Tatbestand
Umstritten ist, ob der Beklagte zu Recht die Feststellung eines sonstigen Schadens der Klägerin in Höhe von 324,66 € wegen
vertragsärztlicher Arzneimittelverordnungen während einer stationären Behandlung abgelehnt hat.
Die 1925 geborene, bei der Klägerin versicherte A B (im Folgenden Versicherte) befand sich in der Zeit vom 20.3.2002 bis zum
9.4.2002 in stationärer Behandlung. Am 2.4.2002 verordnete der Beigeladene zu 1, der im Bezirk der Beigeladenen zu 2 als Vertragsarzt
zugelassen war, der Versicherten zwei Arzneimittel (Blutdrucksenker).
Der Behandlungsschein weist für den 2.4.2002 einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aus. Die Verordnungen über die Arzneimittel
wurden am selben Tag eingelöst. Der Klägerin entstanden dadurch Kosten in Höhe von insgesamt 324,66 € (Bruttobetrag abzüglich
Apothekenrabatt und Eigenanteil). Sie beantragte im Dezember 2003 bei der Gemeinsamen Prüfungseinrichtung der Vertragsärzte
und Krankenkassen die Feststellung eines sonstigen Schadens gemäß § 48 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) i.V.m. § 13 der Prüfvereinbarung, weil der Beigeladene zu 1 die Arzneimittelverordnungen für eine Patientin ausgestellt habe, die sich
zu diesem Zeitpunkt in stationärer Behandlung befunden habe. Der Beigeladene zu 1 erklärte hierzu im Januar 2004, ihm sei
nicht bekannt gewesen, dass er während eines stationären Aufenthaltes keine Arzneimittel habe verordnen dürfen. Der Prüfungsausschuss
lehnte den Antrag der Beigeladenen zu 1 durch Bescheid vom 27.3.2006 wegen verspäteter Antragstellung als unzulässig ab. Der
Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin durch Bescheid vom 28.11.2007 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 28.12.2007 Klage erhoben. Nach Bekanntwerden des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.6.2011 (B 6 KA 16/10 R) wies der Beklagte den Widerspruch durch einen neu gefassten und den Bescheid vom 28.11.2007 ersetzenden Bescheid vom 3.5.2012
erneut zurück. Zur Begründung führte er aus: Zwar handele es sich ausgehend von dem Urteil des BSG vom 29.6.2011 (aaO) bei der in der Prüfvereinbarung geregelten Frist für einen Antrag auf eine Wirtschaftlichkeitsprüfung
lediglich um eine Ordnungsfrist, sodass der Antrag der Klägerin nicht als verspätet abgelehnt werden könne. Der Widerspruch
der Klägerin sei jedoch in der Sache nicht begründet. Es könne dahinstehen, ob dieser überhaupt ein Schaden entstanden sei.
Ein Verschulden des Beigeladenen zu 1 sei jedenfalls nicht ersichtlich. Zu beachten sei, dass nach dem vorliegenden Behandlungsschein
am 2.4.2002 ein Arzt-Patient-Kontakt stattgefunden habe. Zudem habe der Beigeladene zu 1 glaubhaft gemacht, dass er keine
Kenntnis von dem stationären Aufenthalt der Versicherten gehabt habe, indem er telefonisch angegeben habe, die Krankenhauseinweisung
sei nicht durch ihn erfolgt und er habe im Zeitpunkt der Ausstellung der Verordnungen keine Kenntnis von dem Krankenhausaufenthalt
der Versicherten gehabt.
Die Klägerin hat dazu vorgetragen: Der Beigeladene zu 1 habe seine ärztliche Sorgfaltspflicht verletzt, indem er die Arzneimittelverordnungen
ausgestellt habe. Er habe seinerzeit weder geklärt, wo sich die Patientin befunden habe, noch die Notwendigkeit der Verordnungen
überprüft. Vor Ausstellung einer Verordnung habe der Arzt stets die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkasse zu klären
(Hinweis auf Sozialgericht - SG - Stuttgart 14.3.2012 - S 20 KA 5198/10). Unterlasse er dies, handele er fahrlässig. Aus den Angaben des Beigeladenen zu 1 lasse sich entnehmen, dass er die Verordnung
ohne nähere Prüfung ausgestellt habe; er habe weder den Aufenthaltsort des Patienten geklärt noch die Notwendigkeit der Verordnungen
geprüft. Die Aussage des Beklagten, am 2.4.2002 habe ein unmittelbarer Arzt-Patient-Kontakt stattgefunden, lasse sich nicht
verifizieren. Bei der auf dem Behandlungsschein vermerkten EBM(Ä)-Nr. 1 (Stand 2002) habe es sich um die hausärztliche Grundpauschale
gehandelt. Die Versicherte habe sich seinerzeit im S -Krankenhaus B und damit 13 km von der Praxis des Beigeladenen zu 1 entfernt
befunden; es sei daher fraglich, ob sie damals selbst dessen Praxis aufgesucht habe. Die Verordnungen seien zudem während
der stationären Behandlung eingelöst worden; die Medikamente hätten der Versicherten damit tatsächlich während des stationären
Aufenthalts zur Verfügung gestanden.
Der Beklagte hat vorgetragen, für eine Nachfrage- oder Nachforschungspflicht des Beigeladenen zu 1 fehle es an einer Rechtsgrundlage
(Hinweis auf Clemens in jurisPK-
SGB V, §
106 Rn 103). Er, der Beklagte, habe von sich aus nicht prüfen können, warum und wo sich die Patientin seinerzeit in stationärer
Behandlung befunden habe, da ihm diese Daten nicht vorgelegen hätten. Mangels anderer Anhaltspunkte habe er von der Richtigkeit
der Abrechnung und einem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt am 2.4.2002 ausgehen müssen.
Der Beigeladene zu 1 hat gegenüber dem Sozialgericht (SG) angegeben: Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass er während eines stationären Aufenthalts keine Verordnungen für den betreffenden
Patienten ausstellen dürfe. Die stationäre Einweisung der Versicherten sei nicht durch ihn erfolgt, und er habe keine Kenntnis
von dem stationären Aufenthalt gehabt. An weitere Umstände könne er sich nicht mehr erinnern.
Die Beigeladene zu 2 hat vorgetragen: Auch wenn eine kurzfristige Unterbrechung des Krankenhausaufenthalts durch die Versicherte
auszuschließen sei, fehle es an einem Verschulden des Beigeladenen zu 1. Da es sich um eine Dauerpatientin gehandelt habe,
habe der Beigeladene zu 1 gemäß § 15 Abs 2 BMV-Ä eine Verordnung für die Versicherte ausstellen dürfen, auch ohne sich persönlich von deren Krankheitszustand zu überzeugen.
Durch Urteil vom 30.7.2014 hat das SG Mainz die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Bescheid des Beklagten
vom 3.5.2012, der gemäß §
96 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei, sei rechtmäßig. Die Feststellung eines sonstigen Schadens (§ 48 Abs 1 BMV-Ä) sei verschuldensabhängig (Hinweis auf BSG 30.1.2002 - B 6 KA 9/01 R). Vorliegend sei ein Verschulden des Beigeladenen zu 1 nicht erkennbar. Es könne nicht festgestellt werden, dass er Kenntnis
von dem stationären Krankenhausaufenthalt der Versicherten gehabt habe. Seine Einlassung, er habe diese nicht stationär eingewiesen
und auch keine Kenntnis von dem Krankenhausaufenthalt gehabt, sei glaubhaft. Dass die Einweisung durch einen anderen Arzt
erfolgt sei, habe auch die Klägerin nicht bestritten. Der Vortrag des Beigeladenen zu 1 werde zudem dadurch gestützt, dass
dieser für den Tag der Ausstellung der Verordnungen die EBM(Ä) Nr. 1 abgerechnet habe, welche einen persönlichen Kontakt zwischen
Arzt und Patient voraussetze. Der Beklagte habe grundsätzlich von der Richtigkeit der Abrechnung ausgehen dürfen, da ihm nähere
Daten über Grund und Ort der stationären Behandlung nicht vorgelegen hätten. Der Beigeladene zu 1 habe seinerzeit keinen Grund
zur Nachfrage gehabt, ob die Versicherte stationär behandelt werde. Konkrete Anhaltspunkte dafür habe er nicht gehabt. Gegen
eine grundsätzliche Pflicht zu einer entsprechenden Nachfrage vor jeder Arzneimittelverordnung spreche die Zulässigkeit einer
Verordnung ohne aktuelle persönliche Untersuchung des Patienten nach § 15 Abs 2 BMV-Ä. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Gegen dieses ihr am 8.10.2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 6.11.2014 eingelegte Berufung der Klägerin, die vorträgt:
Wie der Beklagte zu dem Ergebnis gekommen sei, die Arzneimittel seien für den ambulanten Behandlungsbedarf der Versicherten
bestimmt gewesen, sei nicht nachvollziehbar. Würde man in Fällen der vorliegenden Art eine Nachfragepflicht des Arztes verneinen,
hätte der Arzt immer die Möglichkeit, ohne weitere Nachweise vorzutragen, er habe von dem Krankenhausaufenthalt keine Kenntnis
gehabt. Dem Vertragsarzt sei es zumutbar, vor einer Arzneimittelverordnung durch Nachfrage zu klären, ob sich der Patient
in stationärer Behandlung befinde.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Mainz vom 30.7.2014 sowie den Bescheid des Beklagten vom 3.5.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen,
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Da nach § 15 Abs 2 BMV-Ä der Arzt Arzneimittelverordnungen auch ohne persönlichen Arzt-Patient-Kontakt ausstellen dürfe, sei ihm bewusst die Möglichkeit
eröffnet worden, in geeigneten Fällen auf einen solchen zu verzichten. Zu beachten sei ferner, dass der EBM(Ä) 2001 in der
EBM(Ä)-Nr. 3 die Ausstellung von Wiederholungsrezepten ohne unmittelbaren Patientenkontakt vorgesehen habe. Ein Verschulden
des Arztes könne in einem derartigen Fall nur bejaht werden, wenn ihm der stationäre Aufenthalt des Versicherten bekannt oder
unter Außerachtlassen der erforderlichen Sorgfaltspflicht unbekannt sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall.
Der Beigeladene zu 1 hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert. Die Beigeladene zu 2 hält das angefochtene Urteil für
zutreffend und trägt ergänzend vor; die Auferlegung einer generellen Nachforschungs- und Nachweispflicht gegenüber dem Vertragsarzt
würde zu einer weiteren Belastung und Bürokratisierung für die Arztpraxen führen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen
Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Es kann offenbleiben, ob die Feststellung eines sonstigen Schadens bereits daran scheitert, dass ein Schaden der Klägerin
nicht feststeht. Jedenfalls fehlt es an dem für die Feststellung eines sonstigen Schadens erforderlichen Verschulden des Beigeladenen
zu 1 zumindest in der Form eines fahrlässigen Verhaltens (vgl. BSG 30.1.2002 - B 6 KA 9/01 R, [...]). Selbst wenn der Beigeladene zu 1 die Versicherte im Zusammenhang mit den am 2.4.2002 ausgestellten Arzneimittelverordnungen
nicht persönlich untersucht haben sollte, kann von einem Fehlverhalten nicht ausgegangen werden. Nach § 15 Abs 2 Satz 1 BMV-Ä (ebenso nach C.11. der Arzneimittel-Richtlinien in der zum Zeitpunkt der Verordnung maßgebenden, zuletzt am 3.8.1998 geänderten
Fassung) darf der Vertragsarzt Arzneimittelverordnungen nicht nur dann ausstellen, wenn er sich persönlich von dem Krankheitszustand
des Patienten überzeugt hat, sondern auch, wenn ihm der Zustand aus der laufenden Behandlung bekannt ist. Da die Versicherte
von dem Beigeladenen zu 1 dauerhaft behandelt wurde, ist diese Voraussetzung erfüllt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass
der Beigeladene zu 1 Anhaltspunkte dafür hatte, dass sich die Versicherte im Zeitpunkt der Ausstellung der Arzneimittelverordnungen
in stationärer Krankenhausbehandlung befand und die Medikamente zur Einnahme in dieser Zeit bestimmt waren. Ohne solche konkreten
Anhaltspunkte war der Beigeladene zu 1 nicht zu einer entsprechenden Nachfrage verpflichtet. Eine gesetzliche Grundlage für
eine solche Nachfragepflicht ohne bestimmten Anlass gibt es nicht (vgl. Clemens in jurisPK-
SGB V, §
106 Rn 103). Soweit das SG Stuttgart in seinem Urteil vom 14.3.2012 (S 20 KA 5198/10) eine andere Auffassung vertreten hat, folgt der Senat dem nicht. Ob der Beigeladene zu 1 seinerzeit zu Recht die EBM(Ä)-Nr.
1 abgerechnet hat, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.