Sozialgerichtliches Verfahren
Rechtsanwaltsvergütung
beigeordneter Rechtsanwalt
Beiordnung unter Ausschluss bereits angefallener Gebühren
Höhe der Terminsgebühr
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren nach dem Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG) einschließlich des Vergütungsverzeichnisses (VV) hierzu, insbesondere die Höhe der Terminsgebühr, umstritten.
Der Erinnerungs- und Beschwerdeführer (im Weitern: Beschwerdeführer) vertrat in dem beim Sozialgericht Halle unter dem Aktenzeichen
S 13 R 436/11 geführten Streitverfahren ab April 2012 eine Klägerin, die die Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
nach dem
Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung) verfolgte. Mit Beschluss vom 7. Mai 2012 hob das Sozialgericht die im Rahmen der Bewilligung
von Prozesskostenhilfe (PKH) erfolgte Beiordnung der die Klägerin zunächst vertretende Prozessbevollmächtigten auf und ordnete
den Beschwerdeführer mit dessen Einverständnis unter Ausschluss der bisher angefallenen Rechtsanwaltsgebühren bei. Mit Beschluss
vom 4. Juli 2012 setzte die zuständige Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) die aus der Staatskasse der vormaligen Prozessbevollmächtigten
zu zahlende Vergütung mit 226,10 € unter Einschluss einer Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG i.H.v. 170,00 € fest. Die Klägerin wurde in dem vom Sozialgericht anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung am 17. Juni
2015 durch eine vom Beschwerdeführer beauftragte Unterbevollmächtigte vertreten. Der für 9:00 Uhr anberaumte Verhandlungstermin
dauerte von 9:05 Uhr bis 9:32 Uhr, wobei ausweislich des Terminsprotokolls nach dem Vortrag des Sachverhalts und der Erörterung
der Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten die Sachanträge gestellt wurden und nach der Beratung der Kammer hierüber durch
Urteil entschieden wurde.
Auf den Antrag des Beschwerdeführers vom 30. Juni 2015, die Gebühren und Auslagen mit insgesamt 528,36 € unter Zugrundelegung
einer Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG i.H.v. 380,00 € festzusetzen, setzte der zuständige UdG die Terminsgebühr mit 150,00 € und den Gesamtbetrag mit 254,66 €
fest (Beschluss vom 26. Oktober 2015). Mit der am 17. November 2015 eingegangenen Erinnerung machte der Beschwerdeführer die
Differenz zwischen den festgesetzten und den beantragten Gebühren i.H.v. 273,70 € mit der Begründung geltend, die Streitsache
sei von erheblicher Bedeutung für die Klägerin und damit überdurchschnittlich gewesen.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 20. September 2019 die Vergütung aus der PKH gegen den Erinnerungsführer i.H.v. 314,16
€ unter Anrechnung bereits erhaltener Leistungen festgesetzt und die Erinnerung im Übrigen zurückgewiesen. Die Erinnerung
sei insoweit teilweise begründet, als die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG a.F. innerhalb des Gebührenrahmens von 20,00 € bis 380,00 € in Höhe der Mittelgebühr i.H.v. 200,00 € festzusetzen sei. Dabei
seien Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin sowie die Einkommens-
und Vermögensverhältnisse der Klägerin und ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwaltes dabei zu berücksichtigen gewesen.
Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit habe mit einer Terminsdauer von 27 Minuten leicht unter dem Durchschnitt gelegen, die
tatsächliche und rechtliche Problematik im Termin werde auch gleichsam als durchschnittlich schwierig eingestuft. Im Verhandlungstermin
habe offensichtlich eine Auseinandersetzung mit noch kurzfristig eingeholten medizinischen Unterlagen erfolgen müssen, was
in Anbetracht des Hilfsantrages der Klägerin, noch ein orthopädisches Gutachten einzuholen, als den Termin erschwerender Umstand
gewertet werden könne. Die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin sei überdurchschnittlich gewesen, da eine Rentengewährung
auf Zeit im Raum gestanden habe, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Klägerin seien unterdurchschnittlich und ein
besonderes Haftungsrisiko des Beschwerdeführers bei der im Streit stehenden Dauerleistung vorhanden gewesen. Entgegen der
Auffassung des Beschwerdeführers hätten Umfang und Schwierigkeit sowie die Bedeutung der Angelegenheit - bezogen auf den Verhandlungstermin
- nicht als weit überdurchschnittlich eingestuft werden können.
