Streit über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung eines im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordneten
Rechtsanwalts
Prüfung der Entstehung einer fiktiven Terminsgebühr bei Beendigung eines Verfahrens durch die Annahme eines Teilanerkenntnisses
und nachfolgende Teilrücknahme
Zulässigkeit einer Beschwerde gegen die Zurückweisung einer Erinnerung durch das SG bezogen auf die Festsetzung einer fiktiven Terminsgebühr
Einschlägigkeit des § 197 Abs. 2 SGG in Bezug auf die Festsetzung der PKH-Vergütung eines beigeordneten Rechtsanwalts
Erläuterung des Rechtsbegriffs "angenommenes Anerkenntnis" in Nr. 3106 VV-RVG
Gründe:
I.
Streitig ist die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung des im Rahmen der Prozesskostenhilfe (PKH) beigeordneten
Rechtsanwalts.
Der Kläger führte vor dem Sozialgericht Dresden (SG) das Verfahren S 13 SB 23/10, in dem er die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50 ab Dezember 2008 begehrte. Mit Beschluss
vom 09.06.2010 bewilligte das SG ihm PKH unter Beiordnung des Beschwerdeführers und setzte am 25.06.2010 einen Vorschuss in Höhe von 321,30 EUR fest. Am 27.10.2010
gab der Beklagte ein Teilanerkenntnis ab, wonach er einen GdB von 50 ab Mai 2009 feststellte. Am 22.11.2010 nahm der Kläger
dieses Teilanerkenntnis an und erklärte insoweit "teilweise Erledigung in der Hauptsache". Nachdem der Beklagte sich im Nachgang
bereit erklärt hatte, ¾ der notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten, nahm Kläger dieses Kostengrundteilanerkenntnis
an und erklärte den Rechtsstreit auch hinsichtlich des Kostenpunktes für erledigt.
Mit Vergütungsfestsetzungsantrag vom 13.01.2011 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung von aus der Staatskasse zu
erstattenden Gebühren und Auslagen wie folgt:
Verfahrensgebühr
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250,00 EUR
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Terminsgebühr
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200,00 EUR
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Gebühr nach Nr. 1006 VV RVG
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190,00 EUR
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Dokumentenpauschale
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30,55 EUR
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Entgelte für Post und Telekommunikation
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20,00 EUR
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Umsatzsteuer
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131,20 EUR
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abzüglich Vorschuss
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321,30 EUR
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Gesamtbetrag
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500,45 EUR
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Mit Beschluss vom 17.03.2011 setzte die Urkundsbeamtin des SG die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen wie folgt fest:
Verfahrensgebühr (Nr. 3102 VV RVG)
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250,00 EUR
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Einigungs-/Erledigungsgebühr (Nr. 1006 VV RVG)
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190,00 EUR
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Fotokopiekosten (Nr. 7000 VV RVG)
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30,55 EUR
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Auslagenpauschale (Nr. 7002 VV RVG)
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20,00 EUR
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Abzüglich gezahlter Vorschuss
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270,00 EUR
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Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG)
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41,90 EUR
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Gesamtsumme
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262,45 EUR
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Eine Terminsgebühr sei nicht entstanden, da das Verfahren nicht durch Anerkenntnis beendet worden sei.
Am 24.03.2011 hat der Beschwerdeführer Erinnerung erhoben, mit der er die Festsetzung einer fiktiven Terminsgebühr begehrte,
da das Verfahren nicht durch Teilklagerücknahme, sondern Erledigungserklärung beendet worden sei. Die entgegenstehende Rechtsprechung
des Sächsischen Landessozialgerichts (LSG) beachte weder den klaren Wortlaut des Vergütungsverzeichnisses noch den gesetzgeberischen
Willen. Mit Beschluss vom 22.03.2013 hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen. Eine fiktive Terminsgebühr sei nicht entstanden, da das Verfahren nicht durch Anerkenntnis,
sondern durch Klagerücknahme (im Übrigen) geendet habe. Die Rechtsmittelbelehrung lautet: "Dieser Beschluss ist gemäß §
197 II
SGG unanfechtbar."
Gegen den ihm am 27.03.2013 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 03.04.2013 Beschwerde erhoben, der das SG nicht abgeholfen hat. Er trägt vor, dass die Beschwerde im Bereich der PKH-Vergütung nicht durch §
197 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) ausgeschlossen sei. Eine fiktive Terminsgebühr sei in Höhe von 238,00 EUR festzusetzen. Die Ansicht, dass das Verfahren
ausschließlich durch Anerkenntnis enden müsste, sei rechtsirrig. Es genüge ein Teilanerkenntnis. Wegen grundsätzlicher Bedeutung
sei die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Der Beschwerdegegner hält die Vergütungsfestsetzung für zutreffend und verweist auf die Rechtsprechung des bisherigen Kostensenats
des Sächsischen LSG.
Dem Senat haben die Akten des Kostenfestsetzungsverfahrens einschließlich des Erinnerungsverfahrens und des PKH-Beihefts sowie
die Akten der SG-Verfahren vorgelegen.
II.
1. Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat der an sich nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zuständige Einzelrichter die Sache zur Entscheidung auf den Senat übertragen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 2 RVG).
