[Tatbestand]
Umstritten ist ein Anspruch auf eine Aufwandspauschale nach §
275 Abs
1c Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V).
Die bei der Beklagten versicherte S G (geboren 1930) befand sich vom 5. bis 27.3.2012 zur stationären Behandlung im Krankenhaus
der Klägerin. Die Klägerin stellte der Beklagten unter dem 4.4.2012 einen Betrag von 10.675,29 EUR in Rechnung. Die Beklagte
schaltete ihren Sozialmedizinischen Dienst (SMD) ein. Nach dem in der Akte der Beklagten befindlichen Dokumentationsbogen
sollte der SMD "kostenintensive Prozeduren" überprüfen. In seinem Schreiben an das Krankenhaus vom 12.4.2012 (Überschrift
ua "Anzeige des SMD-Verfahrens gemäß §
275 SGB V") verlangte der SMD die Vorlage von Unterlagen. Der SMD gelangte zunächst zu dem Ergebnis, der durchgeführte stationäre Eingriff
sei anstelle des OPS 5-458.01 (erweiterte Kolonresektion mit Entfernung von Nachbarorganen: Hemikolektomie rechts: Offen chirurgisch
mit Anastomose verschlüsselt) mit dem OPS 5-455441 (wohl gemeint: 5-45541: Resektion des Colon ascendens mit Coecum und rechter
Flexur [Hemikolektomie rechts]: Offenchirurgisch mit Anastomose) zu kodieren (Stellungnahme vom 31.8.2012), folgte aber später
der Argumentation der Klägerin. Unter dem 5.12.2012 verlangte die Klägerin daraufhin von der Beklagten eine Aufwandspauschale
von 300,-- EUR. Die Beklagte beglich diese Rechnung.
Mit Schreiben vom 30.10.2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie fordere die gezahlte Aufwandspauschale zurück. Zur
Begründung führte sie aus, eine Überprüfung der von der Klägerin eingereichten Unterlagen habe ergeben, dass die Klägerin
ihr mit der Mitteilung über die Entlassung der Versicherten eine fehlerhafte Datenmeldung eingereicht habe; die Angaben nach
§
301 Abs
1 Nr
8 SGB V hätten gefehlt; daher seien die Voraussetzungen einer Aufwandspauschale nicht erfüllt. Die Beklagte verrechnete am 6.11.2014
einen Anspruch auf Rückforderung der Aufwandspauschale in Höhe von 300,-- EUR mit anderen Forderungen der Klägerin. Die Klägerin
machte daraufhin geltend, sie habe die Daten seinerzeit korrekt übermittelt; dagegen habe es die Beklagte versäumt, von ihr
einen Kurzbericht anzufordern.
Am 31.3.2015 hat die Klägerin Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) Speyer hat die Beklagte mit Urteil vom 16.1.2017 verurteilt, an die Klägerin 300,-- EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.3.2015 zu zahlen. Im Übrigen (hinsichtlich eines weitergehenden
Zinsanspruchs bereits ab dem 7.11.2014) hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Klägerin habe Anspruch
auf Zahlung einer Aufwandspauschale von 300,-- EUR. Es könne offenbleiben, ob der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
- BSG - (Hinweis auf BSG 1.7.2014 - B 1 KR 29/13 R) zu folgen sei, dass §
275 Abs
1c Satz 3
SGB V in Fällen der Abklärung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit keine Anwendung finde. Vorliegend sei nämlich keine solche
Prüfung, sondern eine Auffälligkeitsprüfung iSd §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V durchgeführt worden. Dies ergebe sich daraus, dass der SMD in seinem Schreiben vom 12.4.2012 an die Klägerin von einer "Anzeige
des SMD-Verfahrens gemäß §
275 SGB V" gesprochen habe. Zudem zeigten der Inhalt dieses Schreibens und die darin genannten Unterlagen, dass nicht eine bloße sachlich-rechnerische
Richtigkeit der Abrechnung habe durchgeführt werden sollen, sondern eine Überprüfung nach §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V. Der Anspruch der Klägerin auf eine Aufwandspauschale sei auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin keine oder
nur unzureichende Angaben nach §
301 Abs
1 Nr
8 SGB V an die Beklagte übermittelt habe. Nach dieser Vorschrift seien die nach §
108 SGB V zugelassenen Krankenhäuser verpflichtet, den Krankenkassen bei Krankenhausbehandlung Angaben über die im jeweiligen Krankenhaus
durchgeführten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen sowie Aussagen zur Arbeitsfähigkeit und
Vorschläge für die Art der weiteren Behandlung mit Angabe geeigneter Einrichtungen im Wege elektronischer Datenübertragung
oder maschinell verwertbar auf Datenträgern zu übermitteln. Im vorliegenden Fall gebe es jedoch keine Anhaltspunkte dafür,
dass im Rahmen des durchgeführten stationären Aufenthalts überhaupt Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende
Leistungen angefallen seien sowie Aussagen zur Arbeitsfähigkeit hätten getroffen werden müssen. Soweit die Beklagte darauf
abstelle, dass die Klägerin keinen Kurzbericht vorgelegt habe, sei darauf hinzuweisen, dass sie und der SMD einen solchen
nicht angefordert hätten.Gegen dieses Urteil richtet sich die am 7.2.2017 eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.
Der Senat hat die Berufung durch Beschluss vom 20.11.2017 zugelassen.
Die Beklagte trägt vor: Das SG sei in Verkennung der Rechtsprechung des BSG von der Durchführung einer Auffälligkeitsprüfung ausgegangen; vielmehr sei eine sachlich-rechnerische Überprüfung vorgenommen
worden. Denn es sei um die Prüfung "kostenintensiver Prozeduren" gegangen, wie sich aus dem Dokumentationsbogen ergebe. Ein
Krankenhaus könne eine Aufwandspauschale im Übrigen nicht verlangen, wenn die Krankenkasse durch eine fehlerhafte Abrechnung
bzw ein Fehlverhalten des Krankenhauses zur Einleitung des Prüfverfahrens veranlasst worden sei. Dies sei vorliegend der Fall
gewesen. Das SG sei unzutreffend davon ausgegangen, dass es vorliegend keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass im Rahmen des stationären Aufenthalts
der Versicherten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen angefallen seien. Diese Annahme sei
unzutreffend, weil das Krankenhaus auch den OPS 8-561.1 (funktionsorientierte physikalische Therapie: Monotherapie) übermittelt
habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Speyer vom 16.1.2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor, die Rückforderung der Aufwandspauschale durch die
Beklagte verstoße gegen Treu und Glauben (Hinweis auf Sozialgericht - SG - Nürnberg 1.12.2016 - S 7 KR 375/16). Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die ihrem wesentlichen
Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.
Entscheidungsründe
Die nach §§
143 f,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG - zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Beklagte hat zu Recht mit einem Anspruch auf Rückforderung der gezahlten
Aufwandspauschale in Höhe von 300,-- EUR gegen einen unstreitigen Vergütungsanspruch der Klägerin wegen der Behandlung eines
anderen Versicherten aufgerechnet. Das Urteil des SG ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.Die Beklagte hat gegen die Klägerin einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch
in Höhe von 300,-- EUR, weil sie zu Unrecht einen Betrag in dieser Höhe als Aufwandspauschale gezahlt hat. Die Voraussetzungen
einer Aufwandspauschale nach §
275 Abs
1c Satz 3
SGB V in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung sind vorliegend nicht erfüllt. Nach §
275 Abs
1c Satz 1
SGB V ist bei Krankenhausbehandlung nach §
39 SGB V zeitnah eine Prüfung nach §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V durchzuführen. Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus
nach §
275 Abs
1c Satz 3
SGB V eine Aufwandspauschale in Höhe von 300,-- EUR zu entrichten. Ein Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale setzte jedoch
nach dem bis zum 31.12.2015 geltenden Recht eine Auffälligkeitsprüfung voraus. Eine solche liegt nach der Rechtsprechung des
BSG (BSG 23.6.2015 - B 1 KR 13/14 R, juris; BSG 25.10.2016 - B 1 KR 22/16 R, juris) nicht vor, wenn eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit durchgeführt wurde. Der Senat folgt dieser Rechtsprechung
(so bereits LSG Rheinland-Pfalz 21.4.2016 - L 5 KR 107/15; 19.5.2016 - L 5 KR 8/16).
Vorliegend ist keine Auffälligkeitsprüfung, sondern eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit erfolgt. Die Auffälligkeitsprüfung
betrifft regelmäßig Fälle, in denen die Krankenkasse Zweifel daran haben kann, dass das Krankenhaus seine Leistung unter Beachtung
des Wirtschaftlichkeitsgebots erbracht hat (BSG 1.7.2014 - B 1 KR 29/13 R, juris Rn 22). Demgegenüber handelt es sich bei der Prüfung der richtigen Kodierung und Abrechnung um eine Prüfung der sachlich-rechnerischen
Richtigkeit (BSG 23.6.2015 aaO Rn 25). So ist der Sachverhalt im vorliegenden Fall. Wie sich aus dem Dokumentationsbogen (Bl 1 VA) ergibt,
bezog sich die Prüfung des MDK auf "kostenintensive Prozeduren" und damit auf die richtige Kodierung. Die vom SG vorgenommene Abgrenzung zwischen Auffälligkeitsprüfungen und Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit entspricht
nicht derjenigen des BSG.
Im vorliegenden Fall noch nicht anwendbar ist die mit Wirkung vom 1.1.2016 durch Art 21a des Gesetzes zur Reform der Strukturen
der Krankenhausversorgung (KSHG) vom 10.12.2015 (BGBl I Seite 2229) eingeführte Neuregelung des §
275 Abs
1c Satz 4
SGB V, wonach als Prüfung im Sinne des §
275 Abs
1c Satz 1
SGB V jede Prüfung anzusehen ist, mit der die Krankenkasse den MDK beauftragt und die eine Datenerhebung durch den MDK beim Krankenhaus
erfordert. Mit dieser Bestimmung war keine rückwirkende Klarstellung, sondern eine Neuregelung beabsichtigt (BT-Drucksache
18/6586 Seite 110), die erst mit deren Inkrafttreten ab 1.1.2016 gilt.Der Rückforderungsanspruch der Beklagten ist auch nicht
verwirkt (aA für derartige Fallgestaltungen SG Nürnberg 1.12.2016 - S 7 KR 375/16). Die Verwirkung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung
voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere
Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete
Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen (BSG 23.6.2015 - B 1 KR 26/14 R, juris Rn 46 auch zum Folgenden). Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete
infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht
nicht mehr geltend machenwerde (Vertrauensgrundlage), und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht
nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet
hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.
An solchen eine Verwirkung auslösenden Umständen fehlt es vorliegend.Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a SGG i.V.m. §
154 Abs
1 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO).Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des §
160 SGG nicht vorliegen.