Eheschließung während lebensbedrohlicher Krebserkrankung nach langjährigem Zusammenleben und Versterben der Versicherten nach
weniger als viermonatiger Ehe
Streit über die Gewährung von Witwenrente nach SGB VI
Prüfung einer sog. Versorgungsehe
Anforderungen an die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung der Versorgungsehe
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Witwerrente nach dem
Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung -
SGB VI). Umstritten ist insbesondere das Vorliegen einer so genannten Versorgungsehe.
Der am ... 1976 geborene Kläger ist der Witwer der am ... 1975 geborenen und am ... 2010 verstorbenen Versicherten C. K. (im
Folgenden: Versicherte). Die Anmeldung der Eheschließung erfolgte am 10. August 2010 beim Standesamt B. (Saale). Die Eheschließung
fand am 24. August 2010 beim Standesamt N. (Saale) statt.
Der Kläger und die Versicherte lebten seit 1995 zusammen. Am ... April 1996 wurde der gemeinsame Sohn D. B. K. geboren. Die
Urkunde über die Anerkennung der Vaterschaft des Klägers datiert vom 8. August 1996.
Der Kläger war ab dem 1. Februar 2007 bei der Firma ASD W. im Abschleppdienst in B., die Versicherte bis zuletzt in ihrem
erlernten Beruf als Köchin beschäftigt. Sie bezog ab dem 1. Juni 2009 Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die Versicherte befand sich ab dem ... Mai 2009 wegen eines kleinzellig anaplastischen, multipel metastasierenden weit fortgeschrittenen
Bronchialkarzinoms (pulmonal, hepatisch, abdominell, retroperitoneal, cutan) im Krankenstand. Ausweislich der Epikrise des
Universitätsklinikums H. (UKH) über den stationären Aufenthalt der Versicherten vom 1. bis zum 4. September 2009 sei nach
vier Zyklen seit Juni 2009 applizierter palliativer Chemotherapie eine partielle Remission bei neu aufgetretenen abklärungsbedürftigen
ossären Veränderungen festzustellen gewesen. Die Chemotherapie wurde im Sinne einer Erhaltungstherapie fortgeführt.
Die Versicherte absolvierte dann vom 13. Januar bis zum 13. Februar 2010 eine stationäre onkologische Rehabilitationsmaßnahme
in der M.- K. In dem entsprechenden Entlassungsbericht vom 10. Februar 2010 wird die Prognose als äußerst ungünstig bezeichnet.
Bei fortgeschrittener, multipel metastasierter onkologischer Erkrankung mit fortbestehender Behandlungsbedürftigkeit erscheine
die Erwerbsfähigkeit der Versicherten bleibend aufgehoben. In der Krankheitsverarbeitung der Versicherten herrschten Verdrängungsmechanismen
vor, die dieser eine psychische Stabilität gäben. Die Erkrankungssituation an sich werde erfasst. Die Versicherte würde gerne
wieder berufstätig werden; sie erfasse die Schwere ihrer Erkrankung und die chronische Behandlungsbedürftigkeit nicht.
Die Versicherte befand sich vom 2. bis zum 29. März 2010 in ambulanter Behandlung des UKH zur palliativen Ganzhirnbestrahlung
wegen progredienter zerebraler Filiae (Metastasen). Sie wurde vor der Eheschließung am ... August 2010 vom 20. bis zum 23.
April, vom 29. Juni bis zum 4. August und vom 11. bis zum 12. August 2010 stationär im UKH behandelt und unterzog sich jeweils
am 28. April, 19. Mai und 11. Juni 2010 einer ambulanten Chemotherapie sowie vom 15. bis zum 28. Juli 2010 einer ambulanten
palliativen Radiotherapie.
Nach der Epikrise des UKH vom 23. April 2010 habe sich während des stationären Aufenthaltes vom 20. bis zum 23. April 2010
nach simultaner Radiochemotherapie eine stabile Grunderkrankung bei weiter geringer Größenregredienz der bekannten mediastinalen
Weichteilverdichtungen und im Wesentlichen konstanten peripheren Metastasierungsmustern bei einer möglicherweise geringen
Größenprogredienz der Leberherde und des Lymphknotens im Ligamentum hepatoduodenale (Leber-Zwölffingerdarm-Band) gezeigt.
Eine dreiwöchentliche Chemotherapie sollte durchgeführt werden. In der Epikrise des UKH vom 4. August 2010 über den stationären
Aufenthalt vom 29. Juni bis zum 4. August 2010 wird eine vollständige Regredienz der intrakraniellen Metastasen nach der Chemotherapie
von April bis Juni 2010 mitgeteilt. Ausweislich der Magnetresonanztomografie der Wirbelsäule vom 5. Juli 2010 habe jedoch
eine diffuse metastatische Durchsetzung der gesamten Wirbelsäule bei mindestens drei intramedullären Metastasen in Höhe HWK
2/3, HWK 5 und BWK 12 bestanden. Die Versicherte habe sich in einem reduzierten Allgemeinzustand mit seit einem Monat progredienten
sensomotorischen Defiziten im Bereich der unteren Extremitäten, rechtsbetont, befunden. Unter dem 8. Juli 2010 wurde aufgrund
der sehr schlechten Gesamtprognose eine Radatio der drei intermedullären Herde mit Beginn in der Folgewoche geplant. Im Rahmen
des orthopädischen Konzils am 29. Juli 2010 seien eine inkomplette Parese beider Beine mit Lähmungshinken sowie eine Parese
des rechten Fußhebers festzustellen gewesen. In mehrfachen intensiven und langen Gesprächen mit unterschiedlichen Kollegen
der Klinik sei mit der Versicherten das Krankheitsstadium, insbesondere die sehr schlechte Gesamtprognose ihrer Grunderkrankung,
besprochen worden. Die Versicherte habe sich im Gespräch sehr aufgeschlossen gezeigt; sie wisse auch, dass sie schwer krank
sei und sicher in absehbarer Zeit daran versterben werde, verdränge dies aber deutlich. Sie sei zudem auf die Notwendigkeit
der Klärung privater Angelegenheiten, insbesondere der Versorgung ihres Sohnes, hingewiesen worden. Zum Zeitpunkt der Entlassung
hätten die starken Gangstörungen, verbunden mit einer hohen Sturzgefahr, persistiert. Zur Hilfe in der Häuslichkeit seien
Toilettenstuhl und Rollator rezeptiert worden; außerdem sei die Versorgung mit einem ambulanten Pflegedienst erfolgt. Eine
stationäre Wiederaufnahme sei für den 11. August 2010 vereinbart worden.
Bei Aufnahme der Versicherten am 11. August 2010 zur dritten intrathekalen Applikation von Chemotherapie seien ausweislich
der Epikrise des UKH vom 11. August 2010 eine deutliche Kraftminderung vor allem der rechten unteren Extremität, ein inspektorisch
hinkendes Gangbild, Kribbelparästhesien an den beiden oberen Extremitäten und eine deutliche Kraftminderung der rechten unteren
Extremität festzustellen gewesen. Neue Komplikationen seien nicht hinzugetreten. Allerdings sei die Versicherte hinsichtlich
ihrer Mobilität erheblich eingeschränkt gewesen. Die Frequenz der Pflegedienstbesuche sollte auf zweimal täglich erhöht werden,
zumal die Versicherte zunehmend mehr Hilfe bei der Verrichtung ihrer persönlichen Hygiene benötige. Für die Versicherte sei
ein erneuter stationärer Aufnahmetermin zur Einleitung einer systematischen Drittlinienchemotherapie am 25. August 2010 vereinbart
worden.
Nach der Eheschließung am 24. August 2010 war die Versicherte vom 25. bis zum 28. August und vom 15. September bis zum 6.
Oktober 2010 - jeweils zur Einleitung einer Drittlinienchemotherapie - sowie vom 20. bis zum 25. Oktober 2010 in stationärer
Behandlung im UKH. Ausweislich der Epikrise des UKH vom 22. Oktober 2010 über den stationären Aufenthalt vom 20. bis zum 25.
Oktober 2010 sei ein Progress der Erkrankung wegen ausgeprägter metastatischer Veränderungen festzustellen gewesen. Wegen
des Auftretens einer prolongierten massiven Neutropenie bei der letzten stationären Behandlung sei mit der Chemotherapie pausiert
worden. Bei deutlich progredienten Schmerzen in den Beinen sei die Schmerzmittelapplikation adaptiert worden. Am 8. Dezember
2010 erfolgte die stationäre Aufnahme der Versicherten im A.- Klinikum B. wegen einer progredienten Zustandsverschlechterung,
wo sie ausweislich der Todesbescheinigung vom 10. Dezember 2010 an einem metastasierenden Bronchialkarzinom verstarb.
Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 4. Januar 2011 die Bewilligung von Witwerrente. Er kreuzte auf der Anlage zum Antrag
auf Witwerrente in Bezug auf die für die Eheschließung maßgeblichen Gründe unter den vorgegebenen Varianten an: "Die Ehegatten/Lebenspartner
hatten gemeinsame Kinder." sowie "Die Witwe/der Witwer/die hinterbliebene Lebenspartnerin/der hinterbliebene Lebenspartner
erzieht ein minderjähriges Kind des/der Verstorbenen". Ferner gab er an, dass das gemeinsame Sorgerecht für den Sohn D. habe
begründet werden sollen.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 22. Februar 2011 ab. Die Ehe mit der Versicherten habe nur
vom 24. August bis zum 10. Dezember 2010 angedauert und besondere Umstände, die gegen die Annahme einer Versorgungsehe sprächen,
hätten von dem Kläger nicht ausreichend dargelegt werden können. Insbesondere könne nicht geltend gemacht werden, dass die
tödlichen Folgen der Krankheit im Zeitpunkt der Eheschließung aus ärztlicher Sicht nicht zu erwarten gewesen seien. Die Eheschließung
sei vielmehr erfolgt, nachdem eine bösartige und potentiell lebensbedrohliche Erkrankung festgestellt worden sei. Auch die
Tatsache, dass aus der Beziehung mit der Versicherten ein Kind hervorgegangen sei, könne die Annahme einer Versorgungsabsicht
nicht ohne weiteres entkräften. Es habe somit nicht glaubhaft gemacht werden können, dass der Grund für die Eheschließung
darin bestanden habe, das bereits 15-jährige Kind zu legimitieren.
In dem hiergegen am 8. März 2011 eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, der Wunsch zur Eheschließung und der damit
verbundene Wille, dem gemeinsamen Kind eine Familie zu geben, habe bereits seit 1996 bestanden und sei für die Eheschließung
im Jahr 2010 tragend gewesen. Insbesondere die Versicherte habe eine "richtige" Hochzeit gewollt. Die Planungen der Eheschließung
seien jedoch aus finanziellen Gründen immer wieder aufgeschoben worden. Nachdem sie im Sommer 2008 hätten feststellen müssen,
dass sich ihre finanzielle Situation nicht ändern werde und sie sich nur eine kleine Hochzeit leisten könnten, hätten sie
sich im Sommer 2008 verlobt und dies offiziell bei einer Grillparty des S. K. ihren Freunden bekannt gegeben. Die für Frühling
oder Sommer 2009 geplante Hochzeit sei aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen der Versicherten bis letztlich zum August
2010 verschoben worden.
Auf Nachfrage der Beklagten teilte die Standesbeamtin der Stadt N. mit Schreiben vom 7. September 2011 mit, in Anbetracht
des Wohnsitzes der Versicherten und des Klägers in B. habe die Anmeldung bei dem dortigen Standesamt erfolgen müssen. Noch
am Tag der Anmeldung am 10. August 2010 seien die Unterlagen an das Standesamt N. übersandt worden. Dort sollte die Eheschließung
im Hinblick auf die wenigen dort lebenden Verwandten der Versicherten - Vater, Stiefmutter und Großmutter - stattfinden. Aufgrund
des Gesundheitszustandes der Versicherten habe sich im Vorfeld hauptsächlich deren Stiefmutter, R. K., um den Eheschließungstermin
in N. gekümmert. Erstmalig habe diese Anfang des Jahres 2010 auf dem Standesamt in N. vorgesprochen. Ob eine Anmeldung bereits
zu einem früheren Zeitpunkt vorgenommen worden sei, sei nicht bekannt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2012 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Als entscheidend
sei anzusehen, dass sich der Kläger und die Versicherte im Zeitpunkt der Eheschließung bzw. des Heiratsentschlusses über den
grundsätzlich lebensbedrohlichen Charakter der Erkrankung des Partners im Klaren gewesen seien. Nicht erforderlich sei die
Kenntnis der Unheilbarkeit der Krankheit.
Hiergegen hat sich der Kläger mit der am 13. Februar 2012 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage gewandt. Das Sozialgericht
Magdeburg hat mit Urteil vom 11. Juni 2012 die Klage abgewiesen. Die Ehe des Klägers mit der Versicherten habe nur knapp vier
Monate gedauert, so dass die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe bestehe. Die von der Klägerseite gegen die Annahme
einer Versorgungsehe vorgebrachten Argumente überzeugten das Gericht nicht. Der Vortrag, die späteren Eheleute hätten bereits
seit 1996 heiraten wollen, sei wenig plausibel. Bis zur tatsächlichen Eheschließung seien 14 Jahre vergangen. Diese lange
Zeitspanne spreche zudem gegen das Argument, sie hätten dem gemeinsamen Kind durch die Heirat eine Familie geben wollen. Auch
das Argument, die späteren Eheleute hätten sich bereits im Sommer 2008, also vor der Erstdiagnose der tödlichen Krankheit
verlobt, überzeuge nicht. Nach den Angaben der Klägerseite sei die Eheschließung seit 1996 beabsichtigt gewesen. Wenn dann
im Sommer 2008 tatsächlich konkret eine Hochzeit geplant worden sein sollte, passe dazu weder die offene Zeitangabe ("Frühling
oder Sommer 2009") noch die Tatsache, dass bis zur Hochzeit im August 2010 noch ganze zwei Jahre vergangen seien.
Gegen das ihm am 29. Juni 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. Juli 2012, einem Montag, Berufung beim Landessozialgericht
(LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und den Anspruch auf Bewilligung von Witwerrente mit den bereits im Widerspruchs- und Klageverfahren
vorgebrachten Argumenten weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. Juni 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2011 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab dem 1. Januar 2011 Witwerrente
zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und ihren Bescheid für zutreffend.
Der Facharzt für Innere Medizin J. hat in seinem auf Anforderung des Senats erstatteten ärztlichen Verlaufsbericht vom 14.
Januar 2013 angegeben, der Gesundheitszustand der Versicherten habe sich nach Beendigung der stationären Rehabilitation im
Jahr 2010 sukzessive im Rahmen der malignen Krebserkrankung verschlechtert. Ab August 2010 habe die Versicherte Probleme beim
Laufen aufgewiesen. Es sei ein zunehmender körperlicher Abbau, Inappetenz, Schwäche und das Auftreten von Schmerzen zu konstatieren
gewesen. Eine begleitende radio-chemotherapeutische (multimodale) Therapie in dem UKH sowie eine schmerztherapeutische Behandlung
- aufgrund der starken Schmerzen mit einem Morphinderivat - seien erfolgt. Aufgrund der zunehmenden Immobilität habe sich
ab Oktober 2010 ein Dekubitus Grad 3 im Gesäßbereich beidseits entwickelt.
Nach Auskunft der Beklagten würde der monatliche Zahlbetrag einer am 1. Januar 2011 beginnenden und mit der Vollendung des
18. Lebensjahres von D. K. endenden großen Witwerrente des Klägers ab dem 1. November 2012 436,41 EUR - vorbehaltlich einer
Abweichung des Zahlbetrages durch Einkommensanrechnung in 2012 und eines eventuellen Zuschlages zur Witwerrente - betragen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen
haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist unbegründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Witwenrente. Der angefochtene
Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger damit nicht in seinen Rechten (§§
153 Abs.
1,
54 Satz 2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG)).
Nach §
46 Abs.
1 Satz 1
SGB VI haben Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf kleine Witwerrente,
wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch besteht längstens für 24 Monate nach Ablauf
des Monats, in dem der Versicherte verstorben ist. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben, da die Versicherte zum Zeitpunkt
ihres Todes die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllte und der Kläger nicht wieder geheiratet hat. Unter den genannten
Voraussetzungen haben Witwen nach §
46 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 SGB VI in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung Anspruch auf große Witwerrente, wenn sie ein eigenes Kind, das das 18. Lebensjahr
noch nicht vollendet hat, erziehen. Gemäß §
102 Abs.
3 Satz 1
SGB VI werden große Witwerrenten wegen Kindererziehung auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem die Kindererziehung voraussichtlich
endet. Die Witwerrente wird nach §
99 Abs.
2 Satz 1
SGB VI von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind. Die Voraussetzungen
des §
99 Abs.
2 Satz 2
SGB VI, wonach die Hinterbliebenenrente bereits vom Todestag an geleistet wird, wenn an die Versicherte eine Rente im Sterbemonat
nicht zu leisten ist, liegen nicht vor; die Versicherte war Erwerbsminderungsrentnerin. Der Kläger erfüllt die genannten Voraussetzungen
einer großen Witwenrente damit ab dem 1. Januar 2011.
Nach §
46 Abs.
2a SGB VI besteht ein Anspruch auf Witwenrente nicht, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, nach den besonderen
Umständen des Falles ist die Annahme nicht gerechtfertigt, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen
Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.
Die Ehe des Klägers mit der Versicherten hat hier vom 24. August bis zum 10. Dezember 2010 - ca. dreieinhalb Monate, d.h.
nicht mindestens ein Jahr - angedauert. Auf Grund der gesetzlichen Vermutung in §
46 Abs.
2a SGB VI wird damit zunächst unterstellt, dass die Erlangung einer Versorgung Ziel der Eheschließung war und somit ein Anspruch auf
Witwenrente ausscheidet. Dieser mit Wirkung vom 1. Januar 2002 durch das Gesetz zur Ergänzung des Gesetzes zur Reform der
gesetzlichen Rentenversicherung und zur Förderung des kapitalgedeckten Altersvorsorgevermögens vom 21. März 2001 (BGBl. I
S. 403) eingeführten Vorschrift entsprechen vergleichbare Regelungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, der Kriegsopferversorgung
sowie in den Vorschriften über die Beamtenversorgung (vgl. hierzu das Urteil des erkennenden Senats vom 20. September 2007
- L 3 RJ 126/05 - NZA-RR 2008, 207, 208). Hierdurch soll ein Anspruch auf Witwen- bzw. Witwerrente bei einer Versorgungsehe ausgeschlossen sein, wenn zumindest
überwiegendes Ziel der Eheschließung die Erlangung einer Versorgung ist. Dabei wird unterstellt, dass dies regelmäßig der
Fall ist, wenn ein Ehegatte innerhalb eines Jahres nach Eheschließung verstirbt (vgl. die Gesetzesbegründung, Bundestags-Drucksache
14/4595 S. 44).
Der Senat ist davon überzeugt, dass nach den besonderen Umständen des vorliegenden Falles die Annahme gerechtfertigt ist,
dass die Ehe des Klägers zum überwiegenden Zweck der Hinterbliebenenversorgung geschlossen wurde. Die Widerlegung der gesetzlichen
Vermutung der Versorgungsehe erfordert nach §
202 SGG, §
292 Zivilprozessordnung (
ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils anhand objektiver Feststellungen (vgl. z.B. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 5. Mai 2009 - B 13 R 55/08 R - BSGE 103, 99 ff.).
Zunächst lassen sich aus dem tatsächlichen Geschehensablauf hier keine Rückschlüsse auf eine überwiegend nicht in Versorgungsabsicht
erfolgte Eheschließung ziehen. Solche Rückschlüsse erlauben z.B. der Eintritt eines Unfalltodes oder die Legitimation einer
vorher nach deutschem Eherecht ungültigen Ehe (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 - B 13 R 55/08 R - aaO.; Urteil des erkennenden Senats vom 20. September 2007, aaO.). In diesem Zusammenhang sprechen für solche objektiven
Umstände u.a. auch ein vor der Diagnose der zum Tod des Versicherten führenden Erkrankung feststehender Hochzeitstermin (Schleswig-Holsteinisches
LSG, Urteil vom 15. Juni 2010 - L 7 R 58/09 - juris).
Nach der Befragung des Klägers im Verhandlungstermin zu seinen subjektiven Beweggründen für die erfolgte Eheschließung konnte
sich zur Überzeugung des Senats kein mindestens gleichwertiges anderes Motiv für die Eheschließung als die Versorgung des
Klägers als Witwer feststellen lassen.
Anerkannt sind in diesem Zusammenhang überwiegende religiöse Motive für eine Legitimation des Zusammenlebens (vgl. Oberverwaltungsgericht
(OVG) H., Beschluss vom 28. Oktober 2004 - 1 Bf 189/04 - NVwZ-RR 2006, 196) oder der Wunsch, dem Partner neuen Lebensmut in der Überwindung einer Erkrankung zu geben (vgl. Schleswig-Holsteinisches
LSG, Urteil vom 7. März 2007 - L 8 R 207/06 - NZS 2007, 665 (nur Leitsatz), juris; Urteil des erkennenden Senats vom 20. September 2007 - L 3 RJ 126/05 - aaO.). Dabei hat der Senat insoweit die (gegebenenfalls auch voneinander abweichenden) Beweggründe (Motive, Zielvorstellungen)
beider Ehegatten zu berücksichtigen. Die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe sind in ihrer Gesamtbetrachtung
auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei
der Eheschließung keine Rolle gespielt hat (vgl. zu diesem Maßstab BSG, Urteil vom 3. September 1986 - 9a RV 8/84 - BSGE 60, 204, 206, und Urteil vom 5. Mai 2009 - B 13 R 55/08 R - aaO.). Keines der vorgenannten Heiratsmotive, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, kann hier näher in Betracht gezogen
werden. Vielmehr ist aus dem Vorbringen des Klägers erkennbar, dass es der Versicherten bei der Eheschließung zumindest in
wesentlichem Umfang um die finanzielle Absicherung ihres Sohnes und damit in Zusammenhang stehend auch um die Versorgung des
Klägers nach ihrem Tod ging. Dieser hat kein eigenes Motiv für die Eheschließung am 24. August 2010 im Verhandlungstermin
vor dem Senat angeben können.
Bei der Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten
ist in der Regel von einer so genannten Versorgungsehe auszugehen. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren
Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen,
dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde.
Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen
eine Versorgungsehe sprechen, dann aber umso gewichtiger sein, je offenkundiger und lebensbedrohlicher die Krankheit des Versicherten
zum Zeitpunkt der Eheschließung war (vgl. BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 - B 13 R 55/08 R - aaO.).
Zur Überzeugung des Senats lag zum Zeitpunkt der Heirat am 24. August 2010 mit dem im Juni 2009 diagnostizierten kleinzelligen
anaplastischen - bereits zu diesem Zeitpunkt weit fortgeschrittenen - Bronchialkarzinom eine lebensbedrohliche Erkrankung
der Versicherten ohne Aussicht auf Heilung vor. Bei der Erstdiagnose im Juni 2009 war eine multiple Metastasierung (pulmonal,
hepatisch, abdominell, retroperitoneal, cutan) mit progredienten zerebralen Filiae Anfang 2010 festgestellt worden. Die im
Juni 2009 eingeleitete Chemotherapie hatte nur noch palliativen, d.h. auf symptomatische Maßnahmen beschränkten, Charakter.
Der Epikrise vom 4. August 2010 über den stationären Aufenthalt vom 29. Juni bis zum 4. August 2010 ist eine deutliche weitere
Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Versicherten zu entnehmen. Die stationäre Aufnahme der Versicherten war bei
seit einem Monat bestehenden motorischen Ausfällen und Kribbelparästhesien im Bereich der oberen und unteren Extremitäten
rechtsbetont erfolgt. Es ließen sich mindestens drei intramedulläre Metastasen im Bereich der Wirbelsäule (HWK 2/3, HWK 5,
BWK 12) nachweisen. Wie bereits im März 2010 wurde erneut vom 15. bis zum 28. Juli 2010 eine palliative Radiotherapie durchgeführt.
In Gesamtschau aller erhobenen Befunde ist eine eindeutige Tumorprogredienz festzustellen gewesen. Zum Zeitpunkt der Entlassung
am 4. August 2010 persistierten weiterhin starke Gangstörungen der Versicherten, welche mit einer hohen Sturzgefahr verbunden
waren. Der Versicherten wurden ein Rollstuhl und ein Toilettenstuhl verordnet. Ferner erfolgte die Versorgung mit einem ambulanten
Pflegedienst. Aufgrund der infausten Prognose war ein tödlicher Verlauf der Krebserkrankung der Versicherten zu erwarten gewesen.
Die Versicherte war sich auch der Lebensbedrohlichkeit ihrer Erkrankung bewusst. Mit ihr war während des stationären Aufenthaltes
vom 29. Juni bis zum 4. August 2010 im UKH das Krankheitsstadium, insbesondere die sehr schlechte Gesamtprognose ihrer Grunderkrankung,
besprochen worden. Selbst wenn der Kläger, wie er im Verhandlungstermin glaubhaft angegeben hat, bis zuletzt gehofft hat,
dass die Versicherte wieder gesund werde, und er den möglichen tödlichen Verlauf sowie die Unheilbarkeit ihrer Erkrankung
verdrängte, waren auch für ihn zur Überzeugung des Senats - schon in Anbetracht des sich fortschreitend verschlechternden
Allgemeinzustandes der Versicherten - die Progredienz und Lebensbedrohlichkeit der Krebserkrankung offensichtlich. Insbesondere
aus der zeitlichen Abfolge ergibt sich, dass mit der Heirat Eile geboten war. Schließlich erfolgte die Anmeldung der Eheschließung
beim Standesamt B. unmittelbar nach der stationären Entlassung der Versicherten am 4. August 2010 am 10. August 2010 zu einem
Zeitpunkt, in welchem die Progredienz der bösartigen Krebserkrankung der Versicherten offenkundig gewesen ist. Bereits für
den 11. August 2010 war der nächste stationäre Aufnahmetermin vereinbart worden. Einen Tag vor dem weiteren geplanten stationären
Aufenthalt der Versicherten im UKH zur Einleitung einer Drittlinienchemotherapie ab dem 25. August 2010 fand am 24. August
2010, einem Dienstag, die Trauung statt.
Der Kläger hat zwar dargelegt, die Versicherte und er hätten bereits seit der Geburt des gemeinsamen Sohnes 1996 heiraten
wollen. Aus finanziellen Gründen sei die Heiratsabsicht immer wieder verschoben worden. Allerdings kann der Senat darin keinen
besonderen Umstand erkennen, der zu einer Widerlegung der Versorgungsvermutung führen würde. Langjährige Heiratsabsichten
können nur dann die Vermutung der Versorgungsehe widerlegen, wenn sie hinreichend konkret sind und sich als konsequente Verwirklichung
einer schon vor Bekanntwerden der Erkrankung gefassten Heiratsabsicht darstellen (Bayerisches LSG, Urteil vom 23. Juli 2003
- L 2 U 360/01 - juris). Konkrete Heiratspläne, insbesondere einen bestimmten Heiratstermin, hat es zu keiner Zeit gegeben. Insoweit ist
der Vortrag des Klägers, sich mit der Versicherten im Sommer 2008 verlobt zu haben, nicht von maßgeblicher Bedeutung, da der
Kläger und die Versicherte nichts weiter zur Realisierung dieses gegenseitigen Versprechens unternommen wurde. Es fehlt an
nachweislich ernsthaften konkreten Heiratsplänen wie etwa der Bestellung des Aufgebots, dem Verschicken von Einladungen und
Vorbereitungen einer Hochzeitsfeier. Die vom Kläger behauptete Absicht, binnen eines Jahres nach der Verlobung - im darauf
folgenden Frühjahr oder Sommer - zu heiraten, genügt jedenfalls den Anforderungen an ein konkretes Ehevorhaben nicht. Seine
Schwiegermutter hat erst Anfang 2010 - nach dem Ausbruch der Erkrankung - die Initiative ergriffen und sich beim Standesamt
N. in Bezug auf eine Eheschließung der Versicherten und des Klägers erkundigt. Im Übrigen hat der Kläger im Verhandlungstermin
vor dem Senat angegeben, wegen seiner nach der Verlobung eingetretenen Privatinsolvenz nicht geheiratet zu haben, so dass
für die Nichtrealisierung des Heiratsentschlusses nach der behaupteten Verlobung wiederum finanzielle Gründe ausschlaggebend
waren.