2. Die Beschwerde ist entgegen der Rechtsmittelbelehrung des SG statthaft und auch im Übrigen zulässig. §
197 Abs.
2 SGG ist von vornherein nicht einschlägig, denn diese Norm bezieht sich allein auf die Kostenfestsetzung im Verhältnis der Beteiligten
des Klageverfahrens untereinander, nicht jedoch auf die Festsetzung der PKH-Vergütung eines beigeordneten Rechtsanwalts (vgl.
hierzu Senatsbeschluss vom 13.03.2013 - L 8 AS 179/13 B KO - juris RdNr. 7). Auch §
178 Satz 1
SGG steht einer Beschwerde nicht entgegen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschluss vom 22.04.2013 - L 8 AS 527/12 B KO - juris RdNr. 13). Zwar entscheidet nach dieser Norm das SG über Erinnerungen gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle endgültig; die Vorschrift wird jedoch von §
56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG für die PKH-Vergütungsfestsetzung als speziellerer Norm verdrängt. Dieses Verhältnis ist seit 01.08.2013 durch § 1 Abs. 3 RVG ausdrücklich klargestellt.
3. Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat die an den Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen nicht in zu niedriger Höhe festgesetzt.
a) Eine fiktive Terminsgebühr ist nicht angefallen. Nach der amtlichen Anmerkung Nr. 3 zu Nr. 3106 VV RVG (in der hier anwendbaren, bis zum 31.07.2013 geltenden, Fassung) entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn das Verfahren nach
angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.
So liegt es hier indessen nicht: Das Verfahren endete nicht durch ein angenommenes Anerkenntnis im Sinne von §
101 Abs.
2 SGG, sondern erst durch die Rücknahme der Klage im Übrigen. Denn als solche ist die "Erledigungserklärung" des Klägers - jedenfalls
in, wie hier, nach §
183 SGG kostenprivilegierten Verfahren - prozessual zu verstehen (vgl. Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl., §
102 RdNr. 3). Für derartige prozessuale Gestaltungen - Beendigung eines Verfahrens durch die Annahme eines Teilanerkenntnisses
und nachfolgende Teilrücknahme - fällt keine fiktive Terminsgebühr an. An der entsprechenden Rechtsprechung des Sächsischen
LSG (vgl. etwa Beschluss vom 27.03.2012 - L 6 AS 75/11 B KO - nicht veröffentlicht; ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 03.05.2011 RdNr. 18 - L 2 SF 140/10 E; Thüringer LSG, Beschluss vom 29.07.2009 - L 6 B 15/09 SF - juris RdNr. 2; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.12.2013 - L 19 AS 1972/13 B - juris RdNr. 29) hält der Senat fest.
Der Rechtsbegriff "angenommenes Anerkenntnis" in Nr. 3106 VV RVG meint die vollumfängliche Erledigung eines Rechtsstreits in der Hauptsache im Sinne des §
101 Abs.
2 SGG. Die Gegenauffassung, die vorrangig darauf abstellt, dass auch bei der Beendigung eines Verfahrens durch Annahme eines Teilanerkenntnisses
und Abgabe einer Teilrücknahmeerklärung die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entbehrlich werde, womit der von der
fiktiven Terminsgebühr verfolgte Zweck - Vermeidung von unnötigen gerichtlichen Terminen - erreicht werde (vgl. etwa SG Trier,
Beschluss vom 04.07.2012 - S 6 SB 362/08 - juris RdNr. 37), berücksichtigt nicht, dass sich nur bei der Annahme eines "vollen" Anerkenntnisses der Rechtstreit in
der Hauptsache ohne jegliche weitere Prozesshandlungen erledigt (§
101 Abs.
2 SGG). Demgegenüber ist bei der Annahme eines Teilanerkenntnisses für die Beendigung des Verfahrens eine weitere prozessuale Erklärung
seitens des Klägers erforderlich, deren Abgabe der freien Disposition des Klägers unnterliegt. Gibt der Kläger die verfahrensbeendende
Erklärung über den nach Annahme des Teilanerkenntnisses noch anhängigen (Rest-)Streitgegenstand nicht ab, bleibt das Verfahren
weiter anhängig. Es genügt daher nicht, dass irgendwann im Verfahren ein Teilanerkenntnis erklärt wurde und das Verfahren
dann - wie hier - auf andere Weise endet. Denn die fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3106 Nr. 3 VV RVG soll - wie der Gesetzgeber im Zuge des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes klargestellt hat - dem Anwalt das Interesse
nehmen, ein Anerkenntnis nur deshalb nicht anzunehmen, um einen Termin zu erzwingen, in dem er lediglich die Annahme des Anerkenntnisses
erklärt (vgl. BT-Drs. 17/11471, S. 275). So liegt es dagegen nicht, wenn - wie bei einem lediglich teilweisen Anerkenntnis
- auch nach Annahme des Anerkenntnisses noch Teile des Streitgegenstandes offen sind. Da der Regelung der Nr. 3106 VV RVG (auch in der bis 31.07.2013 geltenden Fassung) nicht zu entnehmen ist, dass jegliche Verfahrensbeendigung ohne mündliche
Verhandlung mit einer fiktiven Terminsgebühr honoriert werden soll, kann die Verfahrensbeendigung durch Klagerücknahme keine
fiktive Terminsgebühr auslösen.
b) Die weiteren Gebühren- und Auslagentatbestände sind jedenfalls nicht zu niedrig festgesetzt. Auch der Beschwerdeführer
hat insoweit keine Einwendungen vorgebracht.
III.
Diese Entscheidung ergeht gebührenfrei (§ 56 Abs. 2 Satz 2 RVG). Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).
Die vom Beschwerdeführer beantragte Zulassung einer "Rechtsbeschwerde" ist von Gesetzes wegen ausgeschlossen. Denn nach §
56 Abs. 2 Satz 1 RVG i. V. m. § 33 Abs. 4 Satz 3 RVG findet keine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes statt (vgl. Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.06.2010
- XII ZB 75/10 - juris RdNr. 4; Mayer in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., § 33 RdNr. 19; Hartmann, Kostengesetze, 43. Aufl., § 33 RVG RdNr. 28.)