Rechtmäßigkeit der Rücknahme der Zulassung eines Disease-Management-Programms bei Diabetes mellitus Typ 2 in der gesetzlichen
Krankenversicherung; Ausübung pflichtgemäßen Ermessens
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Bescheides, mit dem die Beklagte die von ihr erteilte Zulassung eines
strukturierten Behandlungsprogramms (Disease-Management-Programm - DMP) mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen hat.
Die Bkk S. schloss, dabei vertreten durch den BKK-L. O., am 2. Juni 2003 mit der beigeladenen K. V. S. einen Vertrag zur Durchführung
des strukturierten Behandlungsprogramms nach §§ 73a in Verbindung mit 137f
SGB V Diabetes mellitus Typ 2 auf der Basis der Risikostrukturausgleichsverordnung (RSAV). Durch eine zum 1. April 2009 genehmigte
Vereinigung ist die Klägerin Rechtsnachfolgerin der Bkk S. geworden. Der Vertrag galt für die Vertragsärzte im Bezirk der
Beigeladenen, die ihre Teilnahme erklärt haben und für die Versicherten, die sich eingeschrieben haben.
Der Vertrag enthält u. a. folgende Regelungen:
§ 3
Teilnahmevoraussetzungen und Aufgaben des hausärztlichen Versorgungssektors (koordinierender Vertragsarzt)
(...)
(2) Teilnahmeberechtigt für den hausärztlichen Versorgungssektor sind Vertragsärzte (auch diabetologisch verantwortliche Ärzte),
die gemäß §
73 SGB V an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen und die Anforderungen an die Strukturqualität nach Anlage 1.1 - Strukturqualität
koordinierender Vertragsarzt - erfüllen. (...)
(...)
(4) In Ausnahmefällen kann ein Patient mit Diabetes mellitus Typ 2 einen diabetologisch besonders qualifizierten, an der fachärztlichen
Versorgung teilnehmenden Arzt auch zu Langzeitbetreuung, Dokumentation und Koordination der weiteren Maßnahmen im strukturierten
Behandlungsprogramm wählen, wenn der gewählte Arzt an dem Programm teilnimmt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Patient
bereits vor der Einschreibung von diesem Arzt dauerhaft betreut worden ist oder diese Betreuung aus medizinischen Gründen
erforderlich ist. Die Überweisungsregeln nach den Sätzen 2 und 3 sind vom gewählten Arzt zu beachten, wenn seine besondere
Qualifikation für eine Behandlung des Patienten aus den dort genannten Überweisungsanlässen gemäß der Ziff. 1.8.1 der Anlage
1 der RSAV nicht ausreicht.
§ 4
Teilnahmevoraussetzungen und Aufgaben des diabetologisch spezialisierten Versorgungssektors
(...)
(2) Teilnahmeberechtigt für die diabetologisch spezialisierte Versorgung sind die Vertragsärzte mit der Anerkennung als diabetologisch
verantwortlicher Arzt (diabetologische Schwerpunktpraxis), wenn sie die Qualifikationsvoraussetzungen nach Anlage 2 - Strukturqualität
diabetologisch spezialisierter Versorgungssektor - erfüllen.
(...)
§ 5
Teilnahmeerklärung
Der Vertragsarzt erklärt sich unter Angabe seiner Funktion als koordinierender Vertragsarzt nach § 3 und/oder im diabetologisch
spezialisierten Versorgungssektor nach § 4 gegenüber der KVSA schriftlich auf der Teilnahmeerklärung gemäß der Anlage 5 -
Teilnahmeerklärung Vertragsarzt - dieses Vertrages zur Teilnahme am Disease-Management-Programm bereit.
§ 6
Überprüfung der Teilnahmevoraussetzungen
Die KVSA prüft die Teilnahmevoraussetzungen entsprechend der jeweiligen Strukturqualität gemäß den §§ 3 und 4 und erteilt
den Vertragsärzten die Abrechnungsgenehmigung für die in der Anlage 13 - Vergütung und Abrechnung - genannten Leistungen.
§ 7
Beginn und Ende der Teilnahme
(1) Die Teilnahme des Vertragsarztes am Programm beginnt mit dem Tag der Einschreibung gemäß der Anlage 5 - Teilnahmeerklärung
Vertragsarzt -. Die Teilnahme wird schriftlich durch die KVSA bestätigt.
(...)"
Nach § 8 des Vertrages erstellt die KVSA über die teilnehmenden und ausgeschiedenen Vertragsärzte gemäß den § 3 und 4 ein
Verzeichnis, das sie u. a. der Klägerin und diese der Beklagten zur Verfügung stellt.
Die Anlage 5 des Vertrages enthält einen Vordruck der Teilnahmeerklärung des Vertragsarztes zum Behandlungsprogramm, auf welchem
dieser ankreuzen muss, ob er als koordinierender Vertragsarzt gemäß § 3 des Vertrages, als diabetologisch verantwortlicher
Arzt gemäß § 4 des Vertrages oder als koordinierender Vertragsarzt und diabetologisch verantwortlicher Arzt gemäß §§ 3 und
4 teilnehmen möchte.
Die Anforderungen an die Zulassung strukturierter Behandlungsprogramme nach §
137f Abs.
2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) sind seit Inkrafttreten der Vierten Verordnung zur Änderung der RSAV am 1. Juli 2002 in §§ 28b bis 28h RSAV einschließlich
der Anlagen hierzu geregelt. Die RSAV enthält in der seit 1. Mai 2003 geltenden Fassung in der Anlage 1 "Anforderungen an
strukturierte Behandlungsprogramme für Diabetes mellitus Typ 2" unter Punkt 1. "Behandlung nach evidenzbasierten Leitlinien
unter Berücksichtigung des jeweiligen Versorgungssektors (§
137f Abs.
2 Satz 2 Nr.
1 SGB V)" den Unterpunkt 1.8 "Kooperation der Versorgungssektoren" sowie den weiteren Unterpunkt 1.8.1 "Überweisung vom Hausarzt
zum jeweils qualifizierten Facharzt oder in eine diabetologische Schwerpunktpraxis bzw. diabetologisch spezialisierte Einrichtung"
mit folgendem Wortlaut:
Die Langzeitbetreuung des Patienten und deren Dokumentation im Rahmen des strukturierten Behandlungsprogramms erfolgt grundsätzlich
durch den Hausarzt im Rahmen seiner in §
73 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch beschriebenen Aufgaben. Bei Vorliegen folgender Indikationen muss eine Überweisung des Patienten zum jeweils qualifizierten
Facharzt und/oder in eine diabetologische Schwerpunktpraxis bzw. diabetologisch spezialisierte Einrichtung erfolgen: (...)
Im Übrigen entscheidet der Arzt nach pflichtgemäßem Ermessen über eine Überweisung. In Ausnahmefällen kann ein Patient mit
Diabetes mellitus Typ 2 einen diabetologisch besonders qualifizierten, an der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt
oder eine ärztlich geleitete, diabetologisch spezialisierte Einrichtung, die für die Erbringung dieser Leistungen zugelassen
oder ermächtigt ist, auch zur Langzeitbetreuung, Dokumentation und Koordination der weiteren Maßnahmen im strukturierten Behandlungsprogramm
wählen, wenn der gewählte Arzt oder die gewählte Einrichtung an dem Programm teilnimmt. Dies gilt insbesondere dann, wenn
der Patient bereits vor der Einschreibung von diesem Arzt oder dieser Einrichtung dauerhaft betreut worden ist oder diese
Betreuung aus medizinischen Gründen erforderlich ist. Die Überweisungsregeln nach den Sätzen 2 und 3 sind vom gewählten Arzt
oder der gewählten Einrichtung zu beachten, wenn ihre besondere Qualifikation für eine Behandlung des Patienten aus den dort
genannten Überweisungsanlässen nicht ausreicht.
Am 10. September 2003 beantragte der BKK-L. O. bei der Beklagten die Zulassung des DMP Diabetes mellitus Typ 2 gemäß § 134g
SGB V in Verbindung mit §§ 28b ff. RSAV in der Fassung vom 18. Februar 2004. Beigefügt war das Ärzteverzeichnis nach § 8 des Vertrages,
in welchem die teilnehmenden Ärzte mit Teilnahmewunsch nach § 3 und/oder § 4 aufgeführt waren. Mit Bescheid vom 13. Mai 2004
ließ die Beklagte das DMP ab 10. September 2003 befristet bis zum 9. September 2006 und begrenzt auf die Region Sachsen-Anhalt
unter Auflagen zu.
Mit Schreiben vom 14. Juni 2004 teilte das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung einem Facharzt für Innere
Medizin aus M. mit, Voraussetzung zur Teilnahme fachärztlich tätiger Vertragsärzte im Ausnahmefall als koordinierender Arzt
im DMP Diabetes mellitus Typ 2 sei die Erfüllung der Strukturvoraussetzungen der zweiten Versorgungsebene, also des diabetologisch
qualifizierten Sektors. Nur wer bereits als "diabetologisch besonders qualifizierter" Facharzt bzw. Einrichtung als Vertragspartner
in die zweite Versorgungsebene einbezogen sei und damit am DMP teilnehme, dürfe im Ausnahmefall auch als koordinierender Arzt
tätig werden. Ansonsten sei dies den Hausärzten vorbehalten. Das Ministerium versandte das Schreiben nachrichtlich an die
Beklagte.
Diese bat den BKK-L. O. mit Schreiben vom 16. Juni 2004 um eine Stellungnahme, ob in Sachsen-Anhalt fachärztliche Internisten,
die nicht die Strukturvoraussetzungen der zweiten Versorgungsebene erfüllen, in die Verträge zur Umsetzung eines DMP als koordinierende
Ärzte der ersten Versorgungsebene eingebunden seien. Auch nach ihrer Auffassung sei Voraussetzung zur Teilnahme fachärztlich
tätiger Vertragsärzte (z. B. fachärztlicher Internisten) im Ausnahmefall als koordinierender Arzt zunächst die Erfüllung der
Strukturvoraussetzungen der zweiten Versorgungsebene, also des diabetologisch qualifizierten Sektors. Die grundsätzliche Zulassung
fachärztlicher Internisten als koordinierende Ärzte, die nicht die Strukturvoraussetzungen der zweiten Versorgungsebene erfüllen,
widerspreche dem Wortlaut der RSAV und dem Sinn und Zweck der durch die 7. RSA-ÄndV eingeführten Ausnahmeregelung.
Der BKK-L. O. erwiderte darauf am 13. Juli 2004, er teile diese Auffassung nicht, da die Strukturvoraussetzungen der zweiten
Versorgungsebene länderspezifisch festzulegen seien und in Sachsen-Anhalt neben der besonderen diabetologischen Qualifikation
des Arztes bewusst sehr hohe Strukturqualitäten von den Arztpraxen gefordert würden. Die im Rahmen der Ausnahmeregelung gemäß
Ziffer 1.8.1 der Anlage 1 der RSVA in Sachsen-Anhalt teilnehmenden wenigen fachärztlich tätigen Vertragsärzte (weniger als
2 %) seien diabetologisch besonders qualifiziert und an der fachärztlichen Versorgung teilnehmend. Dies sei von der Beigeladenen
geprüft worden. Nach dem Wortlaut RSAV werde die Erfüllung der Voraussetzungen der zweiten Versorgungsebene zur Teilnahme
dieser fachärztlich tätigen Vertragsärzte nicht gefordert, so dass die in Sachsen-Anhalt als koordinierende Vertragsärzte
teilnehmenden fachärztlich tätigen Internisten weiterhin als solche tätig sein könnten.
Mit Schreiben vom 26. August 2004 erläuterte die Beklagte u. a. dem BKK-L. O. nochmals ihre Rechtsauffassung und führte aus,
die Verpflichtung zur Erfüllung der Strukturvoraussetzungen der zweiten Versorgungsebene ergebe sich unmittelbar und zwingend
aus Ziff. 1.8.1 der Anlage 1 der RSAV. Nach dieser Regelung erfordere die Langzeitbetreuung, Dokumentation und Koordination
durch einen Facharzt nicht nur, dass es sich hierbei um einen diabetologisch besonders qualifizierten und an der fachärztlichen
Versorgung teilnehmenden Arzt handele, vielmehr müsse dieser Facharzt bereits an dem Programm teilnehmen. An einem strukturierten
Behandlungsprogramm teilnehmen könne jedoch nur derjenige, der als Vertragspartner wirksam in dessen Geltungsbereich einbezogen
worden sei. Die Teilnahmevoraussetzungen für die Facharztebene - die so genannte zweite Versorgungsebene - seien aber andere
als für die koordinierenden Ärzte. Nur wer die in der Anlage 2 geregelten Strukturanforderungen erfülle, werde als Arzt des
diabetologisch qualifizierten Versorgungssektors wirksam in den Geltungsbereich des DMP einbezogen. Dies müsse erst recht
dann gelten, wenn ein solcher Vertragsarzt - ausnahmsweise - nicht nur in seiner Funktion als Facharzt, sondern darüber hinaus
auch als koordinierender Arzt tätig werde. Neben dem Wortlaut spreche auch Sinn und Zweck der RSAV für die dargelegte Auslegung.
Mit der Änderung durch die 7. RSA-Änderungsverordnung sei die Koordination durch den fachärztlichen Internisten ausdrücklich
als Ausnahmefall in den Verordnungstext aufgenommen worden. Der Verordnungsgeber habe den Grundsatz, dass die Langzeitbetreuung
und Koordination durch den Hausarzt erfolgen solle, nicht aushöhlen und die generelle Einschreibung durch den Facharzt ermöglichen
wollen. Diese Ansicht werde vom Ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung geteilt. Die Beklagte habe diese Auffassung
auch gegenüber allen anderen betroffenen Antragstellern vertreten. Sofern die Verträge davon abweichende Regelungen beinhaltet
hätten, sei dies beanstandet und von den Vertragspartnern entsprechend korrigiert worden. Nicht zuletzt aus Gründen der Gleichbehandlung
müsse die Beklagte daher auch gegenüber der Klägerin die Einhaltung der Vorgaben der RSAV sicherstellen. Die betroffenen Fachärzte
seien aus dem Arztverzeichnis zu streichen und die von diesen eingeschriebenen Versicherten dürften zukünftig nicht mehr im
Rahmen des Risikostrukturausgleichs (RSA) gemeldet werden. Bereits vorgenommene Meldungen zum RSA seien zu korrigieren. Zudem
sei § 3 Abs. 4 des DMP- Vertrages dahin zu korrigieren, dass als koordinierende und einschreibende Ärzte nur solche Fachärzte
teilnehmen dürften, die die Anforderungen an die Strukturqualität des diabetologisch qualifizierten Versorgungssektors (Anlage
2 des DMP-Vertrages) erfüllten.
Der BKK-L. O. übersandte eine Liste der betroffenen fachärztlichen Internisten und vereinbarte am 25. Oktober 2004 mit der
Beigeladenen eine Änderung des DMP-Vertrages vom 2. Juni 2003. Danach wurde § 4 Abs. 2 wie folgt neu gefasst:
Teilnahmeberechtigt für die diabetologisch spezialisierte Versorgung sind
a) die Vertragsärzte mit der Anerkennung als diabetologisch verantwortlicher Arzt (diabetologische Schwerpunktpraxis), wenn
sie die Qualifikationsvoraussetzungen nach Anlage 2 - Strukturqualität diabetologisch spezialisierter Versorgungssektor -
erfüllen.
b) Vertragsärzte, die die Qualifikationsvoraussetzungen nach der Anlage 2a - Strukturqualität diabetologisch besonders qualifizierter
Facharzt - erfüllen.
Der Vertrag wurde um die Anlage 2a - Strukturqualität diabetologisch besonders qualifizierter Facharzt - gemäß § 4 des Vertrages
ergänzt und § 10 Satz 3 des Vertrages sowie die Anlagen 5 und 6 wurden angepasst.
