Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin dazu verpflichtet ist, dem Beklagten 16.236,20 Euro an erbrachten Leistungen
nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG) zu erstatten.
Die 1971 geborene Klägerin ist syrische Staatsbürgerin. Sie reiste am 20. November 2015 gemeinsam mit ihrem Ehemann, Herrn
Y ..., und den drei gemeinsamen minderjährigen Kindern illegal in das Bundesgebiet ein und wurde am Bahnhof X ... durch die
Bundespolizei überprüft. Dabei beantragte die Familie, ihr Asyl zu gewähren. Unter Hinweis auf §
7a AsylbLG übernahm die Bundespolizei in Amtshilfe für den Beklagten von der Klägerin einen Bargeldbetrag von 17.000 US$ sowie von 1.550
Euro unter Belassung eines "Schonbetrages" vom 100 US$ und 200,90 Euro. Während ihrer Vernehmung noch am selben Tag durch
die Polizeihauptmeisterin W ... unter Anwesenheit eines Dolmetschers teilte die Klägerin mit, sie habe das Geld aus dem Verkauf
ihrer Wohnung und ihres Autos in Syrien erhalten.
Schließlich erteilte ihr der Beklagte am 8. April 2016 einen schriftlichen Bescheid. Demnach sei die Klägerin dazu verpflichtet,
dem Beklagten sofort eine Sicherheit in bar von 17.000 US$ sowie 1.500 Euro zur Absicherung der zu gewährenden Leistungen
nach dem
AsylbLG zu leisten. Der Beklagte ordnete die sofortige Vollziehung an. In ihrem Schreiben vom 18. März 2016 hatte die Klägerin den
Beklagten darum gebeten, ihr den sichergestellten Betrag auszuhändigen, da sie beabsichtige, das Bundesgebiet gemeinsam mit
ihrer Familie zu verlassen. Im Widerspruch vom 9. Mai 2016 führte die Klägerin ergänzend aus, dass ihr der Geldbetrag nicht
gehöre. Sie habe sich das Geld von anderen Familienmitgliedern geliehen, um die Reisekosten für sich und ihre Familie zu finanzieren.
Dieser Vortrag werde bestätigt durch eine Notiz auf der Rückseite des Schreibens ihrer Prozessbevollmächtigten vom 20. Juni
2016.
Am 3. Juni 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) der Klägerin und ihrer Familie die Flüchtlingseigenschaft
zu. Der Beklagte erteilte ihnen daraufhin eine auf den V ... bezogene Wohnsitzauflage (Bescheid vom 3. August 2016). Sodann
erließ der Beklagte am 30. Januar 2017 den Widerspruchsbescheid. Die Höhe des einzubehaltenden Betrages reduzierte er um 10
Euro auf nunmehr 16.236,20 Euro.
Hinsichtlich des nicht angerechneten Vermögensfreibetrags von 600 Euro verpflichtete er sich, diesen an die Klägerin auszuzahlen.
Im Übrigen wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Nach §
7 Abs.
1 AsylbLG seien die Klägerin und ihre Familienangehörigen dazu gehalten gewesen, zunächst das mitgeführte Bargeld für den Lebensunterhalt
einzusetzen, bevor Leistungen nach dem
AsylbLG zu gewähren gewesen seien. Selbst wenn die Klägerin das Geld nur darlehensweise erhalten haben sollte, habe sie nach der
Ansicht des Beklagten doch frei darüber verfügen können. Lediglich die Freibeträge für die drei Kinder seien versehentlich
unberücksichtigt geblieben (jeweils 200 Euro), so dass der Klägerin 600 Euro auszuzahlen seien. Demgemäß sei die Sicherheitsleistung
in Höhe von 16.236,20 Euro nach §
7a AsylbLG zu Recht verlangt worden. Dieser Betrag sei von der Klägerin zur Erstattung gewährter Leistungen nach dem
AsylbLG einzusetzen.
Mit Bescheid vom 14. März 2017 setzte der Beklagte gegen die Klägerin einen Erstattungsbetrag von 16.236,20 Euro fest und
ordnete die sofortige Vollziehung an. Die am 20. November 2015 einbehaltene Sicherheitsleistung gab der Beklagte frei, rechnete
jedoch zugleich seine Erstattungsforderung in gleicher Höhe gegen den Rückgewähranspruch der Klägerin auf. Ausweislich der
Kostenzusammenstellung für die Zeit vom 10. Dezember 2015 bis zum 1. Juli 2016 hatte der Beklagte für die Klägerin und die
drei Kinder Leistungen nach dem
AsylbLG in Höhe von 16.564,67 Euro erbracht.
Gegen den Anordnungsbescheid vom 8. April 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2017 hat sich die
am 1. März 2017 vor dem Sozialgericht Chemnitz erhobene Klage gerichtet. Das am 20. November 2015 beschlagnahmte Bargeld habe
sich die Klägerin von Bekannten geborgt. Darüber existiere ein Schuldschein, der zur Akte gereicht worden sei. Nachdem der
Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei, könne sie die Rückzahlung des sichergestellten Betrages verlangen.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Mai 2018). Der Beklagte sei nach §
7a AsylbLG dazu berechtigt gewesen, das von der Klägerin mitgeführte Bargeld sicherzustellen; zumal die Kostenzusammenstellung ergeben
habe, dass der Klägerin und ihrer Familie Leistungen nach dem
AsylbLG in erheblichem Umfang erbracht worden seien. Es sei nicht glaubhaft, dass die Klägerin bei Bekannten ein Darlehen aufgenommen
habe. Der angebliche "Schuldschein" sei auf Türkisch abgefasst; dieser Sprache sei die Klägerin nicht mächtig. Deshalb habe
die Klägerin während der mündlichen Verhandlung nicht mitteilen können, was auf dem vorgelegten Zettel zu lesen sei. Letztlich
handele es sich um eine Schutzbehauptung der Klägerin mit dem Ziel, den sichergestellten Betrag vom Beklagten zurück zu erlangen.
Gegen das ihr am 4. Juni 2018 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 4. Juli 2018 beim Sächsischen Landessozialgericht
eingelegten Berufung. Die Klägerin habe stets beteuert, den bei ihr vorgefundenen Geldbetrag zurückzahlen zu müssen. Die Darlehensgeber
übten erheblichen Druck aus, um das Geld zu bekommen. Die Ehre der Familie stehe auf dem Spiel. Die Klägerin meint, der Beklagte
habe ihr das Geld nicht "wegnehmen" dürfen, weil es lediglich als Darlehen gewährt worden sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 22. Mai 2018 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 8.
April 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2017 zu verurteilen, den Betrag von 16.236,20 Euro an
die Klägerin zurückzuzahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat den von der Klägerin vorgelegten "Schuldschein" übersetzen lassen von Herrn D ... aus U ..., öffentlich bestellter
und allgemein beeidigter Dolmetscher und Übersetzer für die kurdische und türkische Sprache. Demnach hat ein Herr T ... in
türkischer Sprache geschrieben: "S ... schuldet mir 15.000 Dollar, die ich zurückverlange. Hiermit klage ich sie an." Wegen
der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist bereits unzulässig. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 8. April 2016 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2017, mit welchem der Beklagte den bei der Klägerin am 20. November 2015 vorgefundenen
Barbetrag in Höhe von 16.236,20 Euro sichergestellt hat (§
95 SGG). Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der isolierten Anfechtungsklage nach §§
54 Abs.1
SGG. Diese zielt auf die Beseitigung der Sicherstellungsanordnung und damit letztlich auf die Freigabe des sichergestellten Vermögens
ab. Daneben wäre eine unechte Leistungsklage nach §
54 Abs.
4 SGG nur zulässig, sofern davon auszugehen ist, dass die Behörde trotz eines obsiegenden Urteils des Anfechtungsklägers das Vermögen
nicht freigeben wird (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
54 Rn. 38a). Dafür besteht in diesem Fall kein Anhalt. Das Rechtschutzbedürfnis für diese Klage war jedoch mit Erlass des Erstattungsbescheides
vom 14. März 2017 entfallen. Denn dieser Bescheid regelte in Ziffer 3 seines Verfügungssatzes, dass die am 20. November 2015
einbehaltene Sicherheitsleistung freigegeben wird. Damit hatte sich der Anordnungsbescheid vom 8. April 2016 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2017 auf andere Weise erledigt gemäß § 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungszustellungsrechts für den Freistaat Sachsen (SächsVwVfZG) in der Fassung vom 12. Juli 2013 (SächsGVBl. S. 503) in Verbindung mit § 43 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG), da er seine regelnde Wirkung verloren hatte (vgl. Ramsauer in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 43 Rn. 41, 44). Darauf hat der Senat die Beteiligten mit Schreiben vom 1. Februar 2019 hingewiesen.
Auch einer echten Leistungsklage nach §
54 Abs.
5 SGG, die lediglich auf die Auszahlung des nunmehr freigegebenen Betrages gerichtet wäre, fehlte das Rechtschutzbedürfnis. Denn
gegen den Erstattungsbescheid vom 14. März 2017 hat die Klägerin keine Rechtsbehelfe eingelegt. Da dieser Bescheid den Anordnungsbescheid
vom 8. April 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2017 weder abgeändert noch ersetzt hat, ist er
nicht Gegenstand des Klage- oder Berufungsverfahrens geworden (§
96 SGG). Abändern oder Ersetzen setzt allgemein voraus, dass der Regelungsgegenstand des neu einzubeziehenden Verwaltungsakts mit
dem des früheren identisch ist. Ob dies der Fall ist, muss durch Vergleich der in beiden Verwaltungsakten getroffenen Verfügungssätze
festgestellt werden (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23. Februar 2005 - B 6 KA 45/03 R - juris Rn. 17). Dabei kommt es auf den Willen der Beteiligten, einen Verwaltungsakt in das Verfahren einzubeziehen oder
ihn gerade davon auszunehmen, in keinem Falle an. §
96 SGG stellt nur auf die objektiven Verhältnisse, nicht aber auf die Willensrichtung der Beteiligten ab. Das ist auch der Rechtssicherheit
wegen erforderlich, nämlich um den Umfang der Rechtskraftwirkung (§
141 SGG) klarzustellen (Estelmann in: Zeihe,
SGG, Stand: Mai 2020, §
96 Rn. 2b).
Demnach hat der Erstattungsbescheid vom 14. März 2017 den Anordnungsbescheid vom 8. April 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 30. Januar 2017 weder abgeändert noch ersetzt. Zwar wird angenommen, dass eine Änderung oder Ersetzung auch vorliegen
kann, wenn die Beschwer des Klägers teilweise oder in vollem Umfang beseitigt wird (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020). Dieser Ansicht schließt sich der Senat allerdings nicht an. Vielmehr ist davon auszugehen, dass ein klaglos
stellender Verwaltungsakt nicht nach §
96 SGG Gegenstand des Verfahrens wird. Denn ohne die Regelung des §
96 SGG würde in gleicher Weise gelten: Entspricht der abändernde oder ersetzende Verwaltungsakt dem Klagebegehren, nimmt der Kläger
aber seine Klage nicht zurück, so ist diese als unzulässig abzuweisen, weil das Rechtschutzbedürfnis entfallen ist. Einer
Klageerweiterung bedürfte es nicht. Es entspräche nicht der Prozessökonomie, einen Verwaltungsakt formal zum Gegenstand eines
Verfahrens zu machen, wenn er zugleich Ursache für das Ende dieses Verfahrens ist (vgl. Estelmann in: Zeihe,
SGG, Stand: Mai 2020, §
96 Rn. 3i). Ungeachtet der unterschiedlichen Ansichten ist aber in dem Umstand, dass im Bescheid vom 14. März 2017 die Freigabe
der Sicherheitsleistung verfügt worden ist, kein Abändern und Ersetzen im Sinne des §
96 SGG zu erkennen. Denn selbst wenn sich die darin verfügte Freigabe des sichergestellten Betrages als "Abhilfe" im Verhältnis
zu den Regelungen im Bescheid vom 8. April 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2017 verstehen ließe,
enthält der Bescheid vom 14. März 2017 darüber hinausgehende, die Klägerin belastende neue Regelungen; darunter die erwähnte
Aufrechnung.
Von einer zumindest konkludenten Klageänderung (§
99 SGG) ist ebenfalls nicht auszugehen. Der Erstattungsbescheid ist am 14. März 2017 während des Klageverfahrens ergangen. Die Klägerin
hat diesen Bescheid während der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht in ihrem Antrag nicht erwähnt; demgemäß hat es
darüber auch nicht entschieden. Der Sache nach hat das Sozialgericht über erledigte Bescheide entschieden. Damit ist der Bescheid
vom 14. März 2017 zwischen den Beteiligten bindend geworden (§
77 SGG). Dieser regelt in Ziffer 1 des Verfügungssatzes, dass gegen die Klägerin ein Erstattungsbetrag von 16.236,20 Euro festgesetzt
wird und diese Forderung gegen den Rückgewähranspruch der Klägerin nach erfolgter Freigabe aufgerechnet wird (Ziffern 3 und
4 des Verfügungssatzes). Die Aufrechnung ist sowohl nach allgemeinem Verwaltungsrecht als auch im Sozialrecht möglich. Das
BSG hat dazu im Urteil vom 28. November 2013 (Az.: B 3 KR 33/12 R - juris Rn. 13) ausgeführt, dass im Sozialrecht allgemein - auch außerhalb der besonderen Regelungen der §§
51,
52 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) - die Möglichkeit bestehe, einer öffentlich-rechtlichen Forderung im Wege der Aufrechnung, auf welche die §§
387 ff
Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) anzuwenden sind, entgegenzutreten. Da §
9 Abs.
2 AsylbLG die entsprechende Anwendung der §§
51,
52 SGB I nicht vorsieht und das
AsylbLG auch kein besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs ist (vgl. 68
SGB I), sind die allgemeinen öffentlich-rechtlichen Grundsätze heranzuziehen. Auch das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) geht davon
aus, dass das Rechtsinstitut der Aufrechnung im öffentlichen Recht Anwendung findet, wobei materiell-rechtlich hinsichtlich
ihrer Voraussetzungen und der Rechtswirkungen die §§
387 ff
BGB entsprechend anzuwenden sind. Die Aufrechnung bewirkt, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt
erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet sich einander gegenüber gestanden haben (BVerwG, Urteil vom 12.
Februar 1987 - 3 C 22/86 - juris Rn. 29-31). Nach erfolgter Aufrechnung im bindenden Bescheid vom 14. März 2017 ist der Auszahlungsanspruch der Klägerin
erloschen.
Nachdem sich der Anordnungsbescheid vom 8. April 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. Januar 2017 erledigt
hat (s.o.), wäre ferner eine Fortsetzungsfeststellungsklage in Betracht zu ziehen. Allerdings kann sich die Klägerin auch
insoweit nicht auf ein Rechtschutzbedürfnis berufen. Die Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Verwaltungsakte
würde ihre Rechtsposition nicht verbessern, da der Bescheid vom 14. März 2017 mit seinen weiter reichenden Regelungen bestandskräftig
ist (s.o.). Darüber hinaus fehlt das erforderliche besondere Feststellungsinteresse, welches als besondere Ausprägung des
Rechtschutzbedürfnisses zu verstehen ist (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
131 Rn. 10). Dabei ist ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung nicht erforderlich. Es genügt ein durch die Sachlage
vernünftigerweise gerechtfertigtes Interesse, das rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein kann (BSG, Urteil vom 10. Juli 1996 - 3 RK 27/95 - juris Rn. 15; BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14/12 - juris Rn. 20). Das Interesse kann in erster Linie bestehen bei Wiederholungsgefahr oder einem Rehabilitierungsinteresse.
Für die Wiederholungsgefahr ausreichend ist die hinreichend bestimmte konkrete Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten
tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergehen wird (BSG, Urteil vom 16. Mai 2018 - B 6 KA 1/17 R - juris Rn. 18). Dies dürfte im Falle der Klägerin ausgeschlossen sein. Nachdem ihr die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt
worden ist, ist sie nicht mehr leistungsberechtigt nach §
1 Abs.
1 AsylbLG, so dass auch keine Sicherstellung nach §
7a AsylbLG mehr in Betracht kommen kann. Auch ein Rehabilitierungsinteresse besteht nicht. Ein solches kann vorliegen, sofern der Betroffene
durch die Begründung eines Verwaltungsakts oder die Umstände seines Zustandekommens in seinen Grundrechten, insbesondere in
seiner Menschenwürde oder seinen Persönlichkeitsrechten, beeinträchtigt wird und zur Rehabilitierung ein Feststellungsinteresse
hat (BSG, Urteil vom 28. August 2007 - B 7/7a AL 16/06 R - juris Rn. 13). Diese Voraussetzungen liegen im Falle der Klägerin ebenfalls
nicht vor, Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die Bundespolizei am 20. November 2015 bei der Überprüfung der
Personalien der Klägerin sowie bei der Sicherstellung des Bargeldes rechtswidrig gehandelt haben könnte.
Die Klage ist darüber hinaus auch unbegründet. Der Sache nach hatte die Klägerin keinen Anspruch auf die Auszahlung des dem
Beklagten erstatteten Betrages von 16.236,20 Euro. Sowohl das Erstattungsverlangen des Beklagten als auch die anschließende
Aufrechnung erweisen sich als rechtmäßig.
Nach §
1 Abs.
1 Nr.
1 AsylbLG sind leistungsberechtigt nach diesem Gesetz Ausländer, die - wie die Klägerin und ihre minderjährigen Kinder für die Zeit
vom 20. November 2015 bis zum 3. Juni 2016 - eine Aufenthaltsgestattung besitzen. Den Antrag auf Asyl hatte die Klägerin im
November 2015 für sich und ihre Kinder gestellt. Daraufhin wurde ihnen eine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG) zur Durchführung des Asylverfahrens erteilt. §
7 Abs.
1 Satz 1
AsylbLG sieht vor, dass Einkommen und Vermögen, über das verfügt werden kann, von dem Leistungsberechtigten und seinen Familienangehörigen,
die im selben Haushalt leben, vor Eintritt von Leistungen nach diesem Gesetz aufzubrauchen sind. Damit gilt auch für den Bereich
des
AsylbLG, dass Leistungen nur insoweit gewährt werden, als es dem Leistungsberechtigten nicht möglich ist, seinen Lebensunterhalt
mit eigenen Mitteln zu bestreiten (BT-Drucks. 12/4451, S. 6). Dem entsprechend enthält §
7 AsylbLG eine Regelung zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen, die an diesen Gedanken des Vorrangs der Selbsthilfe anknüpft.
Daneben normiert §
8 Abs.
1 Satz 1
AsylbLG einen allgemeinen Nachrang der bedürftigkeitsabhängigen Leistungen nach dem
AsylbLG. §
7 AsylbLG setzt denselben Einkommensbegriff wie in § 82 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) voraus (vgl. Krauß in: Siefert,
AsylbLG, 2020, §
7 Rn. 6,7).
Zum Einkommen zählt demgemäß der tatsächliche Zufluss in Geld oder Geldeswert im Bedarfszeitraum, es sei denn, rechtlich wird
ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (modifizierte Zuflusstheorie). In Abgrenzung dazu ist als Vermögen dasjenige anzusehen,
was der Leistungsberechtigte bereits hat (BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999 - 5 C 35/97 - juris Rn. 14). Vermögen sind alle beweglichen und unbeweglichen Güter und Rechte in Geld oder Geldeswert; umfasst werden
auch Forderungen bzw. Ansprüche gegen Dritte (BSG, Urteil vom 18. März 2008 - B 8/9b SO 9/06 R - juris Rn. 15). Ausdrücklich normiert ist in §
7 AsylbLG, dass Einkommen und Vermögen "verfügbar" sein müssen, ohne dass sich daraus eine Abweichung zum SGB II oder SGB XII ergibt. Wie dort ist ein Einsatz nur möglich, sofern es sich um ein "bereites Mittel" handelt (Krauß in: Siefert,
AsylbLG, 2020, §
7 Rn. 24).
Grundsätzlich ist jedes Vermögen vor dem Bezug von Grundleistungen nach §
3 AsylbLG aufzubrauchen, so lange es verfügbar, also verwertbar im Sinne des § 90 Abs. 1 SGB XII ist. Erst mit einer Aufenthaltsverfestigung und der damit einhergehenden Privilegierung mit einer Leistungsberechtigung nach
§
2 AsylbLG kommt ein mit dem SGB XII entsprechender Schutz zum Tragen, wenngleich dieser an die Privilegierungen von Vermögen für einen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
nach § 12 SGB II nicht heranreicht (Krauß in: Siefert,
AsylbLG, 2020, §
7 Rn. 42).
Der Barbetrag, den die Bundespolizei am 20. November 2015 bei der Klägerin vorgefunden hat, ist nach den vorgenannten Grundsätzen
als Vermögen zu bewerten. Denn dieser ist ihr nicht im damaligen Bedarfszeitraum zugeflossen; sie führte ihn bei sich. Dieses
Vermögen war - anders als die Klägerin meint - auch verwertbar. Tatsächliche oder rechtliche Gründe können einer Verwertung
entgegenstehen. Der Vermögensinhaber muss über das Vermögen verfügen dürfen, aber auch verfügen können. Beide Aspekte verlangen
darüber hinaus eine Berücksichtigung des zeitlichen Moments: Der Vermögensinhaber verfügt nicht über bereite Mittel, wenn
er diese nicht in angemessener Zeit realisieren kann (BSG, Urteil vom 18. März 2008 - B 8/9b SO 9/06 R - Rn. 15).
Die Klägerin konnte tatsächlich und ohne zeitliche Einschränkung über den mitgeführten Geldbetrag verfügen. Im Gegensatz zur
Ansicht der Klägerin durfte sie auch über den Geldbetrag auch rechtlich verfügen. Dabei sind angesichts ihres Vortrags zwei
Szenarien zu betrachten: Einerseits die Variante, dass der Geldbetrag aus dem Verkauf des Hauses und des Autos in Syrien stammt.
In diesem Fall ist von der uneingeschränkten Verwertbarkeit auszugehen. Zum anderen hat die Klägerin später vorgetragen, den
Geldbetrag als Darlehen von Bekannten erhalten zu haben. Auch dies führt zu keiner anderen Wertung. Denn ausweislich der Übersetzung
des vorgelegten "Schuldscheins" ist die Klägerin nicht als Schuldnerin bezeichnet und bereits demzufolge nicht rückzahlungspflichtig.
Darüber hinaus wird in dem undatierten Schreiben von Herrn T ... lediglich behauptet, dass ihm ein Mensch namens "S ..." 15.000
Euro schulde.
Nachweise für diesen Vortrag finden sich nicht, auch keine Hinweise auf ein zugrunde liegendes Rechtsgeschäft. Der Senat ist
nicht dazu verpflichtet, insoweit weitere Sachaufklärung zu betreiben und mögliche "Darlehensgeber" in der Türkei zu befragen;
zumal feststeht, dass die Klägerin in dem angeblichen "Schuldschein" nicht erwähnt wird. In Verbindung mit dem Zusatz "Hiermit
klage ich sie an" ist darüber hinaus davon auszugehen, dass es sich um keinen Schuldschein, sondern um den Versuch des Herrn
T ... handelt, mittels Rechtsbehelfs gegen die genannte Person - die nicht die Klägerin ist - vorzugehen. Für die Behauptung
der Klägerin, sie müsse das sichergestellte Geld aufgrund eines Darlehensvertrags unverzüglich zurückzahlen, besteht somit
kein tatsächlicher Anhalt. Für den Senat steht daher fest, dass die Klägerin nach den möglichen aufgezeigten Fallgestaltungen
über den mitgeführten Geldbetrag rechtlich verfügen durfte, um die Lebenshaltungskosten für sich und ihre minderjährigen Kinder
für die Dauer des Asylverfahrens zu tragen.
Der Beklagte war dazu berechtigt, die für die Klägerin und ihre minderjährigen Kinder aufgewendeten Leistungen nach dem
AsylbLG erstattet zu verlangen. Nach §
7 Abs.
1 Satz 3
AsylbLG haben Leistungsberechtigte, soweit Einkommen und Vermögen - wie hier - vorhanden sind, bei der Unterbringung in einer Einrichtung,
in der Sachleistungen gewährt werden, dem Kostenträger für erbrachte Leistungen für sich und ihre Familienangehörigen die
Kosten in entsprechender Höhe der in §
3a Abs.
2 AsylbLG genannten Leistungen sowie die Kosten der Unterkunft, Heizung und Haushaltsenergie zu erstatten. §
7 Abs.
1 Satz 3
AsylbLG schließt die Erstattungspflicht nach §
9 Abs.
4 Satz 1 Nr.
1 AsylbLG in Verbindung mit §§ 44 ff, 50 SGB X nicht aus, sondern schafft lediglich eine weitere Erstattungsmöglichkeit unter erheblich erleichterten Voraussetzungen. Die
Regelung rechtfertigt sich allein wegen der Besonderheiten der Sachleistungserbringung in Einrichtungen nach § 53 Abs. 1 Asylgesetz (AsylG). Für Leistungsberechtigte, die außerhalb von Einrichtungen leben, bleibt eine Aufhebung und Rückforderung nach §§ 45, 48 SGB X die einzig mögliche Vorgehensweise des Trägers (Krauß in: Siefert,
AsylbLG, 2. Aufl. 2020, §
7 Rn. 50). Die Erstattungspflicht nach §
7 Abs.
1 Satz 3
AsylbLG setzt keine Aufhebung der zunächst erteilten Bewilligung voraus. Voraussetzung ist daher nicht, dass die Leistungen zu Unrecht
erbracht worden sind und es entfällt eine Vertrauensschutzprüfung. Die Erstattungsforderung ist aber durch Verwaltungsakt
festzusetzen und muss insoweit vor allem hinreichend bestimmt sein (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 8. Dezember 2011 - L
7 AY 3353/09 - juris Rn. 20).
Ein Kostenerstattungsanspruch besteht nur für Zeiten, in denen die Leistungsberechtigten in einer Einrichtung untergebracht
waren, in der Sachleistungen gewährt werden. Die Sachleistungen müssen tatsächlich in Anspruch genommen und zur Bedarfsdeckung
eingesetzt worden sein (BayVGH, Urteil vom 29. April 2004 - 12 B 99.408 - juris Rn. 14). Nach der Kostenzusammenstellung des
Beklagten, die als Anlage zum Erstattungsbescheid vom 14. März 2017 beigefügt worden ist (Bl. 246 VwA), waren die Klägerin
und ihre drei minderjährigen Kinder in der Zeit vom 10. Dezember 2015 bis 1. Juli 2016 (= 203 Tage) in einer Gemeinschaftsunterkunft
untergebracht (Bl. 95 VwA) und haben Sachleistungen erhalten. Die Kosten für die Unterbringung beliefen sich auf jeweils 11,92
Euro pro Person (= 2.419,76 Euro; für vier Personen = 9.679,04 Euro). Für die Verpflegung hat der Beklagte pro Tag 16,88 Euro
für die genannten vier Personen aufgewendet, an 203 Tagen somit 3.426,64 Euro. An Taschengeld hat der Beklagte an die genannten
Personen 3.458,99 Euro ausgezahlt. Insgesamt ergibt sich damit ein Leistungsbetrag von 16.564,67 Euro (9.679,04 Euro + 3.426,54
Euro + 3.458,99 Euro).
Der Beklagte war auch dazu berechtigt, seinen Erstattungsanspruch gegen den Rückgewähranspruch der Klägerin nach erfolgter
Freigabe aufzurechnen. Voraussetzung dieses einseitigen Rechtsgeschäfts, mit dem die wechselseitige Tilgung zweier Forderungen
bewirkt wird, ist gemäß §
387 BGB, dass sich zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegenseitige, gleichartige und fällige bzw. erfüllbare Forderungen gegenüberstehen,
wobei die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung uneingeschränkt wirksam und fällig sein muss, die Hauptforderung dagegen
lediglich erfüllbar zu sein braucht. Außerdem darf die Gegenforderung nicht einredebehaftet sein (BSG, Urteil vom 28. November 2013 - B 3 KR 33/12 R - juris Rn. 13). Im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung (Erlass des Erstattungsbescheides) standen sich der Rückgewähranspruch
der Klägerin
(Hauptforderung) und der Erstattungsanspruch des Beklagten (Gegenforderung) gegenüber. Es handelte sich bei beiden Forderungen
um gegenseitige Geldforderungen. Der Erstattungsanspruch des Beklagten war mit der Bekanntgabe des Bescheides uneingeschränkt
wirksam und fällig (vgl. § 43 Abs. 1 VwVfG). Er war auch der Sache nach nicht einredebehaftet. Der Vortrag der Klägerin, sie habe den Geldbetrag aufgrund einer Darlehensverpflichtung
zurückzuzahlen, hat sich als unzutreffend erwiesen. Die Hauptforderung, der Rückgewähranspruch der Klägerin, war fällig und
wirksam in dem Zeitpunkt, indem ihr und ihrer Familie die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden ist. Damit endete die Leistungsberechtigung
nach §
1 Abs.
1 AsylbLG und der sichergestellte Geldbetrag war herauszugeben (vgl. §
7a Satz 1
AsylbLG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 SGG.
Die Nichtzulassung der Revision folgt aus §
160 Abs.
2 SGG.