etwas vor. Dazu werde der Beklagte aber nicht Stellung nehmen; die Klage sei vielmehr zurückzuweisen, da die
Ablehnung der Überprüfung mangels Vortrages zu Recht erfolgt sei. Zum Änderungsbescheid vom 23.11.2013 sei anzumerken, dass
es sich um eine zentral versandten sog. Batch-Bescheid handele, welcher lediglich die Erhöhung des Regelbedarfs zum Gegenstand
gehabt habe; eine Neuregelung sei damit nicht erfolgt, sondern lediglich die vorangegangene Bewilligung wiederholt worden.
Deshalb sei auch der Hinweis am Ende des Bescheids auf die weiterhin bestehende Vorläufigkeit ausreichend.
Weiter hat der Beklagte - auf Nachfrage des SG - mitgeteilt, dass das Forderungskonto der Kläger ausgeglichen sei und keine Forderungen mehr offen seien.
Den Antrag der Kläger auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das SG mit Beschluss vom 10.05.2016 abgelehnt; die dagegen eingelegte Beschwerde ist per Beschluss des Landessozialgerichts (LSG)
Rheinland-Pfalz vom 16.02.2017 zurückgewiesen worden (Az.: L 3 AS 290/16 B).
Mit Urteil vom 08.09.2017 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 29.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2015 verpflichtet,
den Bescheid vom 10.02.2015 mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen und über eine Rücknahme des Bescheids vom 10.02.2015
mit Wirkung für die Vergangenheit zu entscheiden, soweit die Erstattung von Leistungen für die Zeit vom 01.01.2014 bis zum
28.02.2014 verlangt wird. Darüber hinaus hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass der Beklagte mit dem Bescheid vom 29.07.2015 die Rücknahme sowohl der endgültigen Festsetzungsentscheidung
bzw. Ablehnungsentscheidung als auch der Erstattungsverfügung aus dem Bescheid vom 10.02.2015 abgelehnt habe. Der Bescheid
vom 29.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2015 sei entgegen der Rechtsauffassung des Beklagten nicht bereits
deshalb rechtmäßig, weil der Beklagte mangels inhaltlicher Begründung der Überprüfungsanträge zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung
zu Recht eine inhaltliche Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 10.02.2015 abgelehnt hätte. Für diese Rechtsauffassung
fehle es an einem rationalen Bezug zum geltenden Gesetzesrecht. Schon auf der Ebene des Verwaltungsverfahrens fehle es an
einer Regelung, die es der Behörde erlauben würde, einen Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts nur deshalb abzulehnen, weil
dieser nicht begründet worden sei. Im Gegenteil ergebe sich aus § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X, dass die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln habe. Die Beteiligten sollten gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 SGB X lediglich bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken und insbesondere ihnen bekannte Tatsachen und Beweismittel angeben.
Weitergehende Pflichten nach § 21 Abs. 2 Satz 3 SGB X bestünden nur, soweit sie durch Rechtsvorschrift besonders vorgesehen seien. Für die Durchsetzung von Mitwirkungsobliegenheiten
stellten die Regelungen der §§
60 ff. Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) und Spezialvorschriften in den einzelnen Sozialgesetzbüchern den Behörden Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Für Anträge,
die auf die Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts gerichtet seien, gebe es diesbezüglich keine Sonderregelungen. Insbesondere
seien solche nicht in § 44 SGB X enthalten. Die Konstituierung einer Begründungspflicht, deren Nichteinhaltung eine materiell rechtswidrige Ablehnungsentscheidung
der Behörde oder die Ablehnung der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens per Verwaltungsakt erlaube, verstieße daher sowohl
gegen das Gesetzesbindungsgebot der Art.
20 Abs.
3 und Art.