Mit Schreiben vom 27. Oktober 2004 teilte der BKK-L. O. dies der Beklagten mit und führte aus, er halte an seiner Auffassung
fest, dass der Vertragsarzt lediglich die Strukturqualitätsvoraussetzungen der ersten Versorgungsebene zu erfüllen und zusätzlich
eine besondere diabetologische Qualifikation vorzuweisen habe. Da langzeitbetreuende und koordinierende Internisten in Sachsen-Anhalt
einen verschwindend geringen Anteil stellten (weniger als 2 %), werde die ausdrücklich als Ausnahmefall deklarierte Regelung
nicht ausgehöhlt. Somit sei das DMP Diabetes mellitus Typ 2 in der Region Sachsen-Anhalt RSAV-konform umgesetzt und die von
den betroffenen fachärztlichen Internisten vorgenommenen Versicherteneinschreibungen seien wirksam. Hilfsweise werde für die
Zeit ab 1. November 2004 auf die als Anlage 1 beigefügte Änderungsvereinbarung hingewiesen. Damit werde die zweite Versorgungsebene
um die betroffenen fachärztlichen Internisten erweitert und der Rechtsauffassung der Beklagten entsprochen. Im Rahmen ihres
Beurteilungsspielraums hätten sich die Vertragspartner auf die dargelegte besondere diabetologische Qualifikation geeinigt.
Die Beklagte teilte dem BKK-L. O. mit Schreiben vom 26. Januar 2005 mit, die Prüfung habe ergeben, dass die zum 1. November
2004 in Kraft getretene Anpassung den Regelungen der RSAV nicht widerspreche. Bereits vorgenommene Meldungen von Versichertenzeiten
zum RSA müssten dennoch berichtigt werden. Die in der Vergangenheit eingebundenen fachärztlichen Internisten seien in den
aktuellen Vertragsarztlisten mit dem frühestmöglichen Beitrittsdatum (1. November 2004) zu führen. Es sei beabsichtigt, die
Zulassung für die strukturierten Behandlungsprogramme teilweise zurückzunehmen, sofern die genannten Unterlagen nicht bis
zum 20. Februar 2005 eingereicht würden.
Während andere Betriebskrankenkassen erklärten, die Versicherungszeiten bezüglich des DMP Diabetes mellitus Typ 2 in Sachsen-Anhalt
entsprechend zu berichtigen, teilte die Klägerin mit, sie erwarte einen rechtsmittelfähigen Bescheid der Beklagten und behalte
sich eine gerichtliche Klärung des Sachverhaltes vor.
Mit Schreiben vom 7. April 2005 teilte die Beklagte der Klägerin mit, es sei beabsichtigt, die mit Bescheid vom 13. Mai 2004
ab 10. September 2003 wirksam erteilte Zulassung des strukturierten Behandlungsprogramms Diabetes mellitus Typ 2 in Sachsen-Anhalt
teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit gemäß § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) zurückzunehmen. Die Rücknahme erstrecke sich auf den Zeitraum vom 10. September 2003 bis zum 31. Oktober 2004. Die Zulassung
werde zurückgenommen, soweit als koordinierende und einschreibende Ärzte auch fachärztlich tätige Vertragsärzte teilgenommen
hätten, die nicht die Strukturvoraussetzungen der zweiten Versorgungsebene, d.h. des diabetologisch besonders qualifizierten
Sektors, erfüllten. Die betroffenen Ärzte ergäben sich aus der in der Anlage beigefügten Liste, die zum Gegenstand des Bescheides
gemacht werde. Sie fügte einen entsprechenden Bescheidentwurf bei und gab der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb
von 14 Tagen.
Im Bescheidentwurf ist ausgeführt, dass nach telefonischer Rücksprache mit der Klägerin tatsächlich in der Zeit vor dem 1.
November 2004 Versicherte von fachärztlich tätigen Internisten, die nicht die Voraussetzungen der Strukturqualität der zweiten
Versorgungsebene erfüllten, in das strukturierte Behandlungsprogramm Diabetes mellitus Typ 2 eingeschrieben worden seien.
Dieses rechtswidrige Handeln der Vertragspartner sei für die Beklagte im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht erkennbar gewesen,
da der dem DMP zu Grunde liegende Vertrag RSAV-konform gestaltet gewesen sei. Das Handeln der Vertragspartner habe insofern
im Widerspruch zum Vertrag gestanden. Erst durch die ab 1. November 2004 geltende Vertragsänderung sei gewährleistet, dass
die Teilnahme der fachärztlich tätigen Vertragsärzte als einschreibende und koordinierende Ärzte den Vorgaben der Ziff. 1.8.1
der Anlage 1 zur RSAV entspreche. Die Rücknahme der Zulassung sei daher auf den vorangegangenen Zulassungszeitraum zu beschränken.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei die Rücknahme eines Bescheides mit Wirkung für die Vergangenheit gegenüber
Sozialleistungsträgern, die Aufgaben im öffentlichen Interesse wahrnehmen, zulässig, ohne dass Rücknahmegründe nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X vorliegen müssten. Die Entscheidung hierüber stehe im Ermessen der Beklagten. Für die Rücknahme spreche insbesondere die
Gleichbehandlung aller Krankenkassen, die strukturierte Behandlungsprogramme durchführten und die Sicherstellung der einheitlichen
Anwendung der RSAV im gesamten Bundesgebiet. Der Klägerin sei zudem die Möglichkeit eingeräumt worden, freiwillig durch entsprechende
Erklärungen rechtmäßige Zustände herzustellen. Anders als andere Krankenkassen habe die Klägerin von diesem milderen Mittel
keinen Gebrauch gemacht. Daher sei die teilweise Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit geboten und ermessensgerecht.
Darauf entgegnete die Klägerin mit Schreiben vom 19. April 2005, der Beklagten hätten alle zum Antrag erforderlichen Unterlagen
(einschließlich der Ärzteliste) seit September 2003 vorgelegen. Die Ärzteliste habe auch die fachärztlich tätigen Internisten
enthalten und sei von der Beklagten nicht beanstandet worden. Die ambulante hausärztliche Versorgung sei in den neuen Bundesländern,
insbesondere in der Region Bitterfeld/Wolfen äußerst unbefriedigend. Die Klägerin sei daher bemüht, ihren Versicherten trotz
dieser Situation eine Teilnahme am Programm zu ermöglichen. Die fachärztlich tätigen Internisten arbeiteten eher wie Hausärzte
und seien nach wie vor eingeschriebene DMP-Ärzte. Sie hätten die Versicherten entsprechend den Behandlungsleitlinien behandelt
und hierfür eine Vergütung erhalten. Die Änderung des DMP-Vertrages vom 25. Oktober 2004 habe eine Klarstellung der Situation
und keine inhaltliche Änderung gebracht. Da die Beklagte bereits im Juni 2004 Zweifel an der Rechtmäßigkeit gehabt habe, hätte
sie unverzüglich handeln müssen. Die teilweise Rücknahme sei nicht akzeptabel, weil der Klägerin dadurch ein Schaden entstehe,
den sie nicht zu vertreten habe.
Mit Bescheid vom 18. Mai 2005 setzte die Beklagte den Bescheidentwurf um. Dagegen hat die Klägerin am 6. Juni 2005 beim Sozialgericht
Dessau (heute: Dessau-Roßlau) eine Anfechtungsklage erhoben. Sie hat ausgeführt: Die Qualifikation und Teilnahmefähigkeit
der Vertragsärzte sei ausschließlich seitens der Beigeladenen zu prüfen. Die Klägerin habe nicht die Befugnis, auf die Teilnahme
von Vertragsärzten Einfluss zu nehmen. Dies habe die Beklagte durch die Zulassung der entsprechenden vertraglichen Regelungen
akzeptiert. Daher fehle es an einem abgrenzbaren Teil, der einer Rücknahme nach § 45 SGB X zugänglich sei. Die Beigeladene habe nach Prüfung der Teilnahmevoraussetzungen entsprechende Abrechnungsgenehmigungen erteilt.
