Anspruch auf Weitergewährung von Krankengeld im Anschluss an eine Rehabilitationsmaßnahme; Zulässigkeit der Feststellung von
Arbeitsunfähigkeit durch die Entlassungsmitteilung einer Rehaklinik
Gründe:
I.
Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (im Weiteren: der Kläger) wendet sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe
mangels Erfolgsaussichten durch das Sozialgericht. In der Sache streiten die Beteiligten über die Weitergewährung von Krankengeld
ab dem 26. März 2014.
Ab dem 19. November 2013 war der Kläger arbeitsunfähig und bezog Krankengeld. Zum 31. Dezember 2013 wurde sein versicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis von seinem Arbeitgeber gekündigt. Vom 8. Januar bis 28. Februar 2014 bezog der Kläger Arbeitslosengeld.
Dr. S. bescheinigte ihm vom 30. Januar bis 21. März 2014 Arbeitsunfähigkeit, weshalb er Krankengeld erhielt. Vom 26. Februar
bis 26. März 2014 nahm der Kläger an einer Anschlussrehabilitation in der Klinik W. teil. Die Entlassung erfolgte als arbeitsunfähig.
Am 31. März 2014 suchte er erneut Dr. S. auf, die ihm rückwirkend Arbeitsunfähigkeit seit dem 30. Januar 2014 bescheinigte.
Mit Bescheid vom 4. April 2014 lehnte die Beklagte die weitere Gewährung von Krankengeld ab und wies darauf hin, dass der
Kläger ab dem 26. März 2014 keinen Anspruch mehr auf eine beitragsfreie Mitgliedschaft mit Krankengeldanspruch gehabt habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Mai 2014 wies sie den hiergegen eingelegten Widerspruch zurück und wiederholte ihre bisherige
Begründung.
Dagegen hat der Kläger mit einem am 17. Juni 2014 am Sozialgericht Altenburg eingegangenen Schreiben Klage erhoben. Zur Begründung
hat er darauf hingewiesen, dass seine Hausärztin ihn rückwirkend ab dem 27. März 2014 arbeitsunfähig geschrieben habe. Im
Weiteren hat er ausgeführt, er sei zu Beginn der Arbeitsunfähigkeit arbeitslos gewesen und habe Leistungen nach dem
SGB III bezogen. Der Anspruch auf Krankengeld habe lediglich nach §
49 Abs.
1 Nr.
5 SGB V geruht. Da die Arbeitsunfähigkeit nachträglich gemeldet worden sei, lebe der Anspruch wieder auf.
Wegen der bestehenden Arbeitsunfähigkeit habe er sich auch nicht erneut beim Arbeitsamt als arbeitslos der Arbeitsvermittlung
zur Verfügung stellen können. Die Beklagte hätte ihn auch auf die Folgen seines Handelns hinweisen müssen.
In einem Befundbericht vom 7. September 2014 bestätigte Dr. S., dass der Kläger vom 30. Januar 2014 bis 11. Juni 2014 nach
ihren Aufzeichnungen arbeitsunfähig gewesen sei.
Das Sozialgericht hat ein Gutachten von dem Orthopäden Dr. W. eingeholt. Dieser hat ausgeführt, es sei mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit von einer Arbeitsunfähigkeit auch ab dem 27. März 2014 auszugehen. Allerdings sei nicht ersichtlich, warum
der Kläger am 27. März 2014 keinen Arzt aufgesucht habe. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass der Kläger ab dem 27. März
2014 familienversichert gewesen sei. Der Kläger hat darauf aufmerksam gemacht, dass ihm dies erst am 16. Juni 2014 mitgeteilt
worden sei.
Nach Anhörung hat das Sozialgericht Altenburg das Verfahren an das örtlich zuständige Sozialgericht Halle verwiesen.
Am 28. April 2015 hat der Kläger die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt. Dies hat das Sozialgericht Halle mit Beschluss
vom 3. September 2015 mangels Erfolgsaussichten abgelehnt und ausgeführt, dass die gem. §
192 SGB V aufrecht erhaltene Mitgliedschaft des Klägers mit Krankengeldberechtigung mangels weiterer Feststellungen der Arbeitsunfähigkeit
ab 26. März 2014 beendet worden sei. Auf Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit oder sonstige Hinderungsgründe, einen Arzt aufzusuchen,
existierten keine Hinweise. Für spontane Hinweispflichten der Krankenkasse ergebe sich hier ebenfalls kein Anhaltspunkt. Auch
ein nachwirkender Versicherungsschutz gem. §
19 SGB V scheide aus, da die Familienversicherung des Klägers gem. Abs. 2 dieser Vorschrift vorrangig sei.
Gegen den ihm am 8. September 2015 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 8. Oktober 2015 Beschwerde eingelegt und erneut
auf §
49 Abs.
1 Nr.
5 SGB V hingewiesen.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 8. Oktober 2015 aufzuheben und ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin
W. für die Durchführung des Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Halle zu bewilligen.
Der Beklagte hat sich nicht geäußert.
Die Verfahrensakten des Sozialgerichts sowie die Verwaltungsakte der Beklagten haben bei der Entscheidungsfindung vorgelegen.
Auf diese Unterlagen wird ergänzend verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist gemäß §
172 Abs.
1 und
3 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthaft, form- und fristgerecht eingelegt worden (§
173 SGG) und auch ansonsten zulässig (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
127 Abs.
2 Satz 2
Zivilprozessordnung -
ZPO). Sie ist begründet. Denn der Kläger hat Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht
Halle.
Nach §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
114 Satz 1
ZPO erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht,
nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht
auf Erfolg verspricht und nicht mutwillig erscheint. Ist die Vertretung durch Anwälte - wie hier - nicht vorgeschrieben, wird
der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Anwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn u.a. die Vertretung durch einen
Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§
121 Abs.
2 ZPO).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
a) Ob ein Beteiligter die Prozessführungskosten nicht (oder nur in Raten) aufbringen kann, hängt davon ab, in welcher Höhe
er über Einkommen oder Vermögen verfügt und inwieweit er es nach §
73a Abs.
1 SGG i.V.m. den §§
115 Abs.
1 Satz 1,
115 Abs.
2 Satz 1
ZPO einzusetzen hat. Hiervon abzusetzen sind die in §
115 Abs.
1 Satz 3 Nr.
1 bis 5
ZPO abschließend genannten Beträge. Von dem nach den Abzügen verbleibenden, auf volle Euro abzurundenden Teil des monatlichen
Einkommens (einzusetzendes Einkommen) sind unabhängig von der Zahl der Rechtszüge höchstens 48 Monatsraten aufzubringen (§
115 Abs.
2 Sätze 1 und 4
ZPO).
Vermögen des Antragstellers ist nicht ersichtlich; als Einkommen sind ausschließlich Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Höhe von 394,00 EUR vorhanden, so dass er abzüglich des Freibetrages nach §
115 ZPO von 468,00 EUR die Prozesskosten nicht aus eigenen Mitteln aufbringen kann. Seine Ehefrau bezieht neben Leistungen nach dem
SGB II nur eine Rente i.H.v. 457,00 EUR; dies ist für die Frage des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe des Klägers unerheblich.
b) Als hinreichend sind die Erfolgsaussichten einzuschätzen, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der
Rechtsschutzsuchende mit seinem Begehren - wenigstens teilweise - obsiegen wird (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss
vom 13.3.1990, 1 BvR 94/88 u.a., BVerfGE 81, 347 ff. [356]). Prozesskostenhilfe kommt dagegen nicht in Betracht, wenn der Erfolg zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erfolgschance
aber nur entfernt ist (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17.2.1998, B 13 RJ 83/97 R, SozR 3-1500 § 62 Nr. 19). Danach besteht hinreichende Erfolgsaussicht, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände zumindest
die Möglichkeit besteht, dass der Kläger mit seinem Begehren durchdringt. Nicht ausschlaggebend ist insoweit, ob der konkrete
Spruchkörper eine Klage abweisen würde.
Rechtsgrundlage für die Gewährung von Krankengeld sind die Bestimmungen der §§
44 ff. Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V). Gem. §
44 Abs.
1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse
stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Ob und in welchem Umfang
Versicherte Krankengeld beanspruchen könnten, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils
in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt (BSG, Urteile vom 16.12.2014, B 1 KR 25/14 R und B 1 KR 37/14 R, beide in juris), wobei §
192 SGB V bestimmt, dass die Mitgliedschaft u.a. bei einem Anspruch auf Krankengeld erhalten bleibt. Keinen Anspruch auf Krankengeld
haben gem. §
44 Abs.
2 Satz 1 Nr.
1 SGB V (u.a.) Familienversicherte nach §
10 SGB V. Das Entstehen des Krankengeldanspruchs setzt neben Arbeitsunfähigkeit nach §
44 Abs.
1 SGB V (außer bei Behandlungen im Krankenhaus oder in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen) zusätzlich voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit
ärztlich festgestellt wird. Gem. §
46 Satz 1 Nr. 2
SGB V - in der hier noch maßgeblichen Gesetzesfassung (a.F.) - entsteht der Leistungsanspruch nämlich erst von dem Tag an, der
auf den Tag dieser ärztlichen Feststellung folgt. Die Neufassung des §
46 SGB V durch das Gesetz vom 16.7.2015 (BGBl. I S. 1211) gilt erst ab 23.07.2015 und ist hier daher nicht anzuwenden.
Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit stellt eine grundlegende (materielle) Voraussetzung für das Entstehen des
Anspruchs auf Krankengeld und nicht lediglich ein - beliebig nachholbares - Verfahrenserfordernis dar. Ausnahmen kommen nur
in eng begrenzten Sonderfällen in Betracht, wenn nämlich der Versicherte alles in seiner Macht Stehende und Zumutbare zur
Wahrung seiner Ansprüche unternommen hat, er an der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Obliegenheiten aber durch eine von der
Krankenkasse zu vertretende Fehlentscheidung (wie eine Fehlbeurteilung der Arbeitsunfähigkeit des Vertragsarztes und des Medizinischen
Dienstes der Krankenversicherung (MDK)) gehindert war und er außerdem seine Rechte bei der Krankenkasse unverzüglich (spätestens
innerhalb der zeitlichen Grenzen des §
49 Abs.
1 Nr.
5 SGB V) nach Kenntnis der Fehlentscheidung geltend gemacht hat (näher: BSG, Urteil vom 08.11.2005, B 1 KR 30/04 R; auch BSG, Urteil vom 16.12.2014, B 1 KR 37/14 R, alle in juris). Bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit, aber abschnittsweiser Krankengeldbewilligung ist jeder Bewilligungsabschnitt
eigenständig zu prüfen. Für die Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs (etwa aus der Krankenversicherung der Bezieher
von Arbeitslosengeld - §
5 Abs.
1 Nr.
2 SGB V) ist es im Hinblick auf die Regelung in §
46 Satz 1 Nr. 2
SGB V a.F. deshalb erforderlich gewesen, dass die Arbeitsunfähigkeit erneut spätestens am letzten Tag des Bewilligungsabschnitts
ärztlich festgestellt wird (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. Urteil v. 4.3.2014, B 1 KR 17/13 R, in juris).
Nach Lage der Akten und insbesondere des Gutachtens von Dr. W. war der Kläger arbeitsunfähig. Er war auch zumindest bis zum
26. März 2010 mit Anspruch auf Krankengeld versichert.
Ein Anspruch auf Krankengeld für den 27. März 2010 "entsteht" gem. §
46 Abs.
1 Nr.
2 SGB V jedoch erst an dem Tag, der auf den Tag der "ärztlichen Feststellung" der Arbeitsunfähigkeit (nicht der Bescheinigung) folgt.
Hier könnte die Einschätzung als arbeitsunfähig am 26. März 2014 durch die behandelnden Klinikärzte der Klinik W. genügen,
zumal diese zeitlich nicht befristet ist (vgl. Entlassungsmitteilung dieser Klinik Bl. 17 der Verwaltungsakte sowie Bl. 1
des Entlassungsberichtes dieser Klinik vom 1. April 2014). Eventuell muss der Inhalt und die Tragweite dieser ärztlichen Bescheinigung
näher ermittelt werden. Es ist aber möglich, dass dies eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit i.S.d. §
46 Abs.
1 Nr.
2 SGB V darstellt.
Denn die notwendige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit muss durch einen Arzt, nicht aber notwendigerweise durch einen Vertragsarzt
erfolgen. Diese muss auch nicht auf den hierfür nach der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie vorgesehenen Vordruck erfolgen (a.A.
ohne Begründung LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2015, L 5 KR 5084/14, Rn. 27, juris); dies sieht das Gesetz nicht vor. Es ist fraglich, ob der Gemeinsame Bundesausschuss hier eine weitere Regelungsbefugnis
nach §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
7 SGB V hat. Zumindest wird in der Literatur schlüssig vertreten, es genüge jede ärztliche Feststellung ohne Rücksicht auf den Zweck,
aus der sich die Merkmale der Arbeitsunfähigkeit ergeben (so Just in Eichenhofer/Wenner,
SGB V, 2. Auflage, §
46 Rn. 8). Inhaltlich genügt es dann, dass der Arzt feststellt, dass der Patient krank ist und seiner letzten Beschäftigung
nicht mehr nachgehen kann. Die Verwendung des Begriffs Arbeitsunfähigkeit ist im Allgemeinen ausreichend, da unterstellt werden
kann, dass der überkommene Rechtsbegriff den Ärzten bekannt ist und von ihm im Allgemeinen zutreffend angewandt wird (Just,
aaO.). Diese Feststellung ist hier auch das Ergebnis einer eigenen Untersuchung des Versicherten durch den Arzt.
Die eventuell verspätete Vorlage dieser Bescheinigung bei der Beklagten dürfte nur zu einem Ruhen des Anspruchs nach §
46 Abs.
1 Nr.
2 SGB V führen. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut des §
192 SGB V genügt aber auch ein nicht realisierter "Anspruch auf Krankengeld" für die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft eines Versicherungspflichtigen
(vgl. Ulmer in Eichenhofer/Wenner,
SGB V, 2. Auflage, §
192 Rn. 11).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
127 Abs.
4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).