Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Beklagten, die Beschäftigungszeiten des Klägers im Zeitraum vom 1. September
1975 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz festzustellen.
Dem 1950 geborenen Kläger wurde, nach einem Hochschulstudium in der Union der sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) in
der Fachrichtung Bau von Eisenbahnstrecken sowie Gleis- und Streckenbewirtschaftung an der Hochschule für Ingenieure des Eisenbahnwesens
Z ... im Zeitraum von September 1970 bis Juni 1975, mit Diplomurkunde vom 23. Juni 1975 die Qualifikation "Eisenbahn-Ingenieur"
zuerkannt. Eine Genehmigung zur gleichberechtigten Führung dieses Titels zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)
wurde dem Kläger nicht erteilt. Mit Urkunde des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 3. Februar 1999
wurde ihm die Genehmigung erteilt, den am Institut für Ingenieure des Eisenbahnwesens in Z ... in der Fachrichtung Bau von
Eisenbahnstrecken sowie Gleis- und Streckenbewirtschaftung erworbenen Abschluss in der Bundesrepublik Deutschland in der Form
"Institut für Ingenieure des Eisenbahnwesens Z ... [Ingenieur für Eisenbahnbau]" zu führen. Er war vom 1. September 1975 bis
30. Juni 1990 (sowie darüber hinaus) als Erster Technologe und Haupttechnologe bei der Deutschen Reichsbahn (Bahnmeisterei
Y ...) beschäftigt. Er war zu Zeiten der DDR nicht in ein Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) einbezogen worden.
Den am 21. April 2015 (Eingang bei der Beklagten: 22. April 2015) gestellten Antrag auf Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften
lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Juli 2015 und bestätigendem Widerspruchsbescheid vom 4. November 2015 ab: Eine Versorgungsanwartschaft
im Sinne von § 1 Abs. 1 AAÜG sei nicht entstanden. Weder habe eine positive Versorgungszusage (Anwartschaft) zu Zeiten der DDR vorgelegen, noch sei am
30. Juni 1990 (Schließung der Zusatzversorgungssysteme) eine Beschäftigung ausgeübt worden, die - aus bundesrechtlicher Sicht
- dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen sei. Eine fingierte Versorgungsanwartschaft habe am 30. Juni
1990 nicht bestanden, weil hierfür die persönliche Voraussetzung nicht vorgelegen habe. Der Kläger sei nicht berechtigt gewesen,
nach DDR-Recht den Titel eines Ingenieurs zu führen. Denn er habe sein Studium in der UdSSR durchlaufen und verfüge über keine
Genehmigung einer staatlichen Stelle der DDR zur Führung eines Ingenieurstitels.
Die hiergegen am 9. November 2015 erhobene Klage hat das Sozialgericht Dresden mit Gerichtsbescheid vom 25. Januar 2019 abgewiesen:
Der Kläger sei nicht in den Anwendungsbereich des AAÜG einbezogen, da er keine Versorgungsurkunde oder tatsächliche nachträgliche Einbeziehung erhalten habe. Der Rechtsprechung
des Bundessozialgerichts (BSG) hinsichtlich der Möglichkeit des Bestehens einer fingierten Zusatzversorgungsanwartschaft sei nicht zu folgen.
Gegen den am 28. Januar 2019 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 26. Februar 2019 Berufung eingelegt, mit der
er sein Begehren weiterverfolgt. Das Sozialgericht habe die Rechtsprechung des BSG missachtet; auf eine tatsächliche Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem zu DDR-Zeiten komme es nicht an. Er erfülle
die Voraussetzungen für eine fingierte Zusatzversorgungsanwartschaft. Sein Studium und sein Abschluss im "großen Bruderland"
UdSSR dürfe nicht schlechter behandelt werden, weil es gleichwertig gewesen sei. Die Gleichwertigkeit sei durch ein Äquivalenzabkommen
allgemein anerkannt gewesen; einer gesonderten DDR-Urkunde habe es nicht bedurft. Im Übrigen liege die Gleichwertigkeitsurkunde
vom 3. Februar 1999 vor.
