Krankenversicherung - Amtsermittlung; Beweislast; Aufhebung Beitragsbescheid; Wirkung für die Vergangenheit; Beweislastverteilung;
Beitragserstattung; Erstattungsantrag; Widerspruch; Zinsen; Erstattung; Erstattungsanspruch; vollständiger Antrag
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über eine Zinszahlung aus einer Beitragserstattung.
Mit einem am 16. Juli 2008 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben teilte die private Versicherungsgesellschaft V. mit,
dass der Kläger am 1. August 2008 eine Versicherungsleistung i. H. v. 27.916,60 EUR erhalten habe. Es handele sich um Leistungen
aus seiner Direktversicherung bzw. einer ehemaligen Direktversicherung, aus der eine einmalige Kapitalzahlung als Alters-
oder Hinterbliebenenversorgung erfolgte.
Mit zwei Bescheiden vom 9. September 2008 setzte die Beklagte zusätzliche Beiträge aus dem Versorgungsbezug für die Kranken-
und Pflegeversicherung fest. Hiergegen legte der Kläger am 12. September 2008 Widerspruch ein und führte aus, er habe die
Beitragszahlung zu rund 80 % privat mit eigenen Beiträgen bestritten. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. März 2009 wies die Beklagte
den Widerspruch des Klägers zurück. Hiergegen erhob der Kläger Klage und wies schließlich auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 28. September 2010 (1 BVR 1660/08) hin. Weiterhin legte er ein Schreiben der V. vom 6. Januar 1997 vor, nach dem er selbst
seit dem 1. Januar 1997 alle Rechte aus der Versicherung übernommen habe (Eingang bei Gericht am 23. November 2010). Unter
dem 10. April 2011 (Eingang bei der Beklagten am 13. April 2011) bescheinigten die G.-Versicherungen (Rechtsnachfolger der
V.) dass der Kläger privat 17.766,98 EUR in die Versicherung eingezahlt habe und sein Arbeitgeber 3.706,78 EUR. Weitere Angaben
zur Aufteilung der ausgezahlten Versicherungsleistung könne man noch nicht machen. Am 19. Mai 2011 konkretisierte die Versicherung
ihre bisherige Meldung, dass beitragspflichtige Versorgungsleistung lediglich ein Betrag von 4.818,94 EUR sei.
Mit Bescheiden vom 18. Juni 2011 korrigierte die Beklagte die bisherige Beitragsfestsetzung und stellte für die Krankenversicherung
eine Überzahlung von 949,20 EUR und von weiteren 124,08 EUR in der Pflegeversicherung fest. Zinsen setzten sie jeweils nicht
fest. Mit Bescheid vom 27. Oktober 2011 erläuterte sie, dass ein vollständiger Erstattungsantrag erst nach Vorliegen der am
19. Mai 2011 ausgestellten qualifizierten Bescheinigung vorgelegen habe. Daraufhin habe man über die Rückforderung mit Bescheid
vom 6. Juli 2011 entschieden und die Beiträge am 13. Juli 2011 erstattet. Eine Verzinsung käme erst ab 1. Juli 2011 in Betracht.
Da der zu verzinsende Zeitraum aber mit dem Ablauf des letzten Kalendermonats vor der Zahlung des Erstattungsbetrages durch
den Versicherungsträger ende, ergebe sich vorliegend kein Verzinsungszeitraum. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies
die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. Juni 2012 zurück und vertiefte die bisherige Begründung.
Hiergegen hat der Kläger am 6. Juli 2012 Klage erhoben und ausgeführt, in dem Widerspruch gegen den Beitragsbescheid sei bereits
der Erstattungsantrag selbst zu sehen. Auf eine Mitwirkung eines Dritten (hier der Lebensversicherung) komme es nicht an.
Es sei auch unerheblich, aus welchen Gründen Beiträge nicht richtig berechnet worden seien. Der Kläger hat eine Berechnung
vorgelegt, mit der er die aufgelaufenen Zinsansprüche rechnerisch nach den einzelnen Monaten aufgeschlüsselt und mit 60, 61
EUR beziffert hat (Bl. 32 Gerichtsakte).
Mit Urteil vom 13. November 2015 hat das Sozialgericht Halle die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt,
es fehle an einem vollständigen Erstattungsantrag, wie die Beklagte zutreffend dargelegt habe. Es hat im Tenor seiner Entscheidung
die Berufung zugelassen.
