Vergütung ambulanter Krankenhausleistungen; Kein Anspruch auf eine rückwirkende zusätzliche Pauschale für eine pädiatrische
Spezialambulanz
Tatbestand
Mit der Klage wendet sich die klagende Krankenkasse gegen einen Beschluss der beklagten Schiedsstelle nach § 18a Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), mit dem diese eine zusätzliche Pauschale für pädiatrische Spezialambulanzen nach §
120 Abs.
1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) festgesetzt hat.
Das zu 1 beigeladene Klinikum begehrte gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 8.10.2013 die Vereinbarung einer ergänzenden
Pauschale nach §
120 Abs
1a SGB V für sechs pädiatrische Spezialambulanzen ihres Klinikums, die an die dortige Fachabteilung für Kinder- und Jugendmedizin
angegliedert sind, für die Jahre 2009 bis 2014. Die beteiligten Krankenkassen bzw. -verbände vertraten die Auffassung, der
Beigeladenen zu 1 stehe für die Jahre 2009 bis 2012 keine Pauschale nach §
120 Abs.
1a SGB V zu, da sie die Pauschale erst 2013 geltend gemacht habe. Die Beigeladene zu 1 und die beteiligten Krankenkassen bzw. -verbände
einigten sich diesbezüglich auf ein Ergebnisprotokoll vom 17.3.2014 mit verschiedenen Eckpunkten. Darin hieß es ua:
1. Die Kassenverbände halten an ihrer Rechtsauffassung fest, dass dem Krankenhaus für die Jahre 2009 bis 2012 kein Anspruch
auf eine Quartalspauschale nach §
120 Abs
1a SGB V zusteht, da ein solcher Anspruch in den betreffenden Jahren nicht geltend gemacht wurde. Das Krankenhaus teilt diese Auffassung
nicht und wird für die Jahre 2009 bis 2012 die Schiedsstelle anrufen.
2. Für den Fall, dass ein Anspruch nach §
120 Abs
1a SGB V für die Jahre 2009 bis 2012 bestehen sollte, gilt eine Quartalspauschale in Höhe von 110,-- € für die aus der Anlage 2 des
jeweiligen Honorarbescheides der KV ersichtlichen Fälle als geeinigt.
Mit Beschluss vom 14.10.2014 (zugestellt am 2.12.2014) setzte die Beklagte auf den Antrag der Beigeladenen zu 1 für den Zeitraum
vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2012 eine ergänzende Pauschale nach §
120 Abs
1a SGB V in Höhe von 110,-- € fest; im Übrigen, dh hinsichtlich des Zeitraums vom 1.1.2009 bis zum 31.12.2009, lehnte sie den Antrag
ab. Zur Begründung führte sie aus: Mit dem Gesetz zur nachhaltigen und sozial ausgewogenen Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV-Finanzierungsgesetz - GKV-FinG) vom 22.12.2010 habe der Gesetzgeber für Pauschalen nach §
120 Abs.
1a SGB V die Konfliktlösung durch die Schiedsstelle eingeführt. Sie, die Beklagte, könne aufgrund des Grundsatzes des intertemporalen
Verfahrensrechts auch in Fällen entscheiden, die zusätzliche Pauschalen für Jahre vor dem Inkrafttreten dieser Gesetzesänderung
beträfen, wenn das Verfahren erst danach anhängig gemacht werde. Die ergänzenden Pauschalen nach §
120 Abs.
1a SGB V könnten entgegen der Auffassung der Krankenkassen bzw. -verbände auch für zurückliegende Jahre vereinbart werden, auch wenn
der Krankenhausträger die zusätzliche Vergütung erst danach geltend gemacht habe. Im Gegensatz zum Krankenhausfinanzierungsrecht
enthalte §
120 Abs.
1a SGB V keine Vorgabe, die lediglich eine prospektive Vereinbarung der Pauschalen zulasse. Nach §
40 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) entstünden Ansprüche auf Sozialleistungen unabhängig von einer Antragstellung, sobald die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen.