Der Kläger beantragt - sinngemäß und sachdienlich gefasst -,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 25. Januar 2019 aufzuheben und die Beklagte, unter Aufhebung des Bescheides
vom 7. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2015 zu verurteilen, seine Beschäftigungszeiten
vom 1. September 1975 bis 30. Juni 1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz
sowie die in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung im Ergebnis, nicht allerdings in der Begründung, für zutreffend. Sie folge der Rechtsprechung
des BSG zur fingierten Zusatzversorgungsanwartschaft. Eine solche bestehe im Fall des Klägers aber nicht, da er nach DDR-Recht nicht
berechtigt gewesen sei, den Titel eines Ingenieurs zu führen. Die Gleichstellungsurkunde des Sächsischen Staatsministeriums
für Wissenschaft und Kunst vom 3. Februar 1999 ändere daran nichts, da sie nicht zu DDR-Zeiten ausgestellt worden sei.
Mit Schriftsätzen vom 10. September 2019 (Beklagte) und vom 9. Oktober 2019 (Kläger) haben die Beteiligten jeweils ihr Einverständnis
zur Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Dem Gericht haben die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Zur Ergänzung des
Sach- und Streitstandes wird hierauf insgesamt Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt
haben (§
153 Abs.
1 in Verbindung mit §
124 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes [SGG]).
II. Die Berufung des Klägers ist unbegründet, weil das Sozialgericht Dresden die Klage im Ergebnis - nicht allerdings in der
Begründung - zu Recht mit Gerichtsbescheid vom 25. Januar 2019 abgewiesen hat. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 7.
Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten (§
54 Abs.
2 Satz 1
SGG). Denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung seiner Beschäftigungszeiten vom 1. September 1975 bis 30. Juni 1990
als Zeiten der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben
und der in diesem Zeitraum tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte, weil er diesem Zusatzversorgungssystem weder tatsächlich
noch fiktiv zugehörig war.
In dem Verfahren nach § 8 AAÜG, das einem Vormerkungsverfahren nach §
149 Abs.
5 des
Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB VI) ähnlich und außerhalb des Rentenverfahrens durchzuführen ist (vgl. dazu stellvertretend: BSG, Urteil vom 18. Juli 1996 - 4 RA 7/95 - SozR 3-8570 § 8 Nr. 2), ist die Beklagte nur dann zu den vom Kläger begehrten Feststellungen verpflichtet, wenn dieser
dem persönlichen Anwendungsbereich des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes nach § 1 Abs. 1 AAÜG unterfällt. Erst wenn dies zu bejahen ist, ist in einem weiteren Schritt festzustellen, ob er Beschäftigungszeiten zurückgelegt
hat, die einem Zusatzversorgungssystem, hier der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz, zuzuordnen sind (§ 5 AAÜG).
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften (= Versorgungsberechtigungen), die auf Grund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen
im Beitrittsgebiet erworben worden sind. Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaft bei Ausscheiden
aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG).
Der Kläger war bei In-Kraft-Treten des AAÜG am 1. August 1991 nicht Inhaber einer erworbenen Versorgungsberechtigung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Einen "Anspruch" auf Versorgung (= Vollrecht) besaß er zu diesem Zeitpunkt nicht, weil schon kein "Versorgungsfall" (Alter,
Invalidität) eingetreten war.
Er war zu diesem Zeitpunkt auch nicht Inhaber einer bestehenden Versorgungsanwartschaft im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG. Dies hätte vorausgesetzt, dass er in das Versorgungssystem tatsächlich einbezogen gewesen wäre. Eine solche Einbeziehung
in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz konnte durch eine Versorgungszusage in Form eines nach Art. 19
Satz 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung
der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) vom 31. August 1990 (BGBl. II S. 889, ber. S. 1239) bindend gebliebenen Verwaltungsaktes, durch eine Rehabilitierungsentscheidung auf der Grundlage von Art. 17 des Einigungsvertrages oder durch eine Einzelentscheidung, zum Beispiel auf Grund eines Einzelvertrages (vgl. § 1 Abs. 3 der Zweiten Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz
in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 24. Mai 1951 [DDR-GBl. Nr. 62 S. 487]), erfolgen. Keine dieser
Voraussetzungen ist vorliegend erfüllt.
Auch der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG ist nicht erfüllt. Der Kläger war zu keinem Zeitpunkt vor dem 30. Juni 1990 in ein Versorgungssystem einbezogen und vor Eintritt
des Leistungsfalls ausgeschieden (Fall einer gesetzlich fingierten Versorgungsanwartschaft). Der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 2 AAÜG kann - mangels tatsächlich erfolgter Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem - insbesondere auch nicht dadurch erfüllt
werden, dass der Kläger vor seiner am Stichtag 30. Juni 1990 bei der Deutschen Reichsbahn ausgeübten Beschäftigung möglicherweise
in volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben beschäftigt war und aus dieser Beschäftigung später "ausgeschieden" ist.
Der Kläger war am 1. August 1991 auch nicht Inhaber einer fingierten Versorgungsanwartschaft im Sinne der vom BSG in ständiger Rechtsprechung vorgenommenen erweiternden verfassungskonformen Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2 S. 14; BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 34/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 3 S. 20; BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 10/02 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 5 S. 33; BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 41/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 6 S. 40; BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 3/02 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 7 S. 60; BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 18/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 8 S. 74; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 6/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 22-36; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 9/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 15-31; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 10/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 15-31; BSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - B 5 RS 17/09 R - JURIS-Dokument, RdNr. 15-31), weil er am 30. Juni 1990 keinen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätte.
Danach ist bei Personen, die am 30. Juni 1990 in ein Versorgungssystem nicht einbezogen waren und die nachfolgend auch nicht
auf Grund originären Bundesrechts einbezogen wurden, zu prüfen, ob sie aus der Sicht des am 1. August 1991 gültigen Bundesrechts
nach den am 30. Juni 1990 gegebenen Umständen einen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten. Ein solcher
fiktiver Anspruch hängt im Bereich der Zusatzversorgung der technischen Intelligenz gemäß § 1 der Verordnung über die zusätzliche
Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben (nachfolgend: VO-AVItech)
vom 17. August 1950 (DDR-GBl. I Nr. 93 S. 844) und der Zweiten Durchführungsbestimmung (nachfolgend: 2. DB) vom 24. Mai 1951
(DDR-GBl. I Nr. 62 S. 487) von drei Voraussetzungen ab, nämlich von 1. der Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung
zu führen (persönliche Voraussetzung), und 2. der Ausübung einer entsprechenden Tätigkeit (sachliche Voraussetzung), und zwar
3. in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens im Sinne von § 1 Abs. 1 der 2. DB
oder in einem durch § 1 Abs. 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche Voraussetzung). Maßgeblich ist hierbei das
Sprachverständnis der DDR am 2. Oktober 1990, faktisch am 30. Juni 1990 (BSG, Urteil vom 9. April 2002 - B 4 RA 31/01 R - SozR 3-8570 § 1 AAÜG Nr. 2, S. 13).
Ausgehend hiervon war der Kläger nicht Inhaber einer fingierten Versorgungsanwartschaft, weil er am 30. Juni 1990 (und damit
auch nicht im Zeitraum vom 1. September 1975 bis 30. Juni 1990) keinen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt
hätte. Zu diesem Zeitpunkt war er nämlich nicht berechtigt, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen. Der Kläger erfüllt
für dieses Zusatzversorgungssystem bereits die persönliche Voraussetzung nicht, weil er nicht berechtigt war, eine der in
§ 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB genannten Berufsbezeichnungen der DDR (Ingenieur, Konstrukteur, Architekt und Techniker) zu führen.