97 Abs.
1 Grundgesetz als auch gegen den Gesetzesvorbehalt des §
31 SGB I. Der gegenteiligen Auffassung des 3. Senats des LSG im Beschluss vom 16.02.2017, L 3 AS 290/16 B, könne daher nicht gefolgt werden. Diese stehe auch nicht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG, denn dieses halte es für ausreichend, wenn entweder die "zu überprüfenden" Verwaltungsakte im Antrag konkret benannt würden
oder sich aus dem sachlichen Vorbringen des Antragstellers ableiten lasse, welche Verwaltungsakte gemeint sein könnten (vgl.
BSG Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 22/13 R, juris Rn. 15; BSG Urteil vom 28.10.2014, B 14 AS 39/13 R, juris Rn. 15). Auch nach der Rechtsprechung des BSG wäre der streitgegenständliche "Überprüfungsantrag" der Kläger auf Grund der konkreten Bezeichnung des Bescheids vom 10.02.2015
mithin ohne weiteres hinreichend bestimmt. Der Bescheid vom 29.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2015
sei, so das SG weiter, aber rechtmäßig, soweit die Rücknahme der mit Bescheid vom 10.02.2015 verfügten Ablehnung der Gewährung von Leistungen
an die Kläger für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis 28.02.2014 abgelehnt werde. Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten die Kläger für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis 28.02.2014 nicht, weil sie im streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls
- auch bei Berücksichtigung der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung - nicht hilfebedürftig gewesen seien.
Der Bescheid vom 29.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2015 sei jedoch rechtswidrig, soweit die Rücknahme
der Erstattungsverfügungen vom 10.02.2015 für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 28.02.2014 ohne pflichtgemäße Ermessenausübung
abgelehnt werde. Soweit die Rücknahme der Erstattungsverfügungen für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis 31.12.2013 abgelehnt
werde, sei der Bescheid vom 29.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2015 hingegen rechtmäßig. Einschlägige
Anspruchsgrundlage sei insoweit § 44 Abs. 2 SGB X. Die Tatbestandsvoraussetzungen für eine teilweise Rücknahme der Erstattungsverfügungen des Bescheids vom 10.02.2015 nach
§ 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X seien erfüllt. Der Bescheid vom 10.02.2015 sei allerdings rechtmäßig, soweit die Erstattung von Leistungen für den Zeitraum
vom 01.10.2013 bis zum 31.12.2013 gefordert werde. Die Erstattungsverfügungen im Bescheid vom 10.02.2015 seien entgegen der
Auffassung der Kläger nicht bereits deshalb rechtswidrig, weil eine endgültige Bewilligung (oder Ablehnung) von Leistungen
für den streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht erfolgt wäre. Der Bescheid enthalte nicht nur Erstattungsverfügungen, sondern
jedenfalls für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.12.2013 auch eine endgültige Entscheidung über den Leistungsanspruch.
Dies komme - auch unter Berücksichtigung der Überschrift des Bescheids ("Erstattung von Leistungen bei endgültiger Festsetzung
des Leistungsbescheids") - in dem Satz "da nun über Ihren Leistungsanspruch endgültig entschieden werden konnte, wurde festgestellt,
dass Sie keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben" ausreichend deutlich zum Ausdruck. Der Bescheid
sei auch hinreichend bestimmt und gegenüber allen Klägern ergangen, wobei die Ablehnungsentscheidungen zu Lasten der Kläger
zu 2 und 3 auch wirksam gegenüber dem Kläger zu 1 als gesetzlichen Vertreter bekanntgegeben worden seien. Mit dem Bescheid
vom 10.02.2015 habe der Beklagte daher rechtmäßig entschieden, dass den Klägern für den Zeitraum vom 01.10.2013 bis zum 31.12.2013
keine Leistungen zuerkannt würden und sie rechtmäßig zur Erstattung aufgefordert (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II aF iVm § 328 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch <SGB III>). Der Bescheid vom 10.02.2015 sei aber rechtswidrig, soweit von
den Klägern die Erstattung von Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 28.02.2014 verlangt werde. Denn insoweit
seien die Voraussetzungen des §
328 Abs.
3 Satz 2 Halbsatz 1
SGB III nicht erfüllt. Die für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zu 28.02.2014 mit Bescheid vom 14.10.2013 zunächst erfolgte vorläufige
Bewilligung sei bereits mit dem Änderungsbescheid vom 23.11.2013 durch eine endgültige Entscheidung ersetzt worden. Mit diesem
Bescheid habe der Beklagte die Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 28.02.2014 neu berechnet und erneut bewilligt.