Zur Überzeugung des Senats war für die Versicherte die Versorgung des Klägers der überwiegende Beweggrund für die Heirat am
24. Juli 2010. Ausweislich der Epikrise des UKH vom 4. August 2010 wurde ihr geraten, sich um die Versorgung ihres Sohnes
zu kümmern. Dabei ist auch dessen Versorgung abhängig von der finanziellen Situation des Klägers und steht damit in unmittelbarem
Zusammenhang mit der Versorgung des Klägers. Die Motive des Klägers zur Eheschließung hat der Senat nicht feststellen können.
Der Kläger konnte im Verhandlungstermin vor dem Senat keine Angaben dazu machen, warum die Heirat erst am 24. August 2010
und nicht zu einem früheren Zeitpunkt stattgefunden hat. Er hat sich vielmehr mit dem von der Versicherten und der Schwiegermutter
festgelegten Hochzeitstermin zu deren Gefallen einverstanden erklärt und diesen auch die Organisation überlassen, ohne sich
selbst darum zu kümmern. Er hat sich fremdbestimmt auf die Heirat im August 2010 eingelassen und die von der Versicherten
damit verbundene Versorgungsabsicht gebilligt.
Der Senat konnte insbesondere nicht feststellen, dass die Ehe eingegangen wurde, um dem gemeinsamen Sohn eine Familie zu geben.
Dem steht bereits die Tatsache entgegen, dass der Kläger, der seine Vaterschaft anerkannt hatte, und die Versicherte mit ihrem
gemeinsamen Sohn seit dessen Geburt bereits fast 14 Jahre als Familie zusammenlebten. In Anbetracht der fortgeschrittenen
Krebserkrankung der Versicherten war zum Zeitpunkt der Eheschließung vielmehr absehbar, dass kaum mehr Zeit für ein gemeinsames
Familienleben des Klägers und der Versicherten als Eheleute mit dem Sohn bleiben würde. Schließlich wäre bei einer zum Kindeswohl
bereits früher beabsichtigen Eheschließung der Wunsch nach einer großen Hochzeit von untergeordneter Bedeutung gewesen, zumal
in Anbetracht der beruflichen Situation des Klägers und der Versicherten mit einer maßgeblichen Änderung der finanziellen
Situation nicht wirklich gerechnet werden konnte.
Auch bestehen für den Senat Zweifel an dem zunächst im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Motiv, dass durch die Eheschließung
das gemeinsame Sorgerecht für den Sohn D. begründet werden sollte. Der Kläger hat vor dem Senat glaubhaft angegeben, dass
er davon ausgegangen sei, das gemeinsame Sorgerecht immer schon gehabt zu haben, und erst durch das Schreiben der Berichterstatterin
einen Tag vor dem Verhandlungstermin Kenntnis erlangt habe, dass das gemeinsame Sorgerecht erst durch die Eheschließung begründet
worden sei. Im Übrigen hätte dieses auch durch eine gemeinsame Sorgeerklärung gegenüber dem Jugendamt begründet werden können
(§
1626a Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB)).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von
einer Entscheidung der in §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht.