Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung bei unangemessenen Heizkosten durch erheblichen Wohnungsleerstand
Gründe:
I.
Die Antragsteller und Beschwerdegegner (im Folgenden: Antragsteller) begehren die vollständige Übernahme der Heizkosten für
ihre Unterkunft im Rahmen von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der 1961 geborene Antragsteller zu 1. und die 1976 geborene Antragstellerin zu 2. bewohnen gemeinsam mit ihren im Jahr 1999,
2001, 2004, 2006, 2007, 2008 und 2010 geborenen Kindern (Antragsteller zu 3. bis 9.) zur Miete eine 5-Raum- und eine 3-Raum-Wohnung
mit insgesamt 165 m². Beide Wohnungen sind durch ein Durchgangszimmer verbunden und verfügen jeweils über einen Wohnungseingang.
Die Antragsteller stehen im fortlaufenden SGB II-Leistungsbezug. Der Antragsteller zu 1., die Antragstellerin zu 2. und die Antragstellerin zu 3. beziehen wechselndes Einkommen
aus geringfügigen Beschäftigungen. Der Antragsteller zu 1. bezieht eine Witwerrente in Höhe von 572,16 EUR. Für die Kinder
wird jeweils Kindergeld bezogen.
Die Miete der 8-Raum-Wohnung beträgt 1.018,54 EUR (Grundmiete: 524,54 EUR, sonstige Nebenkosten: 51,00 EUR; Heiz- und Warmwasserkosten
(Fernwärme): 443,00 EUR). Auf einen Weiterbewilligungsantrag vom 23. März 2015 bewilligte der Antragsgegner und Beschwerdeführer
(im Folgenden: Antragsgegner) mit Bescheid vom 14. April 2015 Leistungen für den Bewilligungszeitraum Mai bis Oktober 2015
zur Sicherung des Lebensunterhalts. Auf den Bescheid Bl. 3956 d.VA wird Bezug genommen. Dabei berücksichtigte der Antragsgegner
Kosten der Unterkunft (KdU) in Höhe von monatlich 524,52 EUR, Nebenkosten von 51,03 EUR und Heiz- und Warmwasserkosten von
lediglich 229,50 EUR. Hintergrund dieser Kürzung war eine Kostensenkungsaufforderung aus dem Jahr 2014. Hiergegen legten die
Antragsteller am 7. Mai 2015 Widerspruch ein und machten geltend: Die tatsächlichen Heizkosten seien höher als der vom Antragsgegner
bewilligte Betrag. Da kein alternativer Wohnraum zur Verfügung stehe und eine weitere Kostensenkung nicht möglich sei, entstehe
ein monatliches Negativsaldo von 213,50 EUR. Dies bringe sie in eine finanzielle Notlage.
Am 22. Mai 2015 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und ausgeführt: Bereits in zwei vorangegangenen einstweiligen Rechtsschutzverfahren
habe der Antragsgegner die volle Wohnfläche von 165 m² anerkannt. Aktuell gehe er dagegen nach dem Bundesdeutschen Heizspiegel
2014 nur noch von 135 m² Wohnfläche aus, was zu einem Vergleichswert von 20,40 EUR führe und den bewilligten 229,50 entspreche
(20,40 EUR mal 135 m² geteilt durch 12 Monate). Aus Sicht der Antragsteller bestehe keine Möglichkeit, die Heizkosten weiter
abzusenken, da dies wegen der objektbezogenen Zustände nicht möglich sei. Dies habe der Vermieter gegenüber dem Antragsgegner
auch bestätigt. Die Absenkung der KdU bringe die Antragsteller in eine prekäre finanzielle Lage.
Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren S 7 AS 1407/14 ER (Bl. 3519 d.VA) hatte die Kammervorsitzende in einem Erörterungstermin vom 30. Juli 2014 zwar die Höhe der Heizkosten
beanstandet, jedoch gleichzeitig aufgrund der persönlichen Situation der Bedarfsgemeinschaft Bedenken geäußert, ob eine andere
Wohnung anmietbar sei. Hieraus ergebe sich eine reduzierte Kostensenkungsobliegenheit und eine Pflicht des Antragsgegners
zur Übernahme höherer Kosten. Der Antragsgegner übernahm daraufhin im Vergleichswege höhere KdU. Der Vermieter der Antragsteller
hatte in zwei dem Antragsgegner vorliegenden Schreiben aus dem Jahr 2014 über Probleme berichtet, eine Betriebskostenabrechnung
für das Jahr 2011 zu erstellen, da es einen Rechtsstreit mit der Abrechnungsfirma gebe. Der Anstieg der Heizkosten sei auch
auf eine Besonderheit der Fernwärmezulieferung zurückzuführen. Durch den Abriss eines ganzen Straßenzuges und den Wegfall
von Abnehmern der Fernwärme würden die Grundkosten auf immer weniger Parteien umgelegt. Bei den Antragstellern komme hinzu,
dass die über und unter ihnen liegenden Wohnungen nicht vermietet und daher nicht mehr beheizt seien. Dies erhöhe den Wärmeverbrauch.
Die Leerstandsquote im Objekt betrage derzeit 31,32 %. Statt des durchschnittlichen Heizkostenwertes in der H.-G. -Straße
... bis ... von 11,32 EUR je m² betrage der Wert bei den Antragstellern 19,63 EUR je m².
Der Antragsgegner hat dagegen geltend gemacht: Ein Rechtsschutzinteresse zum Erlass einer einstweiligen Verfügung könne erst
ab dem 22. Mai 2015 bestehen. Als KdU seien als maximale Obergrenze 649,35 EUR anzusetzen. Zu Gunsten der Antragsteller habe
der Antragsgegner 575,54 EUR (Grundmiete zuzüglich kalte Betriebskosten) berücksichtigt. Ein weitergehender Anspruch bestehe
dagegen nicht. Die monatlichen Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von 443,00 EUR lägen deutlich über dem Wert des bundesdeutschen
Heizspiegels. Die Antragsteller könnten jedoch nur angemessene Heizkosten verlangen. Sie hätten weder vorgetragen noch glaubhaft
gemacht, dass sie Schritte zur Heizkosteneinsparung unternommen haben. Der Anordnungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Seit
geraumer Zeit erhielten die Antragsteller den abgesenkten Heizkostenbetrag, ohne dass konkrete Nachteile für sie entstanden
seien.
Am 2. Juni 2015 hat das SG dem Antragsgegner aufgegeben, alternative Wohnungsangebote im Einzugsbereich der Antragsteller vorzulegen, die die Angemessenheitsgrenzen
nicht überschritten. Am 9. Juni 2015 hat der Antragsgegner vergleichsweise vorgeschlagen, für den Zeitraum vom 1. Mai bis
31. Oktober 2015 insgesamt 280,50 EUR Heizkosten vorläufig zu übernehmen. Die Antragssteller haben erklärt, es seien die tatsächlichen
Heizkosten zu übernehmen.
Der Antragsgegner hat zunächst drei Wohnungsangebote aus S. bzw. H./E. mit niedrigeren Betriebskosten zur Gerichtsakte gereicht.
Die Antragsteller haben ausgeführt, Wohnflächen von ca. 100 m² seien für eine neunköpfige Familie unzureichend und lägen in
einem angrenzenden anderen Bundesland (B.). Zudem werde Ende August ein weiteres Kind erwartet. Am 22. Juni 2015 hat der Antragsgegner
vier weitere Mietangebote in J. mit zwei Mal 98 m² bzw. 106 m² und in G.-B. (Stadtteil von K.) mit 130 m² vorgelegt. Die Antragsteller
haben dagegen vorgebracht: Auch die weiteren Wohnungsangebote seien erkennbar für sieben bzw. bald acht Kinder ungeeignet.
Anscheinend sei dem Antragsgegner die konkrete Wohnsituation nicht bekannt. Der Mehrverbrauch werden durch einen erheblichen
Leerstand im Objekt verursacht.
Mit Beschluss vom 26. Juni 2015 hat das SG den Antragstellern vorläufig weitere Leistungen vom 22. Mai bis 31. Oktober 2015 in Höhe von monatlich 213,50 EUR, für Mai
2015 anteilig in Höhe von 71,17 EUR, längstens bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, bewilligt und
im Übrigen den Antrag abgelehnt. Die Antragsteller hätten Anspruch auf die tatsächlichen Heiz- und Warmwasserkosten in Höhe
443,00 EUR. Die vom Antragsgegner errechneten Regelbedarfe und Sozialgeld seien zwischen den Beteiligten unumstritten und
nach vorläufiger Prüfung zutreffend ermittelt. Der Antragsgegner müsse die tatsächlichen Heiz- und Warmwasserkosten in Höhe
von 443,00 EUR übernehmen. Bei einem 9-Personen-Haushalt sei von einer Wohnfläche von 130 m² auszugehen. Dies habe der Antragsgegner,
der sogar 135 m² veranschlagt hat, beachtet. Lege man den Bundesweiten Heizkostenspiegel 2014 zugrunde, überschritten die
Heizkosten die darin enthaltenen Werte um mehr als 200,00 EUR erheblich und seien daher unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Daher müsse die Bedarfsgemeinschaft Gründe dafür vortragen, warum diese unangemessenen Heizkosten gleichwohl noch als angemessen
anzusehen seien. Auch unangemessen hohe Kosten, die der Leistungsempfänger nicht beeinflussen könne, schlössen Kostensenkungsmaßnahmen
nicht aus. In einem abschließenden Prüfungsschritt nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II müsse festgestellt werden, ob sich daraus eine Pflicht zur Kostensenkung ergebe. Könne der Leistungsempfänger durch Energiesparmaßnahmen
keine Kostensenkung erreichen oder sei er dafür nicht motiviert, komme ein Wohnungswechsel in Betracht. Ein solcher Wohnungswechsel
sei mangels geeigneter Alternativwohnungen nicht möglich. Angesichts der bald 10-köpfigen Bedarfsgemeinschaft sowie der Kinder
im Kindergarten- und Schulalter müsse bei einem Umzug das soziale und schulische Umfeld beachtet werden. Dies beschränke zumutbare
Wohnungsoptionen auf das nähere örtliche Umfeld ein (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 22. August 2012, B 14 AS 13/12 R, juris). Der Antragsgegner könne daher die Antragsteller nicht in ein anderes Bundesland oder auf eine Wohnung in G.-B.
verweisen. Die vorgeschlagenen Wohnungen in J. seien mit ca. 100 m² zu klein. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass
es derzeit keine geeigneten Wohnungen für die Antragsteller auf dem Mietwohnungsmarkt gebe. Aus den vorangegangenen Vereinbarungen
der Beteiligten aus zurückliegenden Bewilligungsabschnitten lasse sich keine rechtliche Wertung ableiten. Auch ein Anordnungsgrund
sei gegeben. Wegen der länger bestehenden Bedarfsunterdeckung von monatlich 213,50 EUR sei von einem Anordnungsgrund auszugehen.
Der Antragsgegner hat gegen den am 29. Juni 2015 zugestellten Beschluss am 30. Juni 2015 Beschwerde beim Landessozialgericht
Sachsen-Anhalt eingelegt und ausgeführt: Ein Anordnungsanspruch sei nicht gegeben. Die Antragsteller hätten die gravierende
Überschreitung der angemessenen Heizkosten von über 200,00 EUR weder begründet noch Maßnahmen zur Kostensenkung glaubhaft
vorgetragen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) wären für einen 9-Personenhaushalt bis zu 130 m² förderungsfähig. Hierbei wäre der Antragsgegner auch bereit, 135 m² bzw.
im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auch die tatsächlichen 165 m² zugrunde zu legen. Dies ergebe angemessene
Heizkosten von 229,50 EUR, die von Seiten der Antragsteller gravierend überschritten würden. Diese erhebliche Überschreitung
der angemessenen Heizkostengrenze von mehr als 200 EUR führe zu einer Umkehr der Beweislast. Hierfür hätten die Antragsteller
jedoch keine Gründe vorgetragen. Mithin bleibe für die Antragsteller nur die Möglichkeit, die Energiekosten durch Einsparungen
zu senken oder einen Wohnungswechsel vorzunehmen. Hierfür seien die Antragsteller einen glaubhaften Sachvortrag schuldig geblieben.
Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts seien auch die vom Antragsgegner ermittelten Alternativwohnräume von S. (5-Raum-Wohnung)
und die auf 200 qm erweiterbare 4-Raumwohnung in G.-B. für einen Umzug der Antragsteller zumutbar. Der Hinweis, ein Umzug
in ein anderes Bundesland sei unzumutbar, widerspreche § 41 Abs. 3 Satz 1 Schulgesetz Sachsen-Anhalt. Hiernach könnten Schüler
auf Antrag an der bisherigen Schule verbleiben. Auch fehle es an einem Anordnungsgrund. Die Antragsteller hätten keine Ausführungen
zu schwerwiegenden und unzumutbaren Vermögensdispositionen getroffen. Offenbar werde der Differenzbetrag durch eigene Mittel
schon über längere Zeit selbst ausgeglichen. Es seien daher keine Tatsachen erkennbar, die den Eintritt eines wesentlichen
Nachteils im Sinne einer objektiv konkreten unmittelbar bevorstehenden Gefahr erkennen lassen.
Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 26. Juni 2015 aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung abzulehnen.
Die Antragsteller beantragen nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Beschwerde zurückzuweisen und ihnen Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt W. zu bewilligen.
Sie tragen vor: Die vorgeschlagenen Alternativwohnungen seien unzumutbar. Dies gelte insbesondere für den vorgeschlagenen
Wohnraum in einem anderen Bundesland. Der Anordnungsgrund sei gegeben, da die Antragsteller mittels Abtretungserklärung den
gekürzten Leistungsanspruch an den Vermieter durch den Antragsgegner überweisen ließen, um keine Mietschulden oder Kündigungssachverhalte
herbeizuführen. Die Einnahmen der Antragsteller genügen dann nicht mehr, um den Grundbedarf zu sichern.
Nach einem Hinweis des Berichterstatter hat der Antragsgegner ergänzend ausgeführt: Im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsberechnung
ergäben sich für einen 9-Personen-Haushalt und 135 m² nach § 22 SGB II unter Beachtung der Verwaltungsvorschrift des Landeskreises W. angemessene Unterkunftskosten in Höhe von 649,35 EUR und bei
einem 10-Personen-Haushalt und 145 m² ein Betrag von 697,45 EUR. Bei Zugrundelegung angemessener Heizkosten von 229,50 EUR
(9-Personen-Haushalt) bzw. 246,50 EUR (10-Personen-Haushalt) ergäben sich Gesamtkosten von 878,85 EUR bzw. 942,95 EUR. Die
tatsächlichen KdU-Kosten von 1.018,54 EUR überschritten diese Kostengrenze daher erheblich. Die vom Antragsgegner angebotenen
Alternativwohnungen stammten aus dem gesamten Kreisgebiet. Mangels gegenteiligen Vortrages der Antragsteller sei von einem
unwirtschaftlichen Heizverhalten auszugehen.
Die Antragsteller haben zur Frage des Anordnungsgrundes auf einen Hinweis des Berichterstatters ausgeführt: Die Miete sowie
Energiekosten überweise der Antragsgegner auf Grundlage einer Abtretung. Entsprechend einer näher aufgeführten Saldierung
von Einnahmen sowie Kosten stünden den Antragstellern, die nunmehr zu zehnt seien, Einkünfte von ca. 3.200,00 EUR höhere Ausgaben
von ca. 4.400,00 EUR gegenüber. Ab September 2015 überweise der Antragsgegner nur noch 856,61 EUR, so dass nun auch monatlich
Mietschulden aufliefen.
Am 10. September 2015 hat der Berichterstatter auf die zivilrechtliche Rechtsprechung zum Leerstand in Mietwohnungen (Bundesgerichtshof
für Zivilsachen, Urteil vom 10. Dezember 2014, VII ZR 9/14, juris) hingewiesen. Hiernach könne dem Mieter u.U. einen Anspruch auf Anspruchsbegrenzung gegenüber dem Vermieter zustehen.
Der Antragsgegner hat hierzu wörtlich ausgeführt:
"Entgegen der Auffassung des Gerichts, dürfte es auch nicht Aufgabe des Antragsgegners sein, hier in einer Art "Streitgenossenschaft"
gemeinsam mit den Antragstellern zivilprozessual gegen den Vermieter vorzugehen."
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge
des Antragsgegners ergänzend Bezug genommen. Die genannten Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats.
II.
Die nach §
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist nach §
172 Abs.
3 Nr.
1 SGG zulässig. Der Beschwerdewert liegt über 750,00 EUR. Aufgrund des vom SG zuerkannten Betrags liegt die vom angegriffenen Beschluss für den Antragsgegner ausgehende Beschwer bezüglich der Nachforderung
bei insgesamt 1.281 EUR (213,50 EUR x 6 Monate) und damit über der maßgeblichen Beschwerdewertgrenze.
Die Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat den Antragsgegner zu Recht vorläufig zur Zahlung der vollen Heizkosten in Gesamthöhe von monatlich 443,00 EUR verpflichtet.
Das Gericht kann nach §
86b Abs.
2 SGG eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung
des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers erschwert oder wesentlich vereitelt wird. Einstweilige
Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung
ist gemäß §
86b Abs.
2 Satz 4
SGG iVm §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) stets die Glaubhaftmachung des Vorliegens sowohl eines Anordnungsgrunds (also die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile) als auch eines Anordnungsanspruchs (die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Hauptsache gegebenen
materiellen Leistungsanspruchs). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige
Entscheidung der Hauptsache nicht vorweg genommen werden.
Der Beweismaßstab im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erfordert im Gegensatz zu einem Hauptsacheverfahren für das
Vorliegen der anspruchsbegründenden Tatsachen nicht die volle richterliche Überzeugung. Dies erklärt sich mit dem Wesen dieses
Verfahrens, das wegen der Dringlichkeit der Entscheidung regelmäßig keine eingehenden, unter Umständen langwierigen Ermittlungen
zulässt. Deshalb kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur eine vorläufige Regelung längstens für die Dauer des Klageverfahrens
getroffen werden, die das Gericht in der Hauptsache nicht bindet.
Ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen überwiegend wahrscheinlich
sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage, 2014 zu §
86b RN. 16b). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters des einstweiligen Rechtsschutzes die endgültige Entscheidung
in der Hauptsache nicht vorweggenommen werden.
1. Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist die sozialgerichtliche Entscheidung nicht zu beanstanden, da die Antragsteller einen
Anspruch auf die Bewilligung weiterer KdU-Leistungen iHv 213,50 EUR nach §§ 19, 22 SGB II hinreichend glaubhaft gemacht haben.
Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden vom Leistungsträger die KdU in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Vorliegend
ist noch ein Anspruch der Antragsteller auf Übernahme von monatlich weiteren 213,50 EUR für Heizkosten zwischen den Beteiligten
streitig. Zutreffend hat das SG zunächst eine deutliche Überschreitung der konkreten Heizkosten nach dem Bundesheizspiegel 2014 bei den Antragstellern festgestellt
und daraus die Annahme abgeleitet, dass diese Kosten auch unangemessen hoch iSv § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind. Denn die zu Grunde gelegte Grenze berücksichtigt bereits ein unwirtschaftliches und tendenziell unökologisches Heizverhalten.
Darüber hinausgehende Heizkosten weisen in der Regel auf einen Verbrauch hin, der dem allgemeinen Heizverhalten in der Bevölkerung
nicht mehr entspricht.
Nach der Kostensenkungsaufforderung des Antragsgegner und dem Ablauf der Sechs-Monats-Frist war zu prüfen, ob den Antragstellern
gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II gleichwohl noch ein höherer Anspruch auf Leistung für die Unterkunft in voller Höhe zusteht. Dies ist nach vorläufiger Bewertung
der Sach- und Rechtslage als überwiegend wahrscheinlich zu bejahen.
Soweit die Aufwendungen des Hilfebedürftigen für die Unterkunft (Nettokaltmiete plus Betriebskosten) die abstrakt angemessene
Leistung für die Unterkunft übersteigen, sind die Aufwendungen nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II solange zu berücksichtigen, wie es nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder
auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Wegen des Ausnahmecharakters
der Erstattung nicht angemessener Unterkunftskosten sind strenge Anforderungen an die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der
Unzumutbarkeit zu stellen (vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, B 4 AS 30/08 R; Urteil vom 23. August 2011, B 14 AS 91/10 R, juris).
Hierbei greift es entschieden zu kurz, wenn der Antragsgegner sich darauf beschränkt, den Antragstellern einen unzureichenden
Sachvortrag zu konkreten Heizkosteneinsparmaßnahmen vorzuwerfen und er ihnen unter Vorlage von alternativen Wohnraumangeboten
einen Umzug nahelegt. Denn es liegen hier Besonderheiten vor, die einen Ausnahmefall wahrscheinlich machen.
a. Zunächst ist die atypische Wohnungssituation zu beachten: Um überhaupt angemessenen Wohnungsraum für die inzwischen 10-köpfige
Familie zu finden, wurden zwei Wohnungen zusammengelegt. Diese sind zwar durch einen Wanddurchbruch in einem Durchgangszimmer
verbunden. Gleichwohl ist von den fünf haushaltsangehörigen Kindern von bis zu 11 Jahren nicht zu erwarten, dass sie ausschließlich
über das Durchgangszimmer zwischen beiden Wohnungen wechseln. Es ist davon auszugehen, dass sie dafür auch die geöffneten
Wohnungseingangstüren nutzen, was mit größeren Wärmeverlusten verbunden sein kann.
b. Des Weiteren könnte auch die tatsächlich bewohnte Fläche von 165 m² als angemessene Wohnungsfläche anstelle von 130 m²
bzw. 140 m² zugrunde zu legen sein, weil darin ein überdurchschnittlicher Anteil an Verkehrsflächen (z.B. zwei Flure, ein
Durchgangszimmer) enthalten ist, der sich nicht zum Wohnen im eigentlichen Sinne eignet.
c. Schließlich ergeben sich aus den Angaben des Vermieters zum Leerstand im Gebäude Anhaltspunkte für einen erhöhten Heizaufwand,
den nicht die Antragsteller zu verantworten haben. Nach den Angaben des Vermieters sind die Wohnungen der Antragsteller von
leerstehenden und damit unbeheizten Wohnungen nach oben und unten hin umschlossen. Dies führt zwangsläufig zu einem höheren
Heizaufwand. Leerstandsbedingte Kostenverschiebungen zu Lasten der Mieter sind im Zivilrecht ein gerichtsbekanntes Problem.
So hat der BGH im Urteil vom 10. Dezember 2014 (VIII ZR 9/14, juris) aus leerstandsbedingten Kostenverschiebungen den Mietern aus Treu und Glauben (§
242 Bürgerliches Gesetzbuch) ein Recht auf Anspruchsbegrenzung gegen den Vermieter zugestanden. Dem Antragsgegner obliegt es daher, die Antragsteller
im Rahmen der allgemeinen Beratungspflichten nach §
14 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (
SGB I) auf diese Rechte hinzuweisen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ist der Leistungsträger bei einem Sozialrechtsverhältnis verpflichtet, den Hilfebedürftigen bei der Geltendmachung von Rechten
gegen den Vermieter zu unterstützen (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2011, B 14 AS 15/11 R; Urteil vom 17. Februar 2015, B 14 KG 1/14 R, juris). Er darf ihn nicht lediglich auf seine Selbsthilfemöglichkeiten verweisen. Diese Beratungspflicht ist weitreichend,
sie geht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung bis zur eigenen Beteiligung des Leistungsträgers an einem zivilrechtlichen
Rechtsstreit (BSG, aaO.). Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kommt auch eine Unterstützung im Wege der Streitgenossenschaft in Betracht.
Verlangt der Leistungsträger trotz erheblichen Leerstandes im Wohnobjekt vom Hilfebedürftigen Kostensenkungsmaßnahmen, darf
er sich der Einbeziehung des Vermieters in seine Überlegungen zur Kostensenkung nicht einfach verschießen. Dies gilt auch
gerade vor dem Hintergrund, dass der Vermieter im vorliegenden Fall offenbar Probleme hatte, die Betriebskosten für das vorangegangene
Kalenderjahr zeitnah abzurechnen.
d. Schließlich dürfte auch ein Wohnungswechsel (derzeit) unzumutbar sein. Es scheint keinen angemessenen und zumutbaren Wohnraum
für die Antragsteller in ihrem Wohnort J. zu geben. Die vom Antragsgegner vorgeschlagenen Wohnungen in J. sind mit Wohnflächen
um 100 m² deutlich zu klein. Ein Wechsel des Wohnortes scheint nicht zumutbar, da dieser üblicherweise mit Schulwechseln verbunden
ist. Erst recht dürfte ein Umzug über den Vergleichsraum (möglicherweise Landkreis W.) hinaus in ein anderes Bundesland die
Grenze der Zumutbarkeit überschreiten.
e. Bevor der Antragsgegner nicht selbst mögliche Kostensenkungen beim Vermieter zu erreichen versucht, sind die Antragsteller
nicht verpflichtet, in andere Wohnungen umzuziehen. Hält man die 165 m² große Wohnung der Antragsteller wegen der besonderen
Umstände für zehn Personen noch für angemessen, ergibt sich nach den KdU-Richtwerten des Antragsgegners eine maximale Gesamtmiete
von 1.074,65 EUR (KdU 4,81 EUR/m² x 165 = 697,45 EUR; Heizkosten: 20,40 EUR/m² x 165: 12 = 280,50 EUR). Die tatsächlichen
KdU der Antragsteller liegen mit 1.018,54 EUR unter diesem Wert. Schließlich ist ein Wohnungswechsel als Kostensenkungsmaßnahme
wegen zu hoher Heizkosten nur dann zumutbar, wenn in einer alternativ zu beziehenden Wohnung insgesamt tatsächlich niedrigere
Bruttowarmkosten entstehen (BSG, Urteil vom 12. Juni 2013, B 14 AS 60/12 R, juris).
2. Der Anordnungsgrund ist ebenfalls glaubhaft gemacht. Auch wenn es den Antragstellern trotz der nun schon länger dauernden
Kürzungen gelungen ist, finanziell "irgendwie" durchzuhalten, kann ein Eilbedürfnis nicht verneint werden. Die Antragsteller
haben glaubhaft gemacht, dass sie monatlich Teile des Regelbedarfs zum Ausgleich für die KdU aufwenden, um Mietrückstände
und Kündigungsrisiken abzuwenden. Dies ist nicht dauerhaft hinzunehmen. Zudem dürfen die Anforderungen an den Anordnungsgrund
auch wegen des sehr wahrscheinlichen Anordnungsanspruchs nicht überzogen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.
Den Antragstellern ist gemäß §
73 a Abs.
1 SGG i.V.m. §§
114 ff
ZPO Prozesskostenhilfe zu gewähren. Sie sind nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die
Kosten der Prozessführung aufzubringen. Die Erfolgsaussicht war gemäß §
119 Abs.
1 Satz 2
ZPO nicht zu prüfen.