Aus den Verfügungssätzen dieses Bescheids gehe nicht hervor, dass an dem Vorläufigkeitsvorbehalt der Bewilligungsentscheidung
festgehalten werde. Mit diesem Bescheid seien die Leistungen nicht als vorläufige Leistung im Sinne des § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II aF iVm §
328 Abs.
1 Satz 1 Nr.
3 SGB III bewilligt worden. Der an den Bescheidtext angehängte Vorbehalt trage eine in diese Richtung gehende Auslegung des Bescheids
ebenfalls nicht, denn dieser Vorbehalt sei bereits der äußeren Form nach nicht als Bestandteil des Bescheids anzusehen. Aus
Sicht eines objektiven Empfängers ergebe sich, dass es sich bei den unterhalb der Grußformel befindlichen Mitteilungen nicht
mehr um eigentliche Bestandteile des Bescheids handele, sondern um einfache rechtliche Hinweise. Die Vorläufigkeit hätte nur
dann fortbestanden, wenn diese Nebenbestimmung im konkreten Bescheid tatsächlich ausgesprochen worden wäre; dies sei jedoch
nicht der Fall gewesen. Die Erstattungsverfügungen für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 28.02.2014 ließen sich auch nicht
auf eine andere Ermächtigungsgrundlage stützen. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X sei nicht einschlägig, weil die mit dem Änderungsbescheid vom 23.11.2013 erfolgte Bewilligungsentscheidung nicht aufgehoben
worden sei. Die Voraussetzungen des § 50 Abs. 2 Satz 1 seien ebenfalls nicht erfüllt, weil die Leistungen an die Kläger für
den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 28.02.2014 nicht ohne Verwaltungsakt rechtswidrig erbracht worden seien. Der Beklagte
sei zur teilweisen Rücknahme der Erstattungsverfügung vom 10.02.2015 für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis 28.02.2014 mit Wirkung
für die Vergangenheit aber nicht verpflichtet, denn diese stehe nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X vielmehr im Ermessen der Behörde und eine Ermessensreduzierung auf Null sei im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Gegen das ihm am 17.01.2018 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 23.01.2018 Berufung beim LSG eingelegt und zur Begründung
vorgetragen, dass die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 44 SGB X nicht vorgelegen hätten, weil es nicht ausreiche, schlicht einen Bescheid zu benennen, sondern dass der Verwaltung der Konflikt
bekannt sein müsse; sofern sich nicht aus anderen Umständen ergebe, was der Prüfauftrag sein solle, genüge die Benennung eines
Bescheids nicht. Aufgrund der fehlenden Begründetheit des Antrags nach § 44 SGB X habe daher eine materiell-rechtliche Prüfung nicht erfolgen müssen, so dass sich die übrigen vom SG aufgeworfenen Probleme nicht stellten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 08.09.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Beklagtenakte
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 29.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2015, mit dem
es der Beklagte im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X abgelehnt hat, den bestandskräftigen Bescheid vom 10.02.2015 aufzuheben.
Die dagegen erhobene Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der Bescheid vom 29.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 25.11.2015 ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten. Der Beklagte hat zu Recht
eine Rücknahme des Bescheids vom 10.02.2015 nach § 44 SGB X abgelehnt.
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit
sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen
worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu
Unrecht erhoben worden sind.
Diese Regelung findet entsprechende Anwendung, soweit mit einem Aufhebungsbescheid eine Leistungsbewilligung wieder entzogen
und zurückgefordert worden ist (vgl. BSG Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 19/13 R, juris Rn. 14; BSG Urteil vom 28.05.1997, 14/10 RKg 25/95, juris Rn. 13; BSG Urteil vom 12.12.1996, 11 Rar 31/96, juris Rn. 14ff.). Die entsprechende Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X folgt aus dem Regelungszweck der Vorschrift, die nicht nur Fälle erfasst, in denen den Betroffenen ein rechtlicher Nachteil
durch unrechtmäßiges Vorenthalten einer Sozialleistung entstanden ist, sondern auch solche, in denen der Bürger zwar Sozialleistungen
erhalten hat, die Leistungsbewilligung nachträglich jedoch zurückgenommen worden ist (vgl. BSG Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 19/13 R, a.a.O. m.w.N.; BSG Urteil vom 12.12.1996, 11 RAr 31/96, juris Rn. 16 m.w.N.).
Bei der gesetzlichen Regelung des § 44 SGB X und dem dabei zu beachtenden Prüfungsrahmen ist Folgendes zu berücksichtigen (zu § 44 SGB X siehe auch Breitkreuz/Merten, SGb 2014, S. 113 und Voelzke/Hahn, SGb 2012, S. 685):
Ausgangspunkt ist die gesetzliche Regelung des §
77 SGG, wonach ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend wird, wenn ein Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt
wird. Diese Bestandskraft (Unanfechtbarkeit) ist ein wesentliches Prinzip der Rechtsordnung. Mit der Bestandskraft wird Rechtssicherheit
geschaffen, weil die Beteiligten wissen, woran sie sind, nämlich dass die Regelung des Verwaltungsakts sie bindet, und Rechtsfrieden
garantiert, weil weiterer Streit über den Verwaltungsakt ausgeschlossen ist. Für den Adressaten des Verwaltungsakts ist damit
keine unangemessene Benachteiligung verbunden, hat er doch die Möglichkeit, sich im Rahmen der zur Verfügung stehenden Rechtsmittel
gegen einen Bescheid zu wehren und dessen Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Schöpft er diese Mittel nicht aus oder akzeptiert
er den Verwaltungsakt, weil er selbst keinen überzeugenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit hat, müssen die Beteiligten die getroffene
Regelung in der Zukunft für und gegen sich gelten lassen.
Die Regelung des § 44 SGB X ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen eine ausnahmsweise Abweichung von der Bindungswirkung (Bestandskraft) unanfechtbarer
und damit für die Beteiligten bindend gewordener sozialrechtlicher Verwaltungsakte, um damit materielle Rechtmäßigkeit herzustellen.
§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X eröffnet dazu zwei Alternativen. Entweder muss bei der bestandskräftig gewordenen Entscheidung das Recht unrichtig angewandt
worden (1. Alternative) oder die Behörde muss beim Erlass des bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts von einem Sachverhalt
ausgegangen sein, der sich nachträglich aufgrund des Bekanntwerdens neuer Tatsachen als unrichtig erwiesen hat (2. Alternative).
Nicht Sinn und Zweck des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist es, Fristenregelungen im Zusammenhang mit der Frage der Bestandskraft von Entscheidungen der Verwaltung oder auch der
Gerichte auszuhebeln und die mit der Bestandskraft bezweckte Rechtssicherheit und den Rechtsfrieden in das Belieben der Beteiligten
zu stellen. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann kein Mittel sein, um durch wiederholte Anträge bei der Behörde diese immer wieder zu Sachentscheidungen (deren Ergebnis
wegen der bereits getroffenen Entscheidung absehbar ist) zu zwingen, die dann wiederum gerichtlich in der Sache überprüfbar
wären. Würde man dies zulassen, hätte eine Behörde keinerlei Möglichkeit, sich vor wiederholenden Anträgen mit dem sich daraus
ergebenden möglicherweise massiven Verwaltungsaufwand, der nicht nur Personal bindet, sondern auch Kosten verursacht, zu schützen.