Gegen den ihm am 30. September 2019 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 10. Oktober 2019 Beschwerde beim Sozialgericht
Halle eingelegt und die Festsetzung der Höhe der Vergütung aus der PKH gegen den Erinnerungsgegner auf insgesamt 528,36 €
unter Anrechnung bereits erhaltener Leistungen weiterverfolgt. Im vorliegenden Fall sei die Terminsgebühr in Höhe der Höchstgebühr
festzusetzen. Die Höchstgebühr falle nicht nur an, wenn sämtliche Umstände überdurchschnittlich seien. Bereits ein außergewöhnliches
Merkmal könne den Ansatz der Höchstgebühr rechtfertigen, wenn auch die übrigen Umstände nur durchschnittlich seien. Die Bedeutung
der Angelegenheit sei für die Klägerin außergewöhnlich bzw. überdurchschnittlich gewesen, da sie mit der Klage die Zahlung
einer Rente wegen voller Erwerbsminderung und damit eine die Existenz sichernde Dauerleistung verfolgt habe. Unzutreffend
gehe das Sozialgericht davon aus, dass die Einkommens-und Vermögensverhältnisse der Klägerin unterdurchschnittlich gewesen
sein. Zudem habe sich die anwaltliche Tätigkeit als besonders schwierig dargestellt. Es sei eine Auseinandersetzung mit medizinischen
Ermittlungen, die Prüfung der Voraussetzungen für eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes, einer schweren spezifischen Behinderung
oder einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen notwendig gewesen. Darüber hinaus sei der Zeitaufwand vom Beginn
des Mandats bis zur gerichtlichen Entscheidung, der für die Mandantengespräche und die Fertigung der Schriftsätze objektiv
erforderlich gewesen sei, zu berücksichtigen.
Der Beschwerdeführer beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 20. September 2019 zu ändern und unter weiterer Abänderung des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses
des Sozialgerichts Halle vom 28. Oktober 2015 die aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung auf 528,36 € abzüglich geleisteter
Zahlungen festzusetzen.
Der Beschwerde- und Erinnerungsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Die vom Beschwerdeführer begehrte Terminsgebühr in Höhe der Höchstgebühr sei weit überhöht und daher unbillig und nicht erstattungsfähig.
Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Gründe beträfen allesamt die Verfahrensgebühr und seien bei der Bemessung des Gebührenrahmens
der Terminsgebühr außer Acht zu lassen. Für die Terminsgebühr sei nur die Tätigkeit im Termin zu berücksichtigen. Insoweit
werde auf die ausführliche Begründung im angegriffenen Beschluss Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Beschwerdeakte sowie die beigezogene Gerichtsakte des Hauptsacheverfahrens beim
Sozialgericht S 13 R 436/11, die sämtlich Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.
II.
Zuständig für die Entscheidung über die Beschwerde ist der Berichterstatter als Einzelrichter (§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 1 RVG). Eine Übertragung der Sache auf den Senat als Gesamtspruchkörper (§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. mit § 33 Abs. 8 S. 2 RVG) war nicht angezeigt.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist fristgerecht (§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 3 RVG) eingereicht worden. Der Beschwerdewert i.H.v. 200,00 € (§ 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 3 S. 1 RVG) ist überschritten.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Der Beschwerdeführer hat keinen Anspruch auf eine höhere Gesamtvergütung als 324,16 €. Das Sozialgericht hat die Höhe der
- allein - streitigen Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG (in der hier anzuwendenden Fassung vom 24. November 2011) zutreffend festgesetzt.
Nach § 45 Abs. 1 RVG erhält der im Rahmen der PKH beigeordnete Rechtsanwalt die gesetzliche Vergütung aus der Landeskasse. Dabei bemessen sich
die Betragsrahmengebühren für die Vergütung für anwaltliche Tätigkeiten in den Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit
(§ 3 Abs. 1 S. 1 RVG) nach dem RVG; deren Höhe bestimmt sich nach dem VV der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG in der jeweils geltenden Fassung.
Ausgangspunkt der Kostenfestsetzung der gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 RVG aus der Landeskasse (§ 45 Abs. 1 RVG) zu zahlenden Vergütung ist die gesetzliche Vergütung. Entstehen - wie hier - Rahmengebühren, bestimmt gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 bis 3 RVG der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit
der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers,
nach billigem Ermessen. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen.
Die Aufzählung der Bemessungskriterien in § 14 Abs. 1 S. 1 RVG ist nach dem Wortlaut der Vorschrift („vor allem") nicht abschließend, sodass weitere, unbenannte Kriterien mit einbezogen
werden können (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 12. Dezember 2019, B 14 AS 48/18 R, juris, RdNr. 17). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist gemäß § 14 Abs. 1 S. 4 RVG die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich und entsprechend zu korrigieren, wenn sie unbillig ist.
Dies ist der Fall, wenn die geltend gemachten Gebühren die Toleranzgrenze von circa 20% zur tatsächlich objektiv angemessenen
Gebührenhöhe überschreiten (vgl. BSG, a.a.O., RdNr. 16).
Unter Berücksichtigung der ausgeführten Kriterien ist die vom Beschwerdeführer erfolgte Gebührenansetzung für die Wahrnehmung
des Verhandlungstermins beim Sozialgericht als Höchstgebühr des hier geltenden Gebührenrahmens von 20,00 € bis 380,00 € unbillig
gewesen und vom Sozialgericht im angefochtenen Beschluss zutreffend korrigiert worden. Die maßgeblichen Gebührenbemessungskriterien
rechtfertigen keine höhere Vergütungsfestsetzung.
Die Mittelgebühr soll gelten und damit zur konkreten billigen Gebühr in den Normalfällen werden (BSG, Beschluss vom 25. April 2018, B 5 R 22/18 B, juris RdNr. 4). Damit sind die Fälle gemeint, in denen sämtliche, vor allem die nach § 14 Abs. 1 S. 1 RVG zu berücksichtigenden Umstände durchschnittlicher Art sind, also übliche Bedeutung der Angelegenheit, durchschnittlicher
Umfang und durchschnittlicher Schwierigkeitsgrad der anwaltlichen Tätigkeit sowie wirtschaftliche Verhältnisse des Auftraggebers,
die dem Durchschnitt der Bevölkerung entsprechen. Jedes Bemessungskriterium des § 14 RVG kann Anlass sein, von der Mittelgebühr nach oben oder unten abzuweichen, soweit ein Umstand vom Durchschnitt abweicht (BSG, Beschluss vom 25. April 2018, a.a.O., RdNr. 5).
Hier ist die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin von überdurchschnittlicher Art gewesen, da es um die Gewährung von
Erwerbsminderungsrente, also um Lohnersatzleistungen, ging. Vor dem Hintergrund der Bewilligung von PKH sind die Vermögens-
und Einkommensverhältnisse als unterdurchschnittlich zu bewerten. Es lag ein leicht erhöhtes Haftungsrisiko im Hinblick auf
die mit der Klage verfolgte Rentengewährung auf Dauer vor. Im Hinblick auf den hier maßgebenden Verhandlungstermin vor dem
Sozialgericht am 18. Juni 2015 ist von einer durchschnittlichen Schwierigkeit auszugehen. Anhaltspunkte dafür, dass dieser
weit überdurchschnittlich anspruchsvoll gewesen ist, sind weder dem Vortrag des Beschwerdeführers noch dem Sitzungsprotokoll
zu entnehmen, worauf bereits das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend hingewiesen hat. Auch die Dauer des
Verhandlungstermins, der lediglich fünf Minuten nach der anberaumten Terminsstunde begonnen sowie 27 Minuten und damit ebenfalls
allenfalls durchschnittlich lang angedauert hat, vermag ein die Höchstgebühr rechtfertigendes Kriterium nicht zu sein. Die
vom Beschwerdeführer im Übrigen mit der Beschwerdeschrift angeführten Argumente betreffen - worauf der Beschwerdegegner in
der Beschwerdeerwiderung zutreffend hingewiesen hat - die Verfahrensgebühr, die hier vom Beschwerdeführer aufgrund der Beschränkung
in dem Beschluss des Sozialgerichts vom 7. Mai 2012 und der Festsetzung gegenüber der vormaligen Prozessbevollmächtigten der
Klägerin im Beschluss vom 4. Juli 2012 nicht geltend gemacht werden kann.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).