Streitwertfestsetzung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei einem Streit über die Ergebnisse der Qualitätsprüfung
in der sozialen Pflegeversicherung
Gründe:
I. Umstritten ist ein Streitwertbeschluss des Sozialgerichts Halle vom 6. Juni 2012 in einem Verfahren, in dem die Beschwerdeführerin
(im Folgenden: Klägerin) die Beschwerdegegner (im Folgenden: Beklagte) auf Unterlassung gegen die Veröffentlichung eines Transparenzberichts
gemäß §
115 Abs.
1 a Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (
SGB XI) in Anspruch genommen hatte.
Die Klägerin betrieb eine ambulante Pflegeeinrichtung. Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) führte am 26.
Juli 2011 im Auftrag der Beklagten eine Qualitätsprüfung nach §
114 SGB XI durch. Daraufhin beantragte die Klägerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, es zu unterlassen, den streitigen Transparenzbericht
zu veröffentlichen (stattgebender Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 5. Dezember 2011, S 21 P 81/11 ER). Am 22. Dezember 2011 hat die Klägerin in der Hauptsache Klage beim SG Halle erhoben. Nach einer erneuten MDK-Prüfung
am 12. März 2012, die zu einem deutlich besseren Ergebnis geführt hatte, wurde das Verfahren von der Klägerin für erledigt
erklärt. Die Beklagten erklärten sich bereit, die Kosten zu übernehmen.
Im Beschluss vom 6. Juni 2012 hat das SG den Beklagten die Kosten des Verfahrens auferlegt und den Streitwert auf 5.000,00 EUR festgesetzt. Die Klägerin hat gegen
den ihr am 11. Juni 2012 zugestellten Beschluss am 25. Juni 2012 Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung eingelegt und
geltend gemacht: Nach der zutreffenden Bewertung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 2. Mai 2012
- L 10 P 5/12 B ER sei die Veröffentlichung eines Transparenzberichts nicht nur mit dem Auffangstreitwert, sondern höher zu bewerten. Die
Veröffentlichung eines Transparenzberichts sei mit der Bestimmung des Streitwertes bei Maßnahmebescheiden zu vergleichen und
daher gleich zu behandeln.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 6. Juni 2012 abzuändern und den Streitwert auf 25.000,00 EUR festzusetzen.
Die Beklagten beantragen nach ihrem schriftlichen Vorbringen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie haben vorgetragen: Nach der ständigen Rechtsprechung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt sei in derartigen Fällen
grundsätzlich vom Auffangstreitwert in Höhe von 5.000,00 EUR auszugehen.
Das SG hat der Beschwerde am 30. August 2012 nicht abgeholfen.
II. Im vorliegenden Fall ist der gesamte Senat zur Entscheidung über die Beschwerde zuständig. Entgegen einer verbreiteten
Auffassung anderer Landessozialgerichte ergibt sich aus § 66 Abs. 6 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) keine Befugnis des Berichterstatters als Einzelrichter allein zu entscheiden (vgl. zu dem Meinungsstreit Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, §
155 Rdn. 9d). Nach dem Gesetzeswortlaut sowie nach der Entstehungsgeschichte der Norm und der Parallelvorschrift des §
568 Satz 1 und
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) soll eine Entscheidung nur dann von einem einzelnen Richter des Spruchkörpers getroffen werden, wenn die jeweilige Prozessordnung
in der konkreten Fallkonstellation eine Übertragung auf den Einzelrichter erlaubt. Dies ist in der Sozialgerichtsbarkeit im
Beschwerdeverfahren jedoch nicht der Fall. In §
155 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) findet sich für das Beschwerdeverfahren keine entsprechende Regelung (so zutreffend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz,
Beschluss vom 27. April 2009, L 5 B 451/08 KA, zitiert nach juris).
Die Beschwerde ist zulässig. Die Beschwerdefrist ist gewahrt. Die Klägerin hat die Beschwerde innerhalb von sechs Monaten
eingelegt, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt hat oder das Verfahren anderweitig erledigt wurde
(vgl. §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 63 Abs. 3 Satz 2 GKG). Die Beschwerde ist auch statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR überschreitet (§ 68 Abs. 1 Satz 1 GKG). Das SG hat der Beschwerde gemäß §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 1 GKG nicht abgeholfen, so dass der Senat auch in der Sache entscheiden kann.
Die Beschwerde ist unbegründet, da das SG den Streitwert gemäß § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) zutreffend auf den Regelstreitwert von 5.000,00 EUR festgesetzt hat. Der vorliegende Sach- und Streitstand bietet keine
genügenden Ansatzpunkte, um zu einer anderen Streitwertbestimmung zu gelangen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung
des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt in vergleichbaren Fällen (vergleiche Beschlüsse vom 8. Juli 2011, L 4 P 44/10 B ER und 11. August 2011, L 4 P 8/11 B ER; jeweils zitiert nach juris).
Die Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 5. Juli 2010, L 10 P 59/10 B ER RG, zitiert nach juris) in seinem aktuellen Beschluss vom 2. Mai 2012 (L 10 P 5/12 B ER, zitiert nach juris) hält der Senat für nicht überzeugend. In dieser Entscheidung hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen
den Streitwert bei Maßnahmebescheiden und den Streitwert bei Verfahren auf Unterlassung von zu veröffentlichenden Transparenzberichten
als gleichwertig angesehen. Diese Wertung überzeugt nicht. Denn ein Maßnahmebescheid ist konkret auf eine oder mehrere bestimmte
Handlungen oder Unterlassungen gerichtet, die sich rein tatsächlich und auch nach ihrem wirtschaftlichen Gewicht differenzieren
lassen. Das ist bei der Veröffentlichung eines Transparenzberichts nicht der Fall. Mit der Veröffentlichung eines Qualitätsberichts
verfolgt die Pflegekasse im Gegensatz zu einem Maßnahmebescheid eine ganz andere Zielrichtung und nimmt aus der Sicht der
betroffenen Pflegeeinrichtung eine (möglicherweise kritisch bis negative) Qualitätsbewertung der Einrichtung vor. Direkte
Folgen sind damit nicht verbunden. Mögliche wirtschaftliche Einbußen sind nicht bezifferbar.
Auch die Rechtsfolge eines Maßnahmebescheides und die einer Veröffentlichung eines Qualitätsberichts unterscheiden sich grundlegend.
Während ein Maßnahmebescheid aus Sicht der Pflegeeinrichtung auf eine bestimmte Rechtsfolge gerichtet ist, sei es auf eine
Kürzung der Pflegevergütung (vgl. §
115 Abs.
3 SGB XI) bzw. sogar auf die Kündigung des Versorgungsvertrages (vgl. §
115 Abs.
2 SGB XI) und damit eine unmittelbare und auch konkrete Auswirkung auf den Geschäftsbetrieb der Pflegeeinrichtung entfaltet, gilt
dies für die Veröffentlichung eines Transparenzberichtes nicht im selben Maße. Denn dessen tatsächliche Auswirkungen sind
eher ungewiss und kaum bestimmbar (so noch zutreffend LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Juli 2010 aaO.). Es ist schlicht
nicht vorhersehbar, ob und in welcher Weise die Veröffentlichung eines Transparenzberichts zu konkreten Nachteilen für die
Pflegeeinrichtung im geschäftlichen Wettbewerb mit potentiellen Konkurrenten führt.
Die Ansicht des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 2. Mai 2012 ruft auch praktische Probleme bei der
Streitwertbestimmung hervor. So müsste der jeweils zu untersuchende Transparenzbericht auf mögliche, aber gerade noch nicht
getroffene Maßnahmebescheide untersucht werden. Dies drängt das Gericht bei der Streitwertbestimmung zu Unrecht in eine Ermessensentscheidung,
die allein der Behörde vorbehalten bleibt und von ihr noch nicht getroffen worden ist. Zudem kommt es bei der Streitwertfestsetzung
in erster Linie auf die jeweiligen Auswirkungen des Verwaltungshandelns für den Betroffenen an. Wenn im vorliegenden Fall
vom Regelstreitwert abgewichen werden soll, bedarf es konkreter Hinweise, wie sich der zu veröffentlichende Transparenzbericht
auf die Pflegeeinrichtung finanziell auswirkt. Da eine derartige Feststellung nicht getroffen werden kann, muss es beim Regelstreitwert
verbleiben, der für solche Fälle vorgesehen ist.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten sind nicht zu erstatten (§ 68 Abs. 3 GKG).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).