Bei der oben genannten 1. Alternative des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X handelt es sich um eine rein rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der bestandskräftig gewordenen Entscheidung, bei der
es auf den Vortrag neuer Tatsachen nicht ankommt und die von Amts wegen zu erfolgen hat (vgl. BSG Urteil vom 05.09.2006, B 2 U 24/05 R, juris Rn. 13; s.a. BSG Urteil vom 24.05.2017, B 14 AS 32/16 R, juris Rn. 17). Eine derartige Überprüfung bedeutet jedoch nicht, dass eine vollständige Überprüfung des Sachverhalts mittels
neuer Ermittlung des Sachverhalts und neu einzuholender Gutachten durchzuführen wäre. Vielmehr ist lediglich aus rein rechtlicher
Sicht zu würdigen, ob der der bestandskräftig gewordenen Entscheidung zu Grunde liegende (damalige) Sachverhalt rechtlich
zutreffend beurteilt und rechtlich in nicht zu beanstandender Weise bewertet worden ist. Weitergehende Sachermittlungen sind
im Rahmen der 1. Alternative nicht geboten. Dies ergibt sich eindeutig aus der Systematik der gesetzlichen Regelung in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Denn mit der Differenzierung zwischen den aufgezeigten zwei Alternativen (unrichtige Rechtsanwendung einerseits und ursprünglich
unrichtig zu Grunde gelegter Sachverhalt andererseits) hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass nicht in jedem Fall eine
völlige Überprüfung unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Dem liegt die Überlegung zu Grunde,
dass die Verwaltung nicht durch aussichtslose Überprüfungsanträge, die beliebig oft wiederholt werden können, immer wieder
zu einer neuen Sachprüfung gezwungen werden soll (vgl. BSG Urteil vom 06.03.1991, 9b RAr 7/90, juris Rn. 14). Würde hingegen bereits im Rahmen der 1. Alternative eine umfassende Sachprüfung,
d.h. mit einer umfassenden Neuermittlung des zugrunde liegenden Sachverhalts, vorausgesetzt, so stünde dies im Widerspruch
zu den gesetzlichen Anforderungen für die 2. Alternative, für die die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel vorausgesetzt
wird. Im Rahmen der 1. Alternative sind daher die tatsächlichen Feststellungen, wie sie dem bestandskräftigen Bescheid zu
Grunde gelegen haben, auch im Überprüfungsverfahren zu beachten und lediglich zu prüfen, ob auf diesen Tatsachen aufbauend,
unabhängig von ihrer Richtigkeit, die rechtlichen Schlussfolgerungen zutreffend sind. In dem Verfahren erfolgt eine rein rechtliche
Überprüfung der Rechtmäßigkeit, zu der von Seiten des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich
umfassend von Amts wegen durch die Verwaltung und die Gerichte erfolgen muss.
Für die 2. Alternative des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X kommt es dagegen auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel im Rahmen eines abgestuften Verfahrens an (vgl. BSG Urteil vom 03.02.1988, 9/9a RV 18/86, juris Rn. 17, das auch im Urteil des BSG vom 05.09.2006, B 2 U 24/05 R, juris Rn. 13, nicht infrage gestellt worden ist). Die Prüfung bei dieser 2. Alternative hat sich an den rechtlichen Vorgaben
zu orientieren, wie sie auch im Rahmen eines gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahrens zu beachten sind. Es liegt daher der 2.
Alternative ein Verfahren zugrunde, bei der es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel ankommt (vgl. BSG Urteil vom 05.09.2006, B 2 U 24/05 R, juris Rn. 13). Ergibt sich bei diesem Verfahren nichts Neues, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte,
darf sich die Verwaltung ohne jede weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung der bestandskräftigen Entscheidung berufen.
