Barrierefreie Zugänglichmachung von Bescheiden - Einkommen; einmaliger Bedarf; Ermittlung der Hilfebedürftigkeit bei Personen
ohne laufendem Leistungsbezug; Kündigung durch Vermieter; materiell-rechtliche Überprüfung des Klagebegehrens bei Verwerfung
des Widerspruchs; Notwendigkeit des Umzugs; sozialgerichtliches Verfahren; Sozialhilfe; Umzugskosten; Unterkunft und Heizung;
Versäumung der Berufungsfrist; Versäumung der Widerspruchsfrist; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Tatbestand:
Streitig ist die Übernahme von Umzugskosten.
Der 1957 geborene Kläger leidet unter hochgradiger Myopie (-28,0 dpt) links sowie (seit April 2011) unter Blindheit rechts
und ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 sowie den Merkzeichen "G", "Bl", "H" und "RF". Neben Blindengeld
und Blindenhilfe bezog er im Jahr 2011 eine Erwerbsminderungsrente (bis 30.06.2011 von monatlich 794,05 € netto, ab 01.07.2011
von monatlich 801,95 € netto) und Wohngeld (bis 30.06.2011 von monatlich 66,00 €).
Am 07.04.2011 beantragte der Kläger beim beklagten örtlichen Sozialhilfeträger die Übernahme von Umzugskosten. Der Beklagte
forderte den Kläger unter dem 31.05.2011 auf, die erforderlichen Unterlagen bis zum 14.06.2011 einzureichen. Der Kläger übersandte
die angeforderten Nachweise am 13. und 20.06.2011. Mit Bescheid vom 30.06.2011 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Schon die
Voraussetzungen für eine Kostenübernahme nach § 35 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) lägen nicht vor, da der Kläger die Kündigung durch Ruhestörung selbst verschuldet habe. Zudem könne er aus seinem die Einkommensgrenze
übersteigenden Einkommen einschließlich des Wohngeldes innerhalb von sechs Monaten die angemessenen Umzugskosten von 753,27
€ bestreiten.
Den gegen den Bescheid vom 30.06.2011 am 25.08.2011 eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 16.11.2012 als unzulässig zurück. Aufgrund der Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sei die Bekanntgabe des Bescheides vom 30.06.2011 am 04.07.2011 erfolgt. Somit sei die Widerspruchsfrist am 03.08.2011 abgelaufen
gewesen.
Am 13.12.2012 hat der Kläger den Widerspruchsbescheid vom 16.11.2012 ohne Anschreiben an das Sozialgericht Dresden (SG) übersandt. Auf Anfragen des SG, ob damit Klage erhoben sein solle, hat der Kläger dem SG zunächst mit Übersendung eines Wohngeldbescheids reagiert und sodann telefonisch mitgeteilt, dass er blind sei und niemanden
habe, der ein Schreiben für ihn verfassen könne. Nachdem der Kläger, statt die Klage zu begründen, Schreiben betreffend anderer
Leistungen eingereicht hatte, hat das SG die Beteiligten zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört. Daraufhin hat der Kläger unter gleichzeitiger Bezugnahme
auf das Aktenzeichen eines anderen Verfahrens (S 19 SO 81/09) zu der von ihm dort begehrten Haushaltshilfe bzw. Schreibkraft
und Handwerker vorgetragen.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.12.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Diese sei bereits unzulässig, weil der Kläger seinen Widerspruch verfristet erhoben habe. Insoweit
werde auf die zutreffenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 16.11.2012 verwiesen. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger
ausweislich Zustellurkunde am 17.12.2013 übergeben worden.
Am 04.02.2014 hat der Kläger den Gerichtsbescheid - zusammen mit in anderen Angelegenheiten ergangenen Bescheiden - ohne Anschreiben
an das Sächsische Landessozialgericht per Fax gesandt. Nachdem noch eine frühere Betreuerin dessen Vertretung in dem vorliegenden
Verfahren hatte übernehmen wollen, hat der gegenwärtige Betreuer die Übernahme der Vertretung abgelehnt.
Der Kläger, der sich im Verfahren nicht weiter geäußert hat, beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 16. Dezember 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung seines
Bescheides vom 30. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2012 zu verurteilen, die dem Kläger
entstandenen Umzugskosten in Höhe von 753,27 € zu übernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zu verwerfen.
Die Berufung sei offensichtlich unzulässig, da der Kläger die Monatsfrist für ihre Einlegung nicht eingehalten habe.
Dem Senat haben die Verwaltungsakte des Beklagten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge vorgelegen. Hierauf und auf die
in der Gerichtsakte enthaltenen Schriftsätze der Beteiligten sowie den übrigen Akteninhalt wird zur Ergänzung des Tatbestandes
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Der Senat konnte trotz Nichterscheinens der ordnungsgemäß geladenen Beteiligten verhandeln und entscheiden, da sie mit
der Terminsbestimmung und Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§
110 Abs.
1 Satz 2, §
126 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Ladung des Klägers, an dessen Prozessfähigkeit (§
71 Abs.
1 SGG) kein Zweifel besteht, erfolgte über dessen gegenwärtigen Betreuer. Dieser hat zwar ausdrücklich erklärt, im vorliegenden
Rechtsstreit die Vertretung des Klägers nicht zu übernehmen (vgl. §
71 Abs.
6 SGG i.V.m. §
53 Zivilprozessordnung), sich aber bereit erklärt, gerichtliche Schreiben für den Kläger in Empfang zu nehmen, diesem vorzulesen und dies dem Gericht
gegenüber zu bestätigen. Mit Schreiben vom 04.03.2015 hat der Betreuter mitgeteilt, dem Kläger die Ladung am 03.03.2016 vorgelesen
und erklärt zu haben, dieser werde jedoch an der mündlichen Verhandlung aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen.
2. Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Selbst wenn zugunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass er form- und
fristgemäß Berufung eingelegt (dazu a) und Widerspruch erhoben hat (dazu b), ist die Klage jedenfalls deshalb unbegründet,
weil er keinen Anspruch auf Übernahme der Umzugskosten hat (dazu c).
a) Zugunsten des Klägers geht der Senat von einer sowohl form- als auch fristgemäßen Einlegung der Berufung aus. Nach §
151 Abs.
1 i.V.m. §
105 Abs.
2 SGG ist die Berufung beim Landessozialgericht (LSG) innerhalb eines Monats nach Zustellung eines Gerichtsbescheids schriftlich
oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
(1) Dem Erfordernis schriftlicher Form in §
151 Abs.
1 SGG wird in aller Regel durch die eigenhändige Unterschrift des Berechtigten Rechnung getragen. Das Schriftformerfordernis kann
allerdings auch erfüllt sein, wenn es an einer Unterschrift fehlt. Denn Zweck dieses Erfordernis ist im Prozessrecht zu gewährleisten,
dass die abzugebende Erklärung dem Schriftstück hinreichend zuverlässig entnommen werden kann und dass das Schriftstück mit
Wissen und Wollen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Daher reicht es aus, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten
eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen, das Schreiben in den Verkehr zu bringen,
ergibt (Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl., §
151 RdNr. 3a m.w.N.).
Hier hat der Kläger den Gerichtsbescheid des SG vom 16.12.2013 am 04.02.2014 ohne Anschreiben an das LSG gefaxt. Auf dem Gerichtsbescheid befindet sich - anders als bei
den mit übersandten, in anderen Angelegenheiten ergangenen Bescheiden - auch keinerlei Vermerk, aus dem hervorgeht, dass der
Kläger gegen ihn vorgehen möchte oder sonst damit nicht einverstanden ist. Gleichwohl geht der Senat zugunsten des Klägers
davon aus, dass dieser durch die Übersendung des Gerichtsbescheids an das LSG gerade noch hinreichend zum Ausdruck gebracht
hat, den Gerichtsbescheid anfechten zu wollen. Dass mangels Anschreibens und Vermerks auch eine eigenhändige Unterschrift
fehlt, schadet ebenso wenig, weil genügend Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Fax mit Wissen und Wollen des Klägers an
das LSG übersandt worden ist.
(2) Die Berufung ist nicht wegen Versäumung der Berufungsfrist unzulässig.
Zwar wurde der Gerichtsbescheid dem Kläger ausweislich der bei den Gerichtsakten befindlichen Zustellurkunde am 17.12.2013
persönlich ausgehändigt. Die Rechtsmittelbelehrung, die dem Gerichtsbescheid beigefügt war, weist keine Fehler auf; sie weist
den Kläger zutreffend auf den richtigen Rechtsbehelf (Berufung), die einzuhaltende Frist (ein Monat nach Zustellung) und das
Gericht (Berufungsgericht, fristwahrend auch Ausgangsgericht) hin. Folglich war die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung
des Gerichtsbescheids einzulegen (§
105 Abs.
2 Satz 1, §
66 SGG). Diese Frist wurde durch das Fax, das am 04.02.2014 beim LSG einging und in dem allein sowie nur bei großzügiger Betrachtungsweise
die Berufung erblickt werden kann, nicht gewahrt.
Doch war dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§
67 SGG), da er ohne eigenes Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist einzuhalten. Denn die Fristversäumnis beruht auch auf
Fehlern, die im Verantwortungsbereich des Gerichts bei Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht liegen. Das SG hätte den Kläger, der aufgrund seiner hochgradigen Sehbehinderung (hochgradiger Myopie links, Blindheit rechts) Dokumente,
die ihn in normaler Schrift erreichen, selbst nicht wahrnehmen kann, nach § 4 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung zur barrierefreien
Zugänglichmachung von Dokumenten für blinde und sehbehinderte Personen im gerichtlichen Verfahren (Zugänglichmachungsverordnung
- ZMV) auf seinen Anspruch hinweisen müssen, die Zugänglichmachung des Gerichtsbescheides verlangen zu können. Diesen Hinweis
hat das SG nicht ordnungsgemäß gegeben. Dass das SG den Kläger zu Beginn des erstinstanzlichen Verfahrens schriftlich auf seinen Anspruch auf Zugänglichmachung von Dokumenten
aufmerksam gemacht (Schreiben vom 13.02.2013), genügt den Anforderungen der ZMV nicht. Denn dieser Hinweis wurde nicht nur
bei der Zustellung des Gerichtsbescheids nicht wiederholt, sondern erfolgte auch allein in normaler Schrift und damit in einer
für den praktisch blinden Kläger nicht wahrnehmbaren Form. Soll aber die Hinweispflicht nach § 4 Abs. 2 Satz 2 ZMV Sinn machen,
kann ihr ein Hinweis nur genügen, der von der blinden oder sehbehinderten Person auch wahrgenommen werden kann. Unterbleibt
ein solcher, nach der Rechtslage gebotener Hinweis, so tritt ein in der eigenen Sphäre des Berechtigten liegendes zusätzliches
Verschulden bei Prüfung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinter das gerichtliche Verschulden zurück (Bundessozialgericht
[BSG], Beschluss vom 03.03.2009 - B 1 KR 69/08 B - juris RdNr. 6; Beschluss vom 31.10.2012 - B 13 R 165/12 B - juris RdN. 18). So verhält es sich hier.
b) Zugunsten des Klägers geht der Senat auch davon aus, dass der Klage nicht bereits wegen Versäumung der Widerspruchsfrist
der Erfolg versagt ist.
Bei Einlegung des Widerspruchs am 25.08.2011 war die Widerspruchsfrist von einem Monat ab Bekanntgabe des Ausgangsbescheids
(§
84 Abs.
1 Satz 1
SGG) bereits abgelaufen. Zwar begann die Widerspruchsfrist - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht schon am 04.07.2011
zu laufen, da die Zugangsfiktion des § 37 Abs. 2 SGB X hier nicht greift, weil sich den Verwaltungsakten ein Vermerk über die Aufgabe des Ausgangsbescheids vom 30.06.2011 zur Post
nicht entnehmen lässt (zur Erforderlichkeit eines solchen Vermerks vgl. Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl., § 37 RdNr. 12a m.w.N.). Doch hat der Kläger nach seinen eigenen Angaben im Widerspruchsverfahren den Ausgangsbescheid am 12.07.2011
erhalten. Ausgehend hiervon konnte mit der Widerspruchseinlegung am 25.08.2011 die Widerspruchsfrist von einem Monat, die
bei dem mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 30.06.2011 galt (vgl. §
66 SGG), nicht gewahrt werden.
Dem Kläger ist allerdings auch insoweit gemäß §
67 SGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn der Ausgangsbescheid vom 30.06.2011 war weder in einer für den praktisch
blinden Kläger wahrnehmbaren Form gefasst noch enthielt er einen Hinweis auf die Möglichkeit seiner barrierefreien Zugänglichmachung.
Zwar gilt die ZMV wie der ihr zugrunde liegende §
191a Gerichtsverfassungsgesetz nur für das gerichtliche Verfahren, zu dem das Vorverfahren trotz seiner Regelung in den §§
78 ff.
SGG nicht zählt (dazu Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, vor §
77 RdNr. 4a). Ebenso wenig gilt §
8 Satz 2 Sächsisches Integrationsgesetz (SächsIntegrG), wonach blinde und sehbehinderte Menschen gegen Behörden und sonstige
öffentliche Stellen des Freistaates Sachsen einen Anspruch auf Zugänglichmachung von Bescheiden haben; denn zu den "Behörden
und sonstigen öffentlichen Stellen des Freistaates Sachsen" zählen die Gemeinden und Landkreise in Sachsen nicht (vgl. LT-Drucks.
3/9819, S. 9), die § 4 Abs. 2 SächsIntegrG lediglich auf das Benachteiligungsverbot nach Art.
3 Abs.
3 Satz 2
Grundgesetz (
GG) hinweist. Doch können bei Anwendung des §
67 SGG die Wertungen von §
4 Abs.
2 ZMV, §
8 Abs. 2 SächsIntegrG nicht unberücksichtigt bleiben, wenn - wie hier - die betreffende Kommune darauf verzichtet hat, in ihrem
Satzungsrecht das Benachteiligungsverbot nach Art.
3 Abs.
3 Satz 2
GG zu konkretisieren. Daher kann ein blinder oder sehbehinderter Mensch auch außerhalb des Geltungsbereichs von § 4 Abs. 2 ZMV,
§ 8 Abs. 2 SächsIntegrG die barrierefreie Zugänglichmachung von Bescheiden beanspruchen und ist hierauf in einer für ihn wahrnehmbaren
Form hinzuweisen. Unterbleibt ein solcher Hinweis - wie hier -, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht
- und zwar nicht nur durch die Behörde, sondern im gerichtlichen Verfahren auch durch das Gericht selbst (vgl. Leitherer in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, §
84 RdNr. 8a).
c) Die Klage ist unbegründet, weil der Kläger keinen Anspruch auf Übernahme der für den Umzug im Juni 2011 entstandenen Kosten
hat.
Der Senat ist an einer materiell-rechtlichen Überprüfung des Klagebegehrens nicht dadurch gehindert, dass der Beklagte den
Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen hat. Die gegenteilige Auffassung, wonach das Gericht nicht in der Sache entscheiden
darf, wenn die Behörde von einem unzulässigen Widerspruch ausgegangen war (so in einem obiter dictum BSG, Urteil vom 30.09.1996 - 10 RKg 20/95 - juris RdNr. 29), hat das BSG inzwischen zu Recht aufgegeben (BSG, Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 151/10 R - juris RdNr. 9). Denn §
78 SGG verlangt vor der Erhebung einer (isolierten oder kombinierten) Anfechtungsklage die nochmalige Nachprüfung der Ausgangsentscheidung
durch die Verwaltung selbst, nicht aber, dass die Verwaltung bei dieser Nachprüfung auch zu einem zutreffenden Ergebnis gelangt
ist. Ein Vorverfahren ist daher selbst dann im Sinne des §
78 Abs.
1 Satz 1
SGG durchgeführt, wenn die Behörde den Widerspruch zu Unrecht zurückgewiesen hat. Die gegenteilige Auffassung würde hiervon teilweise
abweichen und zu einer Zurückverweisung an die Verwaltung führen, weil danach der den Widerspruch zu Unrecht als unzulässig
zurückweisende Widerspruchsbescheid isoliert aufgehoben werden und die Behörde zur sachlichen Neubescheidung des Widerspruchs
verurteilt werden müsste (vgl. Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte,
SGG, 2. Aufl., §
78 RdNr. 3).
Grundlage des Anspruchs gegen den Beklagten auf Übernahme der Kosten für einen Umzug kann nur § 19 Abs. 2 i.V.m. § 42 Nr. 4, § 35 Abs. 2 Sätze 5 und 6 SGB XII sein. Danach kann der zuständige Sozialhilfeträger älteren oder dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen, die ihren notwendigen
Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln bestreiten können (§ 19 Abs. 2, § 41 Abs. 1 SGB XII), als Leistung der Grundsicherung die Übernahme von Umzugskosten bei vorheriger Zustimmung erbringen (§ 42 Nr. 4 i.V.m. § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII). Eine Zustimmung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den Träger der Sozialhilfe veranlasst wird oder aus anderen Gründen
notwendig ist und wenn ohne die Zustimmung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann (§ 35 Abs. 2 Satz 6 SGB XII). Die Übernahme der Umzugskosten scheitert hier nicht an der Zustimmungsfähigkeit des Umzugs (1), sondern an der fehlenden
Hilfebedürftigkeit des Klägers (2).
(1) Nach § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII steht die Übernahme von Umzugskosten im Ermessen des Sozialhilfeträgers und erfordert dessen vorherige Zustimmung. Obwohl
die vorherige Zustimmung Anspruchsvoraussetzung ist (Berlit in: LPK-SGB XII, 10. Aufl., § 35 RdNr. 86; Nguyen in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., RdNr. 147; anderer Ansicht Grube in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl., § 35 RdNr. 65; offen gelassen BSG, Urteil vom 15.11.2012 - B 8 SO 25/11 R - juris RdNr. 11), ist sie entbehrlich, wenn der Sozialhilfeträger die Zustimmung
zu Unrecht abgelehnt (vgl. BSG, Urteil vom 06.08.2014 - B 4 AS 37/13 R - juris RdNr. 11 und 14) oder eine fristgerecht mögliche Entscheidung treuwidrig verzögert hat (vgl. BSG, Urteil vom 06.05.2010 - B 14 AS 7/09 R - juris RdNr. 13). Es genügt also grundsätzlich die Zustimmungsfähigkeit des Umzugs.
Entgegen der Auffassung des Beklagten war der hier streitige Umzug des Klägers durchaus zustimmungsfähig im Sinne des § 35 Abs. 2 Satz 6 SGB XII. Ob ein Umzug im Sinne dieser Vorschrift erst dann notwendig ist, wenn ein zwingender Grund für einen Wohnungswechsel besteht
(Nguyen in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 35 RdNr. 15), oder schon dann, wenn ein plausibler und sachlich nachvollziehbarer Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nichtleistungsempfänger
leiten lassen würde (Berlit in: LPK-SGB XII, 10. Aufl., § 35 RdNr. 90), kann offen bleiben. Denn die Unmöglichkeit des Verbleibs in der bisherigen Wohnung infolge vermieterseitiger Kündigung
stellt einen zwingender Grund für einen Wohnungswechsel dar (vgl. Nguyen in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 35 RdNr. 15; Grube in: ders./Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl., § 35 RdNr. 68; Berlit in: LPK-SGB XII, 10. Aufl., § 35 RdNr. 93), während die Eigenkündigung durch den Hilfebedürftigen für sich allein die Umzugsnotwendigkeit nicht rechtfertigt
(vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 12.03.2012 - L 7 AS 985/11 B ER - juris RdNr. 27; Beschluss vom 26.10.2015 - L 7 AS 932/15 B ER - juris RdNr. 41).
Im vorliegenden Fall hat der Vermieter dem Kläger mit Schreiben vom 24.03.2011 wegen vertragswidrigen Verhaltens (wiederholte
Ruhestörung) eine fristlose Kündigung zum 07.04.2011, hilfsweise eine ordentliche Kündigung zum 30.06.2011 ausgesprochen.
Der Kläger ist dem Vorwurf der Lärmbelästigung entgegengetreten, hat sich aber gleichwohl um eine andere Wohnung bemüht, woraufhin
der Vermieter sich mit einer Beendigung des Mietverhältnisses zum 30.06.2011 einverstanden erklärt hat. Am 22.06.2011 ist
der Kläger umgezogen. Aufgrund der vermieterseitigen Kündigung war dieser Umzug notwendig im Sinne des § 35 Abs. 2 Satz 6 SGB XII. Dem steht - entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht entgegen, dass der Kläger die Kündigung möglicherweise durch mietvertragswidriges
Verhalten selbst verschuldet hat. Denn Sozialhilfe wird grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Ursache der Hilfebedürftigkeit
geleistet. Die Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers besteht daher selbst dann, wenn die Hilfebedürftigkeit schuldhaft herbeigeführt
wurde (Bieback in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl., § 103 RdNr. 1; Conradis in: LPK-SGB XII, 10. Aufl., § 103 RdNr. 1). Die vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit kann lediglich nach § 103 Abs. 1 Satz 1 SGB XII eine Ersatzpflicht des Verursachers begründen. Nur im Rahmen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung kann die
sozialwidrige Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit zu einem Leistungsausschluss führen (§ 41 Abs. 4 SGB XII); dann aber käme stattdessen eine Übernahme der Umzugskosten im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt (nach § 19 Abs. 1 i.V.m. § 35 Abs. 2 Sätze 5 und 6 SGB XII) in Betracht (vgl. Blüggel in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl., § 41 RdNr. 163). In Anbetracht dessen kann hier offenbleiben, ob der Kläger sich wirklich durch wiederholte Ruhestörungen mietvertragswidrig
verhalten, zudem in sozialwidriger Weise die Kündigung durch seinen Vermieter provoziert und sich dadurch in zu missbilligender
Weise in die Lage gebracht hat, für die Kosten des Umzugs Leistungen der Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen.
(2) Der Beklagte durfte die Übernahme der Umzugskosten ablehnen, weil der Kläger nicht hilfebedürftig war. Denn der Anspruch
auf Übernahme von Umzugskosten hängt davon ab, dass dem Kläger überhaupt dem Grunde nach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
zustehen (vgl. BSG, Urteil vom 06.05.2010 - B 14 AS 7/09 R - juris RdNr. 11).
Aufgrund seines Einkommens stand der Kläger nicht im laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (hier
nach §§ 41 ff. SGB XII). Im Monat des Umzugs (Juni 2011) bezog er eine Erwerbsminderungsrente von netto 794,05 € und Wohngeld von 66,00 € sowie
Blindengeld und Blindenhilfe. Mit diesem Einkommen konnte er den für die Gewährung des Existenzminimums notwendigen Lebensunterhalt
decken. Dabei haben Blindengeld und Blindenhilfe zwar als Einkommen außer Betracht zu bleiben (§ 72 Abs. 4 Sätze 1 und 3 SGB XII); da der Kläger allein wegen der Blindheit voll erwerbsgemindert ist, stand ihm ein Mehrbedarf wegen des Merkzeichens G gemäß
§ 30 Abs. 1 i.V.m. § 42 Nr. 2 SGB XII allerdings auch nicht zu (§ 72 Abs. 4 Satz 2 SGB XII). Nach Abzug des Regelbedarfs als Alleinstehender (Regelbedarfsstufe 1) von 364,00 € und der anerkannten Kosten für Unterkunft
und Heizung (Miete, Heiz- und Nebenkosten) von 344,36 € verblieb dem Kläger im Juni 2011 von seinem Einkommen von insgesamt
860,05 € ein Betrag von 151,69 €. Dies änderte sich ab Juli 2011 nicht grundlegend. Ab Juli 2011 erhöhte sich die Erwerbsminderungsrente
auf netto 801,95 € monatlich, während das Wohngeld auf 47,00 € monatlich sank. Hieraus ergab sich bei einem Regelbedarf von
weiterhin 364,00 € im Monat und laufenden Kosten für Unterkunft und Heizung von nunmehr 340,00 € im Monat ein den Existenzsicherungsbedarf
übersteigendes Einkommen von monatlich 144,95 €.
Beansprucht eine Person, der - wie dem Kläger - keine laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 27 ff. SGB XII oder nach §§ 41 ff. SGB XII zustehen, vom Sozialhilfeträger die Übernahme von Umzugskosten, darf bei der Ermittlung ihrer Hilfebedürftigkeit die Wertung
des § 31 Abs. 2 Satz 2 SGB XII berücksichtigt werden. § 31 SGB XII sieht wie auch § 30 SGB XII ergänzende Leistungen zu den in den §§ 27a-29 SGB XII geregelten Regelsätzen vor. Während die laufenden Bedarfe nach der gesetzlichen Konzeption durch die Regelsätze (§§ 27a-29
SGB XII) und die Mehrbedarfe (§ 30 SGB XII) abgedeckt werden, regelt § 31 SGB XII unter welchen Voraussetzungen Leistungen für einmalige Bedarfe zu erbringen sind. Dabei bestimmt § 31 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, dass auch eine Person, die keine laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bezieht, vom Sozialhilfeträger
Leistungen für einmalige Bedarfe erhalten kann; bei der Ermittlung ihrer Hilfebedürftigkeit darf allerdings nach § 31 Abs. 2 Satz 2 SGB XII das Einkommen des Entscheidungsmonats und von bis zu sechs Folgemonaten, mithin von maximal sieben Monaten, berücksichtigt
werden. Nicht nach dem Modell der Regelbedarfe (§§ 27a-29 SGB XII) und seiner Ergänzungen (u.a. § 31 SGB XII) richten sich die Leistungen für Unterkunft und Heizung, die in § 35 SGB XII eine eigenständige Regelung erfahren haben. Dennoch werden auch bei Unterkunft und Heizung nicht allein Leistungen für laufende
Bedarfe erbracht, sondern ebenso für einmalige Bedarfe, wozu insbesondere Wohnungsbeschaffungskosten, Mietkautionen und Umzugskosten
zählen (§ 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII). Obwohl es in § 35 SGB XII keine § 31 Abs. 2 SGB XII entsprechende Regelung gibt, können Personen ohne laufenden Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auch
bei Unterkunft und Heizung nicht von vornherein von Leistungen für einmalige Bedarfe ausgeschlossen sein. Entspricht die Situation
insoweit derjenigen des § 31 Abs. 2 Satz 1 SGB XII, muss auch bei der Ermittlung der Hilfebedürftigkeit dieser Personen die Wertung des § 31 Abs. 2 Satz 2 SGB XII entsprechende Anwendung finden (vgl. Mrozynski, ZFSH/SGB 2012, 75, 81 f.) - zumal die Kostenübernahme nach § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII dem Grundsatz nach im Ermessen des Sozialhilfeträgers steht.
Ausgehend hiervon hat der Beklagte die Übernahme der für den Umzug im Juni 2011 entstandenen Kosten frei von Rechtsfehlern
abgelehnt, weil der Kläger nicht hilfebedürftig war. Denn mit seinem den Existenzsicherungsbedarf übersteigenden Einkommen
von 151,69 € im Juni 2011 und von danach monatlich 144,95 € konnte der Kläger die Umzugskosten von 753,27 € innerhalb von
sechs Monaten vollständig decken.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.