Gegen die ihm am 24. November 2015 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 22. Dezember 2015 Berufung eingelegt und seinen
erstinstanzlichen Vortrag vertieft.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 13. November 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2011 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 6. Juni 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, 60,61 EUR an ihn zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klage ist begründet. Hierüber konnte der Senat im Einverständnis der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§
124 Sozialgerichtsgesetz -
SGG).
Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung von Zinsen in Höhe von insgesamt 60,61 EUR gemäß §
27 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV).
a) Die fehlende Fälligkeit des Rückzahlungsanspruchs vor dem 18. Juni 2011 steht dem Begehren des Klägers nicht entgegen.
Ein Anspruch auf Erstattung von Beiträgen (§
26 SGB IV) kann zwar erst fällig werden, wenn er von dem erstattungspflichtigen Versicherungsträger zu erfüllen ist. Das ist bei Beiträgen,
die mittels Beitragsbescheid gefordert worden sind, erst der Fall, nachdem dieser Bescheid aufgehoben worden ist. Solange
das nicht geschehen ist, muss auch eine mit der Klage angefochtene Beitragsforderung von dem in Anspruch genommenen Adressaten
des Bescheids zunächst erfüllt werden, da die Klage insoweit keine aufschiebende Wirkung hat (§ 97 Abs. 1
SGG). Insofern ist der Bescheid die formelle Rechtsgrundlage für die Beitragsentrichtung. Erst wenn diese Rechtsgrundlage beseitigt
ist, kann der Erstattungsanspruch fällig werden. Allerdings wird der Beitragsbescheid regelmäßig - wie auch hier - mit Wirkung
für die Vergangenheit aufgehoben.
Maßgeblich ist, dass die Verzinsung eines Anspruchs nicht stets seine Fälligkeit voraussetzt. Insoweit gelten Abweichungen
für Beiträge im Sozialversicherungsrecht. Die Regelungen des
SGB IV zur Verzinsung von Ansprüchen gegen Sozialleistungsträger sind nicht mit den zivilrechtlichen Regelungen über Verzugszinsen
und Prozesszinsen (§§
288,
291 Bürgerliches Gesetzbuch) vergleichbar. Besonders deutlich wird dies an §
24 SGB IV, der anstelle von Verzugszinsen, Prozesszinsen und Schadensersatzansprüchen allein Säumniszuschläge vorsieht. Aber auch §
27 SGB IV zeigt deutliche Unterschiede gegenüber dem Zivilrecht. Er stellt weder auf die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs noch auf
ein Verschulden des Versicherungsträgers noch auf die Höhe eines dem Erstattungsberechtigten etwa entstandenen Schadens (z.B.
gezahlte Bankzinsen) ab. Diese Eigenständigkeit der Verzinsung sozialrechtlicher Ansprüche schließt es aus, ohne weiteres
von bürgerlich-rechtlichen Normen auszugehen oder dort entwickelte Grundsätze heranzuziehen (BSG, 16. April 1985 - 12 RK 19/83, SozR 2100 § 27 Nr. 3, Rn. 27). Die Voraussetzungen der Verzinsung solcher Ansprüche sind somit allein dem §
27 SGB IV zu entnehmen (so BSG, a.a.O.).
b) Der nach §
27 SGB IV erforderliche Antrag liegt vor. Denn in einem Widerspruch gegen einen Beitragsbescheid ist zugleich ein Erstattungsantrag
enthalten. Dies gilt selbst dann, wenn die Beiträge (für die Folgemonate) zu dieser Zeit noch nicht entrichtet waren. Der
zu unterstellende Erstattungsantrag wirkt dann für später entrichtete Beiträge fort (vgl. BSG, a.a.O.).
Hiergegen lässt sich nicht einwenden, diese Auffassung sei mit dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung
(des §
27 Abs.
1 SGB IV) nicht vereinbar, weil sie auf eine allgemeine Zinspflicht im Sozialrecht hinauslaufe. Denn dies gilt nur für die Fälle des
Widerspruchs gegen einen Beitragsbescheid, einer unter Vorbehalt erfolgten unfreiwilligen Erfüllung einer Beitragsforderung
sowie den weiteren Einschränkungen des §
27 SGB IV. Es wäre lebensfremd, neben dem Antrag auf Aufhebung bzw. Abänderung eines angefochtenen Beitragsbescheides noch einen gesonderten
Antrag auf Erstattung etwa zu viel gezahlter Beiträge zu verlangen (so überzeugend BSG, 26. Juni 1986 - 2 RU 25/85, juris). Ein von einem Sozialversicherungsträger durch einen Beitragsbescheid in Anspruch genommener Beitragspflichtiger,
der gegen diesen Bescheid Widerspruch einlegt, lässt dadurch nämlich nicht nur erkennen, dass er den Grund und/oder die Höhe
der Beitragsforderung bestreitet, sondern dass er im Falle der vollständigen bzw. teilweisen Aufhebung des angefochtenen Beitragsbescheides
die Erstattung der von ihm etwa zu viel gezahlten Beiträge verlangen werde. Angesichts der fehlenden aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs und der Klage (vgl. § 97 Abs. 1
SGG) sowie zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ist der Beitragsschuldner regelmäßig gezwungen, die geforderten Beträge
zunächst zu entrichten.
c) Jener mit dem Widerspruch gestellte Erstattungsantrag war auch vollständig im Sinne des §
27 Abs.
1 SGB IV, da weitere Angaben weder von der Beklagten verlangt wurden noch für den Kläger erkennbar notwendig waren.
Es obliegt grundsätzlich dem Sozialversicherungsträger, vor der Festsetzung der Beiträge durch Bescheid die tatbestandlichen
und rechtlichen Voraussetzungen hierfür abschließend zu prüfen. Dies folgt aus dem Grundsatz der Amtsermittlung und der Beweislastverteilung.
Besonderheiten mögen insbesondere gelten, wenn ein Beitragsschuldner seinen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt, falsche
Angaben macht oder gar versucht, die Beitragspflicht rechtswidrig zu umgehen. Solche oder vergleichbare Fallgestaltungen liegen
hier nicht vor.
Ansonsten erklärt der Sozialversicherungsträger konkludent mit dem Erlass eines Beitragsbescheides ohne weitere Einschränkungen
(wie beispielsweise einer vorläufigen Festsetzung oder Hinweis auf Verletzung von Mitteilungspflichten), dass er die Entscheidungsgrundlage
als vollständig erachtet. Zumindest wenn wie hier der Streit zwischen den Beteiligten nicht im tatsächlichen, sondern (auch)
in unterschiedlichen Rechtsauffassungen liegt, hat der Beitragsschuldner keinen Anlass, weitere Angaben zu machen. Aus §
27 SGB IV kann nicht abgeleitet werden, dass der Antragssteller unaufgefordert Angaben ins Blaue hinein abzugeben hat, selbst wenn
der Träger der Sozialversicherung durch seinen Bescheid (und den nachfolgenden Schriftverkehr einschließlich des Widerspruchsbescheides)
klar zu erkennen gibt, dass er die Beitragserhebung ohne weitere Ermittlungen als rechtmäßig ansieht. Insoweit handelt die
Beklagte widersprüchlich und treuwidrig, wenn sie nun auf die Notwendigkeit weiterer Angaben verweist.
Dieses Ergebnis bestätigt auch der Wortlaut von §
27 Abs.
1 Satz 1
SGB IV. Dieser spricht von der Vollständigkeit des Antrags, nicht der Vollständigkeit der (objektiven) Entscheidungsgrundlage. Maßgeblich
ist also im Regelfall die Sicht des Sozialversicherungsträgers.
Aus Sinn und Zweck von §
27 Abs.
1 Satz 1
SGB IV ergibt sich nichts anderes. Insbesondere vermag der Senat keinen Wertungswiderspruch zwischen §
27 Abs.
1 Satz 1 Alt. 1
SGB IV und §
27 Abs.
1 Satz 1 Alt. 2
SGB IV zu erkennen (so aber Sächsisches LSG, 6.5.2014 - L 1 KR 126/13 NZB, Rn. 37, juris). Diese beiden Fallgruppen sind so unterschiedlich, dass eine verschiedene Behandlung sogar naheliegt.
Ein Beitragsschuldner, der keine Beitragserstattung beantragt, ist nicht in gleichem Maße schutzwürdig wie derjenige, der
sich gegen die Beitragsfestsetzung wendet und damit eine sofortige Erstattung verlangt.
Zudem kann nach §
27 Abs.
1 Satz 1 Alt. 2
SGB IV zwar der Zinsanspruch bei Fehlen eines entsprechenden Erstattungsantrages erst nach Erlass des Bescheides entstehen; die
Ermittlungen können aber bereits lange vorher abgeschlossen sein und die Entscheidungsgrundlage - aufgrund von Rechtsanwendungsfehlern
- schon bei Erlass des später angefochtenen Beitragsbescheides vollständig sein.
Teilweise wird zwar vereinfachend davon ausgegangen, dass ein Erstattungsantrag erst dann vollständig sei, wenn er alle Angaben
enthält, die dem Versicherungsträger eine Entscheidung darüber ermöglichen (siehe nur Kreikebohm in Kreikebohm,
SGB IV, 2. Aufl. §
27 Anm. 7; Udsching in: Hauck/Noftz,
SGB IV, §
27 Rn. 3; Dahm in Eichenhofer/Wenner,
SGB IV, § 27 Rn. 14). Jedoch hat das BSG ausgeführt, ein vollständiger Leistungsantrag liege vor, wenn der zuständige Leistungsträger durch ihn in die Lage versetzt
wird, den geltend gemachten Anspruch nach Grund und Höhe zu überprüfen, d.h. die von Amts wegen durchzuführende (§ 20 Sozialgesetzbuch 10. Buch - SGB X) Ermittlung des Sachverhalts zügig aufzunehmen und die ggf. noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen und
die begehrte Leistung zu bewilligen (s. hierzu und zum Folgenden BSG, 22.06.1989, 4 RA 44/88 SozR 1200 § 44 Nr. 24 unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung; siehe hierzu auch LSG Baden-Württemberg, 21.06.2012 - L 7 R 923/11; LSG Baden-Württemberg, 16.6.2015 - L 9 R 4503/14, Rn. 24, juris; Mette in Beck-online §
27 SGB IV, Rn. 7). Insbesondere hat das BSG auch einen durch einen Widerspruch gegen einen Beitragsbescheid gestellten Erstattungsantrag als vollständig behandelt, obwohl
im anschließenden Gerichtsverfahren umfangreich entscheidungsrelevante Tatsachen nachermittelt wurden (BSG 16.4.1985, 12 RK 19/83, SozR 2100 § 27 Nr. 3 i.V.m. BSG, 22.02.1980 - 12 RK 34/79, SozR 2200 § 172 Nr. 14). Die Auffassung des Sozialgerichts, es sei insoweit nicht auf die Auskunft durch Dritte angekommen, lässt sich dieser
Fallgestaltung nicht entnehmen und ist dort jedenfalls nicht als entscheidungserheblich erkennbar.
Dieser Rspr. des BSG schließt sich der Senat an. Denn §
27 SGB IV setzt den Amtsermittlungsgrundsatz nicht außer Kraft.
Zudem liegt nach allgemeiner Ansicht ein vollständiger Leistungsantrag jedenfalls vor, wenn ein Leistungsträger Antragsvordrucke
(§
17 Abs.
1 Nr.
3 Sozialgesetzbuch 1. Buch -
SGB I) herausgegeben hat, sobald der Antragsteller den Vordruck für den Antrag auf die begehrte Leistung vollständig ausgefüllt
und auch die darin als beizubringend bezeichneten (§
60 Abs.
1 Nr.
3 SGB I) Unterlagen eingereicht hat (BSG, 22. Juni 1989 - 4 RA 44/88, SozR 1200 §
44 Nr. 24; Seewald in: KassKomm,
SGB IV, §
27 Rn. 7; Udsching in: Hauck/Noftz,
SGB IV, §
27 Rn. 3; Lüdke/Winckler, PK-Kommentar
SGB IV, §
27 Rn. 5; Dahm in Eichenhofer/Wenner,
SGB IV, §
27 Rn. 14; Figge in: Jahn,
SGB IV, §
27 Rn. 7). Besonderheiten können gelten, wenn der Antragsteller über den Antragsvordruck hinaus durch weitere erhebliche Angaben
(§
60 Abs.
1 Nr.
1 und
2 SGB I), Erklärungen (§
60 Abs.
1 Nr.
1 und
3 SGB I) oder die Vorlage weiterer Beweisurkunden (§
60 Abs.
1 Nr.
3 SGB I) bei der Bearbeitung des Antrags mitzuwirken hat (§
65 Abs.
1 und
3 SGB I; enger LSG Baden-Württemberg, 16. Juni 2015 - L 9 R 4503/14, Rn. 24, juris).
Insoweit kann ein Antrag (hier in Form des Widerspruchs gegen den Beitragsbescheid) zumindest dann als vollständig angesehen
werden, wenn ein Informationsdefizit und damit die Unvollständigkeit des Antrags allein in den Verantwortungsbereich des Versicherungsträgers
fällt (LSG Niedersachsen-Bremen, 18. November 2008 - L 12 AL 185/05, in Juris; s. auch LSG Niedersachsen-Bremen, 29. April 2014 - L 2 R 387/13, Juris; LSG Baden-Württemberg, 16. Juni 2015 - L 9 R 4503/14, Rn. 27, juris; Seewald in Kasseler Kommentar,
SGB I, Stand März 2005, §
44 SGB I Rn. 13; ähnlich Baier in Krauskopf,
SGB IV, §
27 Rn. 5). Durch den Antrag muss der Versicherungsträger lediglich in die Lage versetzt werden, das Verfahren einzuleiten, um
gegebenenfalls weitere Ermittlungen vorzunehmen. Ermittlungen, z.B. beim Arbeitgeber oder anderen Leistungsträgern, gehen
zu Lasten des zuständigen Trägers.
Die Auffassung der Beklagten läuft darauf hinaus, dass in vielen Fällen auch bei einer Aufhebung oder Änderung eines Beitragsbescheides
erst mit der Rechtskraft des Urteils ein "vollständiger" Erstattungsantrag gestellt sein könnte. Dies würde aber zu dem untragbaren
Ergebnis führen, dass der Träger der Sozialversicherung während der gesamten Zeit seit Erlass des Beitragsbescheides bis zur
Rechtskraft des Urteils in dem Genuss des zu viel gezahlten Beitrages wäre, ohne bei der vollständigen oder teilweisen Rückzahlung
wenigstens die Zinsen in Höhe von 4 v.H. zahlen zu müssen (vgl. BSG, 26.6.1986 - 2 RU 25/85, Rn. 22, juris; siehe auch BSG, 17.5.2001 - B 12 KR 31/00 R, SozR 3-2500 § 240 Nr. 38, Rn. 18). Denn in vielen Fallkonstellationen wird es dem Betroffenen nicht möglich sein, mit der Anfechtungsklage
gegen den Beitragsbescheid zugleich seine Klage auf Erstattung nebst Zinsen zu erheben (vgl. BSG, 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B, SozR 4-1500 § 160a Nr. 6, Rn. 14). Typischerweise würde für die Leistungsklage auf die Erstattungssumme sogar ein Rechtsschutzbedürfnis fehlen,
da der Erstattungsanspruch für den Fall einer sich mit Aufhebung des Beitragsbescheides herausstellen fehlenden Beitragsforderung
nicht streitig ist.
Zugleich ergäben sich rechtsstaatliche Bedenken gegen die Bestimmtheit des §
27 SGB IV, wenn es für die Vollständigkeit des Antrages auf Ermittlungen im Gerichtsverfahren ankommen würde. Der Beginn der Verzinsung
kann in typischen Fällen wie z.B. der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit oder Streit über
beitragsrelevante Rechtsfragen nicht davon abhängen, welche Gerichtsinstanzen gegebenenfalls welche Beweiserhebungen vorgenommen
haben. Sogar im abschließenden Urteil kann unklar bleiben, ob es auf das Ergebnis der Beweiserhebung oder unaufgefordert vorgelegter
weiterer Beweismittel überhaupt ankam.
Nach §
27 Abs.
1 Satz 1 Halbs. 1
SGB IV ist der Erstattungsanspruch nach Ablauf eines Kalendermonats nach Eingang des vollständigen Erstattungsantrags bis zum Ablauf
des Kalendermonats vor der Zahlung mit vier vom Hundert zu verzinsen. "Nach Ablauf eines Kalendermonats" bedeutet, dass die
Verzinsungspflicht frühestens nach Ablauf des auf den Antrag oder die Bekanntgabe folgenden Kalendermonats beginnt, somit
hier ab dem 1. Oktober 2008. Dies hat der Kläger bei Berechnung seiner Forderung berücksichtigt.
Bezüglich der Höhe des Anspruchs verweist der Senat auf die rechnerischen Darlegungen des Klägers, die mathematisch korrekt
sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Der Senat schließt sich der klaren Rechtsprechung des BSG an (vgl. insbesondere BSG 16.4.1985, 12 RK 19/83, SozR 2100 § 27 Nr. 3 i.V.m. BSG, 22.2.1980 - 12 RK 34/79, SozR 2200 § 172 Nr. 14), die - wie dargelegt - von der Literatur und der ganz überwiegenden Rspr. der übrigen Sozialgerichte geteilt wird.