Werden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die
vorgebrachten Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich
die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen. Da § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X nur der Verwaltung selbst, nicht aber dem Gericht die Möglichkeit gibt, sich über eine frühere negative Entscheidung zu Gunsten
des Antragstellers hinwegzusetzen (vgl. dazu auch BSG Beschluss vom 09.08.1995, 9 BVg 5/95; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 11.04.2004, L 8 U 115/02, juris Rn. 29; BayLSG Urteil vom 18.02.2014, L 15 VK 3/12, juris Rn. 33), können bei der gerichtlichen Prüfung einer Entscheidung
gemäß § 44 SGB X auch nur solche neuen Tatsachen relevant sein, die bereits im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren vorgetragen oder bekannt
geworden sind (vgl. BayLSG Urteil vom 05.08.2014, L 15 VK 15/13, juris Rn. 51). Ein nachträgliches Bekanntwerden, sei es infolge
späterer Ermittlungen durch das Gericht, sei es infolge eines Nachschiebens durch den Beteiligten, ist unbeachtlich (vgl.
dazu auch LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 23.11.2012, L 34 AS 116/12, juris Rn. 19, 23, 25 - so auch zur Frage eines entsprechenden hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrags, der überhaupt
erst eine Prüfpflicht nach § 44 SGB X auslöst; zu Letzterem siehe auch BSG Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 22/13 R, juris Rn. 16). Nicht ausreichend ist es daher, wenn erst in einem nachfolgenden Gerichtsverfahren neue Tatsachen bekannt
werden (so auch BayLSG Urteil vom 19.11.2014, L 15 VS 4/13, juris Rn. 51 m.w.N.; Kunze, VSSR 3/2001, S. 151, 156). Denn in einem solchen Fall können die neuen Tatsachen nicht Gegenstand
der vom Gericht auf Rechtmäßigkeit zu prüfenden Entscheidung der Behörde zu § 44 SGB X sein, eben weil sie der Behörde nicht bekannt waren. Würde man ein Nachreichen neuer Tatsachen im Gerichtsverfahren ausreichen
lassen, würde dies dem Grundsatz des Vorrangs der Verwaltung widersprechen und der Behörde die Möglichkeit nehmen, selbst
eine - dann gerichtlich überprüfbare - Entscheidung zu treffen. Denn bei einem Überprüfungsantrag gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB X, also einem Antrag, der sich auf den Vortrag neuer Tatsachen stützt, besteht gerade keine umfassende Ermittlungspflicht der
Behörde dahingehend, ob nicht - unabhängig vom Inhalt des gestellten Antrags - irgendwelche neuen Tatsachen vorliegen könnten,
sondern nur eine Prüfpflicht, ob sich aus dem Vortrag des Antragstellers neue entscheidungsrelevante Tatsachen ergeben. Maßgeblicher
Zeitpunkt für die Beurteilung, ob die formellen Erfordernisse eines Überprüfungsantrags gemäß § 44 SGB X erfüllt sind, die erst eine Prüfpflicht des Leistungsträgers bezüglich des geltend gemachten materiellen Anspruchs auslösen
können, ist daher der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. dazu bzgl. des hinreichend objektiv konkretisierbaren
Antrags auch BSG Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 22/13 R, juris Rn. 16).
Eine Behörde ist daher nur dann, wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht bekannte Tatsachen oder Erkenntnisse
vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 SGB X), oder wenn sich herausstellt, dass das Recht unrichtig angewandt worden ist (§ 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB X), dazu verpflichtet, ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden (vgl. BSG Urteil vom 03.02.1988, 9/9a RV 18/86, juris Rn. 17). Hat eine Behörde dies beachtend unter zutreffender Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine erneute Sachprüfung und Sachentscheidung zu Recht abgelehnt, kann sich das Gericht über diese Entscheidung nicht hinwegsetzen
und den gesamten Sachverhalt einer wiederholten Sachprüfung unterziehen.
Eine Prüfpflicht nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X wird - sowohl nach der 1. als auch nach der 2. Alternative - aber erst bei einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag
ausgelöst. Erst wenn ein solcher vorliegt, ist der oben dargestellte Prüfungsmaßstab im Rahmen der 1. und der 2. Alternative
des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu beachten (vgl. dazu auch BSG Urteil vom 24.05.2017, B 14 AS 32/16 R, juris Rn. 17). An einem solchen Antrag fehlt es vorliegend.
Ein die Prüfpflicht nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X überhaupt erst auslösender Antrag erfordert, dass entweder aus diesem selbst - ggf. nach Auslegung - oder aus einer Antwort
des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung
bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden muss (vgl. dazu BSG Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 22/13 R, juris Rn. 13; BSG Urteil vom 28.10.2014, B 14 AS 39/13 R, juris Rn. 15; BSG Urteil vom 12.10.2016, B 4 AS 37/15 R, juris Rn. 13; s.a. BSG Urteil vom 23.02.2017, B 4 AS 57/15 R, juris Rn. 19ff.). Dazu hat das BSG ausgeführt, dass sich der Verwaltung aufgrund oder Anlass des Antrags im Einzelfall objektiv erschließen muss, "aus welchem
Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen
soll" (Urteil vom 23.02.2017, B 4 AS 57/15 R, juris Rn. 20; Urteil vom 12.10.2016, B 4 AS 37/15 R, juris Rn. 13; Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 22/13 R, juris Rn. 13). Als Kriterium für den Umfang der Amtsermittlungspflicht des SGB II-Trägers ist dabei u.a. auch zu berücksichtigen, ob der Leistungsberechtigte (mit juristischem Sachverstand) vertreten oder
unvertreten ist oder ob sich aus vorangegangenen Kontakten zwischen ihm und der Verwaltung Anhaltspunkte für das Begehren
des Antragstellers ergeben (vgl. dazu BSG Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 22/13 R, juris Rn. 15).
Vorliegend haben die Kläger mit ihren Überprüfungsanträgen vom 06.03.2015 zwar die Überprüfung des Bescheids vom 10.02.2015
beantragt d.h. diesen konkret benannt; gleichwohl war für den Beklagten nicht erkennbar, aus welchem Grund eine Überprüfung
geltend gemacht wird, d.h. der Umfang der Prüfauftrags (d.h. Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage) nicht erkennbar
(siehe dazu auch BSG Urteil vom 23.02.2017, B 4 AS 57/15 R, juris Rn. 20f.). So haben die anwaltlich, d.h. rechtskundig vertretenen Kläger trotz Aufforderung seitens des Beklagten
mit Schreiben vom 08.05.2015 und 31.08.2015 weder im Rahmen ihrer Antragstellung noch im Widerspruchsverfahren ihren Überprüfungsantrag
auch nur ansatzweise begründet.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BSG vom 24.05.2017, B 14 AS 32/16 R. Dort hat das BSG zwar ausgeführt, dass sich die Überprüfung bei Anträgen nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 SGB X (unrichtige Rechtsanwendung) auf die Rechtmäßigkeit der zur Überprüfung gestellten Verfügungssätze unter jedem in Betracht
kommenden Gesichtspunkt erstreckt und die Prüfung nicht auf einzelne Elemente eines Anspruchs nach § 19 SGB II beschränkt werden kann, die nicht einen abtrennbaren Streitgegenstand bilden und insoweit auch zur isolierten gerichtlichen
Überprüfung gestellt werden könnten (juris Rn. 17ff.). Das BSG hat dem in der genannten Entscheidung aber auch vorangestellt, dass eine Sachprüfung bei einem - hier aber vorliegenden (s.o.)
- unsubstantiierten Überprüfungsantrag "überhaupt" schon ausscheidet (juris Rn. 17), d.h. hat in der genannten Entscheidung
insoweit nur den oben dargestellten Prüfungsmaßstab im Rahmen der 1. Alternative des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X klargestellt.
Zu Recht hat sich daher der Beklagte im Bescheid vom 29.07.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.11.2015 auf
die Bindungswirkung des Bescheids vom 10.02.2015 berufen. Die Berufung des Beklagten ist daher erfolgreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 und
2 SGG liegen nicht vor.