Ihm wurde vielmehr mit Diplomurkunde der UdSSR vom 23. Juni 1975 die Qualifikation "Eisenbahn-Ingenieur" zuerkannt.
Wie der Begriff des "Ingenieurs" im Rahmen der VO-AVItech zu verstehen ist, hat das BSG in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert (vgl. lediglich beispielhaft: BSG, Urteil vom 18. Oktober 2007 - B 4 RS 25/07 - SozR 4-8570 § 1 Nr. 13, RdNr. 26 = JURIS-Dokument, RdNr. 26; BSG, Urteil vom 16. März 2006 - B 4 RA 29/05 R - SozR 4-8570 § 1 Nr. 9, RdNr. 24 = JURIS-Dokument, RdNr. 24). Während die VO-AVItech vor allem den allgemeinen Rahmen
für die Einbeziehung in die Zusatzversorgung vorgibt, erfolgt die konkrete bundesrechtliche Ausgestaltung der Versorgungsordnung
in der 2. DB zur VO-AVItech. Insoweit macht § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB deutlich, dass die "technische Intelligenz" nicht
insgesamt erfasst wird, sondern innerhalb dieser Gruppe nur ganz bestimmte Professionen. Zu der ausdrücklich aufgeführten
Gruppe der Ingenieure gehört der Kläger trotz entsprechender Ausbildung in der ehemaligen Sowjetunion nicht. Insoweit verdeutlicht
§ 1 Abs. 1 der 2. DB, dass als "Ingenieure" nur solche Personen einbezogen wurden, die (in der DDR) berechtigt waren, den
Titel "Ingenieur" zu führen. Dies ergibt sich aus einem Umkehrschluss zu § 1 Abs. 1 Satz 3 der 2. DB. Denn in dieser Norm
werden Berufsgruppen aufgeführt, die nicht den "Titel" eines Ingenieurs hatten und unter bestimmten Voraussetzungen in die
Zusatzversorgung einbezogen werden konnten. Daraus ergibt sich, dass in sonstigen Fällen entscheidend für die Einbeziehung
das Recht zum Führen des Titels ist. Eine Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem erfolgt somit unabhängig von der Berufssparte
erst mit der Verleihung des "Titels".
Zur Beantwortung der Frage, was unter der Berufsbezeichnung "Ingenieur" nach dem staatlichen Sprachgebrauch der DDR bei Schließung
der Versorgungssysteme, also am 30. Juni 1990, zu verstehen ist, hat das BSG wiederholt die Verordnung über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" (nachfolgend: IngVO) vom 12. April 1962 (DDR-GBl.
II Nr. 29 S. 278) als faktisches Indiz herangezogen und gefordert, dass die Berechtigung zum Führen der Berufsbezeichnung
"durch einen entsprechenden staatlichen Akt der DDR (in welcher Form auch immer)" verliehen worden sein musste (BSG, Urteil vom 18. Oktober 2007 - B 4 RS 25/07 - SozR 4-8570 § 1 Nr. 13, RdNr. 26 = JURIS-Dokument, RdNr. 26; BSG, Urteil vom 16. März 2006 - B 4 RA 29/05 R - SozR 4-8570 § 1 Nr. 9, RdNr. 24 = JURIS-Dokument, RdNr. 24; BSG, Urteil vom 10. April 2002 - B 4 RA 18/01 R - SozR 3-8570 § 1 Nr. 8 = JURIS-Dokument, RdNr. 36).
Dem Kläger ist ein den Anforderungen des § 1 IngVO in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB entsprechendes Diplom (der
DDR) zum Führen des Titels nicht verliehen worden, denn er hat nicht durch akademisches Studium in einem ingenieurtechnischen
Studiengang einen Studienabschluss an einer DDR-Universität, DDR-Hochschule oder DDR-Fachschule als Dr. Ing., Dipl.-Ing.,
Ingenieur oder Ingenieurökonom erworben. Auch die weiteren Tatbestände der IngVO, die zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur"
berechtigten, sind nicht erfüllt.
§ 2 Buchstabe a) IngVO bestimmte zwar, dass dem unter § 1 IngVO bezeichneten Personenkreis Inhaber von Zeugnissen mittlerer
oder höherer technischer Schulen anderer Staaten, die in dem jeweiligen Land staatlich anerkannt waren und eine Qualifikation
gewährleisteten, die der nach § 1 Abs. 1 Buchstaben a) bis c) IngVO genannten gleichzusetzen war, gleichgesetzt wurden. Diesbezüglich
erließ nach § 8 IngVO der Staatssekretär für das Hoch- und Fachschulwesen im Einvernehmen mit den zuständigen zentralen Staatsorganen
Durchführungsbestimmungen zur IngVO. Die auf dieser Rechtsgrundlage ergangene Erste Durchführungsbestimmung zur IngVO vom
24. Mai 1962 (DDR-GBl. II Nr. 40 S. 357) regelte in § 1 - in Durchführung von § 2 IngVO -, dass das Staatssekretariat für
das Hochschul- und Fachschulwesen entsprechende Richtlinien über die Anerkennung von Zeugnissen anderer Staaten erließ sowie,
dass die Zeugnisse in Zweifelsfällen dem Staatssekretariat für das Hochschul- und Fachschulwesen zur Entscheidung vorzulegen
waren.
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über das einheitliche sozialistische Bildungssystem - Bildungsgesetz - vom 25. Februar
1965 (DDR-GBl. I Nr. 6 S. 84) am 25. Februar 1965 (§ 80 Abs. 1 Bildungsgesetz) wurde bestimmt, dass der Staatssekretär für
das Hochschul- und Fachschulwesen die Grundsätze für die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und für die Verleihung
akademischer Grade erließ (§ 61 Abs. 4 Bildungsgesetz). Nach § 79 Abs. 2 Bildungsgesetz erließen der Ministerrat und die Leiter
der für die Bereiche des sozialistischen Bildungssystems erforderlichen Organe des Ministerrates die zur Durchführung dieses
Gesetzes erforderlichen Bestimmungen. Nach § 3 der auf den genannten Rechtsgrundlagen ergangenen Verordnung über die akademischen
Grade (nachfolgend: AGVO) vom 6. November 1968 (DDR-GBl. II, Nr. 127, S. 1022) konnten als akademische Grade verliehen werden:
- Diplom eines Wissenschaftszweiges (Dipl.- ), - Doktor eines Wissenschaftszweiges (Dr.- ...) und - Doktor der Wissenschaften
(Dr. sc.). Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 AGVO bedurften Bürger der DDR, denen ein akademischer Grad von einer Institution eines
anderen Staates verliehen worden war, zur Führung dieses Grades in der DDR der Genehmigung des Ministers. Nach § 12 Abs. 1
Satz 2 AGVO konnte dem Inhaber eines solchen Grades auf Antrag das Recht erteilt werden, einen in der DDR üblichen akademischen
Grad zu führen. Nach § 12 Abs. 1 Satz 3 AGVO konnte der Minister eine erteilte Genehmigung zur Führung eines ausländischen
akademischen Grades zurücknehmen. Diese Vorschriften galten auch noch am 30. Juni 1990. Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 der Anordnung
über die Erteilung und Führung von Berufsbezeichnungen der Hoch- und Fachschulbildung (nachfolgend:
AO-EFB) vom 4. März 1988 (DDR-GBl. I Nr. 7 S. 71) erhielten die Inhaber einer Urkunde über eine abgeschlossene Ausbildung an
einer Universität, Hoch- bzw. Fachschule eines anderen Staates auf schriftlichen Antrag und nach Vorlage der Urkunde vom Ministerium
für Hoch- und Fachschulwesen die Berechtigung zum Führen einer entsprechenden Berufsbezeichnung. In §
3 Abs.
4 Satz 2
AO-EFB wurde dabei ausdrücklich klargestellt, dass für eine Berufsbezeichnung, die gleichzeitig akademischer Grad war, die AGVO
vom 6. November 1968 (weiterhin) galt.
Nach diesen Regelungen war der Kläger nicht befugt gewesen, den Titel eines "Ingenieurs" oder den akademischen Grad eines
"Diplom-Ingenieurs" zu Zeiten der DDR in der DDR zu führen, und unterfällt deswegen auch nicht der VO-AVItech. Die erforderliche
Genehmigung des Ministers für Hoch- und Fachschulwesen hat der Kläger weder vorgelegt noch erhalten. Er hat im Verfahren vielmehr
selbst vorgetragen, eine solche Genehmigung weder beantragt noch erhalten zu haben.
Die dem Kläger fehlende Genehmigung kann auch nicht mehr nachgeholt werden. Denn die Stelle, die sie zu erteilen gehabt hätte,
existiert nicht mehr. Desgleichen gibt es keine Stelle der Bundesrepublik Deutschland, die dafür zuständig wäre, in Anwendung
nicht mehr geltenden DDR-Rechts eine Genehmigung rückwirkend zum Stichtag 30. Juni 1990 zu erteilen.
Rechtlich irrelevant ist, dass dem Kläger mit Urkunde des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 3.
Februar 1999 die Genehmigung erteilt wurde, den am Institut für Ingenieure des Eisenbahnwesens in Z ... in der Fachrichtung
Bau von Eisenbahnstrecken sowie Gleis- und Streckenbewirtschaftung erworbenen Abschluss in der Bundesrepublik Deutschland
in der Form "Institut für Ingenieure des Eisenbahnwesens Z ... [Ingenieur für Eisenbahnbau]" zu führen. Maßgeblich ist ausschließlich
die Sach- und Rechtslage am 30. Juni 1990. Denn das nach der Rechtsprechung des BSG erforderliche "Vertrauen auf eine Zusatzversorgung bis zum 30. Juni 1990" konnte sich nur nach den damaligen Regelungen bestimmen.
Dementsprechend sind allein die zu Zeiten der DDR (also bis zum 3. Oktober 1990) erhaltenen Zeugnisse, Diplome und Staatsakte
relevant; spätere, nach dem 3. Oktober 1990 nach bundesrepublikanischem Recht erteilte Gleichstellungsbeschlüsse, Gleichwertigkeitsurkunden
und Nachdiplomierungsbescheide sind insoweit nicht maßgebend. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger keine Genehmigung.
Die Urkunde des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst vom 3. Februar 1999 beinhaltet auch keine Rückwirkung.
Eine andere Bewertung der Sach- und Rechtslage (zu Gunsten des Klägers) ergibt sich auch nicht aus den vom Kläger vorgelegten,
aus dem Bundesarchiv beigezogenen Dokumenten (vgl. Bl. 13-24 der Gerichtsakte). Soweit er sich 1. auf Art. 4 des Protokolls
zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der UdSSR über die Äquivalenz der Dokumente der Bildung und der akademischen
Grade und Titel, die in der DDR und der UdSSR ausgestellt bzw. verliehen wurden vom 18. Februar 1972, wonach die entsprechenden
Dokumente die in der DDR und der UdSSR nach erfolgreicher Beendigung einer Hochschule ausgegeben wurden, als äquivalent anerkannt
wurden und belegten, das Personen, auf die diese Dokumente ausgestellt waren, eine Ausbildung in dem Umfang erhielten, der
für die wissenschaftliche Aspirantur in beiden Staaten erforderlich war, und 2. auf Art. 1 Nr. 2 der, unter anderem von den
Regierungen der DDR und der UdSSR abgeschlossenen, Konvention über die gegenseitige Anerkennung der Gleichwertigkeit der Abschlusszeugnisse
von Oberschulen, Fach- und Hochschulen sowie der Dokumente über die Verleihung von akademischen Graden und Titeln vom 7. Juni
1972, wonach die Vertragsschließenden zu der Vereinbarung gelangten, alle auf dem Territorium der anderen Staaten anerkannten
Dokumente über den Abschluss gleichgearteter Hochschulen (Universitäten, Polytechnische und Fachinstitute mit Universitätscharakter
bzw. Fakultäten), die deren Inhaber zur Erlangung eines akademischen Grades berechtigten, als gleichwertig anzuerkennen, stützt,
folgt daraus keine - von einer staatlichen Genehmigung unabhängige - per se gleichwertige Titelführungsbefugnis. Denn es handelte
sich um, von der Regierung der DDR eingegangene, völkerrechtliche Verpflichtungen, die der Umsetzung in nationales Recht bedurften.
Weder das "Äquivalenzprotokoll" vom 18. Februar 1972 (dazu bereits zutreffend: Thüringer LSG, Urteil vom 11. April 2018 -
L 12 R 1210/16 - nicht veröffentlicht, vgl. den vollständigen Urteilsabdruck auf Bl. 158-164 der Gerichtsakte) noch die "Äquivalenzkonvention"
vom 7. Juni 1972 entfalteten unmittelbare Rechtswirkungen nach außen. Sie verliehen kein unmittelbares Recht zum Führen eines
ausländischen Ingenieurtitels in der DDR (so zum "Äquivalenzprotokoll" vom 18. Februar 1972 bereits zutreffend: Bayerisches
LSG, Urteil vom 24. Mai 2017 - L 1 RS 4/15 - nicht veröffentlicht, vgl. den vollständigen Urteilsabdruck auf Bl. 165-172 der Gerichtsakte). Jedenfalls ergibt die Auslegung
dieser völkerrechtlichen Verpflichtungen, dass der in der Ing-VO vom 12. April 1962 und der AGVO vom 6. November 1968 geregelte
Verfahrensweg nicht verdrängt werden sollte, zumal er - auch nach den Vertragsabschlüssen im Jahr 1972 - in der
AO-EFB vom 4. März 1988 von der DDR fortgeführt und bestätigt wurde. Die völkerrechtlichen Äquivalenzvereinbarungen sind lediglich
dahin zu interpretieren, dass in materiell-rechtlicher Hinsicht ein Anspruch auf Anerkennung der Gleichwertigkeit bestand,
wenn ein bestimmter Abschluss an einer ausländischen Schuleinrichtung abgelegt wurde, der in den Äquivalenzvereinbarungen
aufgeführt wurde. Der Verfahrensweg zur Realisierung des nationalstaatlichen materiell-rechtlichen Anspruchs auf Anerkennung
der Gleichwertigkeit wurde durch die Äquivalenzvereinbarungen nicht berührt. Dieser richtete sich vielmehr nach den von der
DDR bereits zum Vertragsabschlusszeitpunkt erlassenen und später erlassenen nationalstaatlichen Regelungen.
Eine gänzlich andere Bewertung der maßgeblichen Sach- und Rechtslage folgt auch nicht aus § 12 Abs. 2 der Verordnung über
die Verleihung akademischer Grade vom 6. September 1956 (DDR-GBl. I Nr. 83 S. 745), wonach die Genehmigung zur Führung der
an bestimmten ausländischen Universitäten oder Hochschulen erworbenen akademischen Grade allgemein (vom Staatssekretariat
für Hochschulwesen) erteilt werden konnte. Zum einen ist weder dargelegt noch nachgewiesen, dass der Kläger seinen Abschluss
an einer dieser "bestimmten" Hochschule erworben hat, und dass für den akademischen Grad des Klägers an dieser "bestimmten"
Hochschule eine allgemeine Genehmigung vom Staatssekretariat für Hochschulwesen erteilt wurde. Zum anderen kann sich der Kläger
auf diese Regelung bereits deshalb nicht berufen, weil sie nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 Buchstabe a) AGVO (vom 6. November
1968) am 1. Februar 1969 außer Kraft trat. Der Kläger erwarb seine, nach UdSSR-Recht verliehene Qualifikation als "Eisenbahn-Ingenieur"
erst mit Diplomurkunde vom 23. Juni 1975.
Soweit der Kläger im Verfahren wiederholt sinngemäß ausführte, zu DDR-Zeiten sei er wie ein Ingenieur entlohnt und behandelt
worden, sowie eine Genehmigung sei zu DDR-Zeiten tatsächlich nie erforderlich gewesen, um seine Ingenieurqualifikation nachzuweisen,
verkennt er, dass die von ihm bemühten Rückgriffe auf faktische DDR-Gegebenheiten gerade nicht in dem allein maßgeblichen
versorgungsrechtlichen Sprachgebrauch ihren Niederschlag gefunden haben. Das Fehlen der nach DDR-Recht erforderlich gewesenen
Genehmigung zur Titelführungsbefugnis, die für eine Einbeziehung in das Zusatzversorgungssystem der technischen Intelligenz
Voraussetzung war, lässt sich mangels nachvollziehbarer Maßstäbe für deren Handhabung durch die Behörden und Gerichte der
Bundesrepublik Deutschland nicht nachholen bzw. ersetzen. Die Gerichte sind - auch verfassungsrechtlich - nicht gehalten,
die in der DDR herrschende Praxis der Aufnahme in Systeme der Zusatzversorgung, soweit sie dem Text der Zusatzversorgungssysteme
entgegenstand, im gesamtdeutschen Rechtsraum fortzusetzen. Würde man unter Missachtung des Textes der Versorgungsordnungen
und unter Anknüpfung an die Praxis der Organe der DDR Kriterien für die Aufnahme in die Versorgungssysteme entwickeln wollen,
würde dies bedeuten, die dortige von Willkür geprägte und nicht an den Texten der Verordnungen über die Zusatzversorgung orientierte
Praxis fortzuführen. Dies würde zwangsläufig zu neuen Ungleichheiten innerhalb der Versorgungssysteme und im Verhältnis der
Versorgungssysteme zueinander führen (vgl. dazu bereits ausführlich: BSG, Urteil vom 18. Oktober 2007 - B 4 RS 25/07 R - SozR 4-8570 § 1 Nr. 13). Für die Auslegung und Anwendung der VO-AVItech und des § 1 Abs. 1 der 2. DB ist nicht auf die
Verwaltungspraxis der DDR oder auf das anfängliche Verständnis der Regelung abzustellen, vielmehr ist das Sprachverständnis
der DDR am 30. Juni 1990 maßgeblich. Unerheblich ist zudem, dass der Kläger - wie von ihm behauptet - in der Berufspraxis
Tätigkeiten wie ein Ingenieur ausgeübt haben mag. Dieses Kriterium berührt allein die Frage, ob die sachliche Voraussetzung
für eine Einbeziehung gegeben ist, nicht jedoch die persönliche Voraussetzung. Ebenso unrelevant ist im vorliegenden Zusammenhang,
wie der Kläger mit dem erworbenen Hochschulabschluss der UdSSR in der DDR tatsächlich eingesetzt worden war. Denn hierfür
gibt es keine nachvollziehbaren, sich aus dem geschriebenen Recht der DDR als faktische Anknüpfungstatsachen erschließenden
und damit bundesrechtlich zu berücksichtigenden Maßstäbe.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.