Sie, die Schiedsstelle, vertrete deshalb mehrheitlich die Auffassung, dass vorliegend eine rückwirkende Festsetzung einer
Pauschale möglich sei. Ansprüche nach §
120 Abs.
1a SGB V verjährten nach der hier anzuwendenden Regelung des §
45 Abs.
1 SGB I vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden seien. Die Verjährungsfrist für eine Pauschale zugunsten
der Beigeladenen zu 1 für das Jahr 2010 habe daher erst mit dem 31.12.2014 geendet. Deshalb sei der Anspruch für dieses Jahr
und erst recht für die Jahre 2011 bis 2012 nicht verjährt. Hinsichtlich einer Pauschale für das Jahr 2009 sei demgegenüber
Verjährung eingetreten. Der Anspruch sei nicht verwirkt. Das Rechtsinstitut der Verwirkung passe als ergänzende Regelung zur
Verjährung bei der kurzen Verjährungsfrist nicht (Hinweis auf Bundessozialgericht - BSG - 13.11.2012 - B 1 KR 24/11 R). Zudem setze Verwirkung neben dem Zeitablauf weitere besondere Umstände voraus - Verwirkungsverhalten, Vertrauensverhalten
- (Hinweis auf BSG 1.7.2014 - B 1 KR 2/13, B 12 KR 48/12 R), woran es vorliegend fehle.
Am 29.12.2014 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie trägt vor: Für einen Anspruch auf eine oder mehrere Pauschalen nach §
120 Abs.
1a SGB V für die Jahre vor 2013 sei keine Anspruchsgrundlage ersichtlich. Solche Pauschalen seien nach §
120 Abs.
1a Satz 1
SGB V nur zu vereinbaren, wenn sie erforderlich seien. Dies setze voraus, dass dem Krankenhaus so wenig finanzielle Mittel zur
Verfügung stünden, dass damit der laufende Betrieb nicht mehr finanziert werden könne, sodass die entsprechenden Leistungen
nicht mehr kostendeckend erbracht werden könnten. Zweck des §
120 Abs.
1a SGB V sei es nämlich, mögliche Versorgungsengpässe bei der fachärztlichen ambulanten Versorgung von schwer chronisch kranken Kindern
und Jugendlichen durch Unterfinanzierungen zu vermeiden. Die Beigeladene zu 1 habe jedoch nicht schlüssig darlegen können,
dass sie zur Aufrechterhaltung der Behandlungsmöglichkeiten in den Jahren 2010 bis 2012 auf die Vereinbarung einer oder mehrerer
Pauschalen angewiesen gewesen sei. Zu beachten sei auch, dass die Beigeladene zu 1 in den Jahren 2009 bis 2013 durch neue
Ermächtigungen ihre Kinderspezialambulanzen nochmals deutlich ausgebaut habe. Eine Vereinbarung zusätzlicher Pauschalen nach
§
120 Abs.
1a SGB V sei nach der Konzeption des Gesetzes für Jahre vor dem Jahr der Geltendmachung durch den Krankenhausträger ausgeschlossen.
Dies ergebe sich aus der in §
120 Abs.
1a Satz 7
SGB V vorgesehenen Berücksichtigung der Pauschalen bei der Vereinbarung des Landesbasisfallwerts nach § 10 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG). Nach dem in §