Hierbei handele es sich um statusbildende Verwaltungsakte, die rückwirkend nicht entzogen werden könnten. Weder die Klägerin
noch die Beigeladene könnten die von den teilnehmenden Ärzten vereinnahmten "Sondervergütungen" zurückfordern. Die Klägerin
habe daher irreversible Aufwendungen gehabt, für die sie bei einer Korrektur der Versichertenzeiten im RSA keine Ausgleichszahlungen
geltend machen könne. Dies sei der Versichertengemeinschaft nicht zuzumuten. Zudem hätten die Ärzte auch die entsprechenden
Leistungen erbracht. Die in der Liste zum angefochtenen Bescheid vom 18. Mai 2005 aufgeführten Vertragsärzte verfügten jeweils
über eine Qualifikation, die der RSAV entspreche, um die Langzeitbetreuung der Patienten und deren Dokumentation im Rahmen
des DMP entsprechend den gesetzlichen Zielen durchzuführen. Mit der Einschreibung der Versicherten bei diesen Ärzten und der
entsprechenden Betreuung sei genau dieses Ziel erreicht worden. Deshalb sei der Zulassungsbescheid nicht rechtswidrig. Mit
der 12. Verordnung zur Änderung der RSAV vom 15. August 2005 (BGBl. I 2005 S. 2462) sei klargestellt worden, dass neben Hausärzten auch qualifizierte Fachärzte oder Einrichtungen auf der ersten Versorgungsebene
tätig werden könnten.
Die Beklagte hat ausgeführt: Die an dem DMP teilnehmenden Ärzte, die nicht die Strukturvoraussetzungen der RSAV erfüllten
und daher mit dem Rücknahmebescheid vom Programm ausgeschlossen worden seien, stellten einen abgrenzbaren Teil des Zulassungsbescheides
dar, der einer Rücknahme nach § 45 SGB X zugänglich sei. Wenn die Beklagte feststelle, dass die Vertragsvoraussetzungen nicht eingehalten würden, müsse sie entsprechend
- hier mit einer teilweisen Rücknahme des Zulassungsbescheides - dagegen vorgehen, um die Zulassung von Beginn an auf den
Teil des Programms zu begrenzen, der den Vorgaben der RSAV entspreche. Der Zulassungsbescheid enthalte auch die Regelung,
dass die dort aufgelisteten Ärzte an dem DMP teilnehmen könnten. Diese Regelung sei mit dem Rücknahmebescheid aufgehoben worden.
Die Frage der Kostenabrechnung der betroffenen Ärzte gegenüber der Beigeladenen sei hiervon zu trennen. Ein gestuftes Verwaltungsverfahren
unter Beteiligung der KV sei gesetzlich nicht vorgesehen, denn die Zulassung für ein Programm werde lediglich gegenüber der
Krankenkasse erteilt. Diese könne die Programme auch ohne Einbeziehung der KV durchführen. Daher müsse sich die Klägerin im
Rahmen der Zulassung das Verhalten der Beigeladenen zurechnen lassen. Zudem hätte die Klägerin mit der Beigeladenen vereinbaren
können, dass sie die Einhaltung der Strukturvoraussetzungen selbst überprüfe. Fehlerhafte Abrechnungsgenehmigungen der Beigeladenen
gegenüber den Ärzten könnten sich jedenfalls nicht zu Lasten der Beklagten auswirken. Die Möglichkeit zur Korrektur von Versichertenzeiten
sei in der RSAV durchaus vorgesehen. Die sich aus der 12. RSA-Änderungsverordnung vom 15. August 2005 ergebende Regelung,
nach der in Ausnahmefällen auch diabetologisch qualifizierte fachärztliche Internisten die Koordination für Patienten mit
Diabetes mellitus Typ 2 übernehmen könnten, die nicht den Anforderungen an die Strukturqualität der zweiten Versorgungsebene
entsprächen, wirke erst seit dem 1. September 2005.
Das Sozialgericht hat die Anfechtungsklage mit Urteil vom 23. Juli 2008 abgewiesen. Es hat ausgeführt: Der Aufhebungsbescheid
der Beklagten vom 18. Mai 2005 sei nach § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X rechtmäßig. Die Zulassung des DMP-Vertrages sei insoweit rechtswidrig gewesen, als in dem dazu gehörenden Verzeichnis der
am Programm teilnehmenden Ärzte auch solche aufgeführt seien, die die in § 4 des DMP-Vertrages in der bis zum 31. Oktober
2004 geltenden Fassung geregelten Voraussetzungen nicht erfüllten und auch keine Hausärzte seien. Es handele sich hierbei
um einen abgrenzbaren Sachverhalt, der eine teilweise Rücknahme der Zulassung rechtfertige. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X seien erfüllt und Ermessensfehler lägen nicht vor. Insbesondere der Gesichtspunkt der Gleichbehandlung der Krankenkassen
erfordere eine anteilige Rücknahme der Zulassung des Programms.
Gegen das ihr am 5. September 2008 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 23. September 2008 Berufung eingelegt und diese
wie folgt begründet: Sie habe nach Zulassung des Programms Versicherte in geeigneten Fällen auf die Möglichkeit der Einschreibung
in den im Vertrag aufgeführten Praxen hingewiesen. Den Versicherten seien die verbesserten Behandlungsmöglichkeiten zugute
gekommen, die erbrachten Leistungen könnten nicht rückgängig gemacht werden und der von der Klägerin getragene zusätzliche
finanzielle Aufwand - die erforderlichen Zahlungen an die Beigeladene und die Kosten für die Datenstelle - könne nicht rückabgewickelt
werden. Dies spreche für den statusbegründenden Charakter der Zulassung. Für die Programme gelte Vertragsrecht. Verträge seien
nur bei Nichtigkeit nicht gültig. Ein Verstoß gegen Rechtsvorschriften reiche für die Nichtigkeit nicht aus. Selbst wenn die
Zulassung ein Verwaltungsakt sei, greife § 45 SGB X nicht, da die §§
69 ff.
SGB V als lex specialis vorgreiflich seien. Schließlich seien auch die Voraussetzungen des § 45 SGB X nicht gegeben, da die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes nicht kannte und nicht habe kennen müssen. Das Risiko
eines formalen Fehlers könne nicht ausschließlich zu Lasten der Klägerin gehen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 23. Juli 2008 und den Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und hat ausgeführt: Prüfungsmaßstab könne nicht ausschließlich Vertragsrecht
nach §
53 ff.
SGB V sein, da die Beklagte die Zulassung von Programmen nach §§ 137f, 137g
SGB V zu erteilen habe, wenn die Programme und die zu ihrer Durchführung geschlossenen Verträge die in der RSAV genannten Voraussetzungen
erfüllten. Allein dies sei der Prüfungsmaßstab für die Erteilung der Zulassung. Für die Rücknahme gelte § 45 SGB X. Statuscharakter komme der Zulassung nicht zu, da sie nach den gesetzlichen Vorschriften auch rückwirkend erteilt werden
könne und das DMP keine von der Krankenkasse persönlich zu erfüllender Pflicht enthalte. Wenn die Zulassungsvoraussetzungen
nicht eingehalten würden, sei die Beklagte berechtigt mit einer teilweisen Rücknahme des Zulassungsbescheides gegen diesen
Rechtsverstoß vorzugehen, um die Zulassung von Beginn an auf den Teil des Programms zu begrenzen, der den Vorgaben der RSAV
entspreche. Die sich aus der Zulassung bzw. deren Rücknahme ergebenden Folgen seien nicht zu berücksichtigen. Bei Kenntnis
der Sachlage hätte sie das strukturierte Behandlungsprogramm von vornherein erst ab dem späteren Zeitpunkt zugelassen. Sie
habe jedoch zunächst keine Veranlassung gehabt, an den von der Klägerin übermittelten Unterlagen zu zweifeln. Die ausnahmsweise
Zulassung eines Facharztes zur koordinierenden Versorgung sei bereits eine Durchbrechung des Grundsatzes der Aufteilung zwischen
hausärztlicher und fachärztlicher Versorgung, die im Rahmen eines DMP gerechtfertigt sei. Es sei kein sachlicher Grund ersichtlich,
Fachärzte, die selbst nicht an der fachärztlichen Versorgung im Rahmen eines DMP teilnähmen, mit koordinierenden Aufgaben
im DMP zu betrauen. Hierbei berufe sie sich auf eine Entscheidung des LSG Hessen vom 20. Dezember 2006, Aktenzeichen L 4 KR 44/06. Nach § 3 Abs. 3 RSAV könne eine RSA-wirksame Zuordnung und Berücksichtigung der DMP-Versicherten nicht vor dem Tag erfolgen,
an dem alle in § 28d Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 RSAV genannten Voraussetzungen erfüllt seien. Aufgrund der fehlerhaften Datenmeldung
von insgesamt 62 Versicherten als DMP-Patienten sei die Klägerin bei der Durchführung des RSA um etwa 65.000 Euro besser gestellt
worden als bei korrekter Datenmeldung. Die Klägerin verkenne ihre Verantwortung im Zulassungsverfahren, denn sie sei als Antrag
stellende Krankenkasse für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Antragsunterlagen verantwortlich.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Sie hält das Vorbringen der Klägerin für zutreffend.
Die Verwaltungsakte der Beklagten hat vorgelegen und ist Gegenstand des Verfahrens gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten
des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte
der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
1. Die Berufung der Klägerin ist nach §§
143,
144 Abs.
1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§
151 SGG) und damit zulässig.
2. Der nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt mit den Streitigkeiten in Angelegenheiten
der gesetzlichen Krankenversicherung betraute erkennende Senat ist für die Entscheidung in der Sache zuständig. Streitbefangen
ist die Rücknahme der erteilten Zulassung eines strukturierten Behandlungsprogramms. Die Sache betrifft damit lediglich Vorfragen
des Risikostrukturausgleichs, welche ausschließlich Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, nicht des Vertragsarztrechts
nach §
10 Abs.
2 SGG sind (vgl. BSG, Urt. v. 21. Juni 2011 - B 1 KR 14/10 R, Rn. 11, zitiert nach juris, sowie grundsätzlich zur Abgrenzung Krankenversicherung - Vertragsarztrecht: Zusammenfassender
Standpunkt des 1.,3. und 6. Senats des BSG zu §
10 Abs.
2 SGG in SGb 2012, 495).
3. Die Berufung ist auch begründet, denn die Beklagte durfte die erteilte Zulassung des strukturierten Behandlungsprogramms
nicht durch den Bescheid vom 18. Mai 2005 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
a) Die Klägerin konnte sich dagegen im Wege der Anfechtungsklage nach §
54 Abs.
1 Satz 1
SGG richten, da die Beklagte sowohl über die Zulassung eines DMP als auch über die Rücknahme der Zulassung durch Verwaltungsakt
zu entscheiden hat (vgl. dazu b). Eines Vorverfahrens bedurfte es nach §
78 Abs.
1 Satz 2 Ziff. 3
SGG nicht.
Die Klägerin hat auch ein Rechtschutzbedürfnis, denn die Beklagte beabsichtigt, aufgrund des Aufhebungsbescheides die im Rahmen
des RSA an die Klägerin geflossenen Beträge insoweit zurückzufordern, als sie auf den Patienteneinschreibungen bei den Ärzten
beruhen, die in der dem Aufhebungsbescheid beigefügten Liste aufgeführt sind. Ein möglicher Rechtschutz gegen den Umsetzungsakt
der Rückforderung reicht nicht aus, wenn dieser auf einem bestandskräftigen Aufhebungsbescheid beruht.
b) Rechtsgrundlage für die Rücknahme der Zulassung eines DMP ist § 45 SGB X. Nach §
137g Abs.
1 SGB V (hier anzuwenden in der Fassung vom 10. Dezember 2001, gültig ab 1. Januar 2002, BGBl. I S. 3465) ist die Zulassung strukturierter Behandlungsprogramme nach §
137f Abs.
1 SGB V auf Antrag einer oder mehrerer Krankenkassen oder eines Verbandes der Krankenkassen vom Bundesversicherungsamt zu erteilen,
wenn die Programme und die zu ihrer Durchführung geschlossenen Verträge die in der Rechtsverordnung nach §
266 Abs.
7 SGB V genannten Anforderungen erfüllen. Die Zulassung wird danach durch Verwaltungsakt erteilt, denn §
137g Abs.
1 Satz 8
SGB V sieht die Bescheiderteilung ausdrücklich vor (vgl. BSG, Urt. v. 21. Juni 2011, aaO., Rn. 12, 14). Wenn die Zulassung durch einen Verwaltungsakt erteilt wird, muss auch die Rücknahme
der Zulassung durch Verwaltungsakt erfolgen.
Für die Rücknahme von Verwaltungsakten gelten die §§ 44 ff. SGB X, von denen als Rechtsgrundlage hier nur § 45 SGB X in Betracht kommt. Denn bei der mit Bescheid vom 13. Mai 2004 erteilten Zulassung handelt es sich um einen die Klägerin begünstigenden
Verwaltungsakt, da die Zulassungsentscheidung Grundlage zur Bildung besonderer Versichertengruppen für den RSA ist. Offen
bleiben kann, ob auf die vorliegende Fallkonstellation die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts anwendbar ist, nach der
ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, der einem Sozialleistungsträger erteilt wurde, ohne Vorliegen der besonderen
Voraussetzungen des § 45 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 SGB X zurückgenommen werden darf (so BSG, Urt. v. 10. August 1988 - 10 RAr 2/86 - zitiert nach juris). Denn jedenfalls setzt die Rücknahme nach § 45 SGB X die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsaktes (hierzu aa) sowie die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens voraus (hierzu
bb). Beide Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Einer Entscheidung darüber, ob die Zulassung statusbildenden Charakter
hat und daher nicht rückwirkend entzogen werden durfte oder ob die teilweise Rücknahme der Zulassung rechtswidrig gewesen
ist, weil die Zulassung rechtlich in dieser Weise nicht teilbar gewesen ist (vgl. hierzu BSG, Urt. v. 21. Juni 2011 - B1 KR 14/10 R - Rn. 26, zitiert nach juris), bedurfte es daher nicht.
aa) Die Zulassung des strukturierten Behandlungsprogramms mit Bescheid vom 2. Mai 2004 war rechtmäßig, da sowohl das DMP selbst
als auch die zu seiner Durchführung geschlossenen Verträge die in der Rechtsverordnung nach §
266 Abs.
7 SGB V, der Risikostrukturausgleichverordnung (RSAV, hier anzuwenden in der vom 1. März 2004 bis 31. Oktober 2004 gültigen Fassung),
genannten Anforderungen erfüllen.
(1) Nach dem DMP-Vertrag müssen die im Ausnahmefall als koordinierende Ärzte tätig werdenden Fachärzte nicht notwendig die
Anforderungen an die Strukturqualität der zweiten Versorgungsebene, des diabetologisch qualifizierten Versorgungssektors nach
Anlage 2 des DMP-Vertrages erfüllen. Dies wird bereits aus den Regelungen des DMP-Vertrages selbst ersichtlich, einer Liste
der teilnehmenden fachärztlich tätigen Vertragsärzte, die nicht die Strukturvoraussetzungen der zweiten Versorgungsebene,
d.h. des diabetologisch besonders qualifizierten Sektors, erfüllten, bedurfte es lediglich für die Abklärung, ob in der Praxis
tatsächlich von dieser durch das DMP eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht worden ist.
Das DMP enthält keine gesonderten Voraussetzungen an die Strukturqualität für die in Ausnahmefällen zulässige Erbringung der
Leistungen "Langzeitbetreuung, Dokumentation und Koordination der weiteren Maßnahmen" durch einen "diabetologisch besonders
qualifizierten, an der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt". Vielmehr gibt die diese Ausnahmefälle regelnde Vorschrift
des § 3 Abs. 4 des DMP lediglich die Regelung des Punkt 1.8.1 Satz 4 der Anlage 1 zur RSAV wieder.
Aus der systematischen Zuordnung der Regelung zu § 3 des DMP ergibt sich eindeutig, dass die Vertragsparteien diese Ausnahmefälle
dem hausärztlichen Versorgungssektor zugeordnet haben und nur die hierfür aufgestellten Anforderungen an die Strukturqualität
fordern. Denn § 3 des DMP steht unter der Überschrift: "Teilnahmevoraussetzungen und Aufgaben des hausärztlichen Versorgungssektors
(koordinierender Vertragsarzt)". Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 des DMP sind für den hausärztlichen Versorgungssektor teilnahmeberechtigt
Vertragsärzte (auch diabetologisch verantwortliche Ärzte), die gemäß §
73 SGB V an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen und die Anforderungen an die Strukturqualität nach Anlage 1.1 - Strukturqualität
koordinierender Vertragsarzt - erfüllen. § 3 Abs. 3 des DMP bestimmt die hierzu gehörenden Aufgaben und § 3 Abs. 4 des DMP
enthält die Ausnahmeregelung für die an der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte entsprechend dem Wortlaut der Ziff.
1.8.1 der Anlage 1 der RSAV.
In § 4 des DMP sind demgegenüber die Teilnahmevoraussetzungen und Aufgaben des diabetologisch spezialisierten Versorgungssektors
geregelt. Ausschließlich in § 4 Abs. 2 des DMP wird auf die Voraussetzungen der Strukturqualität nach Anlage 2 "Strukturqualität
diabetologisch spezialisierter Versorgungssektor" Bezug genommen.
Aus der systematischen Stellung der Regelung für die Ausnahmefälle wird deutlich, dass die Vertragsparteien des DMP für die
Ärzte, die im Rahmen von § 3 Abs. 4 des DMP am Programm teilnehmen, nicht die Qualifikationsvoraussetzungen aufgestellt haben,
die sie für die Vertragsärzte voraussetzen, die nach § 4 des DMP an der diabetologisch spezialisierten Versorgung teilnehmen.
Denn schon nach der Überschrift des § 3 des DMP gehören auch die in Ausnahmefällen als koordinierende Vertragsärzte tätigen
Fachärzte zum hausärztlichen Versorgungssektor bzw. zu den koordinierenden Vertragsärzten.
Die konkreten Anforderungen an die Strukturqualität der koordinierenden Vertragsärzte sind in der Anlage 1 zum DMP festgelegt.
Diese Anlage bezieht sich nach ihrer Überschrift auf den gesamten § 3 des Vertrages, wobei unter 1.2 lediglich besondere Anforderungen
an Vertragsärzte mit Schulungsberechtigung gestellt werden. Eine Differenzierung für die in § 3 Abs. 4 des DMP geregelten
Ausnahmefälle enthält die Anlage nicht. Anlage 2 des Vertrages enthält die Anforderungen an die Strukturqualität des diabetologisch
spezialisierten Versorgungssektors ausschließlich gemäß § 4 des Vertrages, ohne eine Bezugnahme auf die Ausnahmefälle des
§ 3 Abs. 4 des DMP. Auch daraus ergibt sich eindeutig, dass die in den in § 3 Abs. 4 des DMP genannten Ausnahmefällen als
koordinierende Ärzte tätigen Fachärzte ausschließlich die Anforderungen der Anlage 1 zum DMP erfüllen müssen. Dies ist schließlich
auch daran erkennbar, dass die Anlage 1.1 "Strukturqualität koordinierender Vertragsarzt" gemäß § 3 des DMP für die dort aufgeführten
Ärzte nicht deren Teilnahme an der hausärztlichen Versorgung voraussetzt.
(2) Mit diesem Inhalt überschreitet das DMP nicht den Rahmen, der den Vertragspartnern durch die RSAV vorgegeben ist.
Denn nach den Regelungen der RSAV bleibt es den Vertragsparteien eines DMP überlassen, die Strukturqualität der einzelnen
Versorgungsebenen sowie auch der im Ausnahmefall als koordinierende Ärzte tätig werdenden Fachärzte festzulegen. Weder aus
dem Wortlaut, noch aus Sinn und Zweck der Regelungen der RSAV lässt sich die Vorgabe ableiten, dass die fachärztlich tätigen
Vertragsärzte, die im Ausnahmefall als koordinierende Ärzte tätig werden dürfen, die Strukturqualitätsvoraussetzungen des
diabetologisch spezialisierten Versorgungssektors erfüllen müssen. Insbesondere dürfen die Vertragsparteien eines DMP an den
diabetologisch spezialisierten Versorgungssektor höhere Anforderungen stellen, als an die besonders qualifizierten, an der
fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte, die nach der RSAV in Ausnahmefällen die Langzeitbetreuung, Dokumentation und
Koordination der weiteren Maßnahmen im strukturierten Behandlungsprogramm erbringen können.
Der Wortlaut der RSAV enthält lediglich die Vorgabe, dass es sich um "einen diabetologisch besonders qualifizierten, an der
fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt" handeln muss, der "an dem Programm teilnimmt". Mit der Voraussetzung eines "an
der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztes" wird ersichtlich an die durch §
73 Abs.
1 Satz 1
SGB V (in der Fassung vom 15. Februar 2002, gültig ab 23. Februar 2002 bis 31. Dezember 2003) vorgegebene Gliederung der vertragsärztlichen
Versorgung in die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung angeknüpft, ohne dass damit weitere Qualifikationsvoraussetzungen
verbunden wären. In §
73 Abs.
1a SGB V werden die Ärzte aufgeführt, die an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen. Die übrigen Fachärzte nehmen an der fachärztlichen
Versorgung teil (§
73 Abs.
1a Satz 2
SGB V). Da Punkt 1.8.1 der Anlage 1 zur RSAV bereits in Satz 1 bezüglich der Aufgaben des Hausarztes auf §
73 SGB V Bezug nimmt, ist der hierzu die Ausnahmefälle regelnde Satz 4 ebenfalls unter Bezugnahme auf §
73 SGB V zu lesen.
Aus dem letzten Halbsatz der Ausnahmeregelung in Punkt 1.8.1 Satz 4 der Anlage 1 zur RSAV, "wenn der gewählte Arzt oder die
gewählte Einrichtung an dem Programm teilnimmt", lässt sich - entgegen der Ansicht der Beklagten - ebenfalls nicht der Schluss
ziehen, dass es sich hierbei um Ärzte handeln muss, die auf der zweiten Versorgungsebene am Programm teilnehmen und die dafür
aufgestellten Anforderung erfüllen. Denn nicht nur die spezialisierte Versorgung, sondern auch die Langzeitbetreuung des Patienten
und deren Dokumentation erfolgt im Rahmen des strukturierten Behandlungsprogramms. Sie kann daher auch von den grundsätzlich
hierfür zuständigen Hausärzten nur erfolgen, wenn diese am DMP teilnehmen. Nur die teilnehmenden Ärzte erhalten die zur Erfüllung
der konkreten Vorgaben des DMP notwendigen Informationen, Anweisungen, Formulare etc. (vgl. das umfangreiche Arzt-Manual,
welches den teilnehmenden Ärzten im Rahmen des vorliegenden DMP zur Verfügung stellt wird, einschließlich der detaillierten
Dokumentationsvorgaben). Es dürfte daher unzweifelhaft sein, dass bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen sowohl
die koordinierenden Vertragsärzte als auch die Vertragsärzte des diabetologisch spezialisierten Versorgungssektors am DMP
teilnehmen. Aus diesem Grund finden sich entsprechende Formulierungen bezüglich der Teilnahme der koordinierenden Ärzte auch
im vorliegenden DMP: Nach § 2 Abs. 1 des DMP gilt der Vertrag für (alle) Vertragsärzte im Bereich der beigeladenen KV, die
nach Maßgabe des Abschnitts II ihre Teilnahme erklärt haben. Nach Abschnitt II, § 5 des DMP erklärt sich der Vertragsarzt
unter Angabe seiner Funktion als koordinierender Vertragsarzt nach § 3 und/oder im diabetologisch spezialisierten Versorgungssektor
nach § 4 gegenüber der Beigeladenen schriftlich zur Teilnahme am DMP bereit. Die Beigeladene prüft nach § 6 des DMP die Teilnahmevoraussetzungen
und erteilt den Vertragsärzten die entsprechende Abrechnungsgenehmigung. In § 7 des DMP ist Beginn und Ende der Teilnahme
des Vertragsarztes geregelt.
Welche Voraussetzungen ein Arzt im Sinne des Punkt 1.8.1 Satz 4 der Anlage 1 zur RSAV erfüllen muss, um der Anforderung eines
"diabetologisch besonders qualifizierten" an der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Arztes gerecht zu werden, gibt die
RSAV selbst nicht vor. Ebenso wenig macht die RSAV Vorgaben bezüglich der Anforderungen an die Strukturqualität die Hausärzte,
die als koordinierende Ärzte am Programm teilnehmen oder für die Fachärzte, die im Bereich des diabetologisch spezialisierten
Versorgungssektors tätig werden. Hier sind den Vertragspartnern des DMP erhebliche Freiräume belassen worden.
Diese Auslegung der RSAV verstößt nicht gegen den Sinn und Zweck, den der Verordnungsgeber mit der Aufnahme der Ausnahmefälle
nach Punkt 1.8.1 Satz 4 der Anlage 1 zur RSAV verfolgte. Es kann zur sachgerechten Erfüllung der genannten Aufgaben der Langzeitbetreuung,
Dokumentation und Koordination der weiteren Maßnahmen im strukturierten Behandlungsprogramm nicht erforderlich sein, an die
Strukturqualität der in Ausnahmefällen als koordinierende Vertragsärzte tätig werdenden Fachärzte weitergehende Anforderungen
zu stellen, als an die Strukturqualität der Hausärzte, die diese Aufgaben übernehmen. Die Ausnahmeregelung ist auch nicht
auf Fälle beschränkt, in denen sie zu einer Einsparung von Überweisungen führt. Denn durch den Einsatz von Fachärzten in geeigneten
Ausnahmefällen kann auf notwendige Überweisungen zum jeweils qualifizierten Facharzt nicht vollständig verzichtet werden.
Aus diesem Grund regelt Punkt 1.8.1 Satz 6 der Anlage 1 zur RSAV, dass die Überweisungsregeln nach den Sätzen 2 und 3 vom
gewählten Arzt zu beachten sind, wenn seine besondere Qualifikation für eine Behandlung des Patienten aus den dort genannten
Überweisungsanlässen nicht ausreicht. Zudem macht Ziff. 1.8.1 Satz 5 der Anlage 1 zur RSAV deutlich, dass es dem Verordnungsgeber
bei der Ausnahmeregelung in erster Linie darum ging, den betroffenen Patienten auch dann die Möglichkeit zur Teilnahme am
Programm zu eröffnen, wenn ihre dauerhafte medizinische Betreuung nicht bei einem Hausarzt erfolgt, sondern bei einem diabetologisch
besonders qualifizierten Facharzt. Denn in Ziff. 1.8.1 Satz 5 der Anlage 1 zur RSAV werden die Ausnahmefälle durch zwei Regelbeispiele
näher umschrieben: Wenn der Patient bereits vor der Einschreibung von diesem Arzt dauerhaft betreut worden ist oder wenn diese
Betreuung aus medizinischen Gründen erforderlich ist. Schließlich stellt auch der Wortlaut von Ziff. 1.8.1 Satz 4 der Anlage
1 zu RSAV die Wahl des Patienten in den Mittelpunkt. Der Verordnungsgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, dass auch dann
eine Teilnahme an einem DMP möglich sein soll, wenn dies allein durch die Hausärzte nicht flächendeckend zu erwarten ist.
Zwar wird durch die Ausnahmefälle die grundsätzlich durch §
73 Abs.
1 SGB V vorgegebene Gliederung in die hausärztliche und die fachärztliche Versorgung durchbrochen. Diese Durchbrechung ist aber durch
die Ausnahmeregelung unter Punkt 1.8.1 Satz 4 der Anlage 1 zur RSAV vorgegeben, die eine Erbringung der hausärztlichen Aufgaben
durch fachärztlich tätige Vertragsärzte ausdrücklich vorsieht. Sie wird auch unter Berücksichtigung des grundsätzlich gegliederten
Systems durch die Regelungen im vorliegenden DMP nicht über Gebühr ausgeweitet, wie die Klägerin dargelegt hat. Zudem hängt
das Ausmaß des Gebrauchs von der Ausnahmeregelung nicht davon ab, ob an die nach dieser Ausnahme tätig werdenden Fachärzte
die Strukturvoraussetzungen der ersten oder der zweiten Versorgungsebene gestellt werden, sondern vielmehr von den konkreten
Anforderungen, die mit den jeweiligen Strukturvoraussetzungen verbunden sind. Denn wenn die Voraussetzungen der zweiten Versorgungsebene
relativ niedrig gestaltet werden, wird diese Versorgungsebene für viele Fachärzte zugänglich, die dann - auch nach Auffassung
der Beklagen - die Möglichkeit haben, von der Ausnahmeregelung Gebrauch zu machen und im hausärztlichen Versorgungssektor
tätig zu werden. Letztlich hat die Klägerin durch die Änderungsvereinbarung zum 1. November 2004 genau diesen Weg beschritten,
damit die bis dahin eingeschriebenen Fachärzte auch weiterhin am Programm teilnehmen konnten. Eine übermäßige Ausdehnung der
Ausnahmeregelung ist damit nicht verbunden.
Dadurch, dass es der Verordnungsgeber den Vertragsparteien des DMP bewusst überlassen hat, die Anforderungen an die Strukturqualität
der in den verschiedenen Versorgungssektoren tätig werdenden Ärzte festzusetzen, hat er ihnen auch diesbezüglich einen Freiraum
eingeräumt. Mit der 12. RSA-Änderungsverordnung vom 15. August 2005 ist mit Wirkung zum 1. September 2005 der letzte Halbsatz
des die Ausnahmefälle regelnden Satzes der Ziff. 1.8.1 der Anlage 1 der RSAV ("wenn der gewählte Arzt oder die gewählte Einrichtung
an dem Programm teilnimmt") weggefallen. Nach Ansicht der Beklagten müssen seitdem die in den Ausnahmefällen tätig werdenden
Fachärzte nicht unbedingt die Strukturvoraussetzungen der zweiten Versorgungsebene erfüllen. Dies zeigt, dass weder die Beklagte
noch der Verordnungsgeber im Hinblick auf den Sinn und Zweck der RSAV oder in Bezug auf die Durchbrechung der Trennung zwischen
dem hausärztlichen und dem fachärztlichen Versorgungssektor grundsätzliche Bedenken haben, wenn die in den Ausnahmefällen
als koordinierende Ärzte tätig werdenden Fachärzte nicht die Anforderungen der zweiten Versorgungsebene erfüllen.
Die Entscheidungen des Sozialgerichts Marburg (Urt. v. 29. März 2006 - S 12 KA 889/05, zitiert nach juris) sowie des Hessischen Landessozialgerichts (Urt. v. 20. Dezember 2006 - L 4 KA 44/06, zitiert nach juris) beruhen lediglich auf der Auslegung des ihnen zu Grunde liegenden Strukturvertrages und stehen der hier
vertretenen Auffassung nicht entgegen. Denn selbstverständlich eröffnet die RSAV den Partnern eines Strukturvertrages auch
die Möglichkeit alle fachärztlich tätigen Vertragsärzte an die Strukturvoraussetzungen der zweiten Versorgungsebene zu binden,
wie es die Vertragspartner des vorliegenden DMP für die Zeit ab 1. November 2004 auch getan haben.
(3) Mit dem unter (1) dargestellten Inhalt des DMP-Vertrages erfüllen die Ärzte, die in der dem Rücknahmebescheid beigefügten
Liste aufgeführt sind, die Teilnahmevoraussetzungen für das DMP, so dass auch die mit ihnen zur Durchführung geschlossenen
Verträge insoweit rechtmäßig sind.
bb) Der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 18. Mai 2005 war aber nicht nur wegen der Rechtmäßigkeit der erteilten Zulassung
für das DMP, sondern darüber hinaus auch wegen fehlerhaft ausgeübtem Ermessen rechtswidrig. Die Anfechtungsklage wäre daher
selbst dann begründet, wenn der Auffassung des Senates bezüglich der Rechtmäßigkeit der erteilten Zulassung nicht zu folgen
wäre.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender
Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der
Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Auch wenn
nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, der einem Sozialleistungsträger
erteilt wurde, ohne das Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 45 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 SGB X zurückgenommen werden darf (so BSG, Urt. v. 10. August 1988 - 10 RAr 2/86 - zitiert nach juris), setzt eine solche Rücknahme in jedem Fall die Ausübung pflichtgemäßen Ermessens voraus. Denn bei dem
der Behörde obliegenden Ermessen handelt es sich nicht lediglich um ein auf Ausnahmefälle beschränktes "Soll-Ermessen". Aus
dem Wortlaut ergibt sich vielmehr die Pflicht zur Ermessensausübung. Dabei steht es der Behörde in den Grenzen ihres Ermessens
zwar in der Regel frei, auf welche Umstände sie abstellen will. Das Ermessen ist jedoch gerichtlich dahin zu überprüfen, ob
die Verwaltung bei ihrer Entscheidung alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat. Welche Umstände wesentlich sind, ergibt
sich aus Billigkeitsgesichtspunkten (vgl. hierzu Steinwedel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Bd. 2, § 45 SGB X, Rn. 51 ff., mit weiteren Nachweisen).
Die Beklagte hat zwar ihr Ermessen erkannt, sie hat jedoch die wesentlichen Umstände für die Ermessensausübung außer Betracht
gelassen. Sie hat ihr Ermessen lediglich auf die Gleichbehandlung aller Krankenkassen, die strukturierte Behandlungsprogramme
durchführen und die Sicherstellung der einheitlichen Anwendung im gesamten Bundesgebiet gestützt. Ob dies angesichts der vielen
unterschiedlichen Strukturprogramme überhaupt ein sachgerechtes Kriterium darstellt, mag dahinstehen. Jedenfalls wären diese
Ziele auch erreicht worden, wenn die Beklagte einheitlich gegenüber allen Kassen der Auffassung der Klägerin gefolgt wäre.
Keine sachgerechte Erwägung ist das Argument der Beklagten, der Klägerin sei die Möglichkeit eingeräumt worden, freiwillig
durch entsprechende Erklärungen - d. h. durch die Nichtberücksichtigung eingeschriebener Patienten im RSA - rechtmäßige Zustände
herzustellen. Der freiwillige Verzicht auf eine (vermeintliche) Rechtsposition kann grundsätzlich nicht gefordert werden.
Die Ausschöpfung der rechtsstaatlich zur Verfügung stehenden Rechtsmittel kann bei einer Interessenabwägung nicht gegen den
Betroffenen sprechen.
Demgegenüber hat die Beklagte sachwidrig außer acht gelassen, dass die Rücknahme der Zulassung des Programms für die Vergangenheit
für die Klägerin mit erheblichen wirtschaftlichen Folgen verbunden ist. Die Beklagte hat dabei die Bedeutung der Zulassungsentscheidung
für die Betroffenen nicht hinreichend gewürdigt. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urt. v. 21. Juni 2011 -
B 1 KR 14/10 R - Rn. 15, zitiert nach juris) muss die Wirksamkeit der Zulassung eines DMP für alle Betroffenen zweifelsfrei feststehen,
um - zusammen mit der Einschreibung der Versicherten in die DMP - verlässliche Grundlagen zur Bildung besonderer Versichertengruppen
für den Risikostrukturausgleich zu haben. Insbesondere die Krankenkasse, die aus diesem Grunde die Zulassung solcher Programme
nach §
137g Abs.
1 Satz 1
SGB V beantragen kann, muss sich auf eine einmal erteilte Zulassung zur Bildung besonderer Versichertengruppen für den Risikostrukturausgleich
verlassen können. Es würde der sich daraus ergebenden Bedeutung der Zulassung für die Krankenkasse nicht gerecht, wenn diese
- weil sie einem Sozialleistungsträger gegenüber erteilt wird - ohne weitere Voraussetzungen, jederzeit, auch mit Wirkung
für die Vergangenheit zurücknehmbar wäre. Zumindest in diesem Rahmen vermitteln die Regelungen der §§ 137f und g
SGB V einen gewissen Vertrauensschutz für die Krankenkasse; ob dies einem statusbegründenden Charakter entspricht, mag dahinstehen.
Aus diesem Grund gehörte es zu den wesentlichen Ermessensgesichtspunkten, dass der Klägerin aufgrund der erteilten Zulassung
bereits erhebliche Aufwendungen entstanden waren, die bei einer Rücknahme der Zulassung für die Vergangenheit irreversibel
bleiben. Die Sachwidrigkeit der Nichtberücksichtigung dieses Gesichtspunktes wird besonders vor dem Hintergrund deutlich,
dass sich die irreversiblen Aufwendungen der Klägerin hätten vermeiden lassen, wenn die Beklagte bei der Zulassungsentscheidung
mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen wäre. Sie hätte dann aus dem vorgelegten DMP-Vertrag, insbesondere wegen der systematischen
Zuordnung der Ausnahmefälle zu § 3 DMP und der hierfür geltenden Anlage 1.1, von Anfang an erkennen können, dass an die in
diesem Rahmen tätig werdenden Fachärzte nach dem DMP lediglich die Anforderungen der ersten Versorgungsebene gestellt werden.
Hätte die Beklagte ihre Bedenken, dass dies nicht RSAV-konform sei, gleich nach der Antragstellung zum Ausdruck gebracht,
hätte die am 25. Oktober 2004 vereinbarte Änderung des DMP zeitnah erfolgen können.
Darüber hinaus ist ein öffentliches Interesse an der Rücknahme der Zulassungsentscheidung nicht erkennbar. Den Vertragspartnern
des DMP sind in Bezug auf die Anforderungen an die Strukturqualität der teilnehmenden Ärzte erhebliche Gestaltungsspielräume
eingeräumt worden. Es war daher den Vertragspartnern des DMP möglich, diese Anforderungen so festzulegen, dass sie jedenfalls
von den Ärzten erfüllt worden wären, die sich bis dahin bereits eingeschrieben hatten. So ist es durch die ab 1. November
2004 gültige Änderungsvereinbarung dann auch tatsächlich geschehen. Aus diesem Grund erstreckte die Beklagte die Rücknahme
der Zulassung lediglich auf den Zeitraum bis zum 31. Oktober 2004. Die Beteiligten geben damit übereinstimmend zum Ausdruck,
dass an der Qualitätssicherung auch unter Beteiligung der Fachärzte, die zuvor nicht die Strukturvoraussetzungen der zweiten
Versorgungsebene erfüllten, keine Zweifel bestehen. Bei dieser Sachlage ist ein Grund für die Rücknahme der Zulassung mit
Wirkung für die Vergangenheit nicht erkennbar.
Im Hinblick auf diese wesentlichen Ermessensgesichtspunkte ist möglicherweise sogar von einer Reduzierung des Ermessens auf
Null zu Gunsten der Klägerin auszugehen. Jedenfalls ist aber die Nichtbeachtung dieser Gesichtspunkte ermessensfehlerhaft.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG, da die Beteiligten nicht zu den in §
183 SGG genannten Personen gehören. Der Beklagten waren gemäß §§
154 Abs.
1,
162 VwGO i. V. m. §
197a Abs.
1 SGG die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin aufzuerlegen. Die Kosten der Beigeladenen hat die Beklagte
nicht zu tragen, da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und damit kein Kostenrisiko eingegangen ist.
Die Revision war nicht zuzulassen. Insbesondere hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG. Die maßgeblichen Regelungen sind inzwischen sowohl im zugrunde liegenden DMP als auch in der RSAV geändert worden. Im vorliegenden
DMP ist die streitige Regelung seitens der Klägerin und der Beigeladenen bereits am 25. Oktober 2004 geändert worden; die
maßgebliche Regelung der Ausnahmefälle in der RSVA ist durch die 12. RSA-Änderungsverordnung vom 15. August 2005 mit Wirkung
zum 1. September 2005 geändert worden. Die aufgeworfenen Rechtsfragen beziehen sich daher ausnahmslos auf außer Kraft getretenes
Recht, so dass eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der Rechtsfragen nicht erkennbar ist. Parallelfälle sind nicht
bekannt und aufgrund der zeitnahen Rechts- bzw. Vertragsänderungen auch nicht mehr zu erwarten.
Die endgültige Entscheidung über den Streitwert beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i. V. m. §
63 Abs.
2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG. Die Beteiligten haben die Bedeutung der Sache für die Klägerin übereinstimmend in dieser Höhe beziffert.