Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Kein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung bei Gicht und Untergewicht
Tatbestand:
Der Kläger begehrt höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der am ... 1974 geborene Kläger bezieht seit August 2007 Leistungen nach dem SGB II. Er bewohnt eine 61,4 m² große Mietwohnung in R. Am 14. Februar 2012 beantragte er weitere Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten, der mit Bescheid vom 27. Februar 2012 für 1. April bis 30. September 2012 monatlich 647,07 EUR bewilligte.
Dieser Betrag setzte sich wie folgt zusammen:
Regelleistung: 374,00 EUR
Grundmiete: 197,63 EUR
Nebenkosten: 66,84 EUR
Mehrbedarf Warmwasserbereitung: 8,60 EUR
Gesamtbedarf: 647,07 EUR
Am 10. April 2012 beantragte der Kläger beim Beklagten die Bewilligung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung
gemäß § 21 Abs. 5 SGB II und führte zur Begründung aus: Bei ihm sei schon vor anderthalb Jahren eine Gichterkrankung festgestellt worden. Mit dem
Regelsatz könne er die notwendige teure Ernährung nicht finanzieren und benötige daher einen ernährungsbedingten Mehrbedarf.
Mit Bescheid vom 16. April 2012 lehnte der Beklagte Leistungen für Mehrbedarf ab und führte zur Begründung aus: Gemäß § 21 Abs. 5 SGB II erhielten erwerbsfähige Hilfsbedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen
Mehrbedarf in angemessener Höhe. Dieser Mehrbedarf werde nur gewährt, wenn die kostenaufwändige Ernährung aus medizinischen
Gründen nachweislich belegt sei. Nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 1. Oktober
2008 werde für die Gicht keine Krankenkostzulage gewährt. Hiergegen legte der Kläger am 27. April 2012 Widerspruch ein und
machte geltend: Die Empfehlungen des Deutschen Vereins e.V. würden vom Bundessozialgericht nicht anerkannt. Am 30. April 2012
legte der Kläger eine Rechnung seines Vermieters wegen Schornsteinfegerkosten in Höhe von 75,10 EUR vor. Dies führte zu einem
Änderungsbescheid vom 30. April 2012, in dem unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Februar 2012 für den Bewilligungsabschnitt
April 2012 Leistungen in Höhe von 722,17 EUR bewilligt wurden. Am 31. Mai 2012 legte der Kläger die Anlage auf Gewährung eines
Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung sowie eine ärztliche Bescheinigung vom Facharzt für Chirurgie Dipl.-Med. R. beim
Beklagten vor. Hiernach leide er an einer chronischen Arthritis urica, die eine kalorienreduzierte Kost erfordere. Mit Widerspruchsbescheid
vom 21. Mai 2012 lehnte der Beklagte einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung ab. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins
zur Gewährung von Krankenkostzulagen für die Sozialhilfe aus dem Jahre 2008 seien als Orientierungshilfe heranzuziehen. Dies
rechtfertige es, mangels medizinischer Besonderheiten die Voraussetzungen einer besonderen kostenaufwändigen Ernährung abzulehnen.
Hiergegen hat der Kläger, nunmehr anwaltlich vertreten, am 18. Juni 2012 Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben, sein Begehren weiterverfolgt und zur Begründung ausgeführt: Er wiege bei einer Körpergröße von 174 cm nur 55 kg,
was einem BMI von 18,2 kg/m² entspreche. Diesen medizinischen Sachverhalt habe der Beklagte bei seiner ablehnenden Entscheidung
nicht berücksichtigt. Neben der ärztlich verordneten purinreduzierten Kost müsse er auch auf sein Gewicht achten und dabei
besondere Lebensmittel zu sich nehmen, um sein zu geringes Körpergewicht zu stabilisieren bzw. wieder zu erhöhen. Die Empfehlungen
des Deutschen Vereins zur Gewährung von Krankenkostzulagen seien nicht schematisch anzuwenden, sondern müssten die Besonderheiten
seiner Erkrankung berücksichtigen.
Am 13. August 2012 stellte der Kläger einen Folgeantrag, auf den der Beklagte für Oktober 2012 bis März 2013 Leistungen in
monatlicher Höhe von 647,07 EUR bewilligte (Bescheid vom 14. August 2012).
Das SG hat ärztliche Befundunterlagen der den Kläger behandelnden Ärzte beigezogen. Der Facharzt für Innere Medizin Dipl.-Med. W.
hat am 1. September 2012 ausgeführt: Der Kläger sei in einem guten Allgemein- und ausreichendem Ernährungszustand (57 kg).
Diagnostisch bestehe ein chronisches Lendenwirbelsäulensyndrom, ein Bandscheibenvorfall sowie eine Gicht, chronische Gastritis
und eine Pollinose (Eiweißallergie). Darüber hinaus leide er an Heuschnupfen sowie an einer Medikamentenunverträglichkeit
gegen näher bezeichnete Substanzen.
Der Beklagte hat ausgeführt: Die vom Kläger geltend gemachte Besonderheit einer kalorienreduzierten Kost sowie der Notwendigkeit,
sich mit Lebensmitteln mit hohem Nährwert zu versorgen, könne nicht nachvollzogen werden. Er möge daher darlegen, welche teuren
Produkte er kaufen müsse, um sich erkrankungskonform zu ernähren.
Der Kläger hat einen Arztbrief des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. V. vom 1. August 2013 vorgelegt. Hiernach
leide er an multiplen Unverträglichkeiten gegenüber NSAR (nichtsterodales Antirheumatikum) und Coxiben (entzündungshemmende
Arzneistoffe). Entzündungszeichen lägen derzeit nicht vor. Zusammenfassend werde ärztlich eine Behandlung beim Schmerztherapeuten
empfohlen.
In der mündlichen Verhandlung vom 2. Oktober 2013 hat der Kläger die Aufhebung der ablehnenden Bescheide sowie die Verpflichtung
begehrt, ihm ab Antragstellung SGB-II-Leistungen unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfszuschlages für kostenaufwändige Ernährung zu bewilligen. Mit Urteil vom
selben Tage hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Nach den eingeholten medizinischen Unterlagen lasse sich ein krankheitsbedingter
Mehrbedarf für eine kostenaufwändige Ernährung nicht feststellen. Das Urteil enthielt eine Rechtsmittelbelehrung für eine
Berufung.
Gegen das am 5. November 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29. November 2013 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
eingelegt und geltend gemacht: Er leide neben der Gicht auch an Untergewicht. So habe er noch im Jahr 2010 bei einer Körpergröße
von 174 cm ca. 70 kg gewogen. Seit Ende des Jahres 2012 habe sich sein Gewicht auf annähernd 50 kg reduziert. Die Hintergründe
der stetigen Gewichtsabnahme seien noch ungeklärt. Gegen die Untergewichtigkeit müsse er hochkalorische Kost zu sich nehmen.
Sein BMI habe mit deutlich unter 18,5 kg/m² (jetzt: 17,2 kg/m²) bereits eine kritische Grenze erreicht. Es entstünden ihm
ernährungsbedingte Mehrkosten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Dessau-Roßlau vom 2. Oktober 2013 sowie den Bescheid vom 16. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 21. Mai 2012 aufzuheben, den Bescheid vom 27. Februar 2012 sowie den Änderungsbescheid vom 30. April 2012 abzuändern und
den Beklagten zu verurteilen, für die Monate April bis September 2012 ihm monatlich weitere 131,74 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat geltend gemacht: Bereits die Zulässigkeit der Berufung sei unklar, da der Berufungsgegenstand nicht konkret beziffert
worden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestehe nur dann ein Anspruch auf einen Mehrbedarf in angemessener Höhe, wenn die Erkrankung eine besondere "Krankenkost"
erfordere, die im Vergleich zur üblichen Ernährung kostenaufwändiger sei. Beim Kläger liege eine Gicht vor, die eine purinreduzierte
Ernährung erfordere. Ein krankheitsbedingter Mehraufwand sei daher nicht nachgewiesen.
