Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung - Notwendigkeit ambulanter Behandlungsmaßnahmen
Gründe
I.
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem
Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung -
SGB VI) hat.
Die 1962 geborene Klägerin absolvierte nach ihrem 10.-Klasse-Schulabschluss von 1978 bis 1980 eine Ausbildung zur Gärtnerin
für Zierpflanzen und Treibgemüse. Anschließend war sie - mit Unterbrechungen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit - als Gärtnerin
beschäftigt. Seit November 2003 war die Klägerin arbeitssuchend, wobei sie in dieser Zeit zeitweise in einer Nebenbeschäftigung
als Gärtnerin tätig war. Seit dem 19. Februar 2013 ist die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig.
Am 15. Februar 2018 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Zur Begründung
gab sie an, sie leide unter Schmerzen in der Hüfte (Aussetzen der Hüfte). Dadurch könne sie nicht ohne Hilfsmittel laufen.
Die Beklagte zog die ärztlichen Unterlagen aus einem Verfahren über Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben aus dem Jahre
2015 von der Agentur für Arbeit M. bei. Diesbezüglich wird auf Blatt 2 bis 28 des ärztlichen Teils der Verwaltungsakte der
Beklagten verwiesen. Außerdem holte sie einen aktuellen Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Allgemeinmedizin S.
vom 22. Februar 2018 ein. Darin sind folgende Diagnosen genannt:
Chronisches Schmerzsyndrom bei Hüftnekrose rechts (Zustand nach Operation).
Schlafstörung.
Depression gemischt.
Lendenwirbelsäulen (LWS)-Syndrom.
Nach einer Operation bei Hüftnekrose rechts im Jahre 2013 seien die gesundheitlichen Probleme der Klägerin entstanden. Bis
heute leide sie unter Schmerzen, geminderter Lebensqualität und Schlafstörungen. Die Gehstrecke betrage max. 300 m mit Hilfsmitteln.
Wegen der weiteren Einzelheiten dieses Befundberichtes sowie der mitgesandten Anlagen wird auf Blatt 41 bis 59 des ärztlichen
Teils der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Hinsichtlich der nachfolgend von der Fachärztin für Allgemeinmedizin S
eingereichten Stellungnahme vom 19. Juni 2018 einschließlich der mitgesandten Anlagen wird auf Blatt 64 bis 70 des ärztlichen
Teils der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Die Beklagte veranlasste sodann ein Gutachten durch die Fachärztin für Orthopädie K. Diese untersuchte die Klägerin am 8.
Oktober 2018 und stellte in ihrem Gutachten vom selben Tag folgende Diagnosen:
Chronische Koxalgie rechts bei Zustand nach Implantation einer Hüft-Totalendoprothese (TEP) rechts 2013 mit Beinlängendifferenz
zugunsten der rechten Seite von 1 bis 1,5 cm mit gutem funktionellem Ergebnis.
Chronisches lumbales Pseudoradikulärsyndrom mit Tendopathie Trochanter major rechts bei vermehrter ventraler Beckenkippung
bei adipöser Bauchdeckeninsuffizienz.
Rundrücken mit DL-Kyphose.
Die statische Belastbarkeit der Klägerin sei reduziert. Die Einschränkungen ergäben sich aus der rechtsseitigen Hüftgelenkserkrankung.
Nach Implantation einer Hüft-TEP rechts bestehe ein gutes funktionelles Ergebnis, allerdings mit chronischen Beschwerden am
Trochanter major, die sowohl narbige als auch statisch-vertebragene Ursachen haben könnten. Es bestehe eine Fehlstatik der
LWS bei vermehrter ventraler Beckenkippung, was zu statischen LWS- und Hüftbeschwerden führen könne. Infolge der Hüft- und
LWS-Beschwerden könne die Klägerin keine Tätigkeiten überwiegend im Gehen und Stehen sowie in Zwangshaltungen verrichten.
Körperlich schwere Arbeiten seien ebenfalls ausgeschlossen. Die berufliche Leistungsfähigkeit als Gärtnerin sei damit aufgehoben.
Von orthopädischer Seite bestehe eine vollschichtige berufliche Einsatzfähigkeit für leichte bis gelegentlich mittelschwere
körperliche Tätigkeiten, wenn im Sitzen und im gelegentlichen Wechsel mit Gehen und Stehen ohne schweres Heben und Tragen
gearbeitet werden könne. Die Klägerin könne eine Wegstrecke von mehr als 500 m innerhalb von 20 Minuten viermal täglich zurücklegen.
