Tatbestand:
Streitig ist die Verpflichtung des Beklagten zur Verbescheidung eines Widerspruchs gegen einen Bescheid über die Ablehnung
der Gewährung höherer Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (
AsylbLG) nach Abschiebung der Widerspruchsführerin ins Herkunftsland.
Die Klägerin, eine kosovarische Staatsangehörige, reiste mit ihren beiden minderjährigen Kindern (geboren 2008 und 2011) im
Januar 2015 ins Bundesgebiet ein und stellte im Februar 2015 einen Asylantrag, welcher als offensichtlich unbegründet abgelehnt
wurde. Seit Oktober 2015 war die Klägerin vollziehbar ausreisepflichtig. Im April 2016 wurde sie mit ihren Kindern in den
Kosovo abgeschoben.
Während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet bezogen die Klägerin und ihre Kinder vom Landkreis Y ... Leistungen nach dem
AsylbLG. Zuletzt wurden mit Bescheid vom 28.09.2015 Grundleistungen nach §
3 AsylbLG für die Zeit ab September 2015 bis auf weiteres bewilligt. Gegen den Bescheid vom 28.09.2015 wandte sich die Klägerin mit
Widerspruch ihres Bevollmächtigten vom 19.10.2015 und begehrte die Gewährung höherer Leistungen. Es sei zusätzlich ein Mehrbedarf
für Alleinerziehende zu berücksichtigen. Der Landkreis Y ... hat dem Widerspruch nicht abgeholfen und ihn im Februar 2016
dem Beklagten zur Entscheidung vorgelegt. Nach der Abschiebung der Klägerin stellte der Beklagte das Widerspruchsverfahren
ein (Bescheid vom 14.06.2016).
Die daraufhin am 31.05.2016 von der Klägerin erhobene Untätigkeitsklage hat das Sozialgericht (SG) Chemnitz abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 23.11.2016). Zur Begründung hat das SG darauf verwiesen, dass keine Leistungsansprüche nach dem
AsylbLG mehr bestünden, nachdem die Klägerin das Bundesgebiet verlassen habe (§
1 Abs.
3 AsylbLG). Das
AsylbLG korrespondiere insoweit mit der Regelung des § 24 Abs. 1 Satz 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), wonach auch deutsche Staatsangehörige mit gewöhnlichem Aufenthalt im Ausland - mit Ausnahme von Notfällen - keine Leistungen
erhielten. Das Insistieren auf eine Entscheidung über den Widerspruch - die aus den genannten Gründen ohnehin zwingend ablehnend
ausfallen müsse - stelle sich vor diesem Hintergrund als rechtsmissbräuchlich dar. Im Übrigen bestünden nach §
6 AsylbLG weitergehende, über die bereits bewilligten Leistungen hinausgehende Ansprüche nur bei Vorliegen eines konkreten Bedarfs,
der jedoch von der Klägerin nicht dargelegt worden sei. Die Gewährung von Pauschalen sehe das Asylbewerberleistungsrecht nicht
vor.
Gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 23.11.2016 richtet sich die Berufung der Klägerin vom 31.07.2017.
Sie hält die Rechtsauffassung des SG für unzutreffend. Für die Zeit nach der Ausreise bestünden unstreitig keine Leistungsansprüche. Die Ausreise habe indes nicht
zur Folge, dass eine Nachzahlung für einen während des Aufenthalts bestehenden Bedarf nicht zu gewähren sei. Hierfür spreche
insbesondere die Regelung des §
9 Abs.
4 Satz 2
AsylbLG. Auch aus der Regelung des § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII könnten entgegen der Auffassung des SG keine Rückschlüsse gezogen werden, da es sich bei dem
AsylbLG um eine abschließende Regelung mit Sondercharakter handele. Dem Wortlaut des §
6 AsylbLG lasse sich zudem nicht entnehmen, ob ein Mehrbedarf wegen Alleinerziehung konkret zu belegen sei. Vielmehr sei davon auszugehen,
dass es sich hierbei um einen pauschalierten Mehrbedarf handele. Im Übrigen verstoße die Entscheidung des SG gegen das Recht auf ein Existenzminimum unter Beachtung der Menschenwürde.
Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 23.11.2016 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten,
den Widerspruch der Klägerin vom 19.10.2015 gegen den Bescheid vom 28.09.2015 zu verbescheiden.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin habe keine weiteren Leistungsansprüche nach dem
AsylbLG, da sie sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhalte. Im Übrigen sehe das Asylbewerberleistungsrecht pauschalierte Mehrbedarfe
- hier einen solchen für Alleinerziehende - nicht vor. §
6 AsylbLG sei vielmehr als Ausnahmebestimmung für (nachweislich bestehende) außergewöhnliche und atypische Bedarfe konzipiert. Der
Grundsatz der konkret-individuellen Bedarfsdeckung, vorrangig durch Sachleistungen, sei für das Asylbewerberleistungsrecht
systemprägend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung, über die im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündlichen Verhandlung entschieden werden konnte (§
124 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Berufung ist zulässig.
Sie ist insbesondere nach §
143 SGG statthaft. Grundsätzlich gilt zwar, dass auch bei Untätigkeitsklagen die Berufungsbeschränkung des §
144 Abs.
1 Satz 1
SGG zum Tragen kommt, so dass auch bei der vorliegenden (Verbescheidungs-)Klage der Beschwerdewert zu ermitteln ist (Bundessozialgericht
[BSG], Beschluss vom 06.10.2011 - B 9 SB 45/11 B - juris). Dieser übersteigt vorliegend jedoch den Betrag von 750,00 EUR, so dass die Berufung - und nicht, wie in der Rechtsmittelbelehrung
des Gerichtsbescheids des SG fälschlicherweise angegeben, die Nichtzulassungsbeschwerde - das statthafte Rechtsmittel ist. Das hinter der Klage stehende
Begehren der Klägerin ist auf die Gewährung eines (pauschalierten) Mehrbedarfs für Alleinerziehende gerichtet. In zeitlicher
Hinsicht bezieht sich das Begehren auf den Zeitraum ab September 2015 (Bescheid vom 28.09.2015) bis zur Ausreise im April
2016. Da ein pauschalierter Mehrbedarf geltend gemacht wird, ist hinsichtlich dessen Höhe auf § 30 Abs. 3 SGB XII abzustellen. Hiernach liegt der Mehrbedarf bei 36 % des Regelbedarfs, wenn, wie hier, zwei Kinder unter sechzehn Jahren betreut
werden. Damit wird der Beschwerdewert von 750,00 EUR ohne weiteres erreicht.
Angesichts der fehlerhaften Rechtsbelehrung im angefochtenen Gerichtsbescheid ist die Berufung auch fristgerecht erhoben worden.
2. Die Berufung ist jedoch unbegründet.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Nach der Ausreise der Klägerin ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Fortführung des Widerspruchsverfahrens
entfallen, so dass sich die Entscheidung des Beklagten, das Verfahren einzustellen, als rechtmäßig erweist.
Mit der Ausreise der Klägerin hat sich das in Bezug auf den Bescheid vom 28.09.2015 geführte Widerspruchsverfahren erledigt
und zwar "auf andere Weise" im Sinne von § 1 des Gesetzes zur Regelung des Verwaltungsverfahrens- und des Verwaltungszustellungsrechts für den Freistaat Sachsen (SächsVwVfZG) i.V.m. § 43 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Von einer Erledigung in diesem Sinne ist auszugehen, wenn die regelnde Wirkung des angefochtenen Verwaltungsakts rechtlich
oder tatsächlich unmöglich geworden ist bzw. wenn hinsichtlich der getroffenen Regelung Zweckerreichung eingetreten ist (vgl.
zur entsprechenden Regelung des § 39 SGB X: Roos in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 39 RdNr. 14 m.w.N.). So liegt die Sache hier.
Die Gewährung von Leistungen nach dem
AsylbLG setzt den tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet voraus (§
1 Abs.
1 AsylbLG). Ein Leistungsbezug aus dem Ausland ist damit ausgeschlossen (Frerichs in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, §
1 AsylbLG RdNr. 68). Dies ergibt sich aus Sinn und Zweck der Regelungen des
AsylbLG, welche die Existenzsicherung der Leistungsberechtigten bei einem - sei es nur vorübergehenden, sei es auch längerfristigen
(aber ohne Daueraufenthaltsrecht) - Aufenthalt im Bundesgebiet gewährleisten sollen (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Urteil
vom 18.07.2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - juris RdNr. 6 ff. und RdNr. 63), wobei die Höhe der Leistungen an die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet anknüpft (zu
diesem Erfordernis siehe BVerfG, a.a.O., RdNr. 74 ff.). Dass die Leistungsgewährung vom tatsächlichen Aufenthalt im Bundesgebiet
abhängig ist, kommt augenscheinlich in der Regelung des §
3 Abs.
6 Satz 1
AsylbLG zum Ausdruck. Leistungen in Geld oder Geldeswert sollen hiernach dem Leistungsberechtigten oder einem volljährigen berechtigten
Mitglied des Haushalts persönlich ausgehändigt werden. Zudem bestimmt §
3 Abs.
6 Satz 3
AsylbLG, dass die Geldleistungen längstens einen Monat im Voraus erbracht werden dürfen. Diese Regelungen sollen sicherstellen, dass
die bewilligten Leistungen ausschließlich zweckentsprechend zur Bedarfsdeckung während des Aufenthalts im Bundesgebiet Verwendung
finden. Soweit das Gesetz die Erbringung von Sachleistungen anstelle von Geldleistungen vorsieht (zu dieser Möglichkeit siehe
BVerfG, a.a.O, RdNr. 109) - wie es im Übrigen gerade bei den von der Klägerin begehrten sonstigen Leistungen nach §
6 AsylbLG der Fall ist (§
6 Abs.
1 Satz 2
AsylbLG) - knüpft die Leistung ohnehin ihrer Natur nach unmittelbar an den Aufenthalt im Bundesgebiet an. Da die Leistungen nach
dem
AsylbLG wie die Leistungen der Sozialhilfe der Existenzsicherung dienen, müssen sie im Falle der nachträglichen Erbringung für einen
zurückliegenden Zeitraum noch dazu geeignet sein, den ihnen innewohnenden Zweck zu erfüllen. Es kommt daher maßgeblich darauf
an, dass die Bedürftigkeit - hier nach dem
AsylbLG - ununterbrochen (bis zur Entscheidung in der letzten Tatsachinstanz) fortbesteht (vgl. BSG, Urteil vom 09.06.2011 - B 8 AY 1/10 R - juris RdNr. 20 [zu einer Entscheidung im Zugunstenverfahren]). Daran fehlt es vorliegend,
da die Leistungsberechtigung der Klägerin mit dem Verlassen des Bundesgebietes entfallen ist und der mit der Leistungsgewährung
verfolgte Zweck damit nicht mehr erreicht werden kann.
Nur ergänzend sei vor diesem Hintergrund darauf hingewiesen, dass §
6 AsylbLG keine Rechtsgrundlage für den von der Klägerin begehrten pauschalierten Mehrbedarf für Alleinerziehende bietet, was sich
sowohl aus dem Wortlauft der Norm als auch aus ihrer Zweckrichtung ergibt. Nach §
6 Abs.
1 Satz 1
AsylbLG können sonstige Leistungen gewährt werden, wenn sie "im Einzelfall" zur Sicherung des Lebensunterhalts unerlässlich sind.
Die Vorschrift ist damit als Ausnahmevorschrift für atypische Bedarfsfälle konzipiert (BVerfG, Urteil vom 18.07.2012 - 1 BvR 10/10, 1 BvL 2/11 - juris RdNr. 25). Es handelt sich um eine Auffang- und Öffnungsklausel im Hinblick darauf, dass nach dem
AsylbLG gerade nicht alle Bedarfe berücksichtigt werden können, die nach den Zweiten und dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch neben den dortigen Regelbedarfen als Mehrbedarfe anerkannt werden können (BVerfG, a.a.O., RdNr. 24). Der Deckung regelmäßiger
Bedarfe dient die Vorschrift damit nicht. Erst recht ermöglicht sie nicht die Gewährung pauschalierter Geldleistungen, da
die sonstigen Leistungen grundsätzlich als Sachleistung, nur bei besonderen Umständen als Geldleistung zu gewähren sind (§
6 Abs.
1 Satz 2
AsylbLG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
4. Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.