120 Abs.
1a Satz 5 und 7
SGB V zum Ausdruck kommenden Solidarprinzip solle die Unterdeckung der Kinderspezialambulanzen von allen Einrichtungen, die am
"Regelungsverbund" Landesbasisfallwert teilnähmen, aufgefangen werden. Bei einer rückwirkenden Vergütung ohne die Möglichkeit
der Anpassung des Landesbasisfallwerts würde stattdessen die Solidargemeinschaft der Versicherten belastet. Deshalb sei vorliegend
erst ab dem Jahr 2013 eine zusätzliche Pauschale in Betracht gekommen. Die Erforderlichkeit einer solchen hätte den Landesverbänden
der Krankenkassen zum Zweck der Vereinbarung einer Pauschale so rechtzeitig nachgewiesen werden müssen, dass die zeitige Umsetzbarkeit
gewährleistet gewesen sei. In dieser Rechtsauffassung sehe sie sich durch einen entsprechenden Beschluss der saarländischen
Schiedsstelle vom 2.2.2015 bestätigt. Zudem seien die Krankenhausärzte der Beigeladenen zu 1 in einem dezidiert geregelten
Umfang zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt; über diese Ermächtigung hinausgehende Leistungen dürften
nicht erbracht bzw. abgerechnet werden. Im Übrigen seien die Ansprüche für die Jahre 2010 bis 2012 verwirkt, da sie nicht
mehr mit der Geltendmachung von Pauschalen nach §
120 Abs.
1a SGB V durch die Beigeladene zu 1 habe rechnen müssen. Es werde auch bestritten, dass die von der Beigeladenen zu 1 behauptete Fallzahl
von 8.105 zutreffend sei. Diese Fallzahl spiele vorliegend insofern eine Rolle, als sie einen wichtigen Indikator dafür darstelle,
inwiefern in der betreffenden Einrichtung Leistungen, die über den EBM(Ä) hinausgingen bzw. dort nicht abgebildet würden,
erbracht würden.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss der Beklagten vom 14.10.2014 aufzuheben, soweit darin für den Zeitraum vom 1.1.2010 bis zum 31.12.2012 eine
ergänzende Pauschale nach §
120 Abs.
1a SGB V in Höhe von 110,-- € festgesetzt wurde.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Für ihre Argumentation, eine Vereinbarung über Pauschalen nach §
120 Abs.
1a SGB V könne nicht rückwirkend für Jahre vor dem Jahr der Geltendmachung geschlossen werden, habe die Klägerin keine gesetzliche
Grundlage aufzeigen können. Nach dieser Vorschrift seien zwingend ergänzende Pauschalen zu vereinbaren. Die Frage der Berücksichtigung
von Pauschalen bei der Vereinbarung des Landesbasisfallwerts sei im Rahmen der Vereinbarung nach §
120 Abs.
1a SGB V nicht entscheidungsrelevant. Auch die Fallzahl sei erst im Zusammenhang mit der Vereinbarung des Landesbasisfallwerts zu
klären.
Die Beigeladene zu 1 beantragt ebenfalls,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung der Beklagten für zutreffend und trägt ergänzend vor: Die Rüge der Klägerin hinsichtlich
der Fallzahl von 8.105 gehe im vorliegenden Rechtsstreit ins Leere, weil die Beklagte keine Fallzahl festgesetzt habe. Zudem
habe die Klägerin die Fallzahl bis zur mündlichen Verhandlung der Beklagten nicht thematisiert, geschweige denn bestritten.
Für eine Ausschlussfrist jeweils bis zum 31.12. eines Jahres zur Geltendmachung einer Pauschale nach §
120 Abs.
1a SGB V gebe es keine Rechtsgrundlage. Die nach dem Gesetz vorgesehene Bereinigung des Landesbasisfallwerts lasse keine Gründe für
eine Ausschlussfrist erkennen. Da die Gesetzesbegründung zum Krankenhausfinanzierungsreformgesetz (KHRG) vom 17.3.2009 (BGBl
I 534) ausdrücklich vorsehe, dass Pauschalen für das Jahr 2009 auch erst beim Landesbasisfallwert für das Jahr 2010 berücksichtigt
werden könnten (Hinweis auf BT-Drucksache 16/11429 Seite 46 zu §
120 SGB V), lasse sich ein gesetzgeberisch gewollter Ausschluss von Vereinbarungen über Pauschalen für einen zurückliegenden Zeitraum
nicht erkennen.
Die übrigen Beteiligten haben sich nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen
Verhandlung und der Beratung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz ist für die Klage gegen die Entscheidung der Schiedsstelle
nach §
120 Abs.
4 SGB V erstinstanzlich zuständig (§
29 Abs.
2 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz -
SGG -), und zwar der Senat für Vertragsarztrecht (§
10 Abs.
2 Nr.
3 SGG; vgl. Sonnhoff in Hauck/Noftz,
SGB V, K §
120 Rn 26).
Die Klage ist als Anfechtungsklage (§
54 Abs.
1 SGG) zulässig. Der Schiedsspruch nach §
120 Abs.
4 SGB V ist ein Verwaltungsakt (Landessozialgericht - LSG - Rheinland-Pfalz 19.11.2009 - L 5 KR 142/08 KL, [...]; Sonnhoff in Hauck/Noftz,
SGB V, K §
120 Rn 26). Ein Vorverfahren war nicht durchzuführen, da keine nächsthöhere Behörde existiert (Köhler-Hohmann in jurisPK-
SGB V, §
120 Rn 96). Eines zusätzlichen Antrags auf Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung bedarf es nicht. Wenn eine Pauschale
für die Jahre 2010 bis 2012 nicht festzusetzen ist, wie es der Rechtsauffassung der Klägerin entspricht, hat die Beklagte
keine weitere Entscheidung zu treffen.
Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte hat zwar zu Recht seine Zuständigkeit für die Entscheidung bejaht (dazu unten 1.).
Die Befugnis der Beklagten zur Entscheidung wurde auch nicht durch die Vereinbarung der Vertragsparteien vom 17.3.2014 tangiert
(dazu unten 2.). In der Sache ist die Entscheidung der Beklagten indes rechtswidrig und deshalb aufzuheben (dazu unten 3).
1. Die Beklagte war für die von ihr getroffene Entscheidung zuständig. Kommt eine Vereinbarung nach §
120 Abs.
1a Satz 1
SGB V ganz oder teilweise nicht zustande, setzt die Schiedsstelle nach §
120 Abs.
4 Halbsatz 1
SGB V in der ab dem 1.1.2011 geltenden Fassung des GKV-FinG vom 22.12.2010 (BGBl I 2309) auf Antrag einer Vertragspartei die Vergütung
fest. Obwohl es bis zum 31.12.2010 noch keine Schiedsstelle für Entscheidungen über Pauschalen nach §
120 Abs.
1a SGB V gab, war die Beklagte vorliegend auch für die Entscheidung über eine Pauschale für das Jahr 2010 zuständig. Dafür sind die
Grundsätze des intertemporalen Verfahrensrechts maßgebend, da eine verfahrensrechtliche Regelung betroffen ist. Nach den Grundsätzen
zum intertemporalen Prozessrecht sind Änderungen der Rechtslage, auch in Bezug auf das Erfordernis eines vorgeschalteten Schiedsverfahrens,
grundsätzlich ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens anzuwenden, soweit die einschlägigen Rechtsnormen keine Ausnahme hiervon
begründen (BSG 23.6.2015 - B 1 KR 26/14 R, [...] Rn 10). Dies schloss aber die Entscheidungsbefugnis der Beklagten in Bezug auf eine Pauschale für das Jahr 2010 nicht
aus, weil sie erst nach dem Inkrafttreten des GKV-FinG zur Entscheidung hierüber angerufen wurde und entschieden hat. Dafür,
dass es im vorliegenden Zusammenhang nicht auf den Zeitraum, für den die Pauschale bestimmt ist, sondern auf den Zeitpunkt
der Anrufung der Schiedsstelle ankam, spricht auch die Gesetzesbegründung zum GKV-FinG. Darin heißt es, der Krankenhausträger
solle "künftig" die Schiedsstelle anrufen können, wenn eine Vereinbarung ganz oder teilweise nicht zustande kommt (BT-Drucksache
17/3696 Seite 47 zu §
120 SGB V). Dies zeigt, dass die Schiedsstelle in noch nicht abgeschlossenen Verfahren ab dem 1.1.2011 anzurufen ist, ohne dass es
auf das Jahr ankommt, für das die Pauschale begehrt wird.
2. Die Zuständigkeit der Beklagten war nicht durch die Teileinigung der Vertragsparteien vom 17.3.2014 entfallen. §
120 Abs.
4 SGB V sieht eine Entscheidung durch die Schiedsstelle auch für den Fall vor, dass eine Einigung "teilweise" nicht zustande kommt.
3. Der angefochtene Beschluss ist rechtswidrig. Schiedssprüche unterliegen grundsätzlich einer eingeschränkten gerichtlichen
Kontrolle. Sie können von den Gerichten nur daraufhin überprüft werden, ob die grundlegenden verfahrensrechtlichen Anforderungen
und in inhaltlicher Hinsicht die zwingenden rechtlichen Vorgaben eingehalten wurden (BSG 29.11.2006 - B 6 KA 4/06 R, [...]). Dies gilt aber nur, soweit die Schiedsstelle einen Gestaltungsspielraum hat (vgl. BSG 25.3.2015 - B 6 KA 9/14 R, [...] Rn 58). Einen solchen hatte die Beklagte indes hinsichtlich der Rechtsfrage, ob die Beigeladene zu 1 für Jahre vor
dem Jahr der Geltendmachung der Pauschale nach §
120 Abs.
1a SGB V eine solche verlangen kann, nicht. Denn insoweit geht es nicht um eine gestaltende Entscheidung, sondern allein um die Auslegung
der einschlägigen Rechtsvorschriften.
Die Beigeladene zu 1 hat für die streitbefangenen Jahre keinen Anspruch auf eine zusätzliche Vergütung nach §
120 Abs.
1a SGB V. Streitbefangen sind vorliegend nur die Jahre 2010 bis 2012, da die Beklagte nur insoweit dem Antrag der Beigeladenen zu
1 auf Festsetzung einer Pauschale stattgegeben und allein die Klägerin die Entscheidung der Beklagten angefochten hat.
§
120 Abs.
1a SGB V lautete in der ab dem 1.1.2009 geltenden Fassung (KHRG vom 17.3.2009, BGBl I 534) wie folgt: Ergänzend zur Vergütung nach
Absatz 1 sollen die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen gemeinsam und einheitlich für die in kinder- und
jugendmedizinischen, kinderchirurgischen und kinderorthopädischen sowie insbesondere pädaudiologischen und kinderradiologischen
Fachabteilungen von Krankenhäusern erbrachten ambulanten Leistungen mit dem Krankenhausträger fall- oder einrichtungsbezogene
Pauschalen vereinbaren, wenn diese erforderlich sind, um die Behandlung von Kindern und Jugendlichen, die auf Überweisung
erfolgt, angemessen zu vergüten (Satz 1). Die Pauschalen werden von der Krankenkasse unmittelbar vergütet (Satz 2). §
295 Abs.
1b Satz 1
SGB V gilt entsprechend (Satz 3). Das Nähere über Form und Inhalt der Abrechnungsunterlagen und der erforderlichen Vordrucke wird
in der Vereinbarung nach Satz 1 geregelt (Satz 4). Soweit für das Jahr 2009 für diese Leistungen erstmals Pauschalen nach
Satz 1 vereinbart werden, sind bei besonderen Einrichtungen die Erlössumme nach §
6 Abs.
3 KHEntgG für das Jahr 2009 sowie der Gesamtbetrag nach §
8 Abs.
1 Bundespflegesatzverordnung (
BPflV) für das Jahr 2009 und entsprechend das darin enthaltene Budget nach §
12 BPflV jeweils in Höhe der Summe der nach Satz 1 vereinbarten Pauschalen zu vermindern (Satz 5). Bei Krankenhäusern nach § 4 Abs.
9 KHEntgG ist das Erlösbudget in der Höhe zu vermindern, in der nach der bereits durchgeführten Angleichung an den Landesbasisfallwert
noch Erlösanteile für diese ambulanten Leistungen enthalten sind (Satz 6). Der jeweilige Minderungsbetrag ist bereits bei
der Vereinbarung der Vergütung nach Satz 1 festzulegen (Satz 7). Bei der Vereinbarung des Landesbasisfallwerts nach § 10 KHEntgG
ist die Summe der für das Jahr 2009 vereinbarten ambulanten Pauschalen ausgabenmindernd zu berücksichtigen (Satz 8). Durch
das GKV-FinG vom 22.12.2010 (aaO) wurde §
120 Abs.
1a Satz 5
SGB V mit Wirkung vom 1.1.2011 wie folgt gefasst: Soweit für ein Jahr für diese Leistungen erstmals Pauschalen nach Satz 1 vereinbart
werden, sind bei besonderen Einrichtungen einmalig die Erlössumme nach §
6 Abs.
3 KHEntgG für dieses Jahr sowie der Gesamtbetrag nach §
6 Abs.
1 BPflV für dieses Jahr und entsprechend das darin enthaltene Budget nach §
12 BPflV jeweils in Höhe der Summe der nach Satz 1 vereinbarten Pauschalen zu vermindern. Der bisherige Abs. 1 Satz 6 wurde aufgehoben.
Im bisherigen Satz 8 wurde die Angabe "Jahr 2009" durch die Wörter "jeweilige Jahr erstmalig" ersetzt.
§
120 Abs.
1a SGB V ist so auszulegen, dass der Krankenhausträger eine zusätzliche Pauschale nicht verlangen kann, wenn er diese erst nach Ende
des jeweiligen Jahres geltend gemacht hat. Dies ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der Vorschrift, wie der
Beklagten einzuräumen ist. Andererseits gibt es jedoch auch keine Norm, die ausdrücklich die Auffassung der Beklagten stützt.
§
40 SGB I, wonach Ansprüche auf Sozialleistungen entstehen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen
vorliegen, ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht anwendbar, da es sich bei der von der Beigeladenen zu 1 geforderten
zusätzlichen Vergütung nicht um eine "Sozialleistung" handelt. Zu Sozialleistungen zählen nur die im Sozialgesetzbuch vorgesehenen
Dienst-, Sach- und Geldleistungen (§
11 SGB I). Voraussetzung hierfür ist die Begünstigung eines Sozialleistungsempfängers (Ross in Hauck/Noftz,
SGB I, K §
11 Rn 11), woran es vorliegend fehlt.
Sinn und Zweck des §
120 Abs.
1a SGB V und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Vorschriften fordern eine Auslegung der Norm in dem Sinne, dass eine Pauschale
nicht in Betracht kommt, wenn der Krankenhausträger nicht spätestens bis zum Ende des jeweiligen Jahres gegenüber den Krankenkassen
bzw. -verbänden eine Vereinbarung über eine Pauschale gefordert hat. Eine Vereinbarung nach §
120 Abs.
1a Satz 1
SGB V setzt voraus, dass die zusätzliche Pauschale "erforderlich" ist, um die Behandlung von Kindern und Jugendlichen, die auf
Überweisung erfolgt, angemessen zu vergüten. Nach der amtlichen Begründung des Entwurfs zum KHRG vom 17.3.2009 ist eine Vereinbarung
über Pauschalen abzuschließen, falls diese zur Aufrechterhaltung der Behandlungsmöglichkeiten für die betroffenen Kinder und
Jugendlichen erforderlich sind (BT-Drucksache 16/11429 Seite 46). Die Aufrechterhaltung von Behandlungsmöglichkeiten hat jedoch
keinen Bezug zu vergangenen Jahren, sondern bezieht sich auf einen gegenwärtigen und zukünftigen Bedarf. Dem entspricht auch
die Gesetzesbegründung zur Änderung des §
120 Abs.
1a SGB V durch das GKV-FinG. Danach ist die zusätzliche Vergütung nach §
120 Abs.
1a SGB V vorgesehen, um mögliche Versorgungsengpässe bei der fachärztlichen Versorgung von schwer und chronisch kranken Kindern und
Jugendlichen durch Unterfinanzierung zu vermeiden (BT-Drucksache 17/3696 Seite 46 f zu §
120 SGB V). Die Vermeidung eines Versorgungsengpasses ist jedoch gegenwarts- bzw. zukunfts-, nicht aber vergangenheitsbezogen.
Diese Auslegung des §
120 Abs.
1a SGB V wird durch dessen Satz 8 in der ursprünglichen Fassung bzw. Satz 7 in der ab dem 1.1.2011 geltenden Fassung gestützt. Danach
ist bei der Vereinbarung des Landesbasisfallwerts nach § 10 KHEntgG die Summe der für das Jahr 2009 (Gesetzesfassung bis zum
31.12.2010) bzw. für das jeweilige Jahr erstmalig vereinbarten (Gesetzesfassung ab dem 1.1.2011) ambulanten Pauschalen ausgabenmindernd
zu berücksichtigen. Damit soll eine zeitgerechte Refinanzierung der für die Pauschalen benötigten Mittel ermöglicht werden
(BT-Drucksache 16/11429 Seite 46 zu §
120 SGB V). Die Refinanzierung dient ersichtlich dem Zweck, die Kalkulationssicherheit der Krankenkassen zu gewährleisten. Dies zeigt,
dass das Gesetz im Grundsatz davon ausgeht, dass die Verhandlungen über die Vereinbarung nach §
120 Abs.
1a SGB V bereits in dem betreffenden Jahr, für das die Pauschale festgesetzt wird, abgeschlossen werden. Die Vereinbarung des Landesbasisfallwerts
ist nämlich bis zum 30. November jeden Jahres zu schließen (§ 10 Abs. 10 Satz 1 KHEntgG). Das grundsätzliche Erfordernis,
dass die Summen der für das jeweilige Jahr vereinbarten Pauschalen bei der Vereinbarung des Landesbasisfallwerts für das betreffende
Jahr ausgabenmindernd zu berücksichtigen sind, zeigt, dass die Geltendmachung einer Pauschale für vergangene Jahre ausgeschlossen
sein soll. Dem steht nicht entgegen, dass es im Falle der Verzögerung des Abschlusses der Vereinbarung oder der Entscheidung
der Schiedsstelle nach §
120 Abs.
4 SGB V nicht in allen Fällen möglich ist, die Pauschale so rechtzeitig festzusetzen, dass sie noch bei der Vereinbarung des Landesbasisfallwerts
in demselben Jahr berücksichtigt werden kann. Diese Problematik hat auch der Gesetzgeber erkannt, da es in der Gesetzesbegründung
zum KHRG (BT-Drucksache 16/11429 Seite 46 zu §
120 SGB V) heißt, je nach den Vereinbarungszeitpunkten für die ambulanten Fallpauschalen und für den Landesbasisfallwert könne die
Herausrechnung aus dem Ausgabevolumen für stationäre Versorgung beim Landesbasisfallwert 2009 oder 2010 durchgeführt werden.
Der Umstand, dass die Gesetzesbegründung nur diese beiden Jahre, nicht aber weitere Folgejahre erwähnt, spricht dafür, dass
nach den Vorstellungen des Gesetzgebers die Pauschalen nach §
120 Abs.
1a SGB V jedenfalls nicht erst mehrere Jahre nach der Geltendmachung durch den Krankenhausträger bei der Bildung des Landesbasisfallwerts
berücksichtigt werden sollen. Dies steht der von der Beklagten favorisierten Auslegung des §
120 Abs.
1a SGB V entgegen.
Im Übrigen spricht vieles dafür, dass der Krankenhausträger mit der Geltendmachung einer Pauschale nach §
120 Abs.
1a SGB V den Krankenkassen bzw. -verbänden gegenüber nicht erst bis zum 31.12. des jeweiligen Jahres warten kann. Darüber hat der
Senat jedoch im vorliegenden Verfahren nicht zu befinden, da es hier darauf nicht entscheidend ankommt.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).