Sie sei im Besitz einer Fahrerlaubnis.
Mit Bescheid vom 25. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2018 lehnte die Beklagte den Rentenantrag
ab. Zur Begründung führte sie aus, bei der Klägerin liege ein Leistungsvermögen für mindestens sechs Stunden täglich für leichte
Arbeiten mit weiteren Funktionseinschränkungen vor. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin sei nicht durch eine Summierung ungewöhnlicher
Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung beeinträchtigt. Bei dieser noch vorhandenen Leistungsfähigkeit
sei der Arbeitsmarkt grundsätzlich nicht verschlossen.
Dagegen hat die Klägerin am 14. Dezember 2018 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben und zur Begründung vorgetragen, ihre
behandelnde Ärztin S. komme nicht zu dem Ergebnis, dass sie noch mindestens sechs Stunden täglich tätig sein könne. Die gegenteilige
Auffassung der Gutachterin K sei weder schlüssig noch überzeugend. Die Untersuchung bei K habe nicht - wie von dieser angegeben
- drei Stunden gedauert. Tatsächlich habe sie sich persönlich mit ihr - der Klägerin - etwa zehn Minuten befasst. Das Gutachten
gebe ihre Beeinträchtigungen unzutreffend wieder. Sie - die Klägerin - sei bereits nach kleineren Verrichtungen in ihrem Haushalt
erschöpft und müsse sich ausruhen. Außerhalb der Wohnung sei sie auf die Nutzung im Wesentlichen eines Rollators angewiesen.
Sie ziehe beim Laufen das rechte Bein nach. Dieses bleibe auch einfach stehen und knicke ein. Den Hund führe sie zweimal täglich
in kleinen Runden aus. Abends erledige das ihr Mann. Beim Laufen habe sie starke Schmerzen. Strecken von 15 bis 20 Minuten
seien problematisch. Am Stück könne sie nicht eine Stunde gehen. Eine Wegstrecke von mehr als 500 m innerhalb von 20 Minuten
könne sie nicht viermal täglich zurücklegen. Für das Einkaufen schwerer Sachen, z.B. Getränke, leihe sie sich kein Auto, sondern
lasse sich beim Tragen helfen, da sie das nicht selber schaffe. Sitzen könne sie wegen der Schmerzen in Hüfte und Oberschenkeln
nur kurze Zeit. Sie leide unter ganz erheblichen Beschwerden und Funktionseinschränkungen im Bereich des Stütz- und Bewegungsapparates.
Ihre Gehfähigkeit sei dadurch deutlich eingeschränkt. Beim Fortbewegen sei sie auf Hilfsmittel angewiesen. Ihre körperliche
Belastbarkeit sei dadurch hochgradig beeinträchtigt und gemindert. Darüber hinaus leide sie unter hochgradig ausgeprägter
Schmerzsymptomatik. Therapiemaßnahmen hätten bis jetzt keine relevante Linderung der bestehenden Schmerzsymptomatik erreichen
können. Ihre psychische Belastbarkeit sei dadurch ebenfalls deutlich eingeschränkt. Aufgrund der multiplen Funktionseinschränkungen
und der anhaltenden Schmerzsymptomatik sei sie nicht in der Lage, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit von wirtschaftlichem
Wert nachzugehen. Sie sei aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung außerstande, unter den üblichen Bedingungen des
Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Das Sozialgericht hat im Rahmen der Beweisaufnahme Behandlungs- und Befundberichte eingeholt. S hat in ihrem Befundbericht
vom 8. April 2019 ausgeführt, derzeit sei eine Einschätzung des zeitlichen Leistungsvermögens der Klägerin nicht möglich,
weil sie nur max. 30 Minuten sitzen und eine Gehstrecke von max. 300 m mit Hilfsmitteln bewältigen könne. In geschlossenen
Räumlichkeiten benutze die Klägerin derzeit einen Gehstock. Die Fachärztin für Physikalische und Rehabilitative Medizin V
hat in ihrem Befundbericht vom 11. April 2019 erklärt, die Klägerin könne gegebenenfalls leichte körperliche Arbeiten verrichten.
