Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
Ablehnungsbescheid nach erneuter Antragstellung während eines laufenden Rentenverfahrens wird nicht Gegenstand des sozialgerichtlichen
Verfahrens
Tatbestand:
Die am ... 1952 geborene Klägerin ist gelernte Wirtschaftsgehilfin mit Teil-Facharbeiterabschluss. Sie war als Wirtschaftsgehilfin,
Mulifahrerin, Gabelstaplerfahrerin und Binderin beschäftigt. Sie arbeitete zuletzt bis 1991 als Adjustiererin beim VEB W.
H. (Rechtsnachfolger: ... GmbH). Seitdem ist die Klägerin arbeitslos, unterbrochen von AB-Maßnahmen, einem so genannten Ein-Euro-Job
und einer Umschulung. Außerdem bestand im Zeitraum von 1998 bis 1999 ein befristetes Arbeitsverhältnis über die Dauer von
sechs Monaten als Mitarbeiterin der Produktion, welches nicht verlängert wurde.
Am 13. November 2007 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Erwerbsminderungsrente. Im Antragsformular gab
sie an, sich wegen einer Total-Operation, Durchblutungsstörungen, Verengung der Blutgefäße, Netzhaut-Operation, Nackenwirbel-Verkrümmung
und wegen eines Bandscheibenvorfalls seit 2007 erwerbsgemindert zu fühlen. Sie könne höchstens zwei bis drei Stunden täglich
erwerbstätig sein.
Die Beklagte veranlasste die Begutachtung der Klägerin durch Frau Dr. S., Fachärztin für Allgemeinmedizin und Gutachterin
bei ihrem Sozialmedizinischen Dienst H. Im Gutachten vom 18. Februar 2008 diagnostizierte sie ein chronisches Lendenwirbelsäulenschmerzsyndrom
bei bekannter Facettengelenksarthrose mit leichtgradiger Leistungseinschränkung, eine chronisch ischämische Herzerkrankung
und Fingergelenksarthrosen rechts. Die Fingergelenke der rechten Hand seien diskret verschwollen. Der Faustschluss sei vollständig
möglich. Im Übrigen seien die großen Gelenke aktiv und passiv frei beweglich. Das Gangbild sei flüssig und unauffällig. Der
Finger-Boden-Abstand betrage 20 cm, das Zeichen nach Schober 10/15 cm. Zehen-, Fersen- und Einbeinstand seien ausführbar.
Neurologische Auffälligkeiten bestünden nicht. Eine Lungenfunktionsstörung stelle sich nicht dar. Die Klägerin habe in 14
Minuten eine Wegstrecke von 504 Metern zurückgelegt. Sie habe danach über Schmerzen im linken Hüft- und Kniegelenk geklagt.
Trotz Korrektur betrage der Visus auf beiden Augen unter 0,3. Die Klägerin könne leichte Tätigkeiten mit weiteren Einschränkungen
sechs Stunden und mehr täglich verrichten.
Mit Bescheid vom 3. März 2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Hiergegen wandte sich die Klägerin am 2. April 2008 mit Widerspruch.
Sie trug vor, sie sei bereits vom Fahren des Gabelstaplers aus gynäkologischen Gründen befreit gewesen. Sie leide zudem an
Gleichgewichtsstörungen, weshalb sie nicht in der Lage sei, einer Arbeit nachzugehen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass unter
Berücksichtigung aller erhobenen Befunde ärztlicherseits noch ein mehr als sechsstündiges Leistungsvermögen für körperlich
leichte Tätigkeiten festgestellt worden sei. Der Beruf als Gabelstaplerfahrerin unterläge nicht den Regelungen zum Berufsschutz.
Die Tätigkeit sei den ungelernten Tätigkeiten zuzuordnen. Einer konkreten Verweisung bedürfe es nicht.
Einen weiteren Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente vom 7. August 2008 wegen einer angegebenen starken Verschlechterung
des Gesundheitszustandes mit einer angenommenen Leistungsminderung ab Februar 2008 wegen Durchblutungsstörungen, Herzgefäßverengungen,
Sehschwäche, Nackenwirbelverengung, Bandscheibenvollfall und gynäkologischer Total-Operation lehnte die Beklagte mit Bescheid
vom 20. April 2009 ab. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist.
Die Klägerin hat am 27. April 2009 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, sie könne aufgrund eines schlechten Sehvermögens keinen PKW mehr fahren. Sie leide an einem
Bandscheibenvorfall im Bereich der Halswirbelsäule (HWS). Sie könne ihren linken Arm kaum gebrauchen. Sechs Stunden Tätigkeit
halte sie nicht aus. Es bestünden Gleichgewichtsstörungen und die Herzgefäße seien zu 40 % verengt.
Die Klägerin hat sich am 7. September 2009 wegen eines unklaren Visusabfalls links in die Sprechstunde der Universitätsklinik
und Poliklinik in H. begeben. Der Visus betrage nach der Epikrise über die Behandlung rechts 0,05, links 1/30. Der klinische
Befund und die Angaben der Klägerin seien nicht komplett vereinbar. Es sei in der kranialen Bildgebung kein morphologisches
Korrelat zur Erklärung der Visuseinschränkung gefunden worden.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung von sachverständigen Zeugenauskünften der die Klägerin behandelnden Ärzte. Herr Dipl.
Med. E., Facharzt für Orthopädie, hat am 29. Oktober 2009 von einem rezidivierenden Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom mit
wechselnden Funktionsstörungen bei degenerativen Veränderungen berichtet. Es könne aktuell davon ausgegangen werden, dass
leichte Tätigkeiten sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich möglich seien. Herr Dr. S., Facharzt für Allgemeinmedizin,
hat am 10. Dezember 2009 eine Netzhautablösung (Ablatio retinae) am rechten Auge in den Jahren 1998 und 2008 mitgeteilt. Das
rechte Auge nehme seitdem nur noch hell und dunkel wahr. Links betrage der Visus 0,5. Frau Dr. H., Fachärztin für Augenheilkunde,
hat am 12. Januar 2010 von einem Visusabfall auf dem rechten Auge im August 2008 bei fast totaler Netzhautablösung mit einer
Sehschärfe von 1/60 berichtet. Es sei postoperativ ein leichter Visusanstieg auf bestens 0,1 erreicht worden. Für einen Visusabfall
links auf 1/36 - und zuletzt 1/50 - sei keine Ursache gefunden worden.
Im vom SG angeordneten augenfachärztlichen Gutachten vom 9. Juni 2011 hat der Facharzt für Augenheilkunde und Arbeitsmedizin Herr Priv.
Doz. Dr. M. folgende Diagnosen gestellt: hohe Kurzsichtigkeit beidseits, degenerative Myopie, Stabsichtigkeit, Zustand nach
Netzhautablösung rechts 1998 mit Plombenaufnähung und 2008 mit Plombenentfernung und Cerclage, Kunstlinse rechts, Gesichtsfelddefekte
beidseits und Farbsinnstörung. Die Klägerin habe angegeben, erblindet zu sein. Sie könne nicht allein ausgehen und einkaufen.
Ihr Mann begleite sie. Der Visus sei rechts mit 1/36 und links mit 1/50 zu ermitteln. Bei der Projektionsperimetrie habe eine
erschwerte Compliance vorgelegen. Die Angaben der Klägerin bei der Ermittlung des Gesichtsfeldes entsprächen nicht den physiologisch-optischen
Gesetzen. Es bestünde eine Diskrepanz zwischen den subjektiven Angaben der Klägerin und den objektiven Befunden. Die starke
Visusherabsetzung rechts könne hinreichend erklärt sein. Nach Abhebung zentraler Netzhautbezirke sei durch das Absterben von
wichtigen Nervenzellen des Zentrums keine gute Sehschärfe mehr zu erreichen. Es bestünde links kein Anhalt für einen Sehnervenschwund,
für einen Schaden an der schärfsten Stelle des Sehens oder für eine Netzhautablösung. Der Visus von 1/50 sei nicht durch den
Befund erklärbar. Eine Aggravation könne nicht ausgeschlossen werden. Die Klägerin sei beobachtet und unbeobachtet nicht blind.
Sie greife gezielt nach Gegenständen, finde sich in unbekannter Umgebung zurecht und setze sich nach Aufforderung auf den
richtigen Stuhl. Der Gutachter hat eine stationäre Begutachtung empfohlen.
Das SG hat zudem eine Arbeitgeberauskunft der ... GmbH eingeholt. Auf Blatt 91 ff der Gerichtsakte wird verwiesen.
Mit einer erneuten Begutachtung der Klägerin auf augenärztlichem Fachgebiet hat das SG den Oberarzt Dr. W., tätig an der Klinik und Poliklinik des Universitätsklinikums M., beauftragt. Im Gutachten vom 4. April
2012 hat der Facharzt für Augenheilkunde folgende Diagnosen gestellt: Aggravation, hohe Achsenmyopie (Kurzsichtigkeit), Astigmatismus
(Stabsichtigkeit), Zustand nach Plombenentfernung rechts, Cerclage (Augapfelumgürtelung) rechts, Phakoemulsifikation (grauer
Star-Operation) rechts, Kunstlinsen-Implantation und glaskörperchirurgischer Eingriff rechts 2008, rissbedingte Netzhautablösung
bei Zustand nach Plombenaufnähung bei Netzhautablösung 1998 und Netzhautdegeneration der Netzhautmitte rechts. Am linken Auge
bestünde eine Glaskörperanheftung in der Netzhautmitte mit Glaskörperzug. Die ermittelte Sehschärfe betrage für die Ferne
rechts 1/20 mit Korrektur, links 1/30. Bei der Sehschärfe für die Nähe habe die Klägerin keine Sehzeichen erkannt. Die Gesichtsfeldaußengrenzen
seien konzentrisch eingeschränkt auf ca. 20 Grad angegeben worden. Die Klägerin finde sich im freien Raum und in ihr unbekannten
Räumen gut zurecht, gebe zielgerichtet die Hand, könne im Raum stehende Gegenstände ohne Probleme umgehen und folge dem Untersucher
in den ihr unbekannten Gängen der Augenklinik bei guter wie schlechter Beleuchtung ohne Probleme. Die Klägerin lese die aktuelle
Medikation von einem bedruckten Kärtchen ab. Die Sehschärfen- und Gesichtsfeldangaben stimmten nicht mit den morphologisch-anatomischen
und funktionellen Befunden überein. Es könne aufgrund der Untersuchungen davon ausgegangen werden, dass am rechten Auge eine
Sehschärfe im Bereich von 0,1 und am linken Auge von mindestens 0,5 bestünde. Es sei zudem von nahezu normalen Gesichtsfeldaußengrenzen
auszugehen. Es könne daher jegliche Tätigkeit verrichtet werden, die keiner erhöhten Sehanforderung bedürfe. Das Führen von
gewerblichen Fahrzeugen sei nicht zulässig. Das private Führen von Kfz sei aufgrund der geschätzten Sehfunktion mit Tragen
einer Korrektur statthaft. Das längere Lesen sehr kleiner Texte oder am PC sei nur mit optischen Hilfsmitteln realisierbar.
Leichte Sortierarbeiten oder Bürotätigkeiten könne die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten.
Die Klägerin bezieht seit dem 1. April 2013 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen.
Mit Urteil vom 23. Januar 2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig, soweit sie den Bescheid vom 20. April 2009 betreffe. §
96 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) sei nicht einschlägig, da der Bescheid vom 20. April 2009 den Bescheid vom 3. März 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 7. April 2009 nicht abgeändert noch ersetzt habe. Ein auf einen erneuten Antrag ergehender zweiter Ablehnungsbescheid
sei nicht (mehr) nach §
96 SGG einzubeziehen. Im Übrigen sei die Klage unbegründet, da die Klägerin seit 2007 noch in der Lage gewesen sei, sechs Stunden
täglich erwerbstätig zu sein. Die Kammer folge den Gutachten der Frau Dr. S. und des Herrn Dr. W. Dass die Klägerin nicht
nahezu blind sei, wie von ihr behauptet, ergäbe sich insbesondere nach den augenärztlichen Begutachtungen. Ein Anspruch auf
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bestünde nicht, da die Klägerin höchstens als Angelernte im
unteren Bereich einzustufen und in der Lage sei, leichte Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
mindestens sechs Stunden täglich auszuüben.
Die Klägerin hat am 15. April 2013 gegen das ihr am 2. April 2013 zugestellte Urteil Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
eingelegt. Sie leide an einer schweren Augenerkrankung beider Augen und sei hochgradig sehbehindert. Es existierten deshalb
nur wenige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, welche ihr noch angeboten werden könnten. Es handele sich um eine
schwere spezifische Leistungsbehinderung. Sie könne nicht unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig
sein. Es sei die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 31. Januar 2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. März 2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung,
hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab dem
1. November 2007 bis zum 31. Juli 2008 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf das erstinstanzliche Vorbringen und auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil.
Der Senat hat Befundberichte der die Klägerin behandelnden Ärzte eingeholt. Herr Dr. V., Facharzt für Augenheilkunde, hat
im August 2014 eingeschätzt, die Klägerin könne unter Berücksichtigung der augenärztlichen Befunde nicht auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt tätig sein. Eine Beschäftigung in einem Blindenberuf sei denkbar. Dem Gutachten des Herrn Dr. W. sei nicht zu
entnehmen, worauf dieser den Vorwurf der Aggravation stütze. Die bloße Diskrepanz von objektiven Befunden und subjektiven
Angaben genüge nicht zwangsläufig. Die Beweiskette sei nicht vollständig dargelegt.
Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte der Beklagten und die Verwaltungsakte des Versorgungsamtes haben vorgelegen und sind
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der
Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §
143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Zunächst ist auszuführen, dass über die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20. April 2009 nicht zu befinden ist. Dieser Bescheid
war nicht Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gemäß §
86 SGG, da jenes mit dem Erlass des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2009 abgeschlossen war. Der Bescheid ist insbesondere nicht
gemäß §
96 Abs.
1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des Klage- und damit auch des Berufungsverfahrens geworden. Danach wird ein neuer Verwaltungsakt
nach Klageerhebung nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und
den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Der Anwendbarkeit von §
96 SGG steht zunächst nicht entgegen, dass der Bescheid vom 20. April 2009 im Zeitraum zwischen Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides
und Klageerhebung am 27. April 2009 ergangen ist. Die Einbeziehung des Bescheides vom 20. April 2009 in analoger Anwendung
von §
96 Abs.
1 SGG kommt dennoch nicht in Betracht. Durch den Wortlaut von §
96 SGG in der Fassung ab dem 1. April 2008 soll nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers der Anwendungsbereich der Norm dahingehend
eingeschränkt werden, dass eine Einbeziehung eines neu ergangenen Verwaltungsaktes nur in direkter und nicht in entsprechender
Anwendung der Vorschrift erfolgen kann (vgl. BT-Drs. 16/7716, S. 18f). Die bloße Einbeziehung eines neuen Verwaltungsaktes
in das anhängige Verfahren, nur weil der neue Verwaltungsakt mit dem anhängigen Streitgegenstand in irgendeinem tatsächlichen
oder rechtlichen Zusammenhang stand, soll nach der Neufassung nicht mehr möglich sein. Eine Änderung oder Ersetzung liegt
nur vor, wenn in den im Verfügungssatz des Bescheides zum Ausdruck kommenden Regelungsgehalt des ursprünglichen Bescheides
eingegriffen wird.
Der ablehnende Bescheid, der auf einen erneuten Antrag ergeht, ist jedoch nicht nach §
96 SGG Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens, weil die Ablehnung der Leistung kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist und mit
Wirkung für die Zukunft weder geändert noch ersetzt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 19. September 2008 - B 14 AS 44/08 B; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. März 2015 - L 4 P 2196/14). Um einen solchen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelt es sich nur, wenn er über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus
Wirkungen erzeugt. Daran fehlt es, wenn lediglich die Gewährung einer Leistung abgelehnt wird, weil mit der Ablehnung eines
Antrages die Rechtslage nur einmalig gestaltet und das Bestehen eines Leistungsverhältnisses gerade verneint wird (BSG, Urteil vom 30. Januar 1985 - 1 RJ 2/84). Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist bei der Ablehnung von Leistungen ohne zeitliche Beschränkung grundsätzlich
der gesamte Zeitraum bis zum für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt. Bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen im Sinne
von §
54 Abs.
4 SGG - um eine solche handelt es sich vorliegend - ist dies grundsätzlich der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht.
Dies gilt jedoch nicht, sofern zwischenzeitlich ein neuer Antrag auf Leistungen gestellt worden ist. Dann hat sich der angefochtene
und streitbefangene Vorbescheid für den vom Neuantrag erfassten Zeitraum gemäß § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) auf andere Weise erledigt.
Die Klägerin stellte am 7. August 2008 erneut einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Der Eintritt eines
Leistungsfalls ist daher für den Zeitraum ab Antragstellung nicht mehr entscheidungsrelevant, da sich der streitgegenständliche
Bescheid ab dem Zeitpunkt der erneuten Antragstellung, der dann vom Folgebescheid erfasst ist, erledigt hat. Unter Berücksichtigung
des zuletzt gestellten Antrages der Klägerin unterliegt allein der Zeitraum vom 1. November 2007 bis 31. Juli 2008 der gerichtlichen
Prüfung.
Der Bescheid vom 20. April 2009 ist auch nicht im Wege der Klageänderung gemäß §
99 Abs.
1 SGG Gegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens geworden. Die Klägerin hat eine Einbeziehung des Bescheides zuletzt nicht mehr
beantragt. Darüber hinaus wäre eine Änderung der Klage (auch in der Berufungsinstanz) nur zulässig, wenn die übrigen Beteiligten
einwilligen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Unabhängig davon setzte die Klageänderung aber eine Zulässigkeit
der neuen Klage auch durch ein abgeschlossenes Vorverfahren voraus, woran es im vorliegenden Fall noch fehlt.
Der unklare Visusabfall auf dem linken Auge, den die Klägerin im September 2009 beklagte, ist daher im Rahmen der erneuten
Antragstellung - nicht jedoch im hiesigen Klage- bzw. Berufungsverfahren zu prüfen. Hingegen müssen die Funktionseinschränkungen
aufgrund der Netzhautablösung am rechten Auge im Juli 2008 im Rahmen des Berufungsverfahrens in die Beurteilung einfließen.
Die Berufung ist unbegründet, weil der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 3. März 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 7. April 2009 rechtmäßig ist und die Klägerin nicht im Sinne der §§
153,
54 Abs.
2 Satz 1
SGG beschwert. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Die Klägerin hat im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
Gemäß §
43 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGB VI haben Versicherte, wenn die entsprechenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vorliegen, einen Anspruch auf eine Rente
wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind. Dies erfordert gemäß §
43 Abs.
1 Satz 2
SGB VI, dass sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des
allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Die Voraussetzungen sind vorliegend für
den Zeitraum ab Antragstellung nicht erfüllt. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin in der Lage war, mindestens
sechs Stunden täglich wenigstens körperlich leichte Arbeiten zu verrichten. Nach den medizinischen Ermittlungen ergibt sich
für den Senat folgendes Leistungsbild: Die Klägerin konnte im gelegentlichem Wechsel der Körperhaltung, ohne häufiges Bücken,
ohne Zwangshaltungen, ohne Gerüst- und Leiterarbeiten, ohne Arbeiten an laufenden Maschinen und ohne Arbeiten mit hohen Anforderungen
an die feinmotorische Geschicklichkeit der rechten Hand erwerbstätig sein. Auszuschließen waren zudem Akkordarbeiten, Tätigkeiten
mit anhaltendem hohen psychischen Stress und Arbeiten mit besonderen Anforderungen an das Sehvermögen. Im Rahmen der Erwerbstätigkeit
ist eine gute Beleuchtung sicherzustellen.
Hinsichtlich der Leistungseinschätzung folgt der Senat aufgrund eigener Urteilsbildung den schlüssigen und überzeugenden Gutachten
von Frau Dr. S. und Herrn Dr. W. Diese Gutachten stehen im Einklang mit den vorliegenden Befundberichten des Hausarztes und
des Orthopäden sowie dem Gutachten von Herrn Priv. Doz. Dr. M. Allein die Ärzte des Augenzentrums sahen keine hinreichende
Belastbarkeit der Klägerin für eine Erwerbstätigkeit. Der Einschätzung der behandelnden Augenärzte vermochte der Senat jedoch
nicht zu folgen; dies auch unter Berücksichtigung des Aspekts, dass deren Leistungsbeurteilung einen Gesundheitszustand betrifft,
dem die hier nicht entscheidungsrelevante von der Klägerin dargelegte Verschlechterung des Sehvermögens auf dem linken Auge
zugrunde liegt.
Bei der Klägerin lagen im hier zu prüfenden Zeitraum folgende Gesundheitsstörungen vor, die ihr Leistungsvermögen im Erwerbsleben
beeinflussten: hohe Achsenmyopie (Kurzsichtigkeit), Astigmatismus (Stabsichtigkeit), Zustand nach Plombenentfernung rechts,
Cerclage (Augapfelumgürtelung) rechts, Phakoemulsifikation (grauer Star-Operation) rechts, Kunstlinsen-Implantation und glaskörperchirurgischer
Eingriff rechts 2008, rissbedingte Netzhautablösung bei Zustand nach Plombenaufnähung bei Netzhautablösung 1998 und Netzhautdegeneration
der Netzhautmitte rechts sowie Glaskörperanheftung in der Netzhautmitte mit Glaskörperzug am linken Auge. Zudem bestanden
ein wiederkehrendes Hals- und Lendenwirbelsäulensyndrom und Fingergelenksarthrose rechts.
Soweit im Jahr 2007 eine geringgradige koronare Herzkrankheit diagnostiziert wurde, ergaben sich im Rahmen der Begutachtung
durch Frau Dr. S. keine weiteren Auffälligkeiten in den klinischen und in den paraklinischen Befunden. Ödeme waren nicht feststellbar.
Das EKG zeigte keinen auffälligen Kurvenverlauf. Die Klägerin war im Laufband-Gehstreckentest belastbar. Eine wesentliche
Veränderung ist diesbezüglich vom Hausarzt nicht mitgeteilt worden. Eine laufende internistische Facharztbehandlung hat die
Klägerin nicht angegeben.
Orthopädische Probleme standen ebenfalls nicht im Vordergrund. Die Klägerin war von August 2008 bis Juni 2009 dreimal wegen
Beschwerden im Hals- und Lendenwirbelsäulen-Bereich und im Februar 2011 wegen Leistenschmerzen rechts bei Herrn Dipl.- Med.
E. vorstellig. Dabei war die Seitneige der HWS endgradig eingeschränkt. Es fanden sich Muskelhärten der langen Rückenstrecker.
Neurologische Auffälligkeiten bestanden nicht. Röntgenologisch stellten sich Arthrosen der kleinen Wirbelgelenke der HWS und
Facettengelenksarthrose L4/5 sowie im CT-Befund aus dem Jahr 2002 eine Bandscheibenvorwölbung bei L5/S1 dar. Ein Bandscheibenvorfall
oder eine Enge des Spinalkanals waren nicht vorhanden. Der Orthopäde hatte hinsichtlich einer Erwerbstätigkeit im Umfang von
sechs Stunden täglich bei leichten Tätigkeiten keine Bedenken. Damit im Einklang steht das Gutachten von Frau Dr. S. Die Klägerin
hatte über Schmerzen der Lendenwirbelsäule (LWS) geklagt. Außerdem träten gelegentlich Schwierigkeiten beim Zufassen auf.
Diesbezüglich fand sich eine diskrete Schwellung der Fingermittelgelenke der rechten Hand, wobei der Faustschluss vollständig
ausführbar war. Die LWS war nicht wesentlich bewegungseingeschränkt. Das Gangbild war unauffällig. Es fanden sich keine neurologischen
Störungen. Die Extremitäten waren aktiv und passiv frei beweglich. Mit Hilfe der vorliegenden Befunde auf orthopädischem Fachgebiet
lässt sich eine quantitative Leistungsminderung nicht begründen. Die Einschätzung der Gutachterin und des behandelnden Orthopäden
ist daher vollkommen plausibel.
Vielmehr ist die von der Klägerin noch nicht in der Antragstellung im November 2007 und im Widerspruchsschreiben aus dem April
2008, aber mit der erneuten Antragstellung im August 2008 und im April 2009 in den Focus gerückte Sehbehinderung - wenn auch
nicht rentenrelevant - qualitativ leistungseinschränkend. Es bestehen Einschränkungen der Sehfunktion. Diesbezüglich fällt
die erneute Netzhautablösung rechts im Juli 2008 - nach den oben dargestellten rechtlichen Ausführungen - in den prüfungsrelevanten
Zeitraum, nicht hingegen die von der Klägerin im September 2009 beklagte unklare Visusminderung des linken Auges. Der Senat
schließt sich der Beurteilung des Herrn Dr. W. an. Das darin ermittelte Sehvermögen unter Beachtung einer erneuten Netzhauablösung
rechts ist vergleichbar mit den Feststellungen in den vorhandenen medizinischen Unterlagen, betreffend die Sehtests im Februar
und April 2008 hinsichtlich des linken Auges und im Juli, August und September 2008 sowie Januar 2009 hinsichtlich beider
Augen. Rechts ist nach einer schweren vollständigen Netzhautablösung von einer erheblichen Verminderung der Sehfunktion auszugehen.
Eine Sehschärfenminderung auf dem linken Auge resultiert nach den überzeugenden Ausführungen des Herrn Dr. W. aus der Anheftung
der hinteren Glaskörpergrenzmembran am Ort des schärfsten Sehens mit geringer Flüssigkeitseinlagerung.
Offen bleiben können die Hintergründe der erschwerten Compliance bei der Projektionsperimetrie (Herr Dr. M.) und dem Widerspruch
zu physiologisch-optischen Gesetzen (Herr Dr. M. und Herr Dr. W.). Jedenfalls stellten beide augenfachärztliche Gutachter
eine hinreichende Orientierungsfähigkeit der Klägerin mit gezieltem Greifen, Zurechtfinden in unbekannten Örtlichkeiten, Umgehen
von Hindernissen und Setzen auf den zugewiesenen Stuhl fest. Die Klägerin konnte auch von einem bedruckten Kärtchen Medikamentenbezeichnungen
mit einer Schriftgröße von ca. 2 mm ablesen. Sie gab gegenüber Herrn Dr. W. an, seit der Verschlechterung des Sehvermögens
auf dem linken Auge im Jahr 2009 keinen Pkw mehr zu führen. Auch dem Gutachten der Frau Dr. S. aus dem Februar 2008 ist die
Information der Klägerin zu entnehmen, dass sie sehr kurze Strecken mit dem Auto fahre. Das somit festgestellte Sehvermögen
führte nicht zu einer quantitativen Leistungsminderung. Auch waren der Klägerin nicht lediglich Blindenberufe möglich. Vielmehr
findet sich nur ein qualitativer Leistungsausschluss bei Tätigkeiten, die besondere Anforderungen an das Sehvermögen stellen.
Mit einem Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich war die Klägerin aber weder voll noch teilweise erwerbsgemindert
im Sinne von §
43 Abs.
1, Satz 2 und Abs.
2 Satz 2
SGB VI.
Die Klägerin war insbesondere auch nicht deshalb voll erwerbsgemindert, weil sie trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens
nicht mehr unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein konnte. Es lagen - entgegen der Ausführungen
der Klägerin - keine schwere spezifischen Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen
vor. Das Restleistungsvermögen der Klägerin reichte nämlich noch für Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten
ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen sowie Bürohilfsarbeiten aus (vgl. die Aufzählung
in dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996, GS 2/95, BSGE 80, 24, 33f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt in BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R). Jenes belegen die Gutachten von Frau Dr. S. und von Herrn Dr. W.
Es liegt auch keiner der in der Rechtsprechung anerkannten sog. Katalogfälle vor, die die Einsatzfähigkeit unter den üblichen
Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausschließen (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R). Die Klägerin ist nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Die Gehfähigkeit gibt
sie zwar als eingeschränkt an; sie kann aber viermal arbeitstäglich einen Fußweg von mehr als 500 Meter am Stück vor und nach
einer Arbeitsschicht zu und von einem öffentlichen Verkehrsmittel bzw. zum und vom Arbeitsplatz ohne unzumutbare Beschwerdezustände
in jeweils längstens 20 Minuten zurücklegen. Auf orthopädischem Fachgebiet sind keine Befunde erhoben worden, die Einschränkungen
der Wegefähigkeit plausibel erscheinen lassen würden. Es handelt sich um weitgehend reversible Beschwerden. Der Laufband-Gehstreckentest
ergab eine von der Klägerin in 14 Minuten zurückgelegte Wegstrecke von 504 Meter. Sie findet sich nach den Feststellungen
der Gutachter auch in ihr unbekannten Räumen zurecht, kann Hindernisse umgehen und ist somit in der Lage, den Arbeitsweg zurückzulegen.
Die Klägerin erfüllte die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
gemäß §
240 SGB VI ebenfalls nicht. Danach haben Versicherte bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze
auch Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie vor dem ... 1961 geboren und berufsunfähig sind. Die Klägerin
ist zwar vor diesem Datum am ... 1952 geboren. Sie ist aber nicht berufsunfähig gewesen (§
240 Abs.
2 SGB VI).
Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit vom bisherigen Beruf der Versicherten auszugehen. Es ist zu prüfen, ob sie diesen
Beruf ohne wesentliche Einschränkungen weiterhin ausüben können. Sind sie hierzu aus gesundheitlichen Gründen nicht in der
Lage, ist der qualitative Wert des bisherigen Berufs dafür maßgebend, auf welche Tätigkeiten die Versicherten verwiesen werden
können (vgl. BSG, Urteil vom 24. Januar 1994 - 4 RA 35/93 - SozR 3-2200 § 1246 Nr. 41; Urteil vom 16. November 2000 - B 13 RJ 79/99 R - SozR 3-2600 § 43 Nr. 23, S. 78). Bisheriger Beruf ist in der Regel die letzte nicht nur vorübergehende versicherungspflichtige
Beschäftigung oder Tätigkeit. Dabei ist nicht unbedingt auf die letzte Berufstätigkeit abzustellen, sondern auf diejenige,
die bei im Wesentlichen ungeschwächter Arbeitskraft nicht nur vorübergehend eine nennenswerte Zeit ausgeübt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 1985 - 4a RJ 53/84 - SozR 2200 § 1246 Nr. 130). Bisheriger Beruf der Klägerin in diesem Sinne ist deren Tätigkeit als Adjustiererin, die sie zuletzt versicherungspflichtig
und unbefristet ausgeübt hat. Dies ist dem Arbeitsvertrag mit der Klägerin aus dem Jahr 1991 und dem Änderungsvertrag aus
dem Jahr 1987 zu entnehmen, die von der ... GmbH zu den Gerichtsakten gereicht wurden. Diese Tätigkeit kann die Klägerin nicht
mehr verrichten, da sie nicht ihrem Restleistungsvermögen entspricht. Es handelt sich nach den Angaben der ... GmbH um eine
mittelschwere Arbeit, die teilweise unter Zwangshaltungen erfolgt.
Damit ist die Klägerin jedoch noch nicht berufsunfähig. Sie ist zumutbar auch auf ungelernte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes
verweisbar. Auf welche anderen Berufstätigkeiten ein Versicherter nach seinem fachlichen und gesundheitlichen Leistungsvermögen
noch zumutbar verwiesen werden kann, beurteilt das BSG nach einem von ihm entwickelten Mehrstufenschema (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 - B 4 RA 5/04 R - juris). Die soziale Zumutbarkeit eines Verweisungsberufs richtet sich nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufs.
Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe in Gruppen eingeteilt, wobei der Stufenbildung im Ansatz die zur Erreichung einer bestimmten Qualifikation normalerweise
erforderliche Ausbildung zugrunde gelegt wurde. Sozial zumutbar sind grundsätzlich nur Tätigkeiten der im Verhältnis zum bisherigen
Beruf gleichen oder nächst niederen Stufe (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 1991 - 5 RJ 34/90 - SozR 3-2200 § 1246 Nr. 17). Dabei werden folgende Stufen unterschieden: Ungelernte Berufe (Stufe 1); Berufe mit einer Ausbildung
bis zu zwei Jahre (Stufe 2); Berufe mit einer Ausbildung von mehr als zwei Jahren (Stufe 3); Berufe, die zusätzliche Qualifikationen
oder Erfahrungen oder den erfolgreichen Besuch einer Fachschule voraussetzen (Stufe 4), zu ihr gehören Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion
gegenüber anderen Facharbeitern, Spezialfacharbeiter, Meister, Berufe mit Fachschulqualifikation als Eingangsvoraussetzung;
Berufe, die einen erfolgreichen Abschluss einer Fachhochschule oder eine zumindest gleichwertige Berufsausbildung voraussetzen
(Stufe 5); Berufe, deren hohe Qualität regelmäßig auf einem Hochschulstudium oder einer vergleichbaren Qualifikation beruht
(Stufe 6; zu diesen Stufen: BSG, Urteil vom 29. Juli 2004 - B 4 RA 5/04 R - juris). Die Stufe 2, auch als Gruppe der Angelernten bezeichnet, unterteilt die Rechtsprechung des BSG wegen der Vielschichtigkeit und Inhomogenität dieser Berufsgruppe in einen oberen und einen unteren Bereich. Dem unteren
Bereich sind alle Tätigkeiten mit einer regelmäßigen (auch betrieblichen) Ausbildungs- oder Anlernzeit von drei bis zwölf
Monaten und dem oberen Bereich dementsprechend die Tätigkeiten mit einer Ausbildungs- oder Anlernzeit von über zwölf bis zu
24 Monaten zuzuordnen (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 1994 - 13 RJ 35/93 - SozR 3-2200
§ 1246 Nr. 45). Bei Angelernten des oberen Bereichs sind im Gegensatz zu Angelernten des unteren Bereichs sowie Ungelernten
Verweisungstätigkeiten konkret zu benennen (Niesel in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht,
SGB VI, §
240 Rdnr. 101, 102).
Der Senat geht bei der Klägerin von einer ungelernten Tätigkeit mit einer Anlernzeit von bis zu drei Monaten (Ungelernte,
Stufe 1) aus. Ausschlaggebend für die Zuordnung einer bestimmten Tätigkeit zu einer der Gruppen des Mehrstufenschemas ist
allein die Qualität der verrichteten Arbeit, d.h. der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelnde qualitative Wert der
Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 - 13/5 RJ 14/90, juris). Erforderlich ist eine Gesamtschau aller möglichen Bewertungskriterien, insbesondere der Ausbildung, der tariflichen
Einstufung, der Dauer der Berufsausübung, der Höhe der Entlohnung und der Anforderungen des Berufs. Dabei waren für den Senat
die Angaben des Rechtsnachfolgers des ehemaligen Arbeitgebers der Klägerin maßgeblich. Danach ist für eine Tätigkeit als Adjustiererin,
die in der Verpackung von Versandfertigmaterial mittels Handschere, Bindeband, Messmittel und Abbindegerät besteht, eine Anlernzeit
von bis zu drei Monaten zu durchlaufen. Die Tätigkeit wurde im Allgemeinen von ungelernten Arbeitern verrichtet. Eine einschlägige
Ausbildung kann die Klägerin nicht vorweisen. Sie hatte die Anlernzeit von bis zu drei Monaten absolviert. Angesichts der
nur kurzen Einarbeitungsdauer für ungelernte Arbeitnehmer vermag auch die tarifvertragliche Entlohnung der Klägerin nach der
Lohngruppe V (Angelernte) nichts an dieser Beurteilung zu ändern. Die Wertigkeit der Tätigkeit bewegt sich in Auswertung der
Arbeitgeberauskunft im ungelernten Bereich. Als Ungelernte ist die Klägerin auf andere ungelernte Tätigkeiten - mithin den
allgemeinen Arbeitsmarkt - sozial zumutbar verweisbar.
Eine Lösung vom Beruf als Gabelstaplerin aus gesundheitlichen Gründen ist angesichts der Arbeitgeberauskunft nicht belegt,
da hier von betrieblichen Gründen die Rede ist. Darüber hinaus handelte es sich nicht um eine höherwertige Tätigkeit.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.