Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Berücksichtigung von Zahlungen auf ein Leibrentenversprechen als Kosten der Unterkunft
Gründe
I.
Die Beschwerdeführer begehren im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Beschwerdegegners ihnen vorläufig
höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Berücksichtigung der von ihnen zu zahlenden Leibrente in Höhe von 440,00 EUR monatlich als Kosten der Unterkunft zu
zahlen.
Der 1955 geborene Beschwerdeführer zu 1) und die 1960 geborene Beschwerdeführerin zu 2) beziehen seit 2005 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II von dem Beschwerdegegner. Sie sind (je zur Hälfte) Eigentümer einer selbstbewohnten Immobilie mit einer Wohnfläche von 85
m2 und einer Grundstücksfläche von 310 m2 in W. Die Beschwerdeführer hatten die Immobilie aufgrund eines notariellen "Übergabevertrages mit Auflassung" vom 16.06.2003
(mit notariellem Nachtrag vom 20.02.2004) übertragen. Die damalige Eigentümerin (Übergeberin), die am 21.01.1946 geboren ist,
hatte sich nach II. des Vertrages verpflichtet, das Eigentum an dem Grundstück an die Beschwerdeführer zu übertragen. Der
Wert wurde zu Kostenzwecken mit 80.000 EUR angegeben. Nach III. 1. des Vertrages (mit "Gegenleistungen" überschrieben), verpflichteten
sich die Beschwerdeführer an die Übergeberin und ihren am 27.01.1939 geborenen Ehemann als Gesamtberechtigte eine monatliche
Rente i.H.v. 440 EUR zu zahlen, solange einer von beiden noch lebt. Die Rentenhöhe soll unter gewissen, näher beschriebenen
Umständen, dem Verbraucherindexpreis angepasst werden können. Zur Sicherung der Zahlungsverpflichtung wurde zugunsten der
Übergeberin und ihres Ehemannes eine auf deren Lebenszeit beschränkte Reallast eingetragen. Nach III. 2. des Vertrages ist
die Übernehmerin bzw. nach deren Tod ihr Ehemann berechtigt vom Vertrag zurückzutreten, sollten die Beschwerdeführer mit der
Zahlung von mehr als drei Monatsraten in Verzug geraten. In diesem Fall ist das Grundstück wieder an die Übergeberin bzw.
ihren Ehemann zurück zu übertragen. Zur Sicherung wurde eine (bedingte und befristete) Rückauflassungsvormerkung zugunsten
der Übergeberin und eine Auflassungsvormerkung zugunsten ihres Ehemannes eingetragen. Eine Rückzahlung der bereits erbrachten
Rentenzahlungen soll nicht stattfinden (III. 2. des Vertrages). Die Beschwerdeführer sind im Grundbuch als Eigentümer eingetragen.
Ausweislich des Abgabenbescheides der Verbandsgemeinde Wöllstein vom 06.01.2012 haben die Beschwerdeführer Abgaben (Grundsteuer,
Schmutzwasser, wiederkehrender Beitrag, Wasser, Müll) in Höhe von insgesamt 640,86 EUR zu zahlen, von denen am 15.02.2012
ein Betrag von 190,35 EUR, am 15.05.2012 ein Betrag von 115,15 EUR, am 15.08.2012 ein Betrag von 220,15 EUR und am 15.11.2012
ein Betrag von 115,21 EUR fällig wird. Der Betrag für die Wohngebäudeversicherung beläuft sich seit 2011 auf 180,93 EUR jährlich
und wird jeweils am 01.07. des Jahres fällig.
Nachdem der Beschwerdegegner zunächst den Leibrentenbetrag in Höhe von 440,00 EUR als Kosten der Unterkunft anerkannt hatte,
berücksichtigte er für den Bewilligungsabschnitt vom 01.03.2012 bis zum 31.07.2012 lediglich noch die übrigen (Neben-)Kosten
der Unterkunft in Höhe eines auf den Monat umgerechneten Durchschnittbetrages (Bescheid vom 10.01.2012 in der Gestalt des
Änderungsbescheides vom 27.07.2012). Ein Antrag der Beschwerdeführer auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Hinblick
auf die weiteren Kosten der Unterkunft war insofern erfolgreich, als die 10. Kammer des Sozialgerichts (SG) Mainz den Beschwerdegegner mit Beschluss vom 20.03.2012 (S 10 AS 178/12 ER, [...]) verpflichtete, den Beschwerdeführern vorläufig höhere Leistungen für die Kosten der Unterkunft ab dem 01.03.2012
bis zum 31.07.2012, längstens jedoch bis zur Bestands- bzw. Rechtskraft in der Hauptsache, zu gewähren und zwar im März und
April ausgehend von einem monatlichen Bedarf für die Kosten der Unterkunft i.H.v. jeweils 440 EUR, im Mai von 555,15 EUR,
im Juni von 440 EUR und im Juli von 620,93 EUR, jeweils abzüglich bereits erbrachter Leistungen (vgl. auch Ausführungsbescheid
des Beschwerdegegners vom 30.03.2012). Zur Begründung führte das SG aus, die Beschwerdeführer hätten Anspruch auf Übernahme der monatlichen Leibrentenzahlungen im Rahmen der Kosten der Unterkunft.
Dies könne nicht bereits deswegen verneint werden, da die Leistungen nach dem SGB II nicht der Vermögensbildung beim Leistungsempfänger dienen sollen. Diese zur Frage der Übernahme von Tilgungsleistungen entwickelte
Rechtsprechung könne hier nicht übernommen werden. Denn durch die Übernahme der monatlichen Leibrente durch steuerfinanzierte
Mittel werde das Vermögen der Beschwerdeführer nicht vermehrt. Das Eigentum an dem Grundstück sei bereits vor Leistungsbezug
der Beschwerdeführer auf diese übergegangen. Die Eigentumsposition sei auch nicht in irgendeiner Weise bedingt, sondern -
abgesehen von der Reallast und der Rückauflassungsvormerkung - unbeschwert. Durch die Rentenzahlungen werde keine Vermögensbildung
betrieben, die Zahlungen seien allenfalls dazu da, die bereits erworbene volle Eigentumsposition weiter zu sichern.
Auf den Fortzahlungsantrag der Beschwerdeführer vom 18.06.2012 hat der Beschwerdegegner ihnen mit Bescheid vom 05.07.2012
für die Zeit vom 01.08.2012 bis zum 31.01.2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 894,15 EUR (Regelleistungen in Höhe von jeweils 337,00 EUR und Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von
110,07 EUR bzw. 110,08 EUR) für den Monat August 2012, in Höhe lediglich der Regelleistungen von 674,00 EUR für die Monate
September und Oktober 2012, in Höhe von 789,21 EUR (Regelleistungen in Höhe von jeweils 337,00 EUR und Kosten für Unterkunft
und Heizung in Höhe von 57,60 EUR bzw. 57,61 EUR) für den Monat November 2012 und wiederum in Höhe lediglich der Regelleistungen
von 674,00 EUR für die Monate Dezember 2012 und Januar 2013 bewilligt.
Den Antrag der Beschwerdeführer vom 11.07.2012 hat die 12. Kammer des SG Mainz mit Beschluss vom 01.08.2012 (S 12 AS 717/12 ER, [...]) abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdegegner habe zu Recht die von den Beschwerdeführern
geschuldete Leibrentenzahlung nicht unterkunftskostenerhöhend berücksichtigt. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG, Urteile vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R und 16.02.2012 - B 14 AS 14/11 R), der sich die Kammer anschließe, seien Tilgungsleistungen, welche aufgrund des Kaufs einer selbstbewohnten Immobilie geschuldet
seien, regelmäßig nicht als Unterkunftskostenbedarf anzusehen. Leistungen nach dem SGB II seien auf die aktuelle Existenzsicherung beschränkt und sollen nicht der Vermögensbildung dienen. Hiervon könne zur Erhaltung
von Wohneigentum nur in besonderen Ausnahmefällen abgewichen werden, wenn die Finanzierung bereits weitgehend abgeschlossen
sei; im Übrigen sei der Eigentümer ebenso wenig wie der Mieter davor geschützt, dass sich die Notwendigkeit eines Wohnungswechsels
ergebe. Der Rechtsauffassung der 10. Kammer des SG, dass die Leibrentenzahlungen eher Mietzahlungen vergleichbar seien, folge die Kammer nicht. Auch bei einem durch Kredit
finanzierten Kauf sei die Eigentumsübertragung bereits abgeschlossen; die Tilgungsleistungen führten jedoch zu einer Erfüllung
der Verbindlichkeiten gegenüber der Bank bzw. (bei einem Kauf in Raten) gegenüber dem Verkäufer; bei vollständiger Erfüllung
bestünde die Verpflichtung, die zur Sicherung eingetragene Hypothek oder Grundschuld zu löschen. Bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise
unterscheide sich die hier gewählte rechtliche Konstruktion nicht wesentlich von einem Grundstückskauf mit vereinbarter Ratenzahlung.
Es stehe lediglich die Höhe der zu erbringenden Gegenleistung nicht fest. Die Anforderungen des BSG an eine ausnahmsweise Übernahme von Tilgungsleistungen seien hier angesichts des Alters der Veräußerin, die erst 66 Jahre
alt sei, nicht gegeben.
Gegen den ihnen am 06.08.2012 zugestellten Beschluss haben die Beschwerdeführer noch am gleichen Tag Beschwerde eingelegt
und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Sie beziehen sich zum einen auf den Beschluss der 10. Kammer des SG vom 20.03.2012 - S 10 AS 717/12 ER) und tragen zum anderen vor, das SG habe die erforderliche Folgenabwägung nicht vorgenommen. Die Leibrentenberechtigte habe, wie mit einer eidesstattlichen Versicherung
im Antragsverfahren nachgewiesen, bereits angekündigt, im Falle der Nichtzahlung der Leibrente von dem Vertrag zurückzutreten.
Zur Ergänzung des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakten Bezug
genommen, der Gegenstand der Beratung gewesen ist.
II.
Die zulässigen Beschwerden sind auch begründet.
Die Beschwerdeführer haben Anspruch auf Verpflichtung des Beschwerdegegners zur Gewährung von höheren Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung der Leibrentenzahlungen in Höhe von 440,00 EUR monatlich als Kosten der Unterkunft.
Hinsichtlich der Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen
auf die zutreffenden Gründe der angegriffenen Entscheidung verwiesen (vgl. §
142 Abs.
2 S. 3
Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Vorliegend ist sowohl ein Anordungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund gegeben.
Die Beschwerdeführer gehören zu dem dem Grunde nach leistungsberechtigten Personenkreis nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB II, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Die Leibrentenzahlungen sind auch als (weitere) Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen.
Der Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II schließt die Berücksichtigung der Leibrente nicht aus. Auch Sinn und Zweck der Vorschrift stehen dem nicht entgegen. Das
BSG hat im Hinblick auf Tilgungsleistungen bereits mit Urteil vom 18.06.2008 (B 14/11b AS 67/06 R) auf den hohen Stellenwert des Erhalts der Wohnung für den Hilfebedürftigen hingewiesen. Zwar führe die mit der Tilgung
eintretende Minderung der auf dem Wohneigentum ruhenden Belastungen bei wirtschaftlicher Betrachtung zu einer Mehrung des
Vermögens des Eigentümers. Dies sei aber bei Abwägung der widerstreitenden Zielvorgaben jedenfalls dann hinzunehmen, wenn
ohne Übernahme der Tilgungsleistungen durch den Grundsicherungsträger der Verlust des selbstgenutzten Wohneigentums drohe.
Sei die Erbringung von Tilgungsleistungen notwendig, um die Eigentumswohnung weiter nutzen zu können und wäre ohne Fortführung
der Tilgung eine Aufgabe der Wohnung unvermeidlich, habe bei wertender Betrachtung der Gesichtspunkt der Vermögensbildung
zurückzutreten. In späteren Entscheidungen hat das BSG dann in den bereits vom SG zitierten Urteilen diese Rechtsprechung dahingehend präzisiert, dass Tilgungsleistungen nur in besonderen Ausnahmefällen
übernommen werden könnten (Urteile vom 07.07.2011 - B 14 AS 79/10 R und 16.02.2012 - B 14 AS 14/11 R).
Diese Rechtsprechung, insbesondere die Anforderungen an die Ausnahmefälle, lassen sich zur Überzeugung des Senats nicht unmittelbar
auf den vorliegenden Fall einer Leibrentenzahlung übertragen. Insofern ist von Bedeutung, dass die Belastung der Immobilie
hier nicht in einer (Sicherungs-)Hypothek oder Grundschuld besteht, bei der sich die wirtschaftliche Belastung aufgrund der
Sicherungsabrede mit jeder Ratenzahlung unmittelbar ein wenig verringert. Die Leibrentenzahlung steht dagegen nicht in direktem
Zusammenhang mit der Belastung der Immobilie mit einer Reallast. Die Zahlung verhindert lediglich, dass die Veräußerin ihren
Anspruch auf Rückübertragung geltend macht, verringert aber nicht unmittelbar die tatsächliche Belastung des Grundstücks.
Zwar wird ein eventueller Käufer der mit der Leibrentenzahlung belastenden Immobilie bei der Ermittlung des Kaufpreises auch
diese Verpflichtung in Rechnung stellen. Die zu erwartende finanzielle Belastung steht aber allein in Zusammenhang mit dem
Alter der Veräußerin und deren aktueller Lebenserwartung. Hinzu kommt, dass die durchschnittliche (Rest-)Lebenserwartung einer
Frau im Alter der Veräußerin (bzw. eines Mannes im Alter des Ehemannes) nur ein ungefährer Anhaltspunkt für die zu erwartenden
Zahlungen ist; die tatsächliche Belastung kann je nach den tatsächlichen Sterbedaten wesentlich höher oder wesentlich niedriger
ausfallen. Da es für ein Ende der Belastung allein auf den Tod der Veräußerin und ihres Ehemannes ankommt, kann auch zu keinem
Zeitpunkt unterstellt werden, dass die Finanzierung "fast abgeschlossen" sei, wie es bei Zahlungen auf einen Hauskredit möglich
ist, so dass die vom BSG zu den Tilgungsleistungen entwickelten Kriterien für einen Ausnahmefall hier nicht passen.
Führen die Leibrentenzahlungen nach den obigen Ausführungen somit gerade nicht unmittelbar zu einer Vermögensvermehrung, sondern
dienen eher einer Sicherung des bereits erlangten Vermögensvorteils (vgl. 10. Kammer des SG, Beschluss vom 20.03.2012 - S 10 AS 717/12 ER, [...]), ist es bei wertender Betrachtung gerechtfertigt diese Zahlungen im Rahmen des § 22 SGB II als Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen.
Ein Anordnungsgrund liegt ebenfalls vor. Insofern haben die Beschwerdeführer bereits im Antragsverfahren eine eidesstattliche
Versicherung vom 23.02.2012 der Nutznießerin der Leibrente, Frau A R , vorgelegt, sie werde im Falle einer Nichtzahlung der
Leibrente, wie notariell festgelegt, vom Vertrag zurücktreten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG entsprechend.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§
177 SGG.