Sie gehe an Unterarm-Gehstützen. Eine Einschätzung des zeitlichen Leistungsvermögens der Klägerin sei ihr nicht möglich. Wegen
der weiteren Einzelheiten der Befundberichte sowie der mitgesandten Anlagen wird auf Blatt 51 bis 58 sowie 59 bis 70 der Gerichtsakten
verwiesen.
Schließlich hat das Sozialgericht ein fachorthopädisches Gutachten des Facharztes für Orthopädie/Chirotherapie P1 eingeholt.
Der gerichtliche Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 22. August 2019 nach der Untersuchung der Klägerin am 21. August
2019 folgende Diagnosen gestellt:
Zustand nach Implantation einer Hüftgelenks-TEP rechts (7. August 2013).
Insertionstendalgie im Bereich des Trochanter major rechts.
Bewegungseinschränkung im Bereich des rechten Beckengelenkes.
Leichte Minderung der Kraft der Hüftbeugemuskulatur rechts.
Leichte Minderung der Kraft der Kniegelenksbeugemuskulatur rechts.
Senk-Spreizfuß mit Hallux valgus beidseits.
Beinverkürzung links von 1 cm.
Hypästhesie im Bereich des rechten Oberschenkels distal lateral.
Blandes Cervicalsyndrom.
Dorsalgie bei degenerativen Veränderungen der Brustwirbelsäule (BWS).
Lumbalgie bei degenerativen Veränderungen der LWS.
Es sei insgesamt festzustellen, dass im Bereich des rechten Hüftgelenkes kein Befund bestehe, der die Massivität der beklagten
Beschwerden erkläre, eine nennenswerte Belastungsminderung des rechten Hüftgelenkes bedinge, den ständigen Einsatz von Schmerzmedikamenten
erforderlich mache und eine nennenswerte Einschränkung des Steh- und Gehvermögens bedinge. Aus rein orthopädischer Sicht sei
einzuschätzen, dass im Bereich des rechten Hüftgelenkes bei Zustand nach Endoprothesenplastik eine entsprechende normale Belastbarkeit
gegeben und auch das Gehvermögen nicht nennenswert eingeschränkt sei. Somit sei hinsichtlich einer Erwerbstätigkeit festzustellen,
dass die Klägerin täglich vollzeitig auf angepasstem Arbeitsplatz leichte körperliche Arbeit verrichten könne und sie auch
in der Lage sei, täglich zu Fuß, mit öffentlichen Verkehrsmitteln und auch mit dem eigenen Pkw einen entsprechenden Arbeitsweg
zurückzulegen. Es bleibe freilich die Frage offen, warum jemand, der über ein korrekt implantiertes Hüftgelenk verfüge und
bei welchem ein pathologischer Befund, welcher Schmerzen in diesem Gelenk erklären könnte, nicht festgestellt worden sei,
über so starke Beschwerden und eine so gravierende Einschränkung der Belastungsfähigkeit klage, wie es bei der Klägerin der
Fall sei. Ob eine Depressionserkrankung dabei eine Rolle spiele oder eventuell die alleinige Ursache sei, könne er - der gerichtliche
Sachverständige - nicht einschätzen. Insgesamt habe er nicht den Eindruck gehabt, dass bei der Klägerin ein psychisches Krankheitsbild
bestehe. Auf diesem Hintergrund sei auch die Frage der Aggravation und der Simulation schwer zu beantworten. Er - der gerichtliche
Sachverständige - denke, dass beides nicht vorliege, sondern dass sich eher im Laufe der Zeit seit der Hüftgelenksoperation
bzw. seit dem Auftreten postoperativer Schmerzen eine psychosomatische Erkrankung im Sinne einer Schmerzverarbeitungsstörung
entwickelt haben könnte.
P1 ist zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin an mindestens fünf Tagen in der Woche regelmäßig erwerbstätig sein könne,
ohne dass dies auf Kosten der Gesundheit gehen würde. Es sei ihr möglich, täglich sechs Stunden und mehr zu arbeiten. Im Hinblick
auf eine Dauerbelastung sollte nur noch leichte körperliche Arbeit verrichtet werden. Wünschenswert wäre, wenn die Klägerin
nur noch in geschlossenen Räumen arbeiten könnte. Ein zeitweiliges Arbeiten im Freien unter Witterungsschutz sei aber möglich.
Extreme Umwelteinflüsse wie Hitze, Kälte, Nässe, Feuchtigkeit und Zugluft sollten aus orthopädischer Sicht nicht zugemutet
werden. Der Einfluss von Staub und hautreizenden Chemikalien sei aus orthopädischer Sicht nicht relevant. Es wäre wünschenswert,
wenn die Klägerin wechselnd im Stehen, Gehen und Sitzen arbeiten könnte. Das überwiegende Beibehalten einer Körperhaltung
sei nicht erforderlich. Zu vermeiden seien Maschinen- oder Akkordarbeit, am Fließband oder unter besonderem Zeitdruck. Hinsichtlich
der Wirbelsäule sollten solche Tätigkeiten, bei denen in Zwangshaltungen für die Wirbelsäule und in häufiger Vorbeugehaltung
des Oberkörpers gearbeitet werden müsse, sowie sogenannte Überkopfarbeit nicht zugemutet werden. Tätigkeiten, welche den vollen
Einsatz der Hände, der Arme sowie der Finger verlangten, seien leistbar. Seitens des Seh- und Hörvermögens habe die Klägerin
angegeben, dass sie sowohl für das Weitsehen wie für das Lesen jeweils mit einer Brille versorgt sei und so gut zurechtkomme.
Eine Einschränkung des Hörvermögens sei von ihr nicht berichtet worden und habe auch im Rahmen der Begutachtung nicht festgestellt
werden können. Hinsichtlich des rechten Hüftgelenkes bestehe eine Einschränkung, welche sich aus der Tatsache ergebe, dass
ein Zustand nach Endoprothesenplastik bestehe. Es dürfe also nicht mehr auf Leitern und Gerüsten gearbeitet werden. Jede Sturzgefahr
sollte vermieden werden. Hinsichtlich der Belastung sei auch von daher nur noch leichte körperliche Tätigkeit zu verrichten.
Während der Arbeitszeit sei das Einlegen vermehrter oder verlängerter Pausen nicht erforderlich. Bei einem Arbeiten auf einem
leidensgerechten Arbeitsplatz sei die Klägerin in der Lage, im üblichen Arbeitsrhythmus zu arbeiten. Es bestehe keine Einschränkung
der Wegefähigkeit. Die Klägerin könne täglich viermal einen Fußweg von mehr als 500 m bewältigen. Eine Angabe der Zeit dazu
sei nicht möglich. Es sei aber einzuschätzen, dass eine nennenswerte Minderung der Geh-Geschwindigkeit im Vergleich zu altersgleichen
Personen aus den erhobenen Befunden nicht abgeleitet werden könne oder müsse. Öffentliche Verkehrsmittel könnten benutzt werden.
Aus orthopädischer Sicht bestehe keine nennenswerte Einschränkung hinsichtlich des Führens eines Pkw. Die Klägerin habe angegeben,
selbstständig einen Pkw zu führen. Sie tue dies aber wegen der beklagten rechtsseitigen Hüftgelenksbeschwerden nur über kurze
Strecken. Sie habe darüber hinaus darauf hingewiesen, dass sie nicht im Besitz eines eigenen Pkw sei. Das gesundheitliche
Hauptproblem der Klägerin bestehe nach ihrem Empfinden im Bereich der rechten Hüfte. Er - der gerichtliche Sachverständige
- habe auf der Grundlage der Gutachtenunterlagen sowie der eigenen Untersuchung feststellen können, dass eine Minderung der
Belastbarkeit der rechten Hüfte nach Endoprothesenplastik über das übliche Maß hinaus nicht bestehe. Zu der gleichen Einschätzung
sei auch schon die Gutachterin K gekommen. Wenngleich diese die Diagnosen anders formuliere, komme sie hinsichtlich der Belastbarkeit
doch zu den gleichen Einschätzungen wie er. Die Einschätzung zur Belastbarkeit durch die behandelnde Ärztin S könne er nicht
nachvollziehen. Das liege aber hauptsächlich daran, dass S. davon ausgehe, dass im Bereich des rechten Hüftgelenkes ein Krankheitsbild
vorliege, welches starke Beschwerden hervorrufe, die Benutzung von Gehhilfen sowie die tägliche Einnahme eines Schmerzmedikamentes
erforderlich mache. Da er zu einer völlig anderen Einschätzung hinsichtlich des rechten Hüftgelenkes als S komme, müsse er
auch zu einer anderen Einschätzung der Belastbarkeit kommen. Die durch S getroffene Einschätzung sei durch objektive Befunde
nicht gedeckt. Die behandelnde Ärztin V komme zu der Einschätzung, dass die Klägerin leichte körperliche Arbeit verrichten
könne. Die sonst von ihr getroffenen Einschränkungen zur Belastbarkeit deckten sich mit seiner jetzigen Einschätzung. Insgesamt
bestehe bei der Klägerin keine nennenswerte Einschränkung der Belastbarkeit. Letztlich gehe es darum, eine Beschwerdelinderung
zu erreichen. Hinsichtlich der objektiv nachvollziehbaren schmerzauslösenden Befunde im Bereich des rechten Beckengelenkes
und im Bereich des Trochanter major sei dies durch ambulante Behandlungen sehr gut möglich. Hinsichtlich einer vermuteten
Meralgia paraesthetica sei ebenfalls Hilfe durch konservative Behandlungen möglich. Nur in Ausnahmefällen müsse hier operiert
werden. Ob zusätzlich aus psychischer bzw. psychosomatischer Sicht geholfen werden müsse, müsse im ambulanten Bereich entschieden
werden.
Die Klägerin hat zu dem Gutachten von P. ausgeführt, mit diesem sei die Sachaufklärungspflicht ersichtlich noch nicht erfüllt.
P1 hätte insbesondere die Frage nach der nicht regelrechten Versorgung mit der Endoprothese klären müssen. Die gesundheitlichen
Probleme, die zu der Erwerbsunfähigkeit führten, seien letztlich auf die falsche Versorgung - zu große Pfanne, zu kleine Kugel,
zu geringe Verankerung im Oberschenkelknochen - wesentlich zurückzuführen. Die Klägerin hat den Entlassungsbrief des Krankenhauses
M. vom 22. November 2019 über die dortige stationäre schmerztherapeutische Behandlung vom 11. bis zum 22. November 2019 übersandt.
Dort ist ausgeführt, bisherige Voruntersuchungen einschließlich Magnetresonanztomografie (MRT) der LWS, der rechten Hüfte
und Röntgenaufnahmen des rechten Kniegelenkes hätten bis auf eine leichte Spondylartropathie und eine Ansatztendinopathie
keinen greifbaren pathologischen Befund ergeben. Auch die elektromyografische und elektroneurografische Untersuchung habe
keinen pathologischen Befund ergeben. Eine erneute Vorstellung bei den Orthopäden des Krankenhauses habe die Klägerin abgelehnt.
Im Sinne einer psychosomatischen Grundversorgung seien mit der Klägerin mehrfach ausführliche Gespräche geführt worden. Für
die Klägerin wären Änderungen ihrer Lebensgewohnheiten, Steigerung von körperlicher Aktivität, Teilnahme am Reha-Sport bzw.
auch Wassergymnastik äußerst wichtig. Eine Erhöhung der Tilidin-Dosis sei nicht anzustreben. Perspektivisch sollte eine Opiattherapie
eher nicht weitergeführt werden.
Mit Urteil vom 28. November 2019 hat das Sozialgericht Magdeburg die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht
ausgeführt, die Erwerbsfähigkeit der Klägerin sei auf leichte körperliche Arbeit im Wechsel von Sitzen, Stehen und Gehen,
überwiegend sitzend, ohne Zwangshaltungen, besondere Anforderungen an die Gang- und Standsicherheit, das Ersteigen von Treppen,
Leitern und Gerüsten, erhöhte Unfall- und Absturzgefahr sowie Arbeiten im Akkord und unter besonderem Zeitdruck vermindert.
Tätigkeiten mit diesem Anforderungsprofil könne die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes
noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Sie verfüge über die hierfür notwendige Wegefähigkeit. Auch anlässlich der
stationären Behandlung im Krankenhaus M. hätten keine greifbaren pathologischen Befunde für die schmerzbedingten Bewegungseinschränkungen
der Klägerin gefunden werden können. Im Ergebnis werde die Klägerin sowohl schmerz- und psychotherapeutisch als auch orthopädisch
als Behandlungsfall eingeschätzt.
Gegen das ihr am 10. Dezember 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. Januar 2020 Berufung beim Landessozialgericht
Sachsen-Anhalt eingelegt und diese - nach einer Betreibensaufforderung - mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2020 begründet. In
ihrer Berufungsbegründung hat sie wesentliche Teile der Klagebegründung sowie der Kritik an dem Gutachten von P. wiederholt.
Ergänzend und vertiefend hat sie ausgeführt, sie sei aufgrund ihrer multiplen Funktions- und Belastungseinschränkungen, der
anhaltenden Schmerzsymptomatik und des bei ihr vorliegenden depressiven Syndroms nicht in der Lage, einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit
von wirtschaftlichem Wert nachzugehen. Sie sei aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen außerstande, unter den üblichen
Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sie sei ebenfalls nicht in der Lage,
viermal am Tag Wegstrecken von 500 m Länge jeweils innerhalb von 20 Minuten zurückzulegen. Ebenso wenig könne sie zweimal
täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren. Sie habe kein eigenes Kfz. Wegen der körperlichen
Beeinträchtigungen, aber auch aufgrund der Opiat- und Schmerzmitteleinnahme, sei sie dessen ungeachtet außerstande, ein solches
jederzeit zu führen. Sie habe Dauerschmerzen im LWS-Bereich, der rechten Gesäß- und Hüftregion, der rechten Leiste und im
rechten Oberschenkel dorsolateral. Zusätzlich habe sie gelegentlich Schmerzen im 4. und 5. Zeh rechts und in den Zehen des
linken Fußes. Bei Belastung komme es zur Zunahme der Beschwerden, insbesondere im LWS-Bereich. Teilweise komme es zum plötzlichen
Versagen des rechten Beines. Deshalb sei sie bereits des Öfteren gestürzt. Dies sei auch der Grund für die Gehstütze bzw.
den Rollator. Ihre Schmerzen seien ziehend, stechend, drücken und brennend (NRS 7 bis 9, ständig). Durch Morphineinnahme sei
es nur ungenügend zu einer Schmerzlinderung gekommen. Es gingen eine erhebliche Tagesmüdigkeit und Magen- und Darmprobleme
einher. Sie sei schmerzbedingten stark in ihrer Lebensqualität und Leistungsfähigkeit eingeschränkt und seit 2013 arbeitsunfähig.
Sie sei oft stark gereizt, grübele viel und habe Ängste. Die Alltagsbewältigung falle ihr schwer. Freizeitaktivitäten seien
nur noch sehr eingeschränkt möglich. Außerhalb der Wohnung sei sie auf die Nutzung im Wesentlichen eines Rollators angewiesen.
Sie ziehe beim Laufen das rechte Bein nach. Dieses bleibe auch einfach stehen und knicke ein. Sie leide unter hochgradig ausgeprägter
Schmerzsymptomatik. Therapiemaßnahmen hätten keine Abhilfe schaffen können. Nicht zuletzt deswegen sei die psychische Belastbarkeit
ebenfalls deutlich eingeschränkt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 28. November 2019 und den Bescheid der Beklagten vom 25. April 2018 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung eine Rente
wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig. Es lägen zwei schlüssige orthopädische Gutachten vor, welche ein quantitativ
gemindertes Leistungsvermögen sowie eine rentenrechtlich relevante Wegeunfähigkeit nicht bestätigten.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 5. November 2020 sind die Beteiligten zu einer in Betracht kommenden Entscheidung des Senats
gemäß §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) angehört worden. Die Klägerin hat hierzu mitgeteilt, sie habe sich am 14. Dezember 2020 wegen ihrer Schmerzen und der bestehenden
körperlichen Beeinträchtigungen sowie der Unverträglichkeit der bisherigen Schmerzmedikamente bei der Fachärztin für Neurochirurgie,
spezielle Schmerztherapie und Akupunktur P2 vorgestellt. Die Klägerin hat weiter vorgetragen, sie könne nur kurz sitzen, laufen
(keine 200 m, nicht viermal am Tag) und stehen. Sie könne auch keine leichten Arbeiten über sechs Stunden täglich ausüben
und leide unter erheblichen Schmerzen. Ihre Wirbelsäule sterbe. P2 behandele sie mit Schmerzmittelinjektionen in die Nervenbahnen.
Die erste Spritze sei für den 13. Januar 2021 vorgesehen. Sodann seien zunächst neun weitere Spritzen geplant. Aus orthopädischer
Sicht werde eine Operation ihrer Hüfte nicht empfohlen, da die Gefahr bestehe, dass die Beschwerden noch schlimmer würden.
Aufgrund von Arthritis in den Zehen beider Füße können sie keine Einlagen tragen. Beides präge ihre Schmerzsituation deutlich.
P2 gehe vor dem Hintergrund der bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen von einer jeweils zeitlich begrenzten Wirkung
der Schmerzinjektionen aus.
Die Beklagte hat sich mit einer Entscheidung durch Beschluss im Sinne von §
153 Abs.
4 SGG einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten (zwei Bände) sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Diese Akten haben bei der Entscheidungsfindung des Senats vorgelegen.
II.
Der Senat durfte den Rechtsstreit durch Beschluss im Sinne von §
153 Abs.
4 SGG entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
Die Beteiligten sind vorher gehört worden.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist
rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in ihren Rechten (§§
153 Abs.
1,
54 Abs.
2 SGG).
Das Sozialgericht hat zu Recht unter Heranziehung der zutreffenden Rechtsgrundlage des §
43 SGB VI entschieden, dass bei der Klägerin kein Leistungsvermögen von unter sechs Stunden vorliegt. Die Klägerin ist auch zur Überzeugung
des Senats in der Lage ist, täglich sechs Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumindest leichte Tätigkeiten unter Beachtung
qualitativer Leistungseinschränkungen zu verrichten. Der Senat verweist zwecks Vermeidung von Wiederholungen zur Begründung
auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in seinem Urteil vom 28. November 2019 und macht sich diese aufgrund
eigener Überzeugungsbildung zu eigen (§
153 Abs.
2 SGG).
Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine andere Beurteilung. Für eine Rentengewährung müsste der Senat im Hinblick auf die
gesetzliche Regelung des §
43 Abs.
3 SGB VI ein Absinken des Leistungsvermögens unter die Grenze von sechs Stunden körperlich leichter Arbeit am Tag objektiv feststellen
können. Diese Feststellung ist jedoch angesichts der aktenkundigen medizinischen Unterlagen, insbesondere der orthopädischen
Gutachten von K. und P1, nicht möglich. Vordergründig sind bei der Klägerin ambulante Behandlungsmaßnahmen angezeigt, die
- jetzt bei P2 - auch durchgeführt werden. Eine rentenrelevante Leistungsminderung resultiert daraus nicht.
Bei der Klägerin liegt auch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen
nicht vor, die trotz des sechsstündigen Leistungsvermögens zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führen würden.
Die Beklagte war daher nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Das Restleistungsvermögen der Klägerin
reicht vielmehr noch für leichte körperliche Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen,
Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats des
Bundessozialgerichts [BSG] vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 -, SozR 3-2600 § 44
SGB VI Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33f.; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt im Urteil des BSG vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R -, juris). Das BSG geht in seinem Urteil vom 11. Dezember 2019 - B 13 R 7/18 R - weiterhin von dem Grundsatz des offenen Arbeitsmarktes aus und hält daran fest, dass Versicherte, die nur noch körperlich
leichte und geistig einfache Tätigkeiten, ggf. unter weiteren gesundheitlichen Einschränkungen, wenigstens sechs Stunden täglich
verrichten können, regelmäßig in der Lage sind, „erwerbstätig zu sein“ (juris, RdNr. 26 ff.).
Bei der Klägerin besteht darüber hinaus kein Katalog- oder Seltenheitsfall, der zu einer Verschlossenheit des allgemeinen
Arbeitsmarktes führen könnte. Der Arbeitsmarkt gilt auch dann als verschlossen, wenn einem Versicherten die so genannte Wegefähigkeit
fehlt; zur Erwerbsfähigkeit gehört auch das Vermögen, einen Arbeitsplatz aufsuchen zu können (vgl. GS BSG, Beschluss vom 19. Dezember 1996, a.a.O., zu Katalogfall 2). Dabei ist ein abstrakter Maßstab anzuwenden. Ein Katalogfall
liegt nicht vor, soweit ein Versicherter täglich viermal Wegstrecken von knapp mehr als 500 m mit einem zumutbaren Zeitaufwand
von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurücklegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten unter Berücksichtigung
aller ihm zur Verfügung stehenden Mobilitätshilfen benutzen kann. Die medizinischen Ermittlungen, insbesondere die orthopädischen
Gutachten von K und P1, haben keinen belastbaren Hinweis auf eine dermaßen eingeschränkte Wegefähigkeit ergeben, dass die
Klägerin die genannte Anforderung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr bewältigen könnte.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von
einer Entscheidung der in §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht.