Nachträgliches Entfallen der Ruhenswirkung beim Krankengeld bei rückabgewickelter Entgeltzahlung; Zulässigkeit einer Elementenfeststellungsklage
auf Feststellung von Arbeitsunfähigkeit
Tatbestand:
Umstritten ist, ob der Kläger im Zeitraum vom 11.10. bis 9.11.2008 arbeitsunfähig krank war.
Der 1957 geborene Kläger, bei der Beklagten krankenversichert, war als Elektrohelfer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von
25 Stunden im Unternehmen seines Bruders beschäftigt. Seine Tätigkeit umfasste ausweislich der Arbeitsplatzbeschreibung des
Beschäftigungsunternehmens vom September 2007 die Warenannahme, Arbeiten im Lager, die Erledigung leichter technischer Angelegenheiten,
eventuelle kleine Reparaturen nach interner Schulung, die Kundenberatung, den Telefondienst, die Auftragsannahme, die Ausgabe
und die Pflege des Werkzeugs sowie weitere Aufgaben. Die Tätigkeit erfolgte im Wechsel von Stehen, Gehen und Sitzen und erforderte
das Heben und Tragen von Lasten bis 7 kg.
Ab dem 16.6.2008 bestätigte der Arzt für Allgemeinmedizin B dem Kläger Arbeitsunfähigkeit wegen Beschwerden der Lendenwirbelsäule
(LWS). Bei einer computertomographischen Untersuchung am 1.7.2008 wurden eine deutliche Osteochondrose, eine ausgeprägte Dysplasie
der kleinen Wirbelgelenke L5/L6 mit kräftigen Sklerosierungen, eine beidseitige Spondylolyse, eine Anterolisthese, eine deutliche
BS-Fachverschmälerung, ein hochgradiges Vakuumphänomen sowie eine durch Instabilität hervorgerufene ausgeprägte rechts-laterale
Verwölbung der Bandscheibe mit Zeichen einer Wurzelkompression intraforaminal festgestellt. Nach Ablauf der Lohnfortzahlung
am 27.7.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger Krankengeld. In der Folgezeit attestierten der Arzt Berndt und der Orthopäde
Dr H dem Kläger Arbeitsunfähigkeit. Mit Bescheid vom 11.09.2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, seine Arbeitsunfähigkeit
und sein Anspruch auf Krankengeld endeten am 14.9.2008.
Im September 2008 erstatteten die Ärzte im MDK Dr H ein Gutachten nach persönlicher Untersuchung des Klägers am 29.9.2008.
Sie führten an, der Kläger habe angegeben: Er habe ständige Schmerzen im Hals-Nacken-Bereich; er könne den Kopf kaum drehen
sowie Ellenbogen und Hand nicht bewegen; die Hand werde taub; außerdem habe er im Rücken ständig sehr starke Schmerzen, die
ins rechte Bein zögen; das Bein schlafe ein und werde taub; beim Gehen verstärkten sich die Schmerzen. Die Ärzte Dr H legten
dar, zwar bestehe beim Kläger eine deutliche Mobilitätseinbuße des Achsenskeletts und der Extremitäten, die jedoch zum größten
Teil auf eine erhebliche Adipositas und einen Trainingsverlust zurückzuführen sei. Die vom Kläger vorgebrachte Beschwerdesymptomatik
lasse sich durch den klinischen Befund nicht hinreichend erklären. Wesentliche neurologische Ausfallserscheinungen lägen nicht
vor. Es gebe keine Gründe, welche eine weitere Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen könnten. Durch Bescheid vom 8.10.2008 teilte
die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, wegen Endes der Arbeitsunfähigkeit gewähre sie ihm Krankengeld nur noch bis zum 10.10.2008.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Widerspruch ein.
Dr H legte in einem Arztschreiben vom 4.11.2008 dar, der Kläger klage immer noch über eine Taubheit der Finger 3 bis 5 rechts,
weshalb er ihn zum Neurologen überwiesen habe. Der Kläger vereinbarte mit seinem Bruder die Wiederaufnahme der Beschäftigung
ab dem 11.10.2008 und nahm ab diesem Zeitpunkt seinen Resturlaub. Diese Entscheidung beruhte seinen Angaben zufolge auf seinen
finanziellen Schwierigkeiten. Ab dem 10.11.2008 wurde dem Kläger erneut Arbeitsunfähigkeit bescheinigt und zwar mit den Diagnosen
"depressive Episode, Dysthymia, Angst- und depressive Störung sowie rezidivierende depressive Störung", weshalb die Beklagte
ihm nach Ablauf der Entgeltfortzahlung Krankengeld ab dem 22.12.2008 gewährte.
Der Arzt Dr S führte in seinem Arztschreiben vom 13.11.2008 an, die vom Kläger geklagten Schmerzen im rechten Arm seien am
Ehesten im Rahmen einer Epicondylitis erklärbar. Am 24.11.2008 wurden bei einer MRT-Untersuchung des rechten Ellenbogens des
Klägers Zeichen einer fortgeschrittenen humeroradialen Osteoarthrose, ein Gelenkerguss sowie ein großer freier Gelenkkörper
in der Fossa coronoidea bei Verdacht auf freien Gelenkkörper in der Fossa ocecrani festgestellt. Die Beklagte wies den Widerspruch
des Klägers gegen den Bescheid vom 8.10.2008 im Hinblick auf das Gutachten der Ärzte Dr H mit Widerspruchsbescheid vom 24.6.2009
zurück.
Am 29.6.2009 hat der Kläger Klage auf Gewährung von Krankengeld für die Zeit vom 11.10.2008 bis zum 21.12.2008 erhoben. Durch
Urteil vom 6.5.2010 hat das SG Trier die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei zutreffend,
weil der Kläger im Zeitraum vom 11.10. bis 9.11.2008 nach dem überzeugenden Gutachten der Ärzte Dr H nicht arbeitsunfähig
krank gewesen sei.
Gegen dieses ihm am 25.5.2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 24.6.2010 eingelegte Berufung des Klägers. Der Senat
hat auf dessen Antrag nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ein Gutachten nach Aktenlage des Dr H vom April 2011 eingeholt, der dargelegt hat: Er habe den Kläger zwischen dem 17.6.2008
und dem 1.12.2008 insgesamt sechsmal untersucht. Zwischen dem 11.10. und 9.11.2008 habe beim Kläger kein ausreichendes Leistungsvermögen
vorgelegen, um seine berufliche Tätigkeit auszuführen. Bei den in seiner Praxis durchgeführten Untersuchungen hätten sich
immer wieder radikuläre Ausfallerscheinungen gezeigt. Die Ärzte Dr H hätten die CT-Befunde vom 1.7.2008 unzureichend berücksichtigt
und auch das Vorliegen der krankhaften Veränderungen am rechten Ellenbogen des Klägers verkannt.
Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme des Arztes LMD L vom MDK vom Juni 2011 vorgelegt, welcher ua ausgeführt hat: Die
von Dr H betonte Wurzelkompression habe zu sensiblen Störungen führen können. Ob sich daraus tatsächlich Arbeitsunfähigkeit
im streitbefangenen Zeitraum ableiten lasse, müsse das Gericht entscheiden. Sensible Nervenwurzelläsionen kämen nicht selten
bei Bandscheibenvorfällen als Defektsyndrom vor, seien persistierend, führten aber nicht zwingend zu Arbeitsunfähigkeit. Die
Funktionseinschränkung des rechten Ellenbogengelenks habe den Kläger in der Vergangenheit nicht gehindert, seine Arbeit zu
verrichten; eine wesentliche Befundverschlechterung gehe aus den Darlegungen des Dr H nicht hervor. Die Diskrepanzen zwischen
dem Gutachten der Ärzte Dr H und den Ausführungen des Dr H könnten nur teilweise ausgeräumt werden, wobei zu unterstellen
sei, dass das Gutachten von Dr H sach- und fachgerecht erstellt worden sei.
Der Kläger trägt vor: Hinsichtlich des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 11.10.2008 bis zum 9.11.2008 stütze
er sich auf das Gutachten des Dr. H . Seinen Sachantrag ändere er insoweit, als er die Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit
in diesem Zeitraum beantrage. Sein Bruder als Arbeitgeber habe für den Zeitraum vom 11.10.2008 bis zum 21.12.2008 Anspruch
auf Rückgewährung des gezahlten Lohnes, weil er, der Kläger, in dieser Zeit arbeitsunfähig krank gewesen sei; sein Bruder
habe sich wegen dieses Anspruchs schon an ihn gewandt. Nach Rückabwicklung der Entgeltzahlung werde ihm die Beklagte für den
Zeitraum vom 11.10.2008 bis zum 21.12.2008 Krankengeld zu zahlen haben.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 6.5.2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 24.6.2009 aufzuheben und festzustellen, dass er in der Zeit vom 11.10.2008 bis zum 9.11.2008 arbeitsunfähig krank war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Der Kläger sei im Zeitraum vom 11.10. bis zum 9.11.2008 nicht arbeitsunfähig krank gewesen. Dies ergebe sich
aus dem Gutachten der Ärzte Dr. H sowie der Stellungnahme von LMD L .
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die abgeschlossene Prozessakte S 1 KR 35/09 ER (SG Trier) sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und
der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§
143 f,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG - zulässige Berufung ist begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Feststellung, dass er in der Zeit vom 11.10. bis 9.11.2008
arbeitsunfähig krank war; das Urteil des SG ist daher aufzuheben.
Der Kläger war berechtigt, seinen Klageantrag im Berufungsverfahren auf einen Antrag auf Feststellung des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit
im Zeitraum vom 11.10. bis 9.11.2008 umzustellen. Insoweit handelt es sich um eine zulässige Beschränkung des Klageantrags
iSd §
99 Abs
3 Nr
2 SGG (vgl zum Übergang von einer Leistungsklage zu einer Feststellungsklage Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Auflage, §
99 Rn 4). Der Feststellungsantrag ist auch im Übrigen zulässig. Zwar ist ein sog Elementenfeststellungsantrag in der Regel unzulässig
(Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO., § 55 Rn 9). Ausnahmsweise ist ein solcher Antrag jedoch statthaft, wenn durch
die Elementenfeststellungsklage der Streit der Beteiligten im Ganzen bereinigt wird (aaO. Rn 9a). Davon ist vorliegend nach
dem Vorbringen der Beklagten auszugehen, welche die Zulässigkeit des im Berufungsverfahren geänderten Antrags nicht bezweifelt
hat. Außer der Arbeitsunfähigkeit im Zeitraum vom 11.10. bis 9.11.2008 liegen unzweifelhaft alle Tatbestandsvoraussetzungen
für den Anspruch des Klägers auf Krankengeld im Zeitraum vom 11.10. bis 21.12.2008 vor. Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers
vom 10.11. bis 21.12.2008 wird von der Beklagten nicht angezweifelt. Der Kläger hat auch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
vorgelegt, die sich auf den Zeitraum vom 11.10. bis 21.12.2008 erstreckten.
Die ausnahmsweise Zulässigkeit des Elementenfeststellungsantrags ergibt sich auch aus den besonderen Umständen der vorliegenden
Fallgestaltung. Gegenwärtig scheidet ein Anspruch des Klägers auf Krankengeld für den streitbefangenen Zeitraum deshalb aus,
weil er für diesen Entgeltfortzahlung erhalten hat, wodurch sein Anspruch auf Krankengeld gemäß §
49 Abs
1 Nr
1 SGB V zum Ruhen gekommen ist. Dieser Ruhenseintritt wird aber nachträglich entfallen, wenn die Entgeltzahlung rückabgewickelt sein
wird, was von Seiten des Klägers und dessen Arbeitgebers beabsichtigt ist. Ob diese Rückabwicklung arbeitsrechtlich zulässig
ist, spielt vorliegend keine Rolle, weil es für den Eintritt der Ruhenswirkung nicht auf das Bestehen eines Lohnanspruchs,
sondern allein auf den Zufluss des Entgelts ankommt (Noftz in Hauck/Noftz,
SGB V, K §
49 Rn 44). Es gibt auch keine Gründe, warum ein bereits eingetretener Zufluss nicht nachträglich rückgängig gemacht werden könnte,
mit der Folge, dass danach die bereits eingetretene Ruhenswirkung wieder entfällt. Eine dahingehende Vereinbarung zwischen
den Arbeitsvertragsparteien ist jedenfalls unter den besonderen Umständen der vorliegenden Fallgestaltung zulässig, die dadurch
gekennzeichnet ist, dass der Kläger seinerzeit allein im Hinblick auf die fehlende Krankengeldgewährung durch die Beklagte
bezahlten Urlaub genommen hat, um einen finanziellen Engpass zu vermeiden. Die in Aussicht genommene Rückabwicklung der Lohnzahlung
stellt deshalb kein im Verhältnis zur Beklagten sittenwidriges Verhalten (vgl §
242 Bürgerliches Gesetzbuch -
BGB -) dar (zum grundsätzlich zulässigen Verzicht auf eine Leistung mit der Folge des Nichteintritts des Ruhens nach §
49 Abs
1 Nr
1 SGB V vgl Noftz aaO. Rn 47), was auch die Beklagte nicht bezweifelt.
Die Feststellungsklage ist auch begründet. Der Kläger war im Zeitraum vom 11.10. bis 9.11.2008 arbeitsunfähig krank, weil
er aus gesundheitlichen Gründen nicht imstande war, seine zuvor verrichtete Tätigkeit auszuführen. Der Senat stützt sich in
dieser Überzeugung auf das Gutachten des Dr H . Der gegenteiligen Beurteilung der Ärzte Dr H folgt er nicht, da deren Auffassung,
beim Kläger hätten keine wesentlichen krankhaften Befunde vorgelegen, nicht schlüssig ist. Der CT-Befund vom 1.7.2008 bestätigt
einen erheblichen krankhaften Befund im Bereich der Lendenwirbelsäule, insbesondere eine Wurzelkompression, die nach Dr H
das Vorliegen von Sensibilitätsstörungen belegt. Das MRT des rechten Ellenbogens vom 24.11.2008 zeigt ein klinisches Korrelat
für die vom Kläger geklagten Beschwerden am rechten Arm auf. Aus diesen Gründen ist das Gutachten des Dr H für den Senat überzeugender
als dasjenige der Ärzte Dr H . Der MDK-Arzt LMD L hat im Übrigen eingeräumt, dass die Wirbelsäulenbefunde beim Kläger im streitbefangenen
Zeitraum die Annahme von Arbeitsunfähigkeit nicht ausschließen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 SGG nicht vorliegen.