Der Kläger hat ergänzend ausgeführt: Da wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr geltend gemacht würden, sei von der
Zulässigkeit der Berufung auszugehen. Nach einem vorgelegten Ernährungsprotokoll für die Zeit vom 11. November 2013 bis 11.
Dezember 2013 habe er in diesem Monat 260,00 EUR allein für Ernährung ausgewendet. Im Regelbedarf seien für Ernährung lediglich
monatlich 128,26 EUR vorgesehen. Die Mehrkosten würden insbesondere durch den Kauf von Vollkornprodukten verursacht. Zudem
seien fettarme Produkte regelmäßig teurerer als normale Lebensmittel. Für Medikamente gegen die Gicht- und Magenerkrankung
entstünden monatliche Zusatzaufwendungen von weiteren 3,00 EUR.
Der Beklagte hat dagegen eingewandt: Die vorgelegten Quittungen für einen Monat genügten nicht, um einen realistischen Mehrbedarf
nachzuweisen. Die gekauften Lebensmittel seien teilweise auch nicht als Krankenkost anzuerkennen.
Der Senat hat ein Sachverständigengutachten vom Facharzt für Innere Medizin, Kardiologie, Ernährungs-, Sozial- und Verkehrsmedizin
Dr. M. vom 27. Januar 2015 eingeholt, der ausgeführt hat: Der Kläger habe angegeben, er habe bis zu einer Haftstrafe im Jahr
2006 maximal 84 kg gewogen. Während der Haft habe er auf 68 kg abgenommen und dabei auch Sonderkost erhalten. Während einer
Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (Kinderbauernhof R.) hätten sich ein Heuschnupfen und Rückenschmerzen sowie Schmerzen und Steifigkeit
in den Fingern entwickelt. Bei einer medizinischen Untersuchung seien zudem erhöhte Harnsäurewerte festgestellt worden. Zunächst
habe er die Ernährungsempfehlungen zur Senkung der Harnsäurewerte nicht ernst genommen. Im Jahr 2011 sei das rechte Fußgelenk
schmerzhaft angeschwollen. Die Ärzte hätten dann erstmals Gicht diagnostiziert. Die Empfehlung, auf eine purinarme Ernährung
umzustellen, falle ihm aus finanziellen Gründen schwer. Er versuche sich fettarm und mittels Vollkornprodukten zu ernähren,
die jedoch deutlich teurer seien. Ca. alle 10 Tage esse er auch einmal Fleisch, wobei er Pute oder Huhn bevorzuge. Wegen einer
Osteoporose sei ihm der Konsum von Milchprodukten empfohlen worden, was er möglichst einhalte. Seit 2009 habe er Schmerzen
in der Lendenwirbelsäule. Lähmungs- oder Gefühlsstörungen seien bisher noch nicht aufgetreten. In der bildgebenden Diagnostik
sei ein Bandscheibenprolaps diagnostiziert worden. Therapeutisch erfolge eine konservative Schmerztherapie, mit der er unter
der aktuellen Medikation gut zurecht komme. Die Fingergelenksarthrose habe sich seit 2009 nicht weiter verändert. Seit einer
Desensibilisierungstherapie habe er anfallsweise einen beschleunigten Herzrhythmus, jedoch keine Angina pectoris.
Der Kläger sei ledig und bewohne eine Zweiraumwohnung im Erdgeschoss. Er lebe in einem Dorf, versorge seinen Haushalt selbstständig
und backe das Brot selbst, fahre zum Einkaufen und treffe sich mit Freunden und Bekannten. Laut der von ihm vorgelegten Ernährungsprotokolle
erfolge eine abwechslungsreiche Ernährung mit fünf bis sechs Mahlzeiten am Tag. Die dabei erreichte Nährstoff- und Mineralstoffzufuhr
entspreche nicht den empfohlenen Richtwerten nach der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). Der Kläger habe angegeben,
dass er innerhalb von ca. anderthalb Jahren 15 kg Gewicht verloren habe. Als Grund gebe er die durch die Gicht bedingte Umstellung
der Ernährung auf eine eiweiß- und fettärmere Kost nach ärztlicher Empfehlung an. Er nehme vermehrt Gemüse sowie magere Milchprodukte
zu sich und verzehre selbstgebackenes Vollkornbrot. In der körperlichen Untersuchung zeigte sich ein normaler Allgemeinzustand
sowie magerer Ernährungszustand. Der BMI betrage 17,63 kg/m² (Größe: 175 cm; Gewicht: 54 kg). Diagnostisch bestünden ein Untergewicht
bei reduzierter Kalorienzufuhr, degenerative Skelettveränderungen sowie anamnestisch ein Zustand nach zweimaligem Gichtanfall
bei nunmehr anhaltend normalen Harnsäurewerten im Serum. Die Diagnose einer Gicht als aktive Erkrankung könne so nicht mehr
gestellt werden. Eine streng purinarme Diät sei nur für wenige Tage nach einem Gichtanfall zu empfehlen. Für die Dauertherapie
sei eine purinarme Diät mit bis zu 500 mg Harnsäure pro Tag bzw. 3000 mg Harnsäure pro Woche zu empfehlen. Dabei sei der Verzehr
von purinreichen Innereien verboten. Für den jeweiligen Puringehalt gebe es Ernährungstabellen. Aus der Ernährungsanamnese
des Klägers ergebe sich eine unterkalorische Ernährung, mit der es ihm zwar gelinge, nur durchschnittlich 3,6 mg Harnsäure
pro Tag einzunehmen und damit den empfohlenen Grenzwert deutlich zu unterschreiten. Diese Ernährung sei jedoch gleichzeitig
energie- und nährstoffdefizitär. Die ernährungsbedingte Reduzierung des Harnsäuregehaltes sei übertrieben und die eingesetzte
Nahrungsmittelmenge insgesamt zu gering, wodurch das bestehende Untergewicht des Klägers entstanden sei. Er nehme im Mittel
rund 350 kcal pro Tag zu wenig auf. Aktuell finde sich bei der klinischen Untersuchung kein Anzeichen für eine Gichterkrankung.
Die bei einer Gicht typischen Medikamente nehme der Kläger auch nicht ein. Die aufgeführten Skelettveränderungen seien nicht
gichtbedingt. Zusammenfassend entstehe der Eindruck, dass der Kläger über eine praktikable Ernährung nicht hinreichend aufgeklärt
sei. Die degenerativen Veränderungen im Bewegungsapparat seien keine primär ernährungsbedingte Erkrankung. Demgegenüber könne
die Osteopenie mit der Mangelernährung in Zusammenhang stehen. Gehe man vom Vorliegen einer Gichterkrankung aus, müsse der
Kläger eine normkalorische Vollkost erhalten. Hierzu gelten folgende Empfehlungen:
1. Purinreiche Innereien sind verboten. Fleisch nur drei bis viermal pro Woche.
2. Nur eine Portion eines alkoholischen Getränks zu einer Hauptmahlzeit.
3. Ein mögliches Übergewicht ist auf ein Sollgewicht zu reduzieren.
Als erlaubte Harnsäuremengen seien bis zu 500 mg Harnsäure pro Tag sowie unter 3000 mg Harnsäure pro Woche empfohlen. Insgesamt
solle die Kost normkalorisch, d.h. ca. 2000 kcal pro Tag enthalten. Hierfür seien keine Mehrkosten zu erwarten.
Der Beklagte sieht sich durch das Gutachten bestätigt. Der Sachverständige habe überzeugend dargelegt, dass sich der Kläger
falsch ernähre. Der Erwerb von Spezialprodukten sei nicht erforderlich. Der Kläger ist dem Sachverständigengutachten entgegengetreten
und hat ausgeführt: Der vom Sachverständigen ausgeführte Zusammenhang zwischen der Osteopenie sowie der Mangelernährung sei
zu bestreiten, da die Osteopenie bereits im Jahr 2011 aufgetreten sei, während es zur Gewichtsabnahme erst im Jahr 2012 gekommen
sei. Er könne mit normkalorischer Ernährung das Normalgewicht nicht mehr erreichen. Fleisch dürfe er nur drei bis viermal
die Woche verzehren. Der Wechsel auf eine teilweise fleischfreie Ernährung sei für ihn nicht günstiger, da er mehr zu sich
nehmen müsse, um den täglichen Kalorienbedarf zu decken. Nach seiner Aufstellung habe er seine erhöhten Kosten hinreichend
belegt. Die konkreten Ernährungskosten habe der Sachverständige nicht festgestellt. Ergänzend hat der Kläger Kaufbelege, Aufwendungen
für November bis Dezember 2013, Berechnungsgrundlagen sowie handschriftliche Kostenaufstellungen von Nahrungsmitteln vorgelegt.
Der Sachverständige hat in einer weiteren Stellungnahme vom 20. März 2015 ausgeführt: Der Kläger habe in sehr rigider Form
bestimmte Nahrungsmittel aus seinem Speiseplan gestrichen. Die Kriterien einer abwechslungsreichen Ernährung seien damit an
sich erfüllt. Die eingesetzte Kost sei jedoch keine vollwertige Kost, bei der der Kaloriengehalt der Lebensmittel kalkuliert
werde. Nach dem Protokoll erreiche der Kläger nur eine tägliche Energieaufnahme von 1644 kcal pro Tag. Diese von ihm praktizierte
Ernährung sei daher zu bemängeln. An keiner Stelle sei ihm eine vegetarische Kost empfohlen worden, die er im Übrigen auch
nicht praktiziere. Zusammenfassend sei seine Ernährung energiedefizitär und hinsichtlich der Zufuhr von Mineralien und Spurenelemente
auch nicht ausreichend. Für die erforderliche Vollkost entstünden keine Mehrkosten. Spezialprodukte müssten dagegen nicht
eingenommen werden.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen
der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und
der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §
151 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere auch statthaft (§§
143,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG.
Entsprechend der zutreffenden Belehrung im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau ist die Berufung ohne Zulassung
statthaft. Die Gewährung eines Mehrbedarfs wegen kostenaufwändiger Ernährung, auf den der Kläger sein Begehren in der Sache
stützt, kann in zulässiger Weise nicht isoliert klageweise geltend gemacht werden. Durch die Folgeanträge und entsprechenden
Bescheide des Beklagten beschränkt sich der Streitgegenstand auf den Bewilligungszeitraum von April bis September 2012. Indem
der Kläger seinen Klageantrag auf die Zahlung eines Mehrbedarfszuschlages für kostenaufwändige Ernährung gerichtet hatte,
beschränkt sich die Berufung auf höhere Grundsicherungsleistungen ohne gesonderte Prüfung der Kosten der Unterkunft (KdU),
die als abtrennbarer Streitgegenstand ausgeklammert sind. Nach dem Klagevortrag hält der Kläger einen höheren Regelsatz wegen
ernährungsbedingtem Mehrbedarf für gegeben. Diesen Anspruch hat er auch beziffert und geltend gemacht, dass er für Lebensmittel
260,00 EUR aufwendet, obwohl der Regelsatz für diesen Bereich nur monatlich 128,26 EUR ausweise. Der erforderliche Berufungsstreitwert
wird damit erreicht (131,74 EUR x 6 = 790,44 EUR).
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 16. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Mai 2012 sowie
des Bewilligungsbescheides vom 27. Februar 2012 und des Änderungsbescheides vom 30. April 2012 für den Bewilligungsabschnitt
vom 1. April bis 30. September 2012.
Es handelt sich um einen sog. Höhenstreit. Grundsätzlich sind bei einem Streit um höhere Leistungen nach dem SGB II alle Anspruchsvoraussetzungen zu prüfen. Ausnahmsweise kann bei ausdrücklicher Beschränkung des Klagebegehrens der Streitgegenstand
hinsichtlich der abtrennbaren abstrakten Verfügungssätze beschränkt werden. Dies führt dann zur Bestandskraft der nicht angefochtenen
Verfügungssätze (vgl. BSG, Urteil vom 3. März 2009, B 4 AS 38/08 R, juris). Die Begrenzung des Streitgegenstandes hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 26. August 2015 durch eine
ausdrückliche Erklärung klargestellt.
Der Regelbedarf betrug im streitigen Zeitraum vom 1. April bis 30. September 2012 monatlich 374,00 EUR. Einen Mehrbedarf des
Klägers wegen einer kostenaufwändigen Ernährung nach § 21 Abs. 5 SGB II bestand für diesen Bewilligungsabschnitt nicht.
Die seit dem 1. Januar 2011 geltende Neufassung des § 21 Abs. 5 SGB II, nach der bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, ein Mehrbedarf
in angemessener Höhe anerkannt wird, beinhaltet keine grundlegende Neuregelung, sondern nur eine redaktionelle Anpassung (BT-Drucksache
17/3404 S. 97). Dabei muss die Konkretisierung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 5 SGB II im Zusammenhang mit § 20 SGB II erfolgen, der den Regelbedarf, als pauschalierten Leistung vorsieht. Denn § 20 SGB II umfasst die für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums wesentlichen und üblichen Bedarfslagen und Bedürfnisse
des täglichen Lebens, wie sich aus der nicht abschließenden Aufzählung in seinem Abs. 1 - "insbesondere" Ernährung, Kleidung,
Körperpflege, Hausrat, einen Teil der Haushaltsenergie sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens - ergibt. Grundlage
für die Ermittlung der regelbedarfsrelevanten Anteile der einzelnen Bedarfsabteilungen und damit der Höhe des Regelbedarfs
insgesamt sind die statistisch ermittelten Ausgaben und das Verbrauchsverhalten von Haushalten in unteren Einkommensgruppen
auf der Datengrundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Der notwendige Bedarf für Ernährung ist als ein Teil dieses
Regelbedarfs typisierend zuerkannt worden, wobei von der Deckung der laufenden Kosten eines typischen Leistungsberechtigten
im Rahmen eines soziokulturellen Existenzminimums für eine ausreichende ausgewogene Ernährung im Sinne einer ausreichenden
Zufuhr von Proteinen, Fetten, Kohlehydraten, Mineralstoffen und Vitaminen ausgegangen wurde. Damit gilt im Ergebnis eine Vollkosternährung
als vom Regelbedarf gedeckt, weil es sich hierbei um eine ausgewogene Ernährungsweise handelt, die auf das Leitbild des gesunden
Menschen Bezug nimmt (vgl. BSG, Urteil vom 20. Februar 2014, B 14 AS 65/12 R, juris).
§ 20 SGB II lässt dabei keine im Einzelfall abweichende Bedarfsermittlung und -festsetzung zu. Um unvertretbare Leistungslücken zu vermeiden,
gewährt § 21 SGB II für bestimmte, laufende, aufgrund besonderer Lebensumstände bestehende Bedarfe, zusätzliche Leistungen. In diese Kategorie
gehört nach § 21 Abs. 5 SGB II der Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung aus medizinischen Gründen, um gesundheitlichen Beeinträchtigungen entgegenzuwirken.
Der Anspruch auf einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II setzt zunächst eine erwerbsfähige, leistungsberechtigte Person voraus. Weitere Voraussetzungen sind medizinische Gründe (im
Sinne von gesundheitlichen Beeinträchtigungen), eine kostenaufwändige Ernährung sowie ein Ursachenzusammenhang zwischen den
medizinischen Gründen und der kostenaufwändigen Ernährung, ohne dass es auf deren Einhaltung ankommt (vgl. BSG aaO.).
Im vorliegenden Fall ist bereits zweifelhaft, ob beim Kläger aus medizinischen Gründen überhaupt noch der Bedarf für eine
erkrankungsbedingte kostenintensive Ernährung besteht. Schließlich liegt nach Auffassung des gerichtlichen Sachverständigen
Dr. M. bei ihm keine Gichterkrankung mehr vor. Auch die Unterernährung des Klägers wird dabei nicht als erkrankungsbedingt
angesehen, sondern beruht auf einer schlichten Fehlernährung. Dies veranlasste den Gutachter dann auch, beim Kläger einen
Aufklärungsmangel über ein richtiges Ernährungsverhalten zu vermuten.
Selbst wenn der Senat vom Fortbestehen der Diagnose Gicht (Erkrankung mit Harnsäureablagerungen) des Klägers im Sinne des
Klagevorbringens ausgehen würde, ist bei diese Erkrankung nach den am 1. Oktober 2008 erschienenen neuen Empfehlungen des
Deutschen Vereins nur eine Vollkosternährung nötig, die vom Regelbedarf umfasst ist. Dies entspricht auch den Empfehlungen
aus dem Jahr 1997. Bei den Empfehlungen des Deutschen Vereins handelt es sich jedenfalls um in der Verwaltungspraxis etablierte
generelle Kriterien, die im Normalfall eine gleichmäßige und schnelle Bearbeitung eines geltend gemachten Mehrbedarfs im Bereich
der Krankenkost erlauben. Diese Empfehlungen haben den Charakter einer Orientierungshilfe. Sie können im Regelfall zur Feststellung
des Mehrbedarfs herangezogen werden, ersetzen jedoch nicht eine ggf. erforderliche Begutachtung im Einzelfall. Sie können
insbesondere dann nicht mehr als Grundlage einer Entscheidung dienen, wenn sich im Einzelfall nach anzustellenden Ermittlungen
Hinweise auf eine abweichende Bedarfslage ergeben (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11. Mai 2011, L 5 AS 24/08, juris).
Nach den medizinischen Ermittlungen der Vorinstanz und insbesondere nach dem Sachverständigengutachten von Dr. M. sowie seiner
ergänzenden Stellungnahme ergeben sich keine Hinweise für eine Sonderernährung, die für den Kläger einen Anspruch auf einen
ernährungsbedingten Mehrbedarf rechtfertigen könnte. Die vermeintliche Gicht zeigt nach dem überzeugenden Sachverständigengutachten
keinerlei medizinische Auswirkungen mehr und kann diagnostisch allenfalls noch als Zustand nach zweimaligem Gichtanfall bewertet
werden. Auch das Untergewicht des Klägers ist nicht erkrankungsbedingt, sondern beruht auf einer Fehlernährung. Diese Fehlernährung
rechtfertigt keinen ernährungsbedingten Mehrbedarf. Schließlich ist es dem Kläger möglich und zuzumuten, seine fehlerhafte
Ernährungsmethode umzustellen, um durch erhöhte Kalorienzufuhr seine Gewichtsprobleme zu stabilisieren. Sein Vortrag, der
geringe BMI-Wert sei durch Vollkost nicht korrigierbar, widerspricht daher den Aussagen des Sachverständigen und wird medizinisch
auch von keinem seiner behandelnden Ärzte bestätigt. Vor diesem Hintergrund ist die Bewertung des Sachverständigen Dr. M.
überzeugend, wonach eine Vollkosternährung für den Kläger erforderlich und ausreichend sei.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen daher nicht vor.