Anspruch auf Sozialhilfe; Berechnung des Eigenanteils zur Deckung der Kosten einer gewährten Eingliederungshilfe bei Aufenthalt
in einer Werkstatt für behinderte Menschen
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Anwendbarkeit der Bestimmung des § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII bei der Berechnung des vom Kläger
zu tragenden Eigenanteils zur Deckung der Kosten der ihm gewährten Eingliederungshilfe umstritten.
Der am ... 1957 geborene Kläger ist körperlich und geistig behindert. Er arbeitet in einer Werkstätte für Behinderte und lebt
seit dem 01.07.2003 in einer betreuten Wohngemeinschaft. Er bezieht vom Rentenversicherungsträger eine Erwerbsunfähigkeitsrente,
Pflegegeld der Pflegestufe I und erzielt ein Einkommen aus seiner Tätigkeit in der Werkstatt für behinderte Menschen. Seit
dem 01.07.2003 erhält er von der Beklagten Sozialhilfe in Gestalt der Eingliederungshilfe (persönliches Budget) nach Maßgabe
der Bestimmungen der §§ 19, 53, 54 und 57 SGB XII. Soweit sich der Kläger in Form eines Eigenanteils an den Kosten der Eingliederungshilfe
zu beteiligen hat, zieht die Beklagte diesen jeweils vor Auszahlung des persönlichen Budgets ab.
Mit Bescheid vom 15.07.2005 gewährte die Beklagte dem Kläger ein monatliches persönliches Budget in Höhe von 564,00 €. Der
ab dem 01.08.2005 aufzubringende Eigenanteil wurde mit 56,44 € berechnet und vom persönlichen Budget in Abzug gebracht.
Zur Begründung des hiergegen mit Schreiben vom 03.08.2005 eingelegten Widerspruchs führte der Kläger aus, dass die Berechnung
der Beklagten fehlerhaft sei. Insbesondere habe diese den Absetzungsbetrag nach § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII nicht berücksichtigt.
Der Gesetzgeber habe mit dieser Bestimmung die bisherige Normierung für stationär untergebrachte Beschäftigte nach § 85 Abs. 2 BSHG übernommen, um hierdurch eine Gleichstellung von ambulant und stationär untergebrachten Leistungsbeziehern in Werkstätten
für behinderte Menschen zu ermöglichen.
Mit Schreiben vom 04.11.2005 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass in seinem Fall die Bestimmung des § 82 Abs. 3 S. 2 SGB
XII keine Anwendung finden könne, da diese voraussetze, dass Hilfe zum Lebensunterhalt oder Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung gewährt werde. Dies sei beim Kläger nicht der Fall, da er Leistungen in Gestalt von Eingliederungshilfe für
behinderte Menschen erhalte und mithin nicht zum vom § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII erfassten Personenkreis gehöre.
Mit Bescheid vom 09.12.2005 wies das zuständige Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung den Widerspruch zurück. Zur
Begründung wurde ausgeführt, dass § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII nicht anwendbar sei, da sich der dort geregelte Absetzungsbetrag
nur auf den Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung beziehe. Der Kläger erhalte
jedoch Leistungen nach dem 6. Kapitel des SGB XII.
Mit Bescheid vom 16.01.2006 gewährte die Beklagte dem Kläger Eingliederungshilfe als monatliches persönliches Budget in Höhe
von 564,00 € und brachte hiervon einen Eigenanteil in Höhe von 61,79 € in Abzug.
Der Kläger hat am 04.01.2006 Klage zum Sozialgericht (SG) Mainz erhoben.
Zu deren Begründung hat er ausgeführt, dass die Beklagte bei der Berechnung des von ihm zu tragenden Eigenanteils zu Unrecht
davon ausgegangen sei, dass § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII nicht zur Anwendung komme. Die von der Beklagten vertretene Rechtsauffassung
stehe mit dem Regelungszweck der Norm, Gleichstellung von ambulant und stationär untergebrachten Werkstattbeschäftigten bei
der Einkommensanrechnung, der sich auch aus der eindeutigen Gesetzesbegründung ergebe, nicht in Einklang.
Die Beklagte hat hierzu ausgeführt, dass nach dem Wortlaut der streitbefangenen Bestimmung eine Anwendbarkeit auf den Kläger
ausgeschlossen sei.
Durch Urteil vom 27.04.2007 hat das SG unter Abänderung des Bescheides vom 15.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2005 und des Bescheides
vom 16.01.2006 die Beklagte zur Berücksichtigung des Absetzungsbetrages nach § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII verpflichtet. Zur Begründung
hat es ausgeführt, dass der Kläger einen Anspruch auf Berechnung des von ihm zu leistenden Eigenanteils zur Deckung der Kosten
der Eingliederungshilfe in Form des persönlichen Budgets unter Berücksichtigung eines Absetzungsbetrages nach § 82 Abs. 3
S. 2 SGB XII habe. Nach § 19 Abs. 5 SGB XII hätten die in den Abs. 1 bis 3 genannten Personen, wenn ihnen im Sinne der Abs.
1 und 2 die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen und Vermögen möglich oder im Sinne des Absatzes 3 zuzumuten sei, diese
dem Träger der Sozialhilfe in diesem Umfang zu ersetzen. Dabei richte sich der Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze
nach der Bestimmung des § 87 SGB XII, derjenige unter der Einkommensgrenze nach § 88 SGB XII. Die Einkommensgrenze werde nach
§ 85 SGB XII errechnet, wobei bei der Prüfung, ob das zu berücksichtigende Einkommen diese Einkommensgrenze übersteige, so
dass nach § 87 SGB XII die Aufbringung der Mittel im angemessenen Umfang zuzumuten sei, sich das berücksichtigungsfähige Einkommen
nach § 82 SGB XII bestimme. Dabei seien vom Einkommen i.S. der Legaldefinition in § 82 Abs. 1 SGB XII die in § 82 Abs. 2 SGB
XII aufgeführten Positionen abzuziehen. Nach § 82 Abs. 3 S. 1 SGB XII sei bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung
im Alter und bei Erwerbsminderung ferner ein Betrag in Höhe von 30 v. H. des Einkommens aus selbstständiger und nichtselbstständiger
Tätigkeit des Leistungsberechtigten, höchstens jedoch 50 v. H. des Eckregelsatzes, abzusetzen. Abweichend von S. 1 sei bei
einer Beschäftigung in einer Werkstätte für behinderte Menschen von dem Entgelt ein Achtel des Eckregelsatzes zuzüglich 25
v. H. des diesen Betrag übersteigenden Entgelts abzusetzen (§ 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII). Im Übrigen könne in begründeten Fällen
ein anderer als in S. 1 festgelegter Betrag vom Einkommen abgesetzt werden (§ 82 Abs. 3 S. 3 SGB XII). Dem Kläger stehe vorliegend
ein Absetzungsbetrag in Anwendung von § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII zu. Zwar spreche der Wortlaut der Bestimmung - "abweichend
von Satz 1" - dafür, dass bei einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen der Absetzungsbetrag nur dann
zur Anwendung komme, wenn es um die Berechnung des berücksichtigungsfähigen Einkommens bei der Hilfe zum Lebensunterhalt bzw.
beim Bezug von Grundsicherungsleistungen gehe. Dies könne aber unter maßgeblicher Berücksichtigung des gesetzgeberischen Willens
nicht überzeugen. Bei § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII handele es sich um eine spezielle Regelung, welche die allgemeine Regelung
des S. 1 verdränge. In § 82 Abs. 2 S. 3 werde an die bisher in § 85 Abs. 2 BSHG enthaltene Regelungen angeknüpft, wobei die Begrenzung auf die stationäre Betreuung aufgegeben werde. Die Neuregelung in
§ 82 Abs. 3 S. 2 gelte nunmehr auch für ambulante Leistungen. Nach dem aus der Gesetzesbegründung deutlich werdenden gesetzgeberischen
Willen habe die Regelung einen eigenständigen Stellenwert. Durch sie solle der bisherige Anwendungsbereich für alle Leistungen
der Eingliederungshilfe eines in einer Werkstatt für behinderte Menschen Beschäftigten nicht auf die in S. 1 genannten Leistungsberechtigten
für die Hilfe zum Lebensunterhalt und die Grundsicherung begrenzt werden. Dass § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII auf einen derartigen
Fall anwendbar sei, werde auch durch die Bestimmungen des § 88 Abs. 2 SGB XII, die den Einsatz des Einkommens unter der Einkommensgrenze
bei einer stationären Leistung regele, bestätigt. Hiernach werde von dem Einkommen, das der Leistungsberechtigte aus einer
entgeltlichen Beschäftigung bei stationärer Unterbringung erziele, die Aufbringung der Mittel in Höhe von 1/8 des Eckregelsatzes
zuzüglich 25 v. H. des diesen Betrag übersteigenden Einkommens aus der Beschäftigung nicht verlangt. § 82 Abs. 3 sei nicht
anzuwenden. Nach alledem habe der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII eine Gleichstellung von Betroffenen,
die in einer Werkstätte für behinderte Menschen arbeiteten, jedoch nicht stationär unterbracht seien, mit dem stationär Untergebrachten
erreichen wollen. Hierdurch werde es den Betroffenen ermöglicht, einen entsprechenden Betrag aus dem von ihnen erzielten Einkommen
aus der Erwerbstätigkeit unabhängig von der Unterbringungsform nicht einsetzen zu müssen. § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII sei als
eigenständige Regelung mithin auch in denjenigen Fällen anwendbar, in denen der Betroffene - wie hier - Eingliederungshilfe
beziehe. Schließlich vermeide diese Auslegung eine Ungleichbehandlung von Betroffenen, die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt
oder Grundsicherungsleistungen bezögen mit denjenigen, die aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit ein eigenes Einkommen in Form einer
Rente bezögen und dennoch weiterhin in einer Werkstatt für Behinderte arbeiteten und hieraus Einkommen erzielten. Komme §
82 Abs. 3 S. 2 SGB XII in diesen Fällen nicht zur Anwendung, so werde dieser Personenkreis gegenüber denjenigen, die keine
Rente bezögen, sondern auf Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherungsleistungen angewiesen seien und den Absetzungsbeitrag
nach § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII erhielten, benachteiligt.
Gegen das ihr am 24.07.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.08.2007 Berufung eingelegt.
Zu deren Begründung trägt sie vor, dass die Auslegung des Sozialgerichts gegen Wortlaut und Systematik des § 82 Abs. 3 SBG XII verstoße. Die Bestimmung regele einen Abweichungsfall zu S. 1 des § 82 Abs. 2 SGB XII. Diese Bestimmung regele, dass bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und beim Bezug von Grundsicherung im Alter
und bei Erwerbsminderung der dort genannte Betrag abzusetzen sei. Da dem Kläger jedoch weder Hilfe zum Lebensunterhalt noch
Leistungen der Grundsicherung, sondern Eingliederungshilfe gewährt werde, könne § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII nicht zu seinen Gunsten eingreifen. Das SG habe verkannt, dass der Gesetzgeber eine dem Wortlaut nach klare Regelung getroffen habe. Angesichts dieser klaren Regelung
sei kein Raum für die vorgenommene Auslegung, hinsichtlich derer jedoch eingeräumt werden müsse, dass diese durchaus sinnvoll
sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 27.04.2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Zur Begründung führt er aus, dass § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII eine Sonderregelung
für Beschäftigte in einer Werkstatt für Behinderte treffe. Hierdurch solle eine Gleichstellung von stationär untergebrachten
behinderten Menschen mit ambulant Betreuten erreicht werden. § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII stelle gegenüber § 82 Abs. 3 S. 1 SGB
XII eine eigenständige Regelung dar. Hiernach sei der Absetzungsbetrag nicht nur bei der Berechnung des Einkommens im Hinblick
auf den Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. von Grundsicherungsleistungen zu berücksichtigen, sondern auch beim Bezug
von Eingliederungshilfe, wie sie der Kläger in Gestalt eines persönlichen Budgets beziehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte und die Verwaltungsakte verwiesen, die
vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten führt in der Sache nicht zum Erfolg. Der Senat geht mit dem SG davon aus, dass bei der Berechnung des vom Kläger zu tragenden Eigenanteils ein Absetzungsbetrag nach § 82 Abs. 3 S. 2 SGB
XII zu berücksichtigen ist. Daher waren der Bescheid der Beklagten vom 15.07.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 09.12.2005 und der nach §
96 SGG Gegenstand des Verfahrens gewordene Bescheid vom 16.01.2006 entsprechend abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, den
Absetzungsbetrag § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII zu berücksichtigen.
Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Darlegungen in der angefochtenen Entscheidung nach
§
153 Abs.
2 SGG Bezug und ergänzt noch Folgendes:
§ 82 Abs. 3 SGB XII in der vorliegend maßgeblichen Fassung lautet wie folgt:
Sozialgesetzbuch (SGB) Zwölftes Buch (XII) - Sozialhilfe - (Artikel 1 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003, BGBl. I S. 3022)
§ 82 Begriff des Einkommens
(1) Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, des befristeten
Zuschlags nach § 24 des Zweiten Buches, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen
nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit, bis zur Höhe der vergleichbaren
Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Bei Minderjährigen ist das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des
notwendigen Lebensunterhaltes benötigt wird.
(2) Von dem Einkommen sind abzusetzen
1. auf das Einkommen entrichtete Steuern,
2. Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung,
3. Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben
oder nach Grund und Höhe angemessen sind, sowie geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes, soweit
sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten,
4. die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben,
5. das Arbeitsförderungsgeld und Erhöhungsbeträge des Arbeitsentgelts im Sinne von § 43 Satz 4 des Neunten Buches.
(3) Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist ferner ein Betrag in Höhe von
30 vom Hundert des Einkommens aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit der Leistungsberechtigten abzusetzen, höchstens
jedoch 50 vom Hundert des Eckregelsatzes. Abweichend von Satz 1 ist bei einer Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte
Menschen von dem Entgelt ein Achtel des Eckregelsatzes zuzüglich 25 vom Hundert des diesen Betrag übersteigenden Entgelts
abzusetzen. Im Übrigen kann in begründeten Fällen ein anderer als in Satz 1 festgelegter Betrag vom Einkommen abgesetzt werden.
(4) (weggefallen)
Die Bestimmung des § 82 Abs. 3 SGB XII war nahezu wortlautgleich als § 77 Abs. 3 im Gesetzentwurf der Fraktionen der SPD und
Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drs. 15/1514) zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch (wortlautgleich mit dem
Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 15/1636) enthalten. Mit dem Gesetz zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im
Sozialrecht (Verwaltungsvereinfachungsgesetz) vom 21.03.2005 (BGBl. I S. 818, 829) wurde dann noch nach den Worten "Hilfe zum Lebensunterhalt" die Formulierung "Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung"
eingefügt. In der Gesetzesbegründung zu § 77 SGB XII (BT-Drs. 15/1514, S. 65) heißt es: "Für leistungsberechtigte Beschäftigte
in Werkstätten für behinderte Menschen wurde die bisherige Regelung für stationär untergebrachte Beschäftigte übernommen,
damit auch hier eine Gleichstellung von ambulant und stationär erfolgt."
§ 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII ist unter Anwendung der aus der allgemeinen Methodenlehre anerkannten juristischen Auslegungsgrundsätze
auszulegen. Dabei ist zunächst vom Normwortlaut auszugehen. Der Wortlaut der Bestimmung knüpft an den Bezug von Hilfe zum
Lebensunterhalt bzw. die von Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung an. Die Formulierung "abweichend
von Satz 1" ist jedoch nicht zwingend als ein Verweis auf den Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherungsleistungen
zu verstehen, sondern kann ebenso gut als (bloße) Anknüpfung an den in § 82 Abs. 3 S. 1 SGB XII genannten Betrag in Höhe von
30 v. H. des Einkommens aus selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit als Absetzungsbetrag verstanden werden.
Angesichts des keineswegs eindeutigen Wortlauts geht der Senat davon aus, dass unter maßgeblicher Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte
der Bestimmung des § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII ein eigenständiger Regelungsgehalt beizumessen ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung
zu § 77 Abs. 3 Satz 2 SGB XII (BT-Drs. 15/1514, S. 65) sollte für leistungsberechtigte Beschäftigte in Werkstätten für behinderte
Menschen die bisherige Regelung für stationär untergebrachte Beschäftigte aus § 85 Abs. 2 Satz 1 BSHG übernommen werden, damit auch hier eine Gleichstellung von "ambulant und stationär" erfolgen sollte. Hiernach findet § 82
Abs. 3 Satz 2 SGB XII auch auf Beschäftigte in einer Werkstatt für behinderte Menschen Anwendung, die keine Hilfe zum Lebensunterhalt
oder Grundsicherungsleistungen, sondern Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen. Dieses Ergebnis wird durch eine systematische
Auslegung der Bestimmung bestätigt. So ist in § 88 Abs. 2 SGB XII für den Einsatz des Einkommens unter der Einkommensgrenze
bei stationär Untergebrachten geregelt, dass bei einer stationären Leistung von dem Einkommen, das der Leistungsberechtigte
aus einer entgeltlichen Beschäftigung erzielt, die Aufbringung der Mittel in Höhe von ein Achtel des Eckregelsatzes zuzüglich
25 v. H. des diesen Betrag übersteigenden Einkommens aus der Beschäftigung nicht verlangt werden kann. § 82 Abs. 3 ist nicht
anwendbar.
Weiterhin spricht systematisch gesehen die im Vergleich zum BSHG erstmalig in die allgemeine Definition des Einkommens aufgenommene Bestimmung des § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII - die Regelung betreffend das Einkommen in § 76 BSHG enthielt keinen Vorläufer - dafür, dass § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII ein eigenständiger Regelungsgehalt zukommt, der auch die Bezieher von Leistungen der Eingliederungshilfe erfasst.
Kann nach alledem § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII bereits unter Anwendung der aus der allgemeinen Methodenlehre anerkannten juristischen
Auslegungsgrundsätze im Wege der teleologischen Extension (vgl. dazu Pawlowski, Methodenlehre für Juristen, 3. Aufl. 1999,
Rdnr. 497 ff) dahingehend ausgelegt werden, dass er auch auf Beschäftigte in einer Werkstatt für behinderte Menschen anwendbar
ist, die Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen, die Bestimmung mithin nicht auf die in § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII genannten
Leistungsberechtigten begrenzt ist, so bedarf die Frage keiner Erörterung, ob § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII auf diesen Personenkreis
entsprechend anzuwenden wäre.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG) zugelassen. Der Senat hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob § 82 Abs. 3 S. 2 SGB XII auch auf in einer Werkstatt für behinderte Menschen Beschäftigte anzuwenden ist, die weder Hilfe zum
Lebensunterhalt noch Grundsicherungsleistungen beziehen, sondern Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen.