Unfallversicherung - Unfall; Arbeitsunfall; Beitrittsgebiet; Arbeitsvertrag; Lehrvertrag; gesellschaftliche Tätigkeit; Sonderzuständigkeit;
vormilitärische Ausbildung; betrieblicher Zusammenhang; Anerkennungsbescheid der Betriebsgewerkschaftsleitung; Verwaltungsakt;
Einzelfallregelung
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob ein Unfall des Klägers im Rahmen eines Lagers der Gesellschaft für Sport und Technik
der DDR (GST) als Arbeitsunfall festzustellen ist.
Der Kläger meldete der Beigeladenen mit Eingangsdatum vom 18. Januar 2006 den Unfall, den er am 2. Juni 1987 erlitten hatte.
Er fügte ein Schreiben der Staatlichen Versicherung bei, nach dessen Inhalt er in einer medizinischen Einrichtung des Zentralen
GST-Ausbildungslagers P. behandelt worden war. Weiterhin ging aus einer Ablichtung seines Sozialversicherungsausweises hervor,
dass die Zentrale Betriebsgewerkschaftsleitung des VEB A. Karl-Marx Stammbetrieb M. den erlittenen Arbeitsunfall mit dem Kennzeichen
"GT" eingetragen hatte.
Auf Befragen durch die Beigeladene teilte der Kläger mit, der Unfall habe sich im GST-Lager P. beim Sprung von einem Balken
auf der Sturmbahn ereignet. Er sei vom Betrieb während der Lehre in das Lager geschickt worden. Es sei der Innenmeniskus des
rechten Knies verletzt worden. Nach der zeitnahen Behandlung sei er wegen Unfallfolgen nicht mehr in ärztlicher Behandlung
gewesen. Diesem Schreiben fügte der Kläger eine Ablichtung eines Schreibens seiner Mutter vom 30. Juli 1987 bei. Darin wandte
sie sich an einen Obermeister des VEB, dem sie schilderte, der Kläger sei bei dem Lager beim Überklettern einer Hinderniswand
auf das Knie gestürzt. Weiterhin schilderte sie den Behandlungsverlauf. Insbesondere forderte sie den Betrieb zur Erstellung
einer Unfallmeldung auf. Weiter beigefügt war ein Schreiben des Leiters des "zentralen Ausbildungszentrums" P. der GST an
eine Berufsschule in M. vom 10. Juli 1987, wonach der Kläger sich am 3. Juni 1987 in der Ambulanz des "Z." vorgestellt habe.
In einem weiteren Schreiben vom 11. August 1987 schilderten die Eltern des Klägers den gleichen Hergang, wiesen darauf hin,
der Kläger habe sich erst am Folgetag des Unfalls in ärztliche Behandlung begeben können, weil der Unfall sich erst nachmittags
zugetragen habe. Trotz einer zwischenzeitlich aufgetretenen Schwellung und Problemen beim Gehen sei dem Kläger von der Lagerärztin
aber mitgeteilt worden, es sei nichts. In einem Schreiben der Staatlichen Versicherung vom 25. Mai 1988 erkannte sie unter
Bezugnahme auf das Schreiben der Eltern nach ärztlicher Beteiligung einen Schadensersatzanspruch des Klägers wegen der medizinischen
Betreuung im Lager dem Grunde nach an. Schließlich lag eine Klage vom 8. August 1991 gegen ein Krankenhaus vor, in der dargestellt
ist, der Unfall habe sich während der vormilitärischen Ausbildung ereignet.
Im Weiteren übernahm die Beklagte die Bearbeitung des Falles als Fall nach § 1 der Erweiterungs-Verordnung.
Auf Befragen der Beklagten gab der Kläger an, zur Teilnahme an dem Lager sei er durch seinen Lehrvertrag verpflichtet gewesen.
Er legte den Lehrvertrag vom 5. Dezember 1985 vor, der im Abschnitt "grundlegende Rechte und Pflichten des Betriebes und des
Lehrlings" den vorgedruckten Absatz enthält: "Der Lehrling ist verpflichtet, während des Lehrverhältnisses an der vormilitärischen
Ausbildung teilzunehmen, sich militärpolitische und militärfachliche Kenntnisse und Fähigkeiten anzueignen bzw. an den Maßnahmen
der Zivilverteidigung mitzuwirken".
Mit Bescheid vom 25. Oktober 2006 stellte die Beklagte fest, die Voraussetzungen für eine Entschädigung des Unfalls aus dem
Recht der gesetzlichen Unfallversicherung seien nicht erfüllt. Nach dem Recht der DDR seien Leistungen aufgrund von § 1 der
Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher, kultureller oder sportlicher
Tätigkeiten vom 11. April 1973 in Betracht gekommen. Diese seien nach § 1150 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
RVO nicht zu entschädigen, wenn sie nach dem Dritten Buch der
RVO nicht zu entschädigen seien und einem ab 1. Januar 1991 für das Beitrittsgebiet zuständigen Unfallversicherungsträger erst
nach dem 31. Dezember 1993 bekannt geworden seien. Der Unfall des Klägers wäre in den alten Bundesländern nicht nach der
RVO zu entschädigen gewesen. Die GST habe mit der Aufgabenstellung, durch die vormilitärische Ausbildung die Wehrbereitschaft
und Wehrfähigkeit der Bevölkerung, insbesondere der jungen Menschen, zu erhöhen, zu den großen sozialistischen Massenorganisationen
der DDR gehört. In die vormilitärische Ausbildung der GST seien die männlichen Jugendlichen mit Beginn der 11. Klasse der
Erweiterten Oberschule bzw. mit dem Eintritt in die Lehre einbezogen gewesen. Die Ausbildung bei der GST stelle keine der
betrieblichen Ausrichtung des Lehrbetriebes wesentlich dienende Handlung dar. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Lehrberuf
und der Ausbildung bei der GST habe nicht bestanden. Der Unfall sei auch nach dem Recht der DDR kein Arbeitsunfall gewesen,
sondern sei nach der genannten Verordnung wie ein Arbeitsunfall zu behandeln gewesen. Wegen der maßgeblichen Kenntnis von
dem Unfall komme es auf einen bundesdeutschen Unfallversicherungsträger und nicht auf eine vergleichbare Stelle in der DDR
an.
Gegen den Bescheid legte der Kläger bei der Beklagten mit Eingangsdatum vom 23. November 2006 Widerspruch ein. Er machte geltend,
er sei durch seinen Ausbildungsbetrieb zu der Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung verpflichtet worden. Für den Fall
einer Weigerung habe er mit einer Eintragung in die betriebliche Kaderakte rechnen müssen. Gegebenenfalls hätte dies seine
beruflichen Perspektiven eingeschränkt. Die Fortsetzung seiner Ausbildung sei für die Zeit des Lagers gar nicht vorgesehen
gewesen. Auch das Verstreichen einer Frist mit Ablauf des Jahres 1993 leuchte ihm nicht ein. Noch am 23. März 1991 sei mit
der Deutschen Versicherungs-AG als Rechtsnachfolgerin der Staatlichen Versicherung der DDR anwaltlicher Schriftverkehr wegen
des Unfalls geführt worden. Weder sei er aus diesem Anlass über eine Frist informiert worden, noch sei ihm eine solche bekannt
gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 15. Januar 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und blieb bei ihrer Begründung. Die
Beklagte sandte den Bescheid am 24. Januar 2007 ab.
Mit der am 19. Februar 2007 beim Sozialgericht Stendal erhobenen Klage hat der Kläger erneut die ausdrückliche Verpflichtung
zur Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung in seinem Lehrvertrag hervorgehoben.
Mit Urteil vom 26. September 2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Unfall des Klägers sei
als Unfall im Sinne der Verordnung vom 11. April 1973 anzusehen. Dies folge aus der Eintragung mit der Abkürzung "GT" im SV-Ausweis
und aus der zum Zeitpunkt des Unfalls wahrgenommenen vormilitärischen Veranstaltung bei der GST. Die Gesellschaft für Sport
und Technik sei als demokratische Organisation im Sinne von § 1 Abs. 2 der Verordnung anzusehen. Der Unfall sei einem bundesrechtlich
zuständigen Träger der Unfallversicherung nicht bis zum 31. Dezember 1993 bekannt geworden. Zu diesen Einrichtungen gehöre
die Staatliche Versicherung der DDR, bei der der Unfall geführt und anerkannt worden sei, nicht. Auch eine frühere Kenntnis
einer Behörde der gesetzlichen Krankenversicherung reiche ggf. nicht aus.
Ein Anspruch auf Anerkennung als Arbeitsunfall nach § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1
RVO bestehe nicht, weil es sich nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne des Dritten Buches der
RVO gehandelt habe. Der Kläger habe den Unfall nicht in Ausübung einer betrieblichen Tätigkeit unter dem Schutz seiner Versicherung
aufgrund des Lehrverhältnisses nach § 539 Abs. 1 Nr. 1
RVO erlitten, sondern bei der Teilnahme an einer Veranstaltung der GST. Die dort betriebene vormilitärische Ausbildung sei nicht
Teil der betrieblichen Ausbildung. Anderes lasse sich aus § 6 des Ausbildungsvertrages des Klägers nicht ableiten. Die Staatsbürgerpflicht
zur Teilnahme an vormilitärischen Veranstaltungen habe in der DDR allgemein gegolten und sei Bestandteil zahlreicher Ausbildungsverträge
gewesen. Gleichwohl habe sie mit der betrieblichen Ausbildung nichts zu tun. Die
RVO schütze Versicherte nur im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit bzw. Ausbildung.
Gegen das ihm am 6. November 2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13. November 2007 Berufung eingelegt. Er bleibt bei
seinem Vorbringen und trägt vertiefend vor, die Teilnahme am GST-Lager sei ihm und den anderen Lehrlingen betrieblich nahe
gelegt worden und für den Unterlassungsfall eine Eintragung in die Kaderakte angedroht worden. Die Lehrlinge seien durch Betriebsangehörige
direkt vom Werk zum Bahnhof gebracht worden, um in den Zug nach P. einzusteigen. Die komplette Lehrgruppe seines Betriebes
sei dort gewesen. Ein Mädchen in der Ausbildungsgruppe hätte in der gleichen Zeit eine Rot-Kreuz-Ausbildung durchführen müssen.
Der Lehrbetrieb habe während dieser Zeit geruht. Gegenstand des Lagers sei eine vormilitärische Ausbildung gewesen. Hintergrund
sei die Bildung einer Kampfgruppeneinheit im Betrieb gewesen. Für dessen Außendarstellung sei ein ausreichendes Kampfgruppenengagement
von Bedeutung gewesen. Wenn er nicht an der Ausbildung teilgenommen hätte, hätte auch die Auflösung des Lehrausbildungsvertrages
im Raum gestanden. Den Lehrlingen sei immer wieder angedroht worden, eine unterlassene Teilnahme an den verschiedenen Ausbildungsübungen
hätte auch Einfluss auf die Lehrausbildung. Auch der Betrieb hätte sich für diesen Fall rechtfertigen müssen, warum der Lehrling
nicht von der Teilnahme habe überzeugt werden können. Die Erfüllung der Teilnahmepflicht sei sogar Voraussetzung für einen
erfolgreichen Ausbildungsabschluss gewesen, wie verschiedene Zeugen bestätigen könnten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stendal vom 26. September 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2006 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2007 aufzuheben und
den Unfall vom 2. Juni 1987 als Arbeitsunfall festzustellen, weiterhin festzustellen, dass für die Ansprüche aus diesem Arbeitsunfall
die Beklagte zuständig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie schließt sich dem Urteil des Sozialgerichts an.
Die Beigeladene beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erklärt ihre Zuständigkeit für den Fall, dass die Sonderzuständigkeit der Beklagten für Unfälle im Rahmen gesellschaftlicher
Tätigkeit in der DDR nicht eingreifen sollte. Nach ihrer Einschätzung liegt dieser Fall nicht vor. Insoweit schließt sie sich
den Ausführungen des Sozialgerichts in seinem Urteil an. Sie weist darauf hin, nach der
RVO könne es sich schon um keinen Arbeitsunfall handeln, weil Arbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik generell keine Regelungen
über die Teilnahme an vormilitärischer Ausbildung zum Gegenstand hätten. Jedenfalls fehle der betriebliche Zusammenhang zwischen
dem Lehrverhältnis des Klägers und dem Arbeitsunfall. Gegenstand der Ausbildung und damit Ziel des betrieblichen Einsatzes
des Klägers sei die Erlangung der Kenntnisse und Fertigkeiten eines Werkzeugmachers gewesen. Damit stehe die vormilitärische
Ausbildung nicht im Zusammenhang. Der zitierte Abschnitt aus dem Lehrvertrag habe lediglich einen Auszug aus dem Arbeitsgesetzbuch
der DDR zum Inhalt. Schon dieser Umstand schließe den Bezug auf ein konkretes Berufsausbildungsziel aus. Verglichen werden
könne die Verpflichtung zur vormilitärischen Ausbildung bei Übertragung auf das frühere Bundesgebiet allenfalls mit der Teilnahme
an einer Wehrübung der Bundeswehr. Dort erlittene Unfälle seien aber nach dem Soldatenversorgungsgesetz abzuwickeln gewesen.
In der mündlichen Verhandlung und bei der Beratung hat die Akte der Beklagten über den Vorgang - Az. - vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Die gem. §
143 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) statthafte Berufung hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 25. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Januar 2007 beschwert den
Kläger im Sinne von §§
157,
54 Abs.
2 S. 1
SGG, weil die Beklagte darin zu Unrecht die Feststellung des Unfalles des Klägers vom 2. Juni 1987 als Arbeitsunfall abgelehnt
hat. Denn dieser ist ein Arbeitsunfall nach § 1150 Abs. 2 S. 1 der
Reichsversicherungsordnung (
RVO - i. d. F. d. G. v. 25.7.1991, BGBl. I S. 1606, 1688). Diese Vorschrift ist gem. § 215 Abs. 1 S. 1 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches weiter anzuwenden.
Der Unfall des Klägers war im Sinne von § 1150 Abs. 2 S. 1
RVO ein Arbeitsunfall "nach dem im Beitrittsgebiet geltenden Recht." Unschädlich ist die ungenaue Formulierung der Vorschrift,
die nicht nur frühere Arbeitsunfälle umfasst, sondern auch Unfälle, die nach dem Recht der DDR Arbeitsunfällen nur gleichgestellt
waren. Unfälle nach § 1 der Verordnung über die Erweiterung des Versicherungsschutzes bei Unfällen in Ausübung gesellschaftlicher,
kultureller und sportlicher Tätigkeiten (ErwVO) v. 11.4.1973 (GBl. I S. 199) "waren" nämlich keine Arbeitsunfälle des Rechts
der DDR, sondern begründeten danach lediglich Ansprüche auf "Leistungen wie bei einem Arbeitsunfall."
Der historisch-systematischen Entwicklung der Vorschrift ist aber zu entnehmen, dass auch diese gleichgestellten Unfälle von
§ 1150 Abs. 2 S. 1
RVO erfasst sind. Schon im Einigungsvertrag (G. v. 23.9.1990, BGBl. II S. 885), dort Anl. I Kap. VIII Sachg. I Abschn. III Buchst. c Maßg. 8 Nr. 2 Buchst. ee, hatte der Bundesgesetzgeber nämlich verdeutlicht,
er wolle die Fälle des § 1 ErwVO einer unfallrechtlichen Entschädigung zuführen und hatte die dort geregelten Unfälle als
Arbeitsunfälle bezeichnet. Denn dort findet sich die Regelung, wonach die Rechtsvorgängerin der Beklagten für die Entschädigung
der "Arbeitsunfälle" nach § 1 ErwVO zuständig ist. Es ist im Rahmen systematischer Stimmigkeit der bundesrechtlichen Regelungen
davon auszugehen, dass § 1150 Abs. 2 S. 1
RVO an diese Begriffsbildung anknüpft.
Die Einordnung des Unfalls unter die ErwVO ergibt sich schon aus dem Inhalt der Eintragung im Ausweis für Arbeit und Sozialversicherung.
Denn der Unfall ist dort mit dem Kürzel "GT" in einer als Vordruck vorgesehenen Rubrik für "anerkannte Arbeitsunfälle" eingetragen.
Die Abkürzung "GT" steht dabei ausweislich von § 6 Abs. 2 S. 2 ErwVO für eine gesellschaftliche Tätigkeit im Sinne dieses
Regelungswerks. Die Eintragung stellt (zumindest) ein Beweiszeichen für das Bestehen eines entsprechenden Verwaltungsakts
dar, weil sie auf den Vorgang einer bereits bestehenden Anerkennung hinweist und von der zuständigen Betriebsgewerkschaftsleitung
vorgenommen worden ist. Die Betriebsgewerkschaftsleitung war gem. § 222 des Arbeitsgesetzbuches (AGB - v. 16.6.1977, GBl.
I S. 185) zur Anerkennung zuständig, weil sie das betriebliche Organ zur Durchführung von Aufgaben der Sozialversicherung
war, wie sich für größere Betriebe aus § 275 Abs. 1 AGB i.V.m. § 92 Abs. 1 der Verordnung zur Sozialpflichtversicherung der Arbeiter und Angestellten (SVO - v. 17.11.1977, GBl. I S. 373) ergibt; die erforderliche Größe ist durch die Ansiedlung bei einer Kombinatsleitung im Industriebereich
und die entsprechende Bezeichnung als zentrale Betriebsgewerkschaftsleitung gesichert.
Der der Eintragung im Sozialversicherungsausweis des Klägers zu Grunde liegende Anerkennungsbescheid der Betriebsgewerkschaftsleitung
entfaltet unter der Geltung des Bundesrechts die Wirkung eines Verwaltungsaktes. Dies ergibt sich aus Art. 19 S. 1, 2 EV.
Der dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik fremde Begriff des Verwaltungsaktes ist nach seinem bundesdeutschen Inhalt
auszulegen. Danach ist die getroffene Feststellung von Leistungsansprüchen wie bei einem Arbeitsunfall eine Entscheidung zur
Regelung eines Einzelfalles. Denn mit der Entscheidung wird gegenüber dem Versicherten bestimmt, was für ihn im Hinblick auf
den Lebenssachverhalt des Unfalls rechtens sein soll. Dies geschieht hoheitlich einseitig, weil der Versicherte selbst nicht
durch eine Erklärung Einfluss auf den Inhalt der Regelung nehmen kann. Die Regelung betrifft auch öffentliches Recht. Dafür
spricht trotz der Zuordnung der Aufgabenwahrnehmung an den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund, dass die Aufgaben der Sozialversicherung
nach § 276 S. 1 AGB einer Verwaltung der Sozialversicherung übertragen waren, die nach § 103 Abs. 4 SVO selbst juristische Person war. Weiterhin spricht für die Zuordnung zu öffentlichem Recht, dass es sich bei dem Regelungssystem,
aus dem die Leistungen der Unfallversicherung im vorliegenden Zusammenhang erbracht wurden, um ein umfassendes Zwangsversicherungssystem
in Form der Sozialpflichtversicherung handelte und in diesem System einseitige Entscheidungen ergehen konnten, denen über
allgemeine Verjährungsfristen hinaus formelle Bestandskraft zukommen konnte. Denn gegen die Entscheidungen bestand nach §
303 Abs. 1 S. 3 AGB ein besonderes, fristgebundenes Einspruchsrecht; bei Fristversäumnis war die Entscheidung rechtlich nicht
mehr angreifbar.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn der Vortrag des Klägers zutrifft, über die Anerkennung sei überhaupt kein gesonderter
Bescheid ergangen, sondern die Anerkennung allein durch die Eintragung im Sozialversicherungsausweis erfolgt. Denn dann haben
die Beteiligten die Vornahme der Eintragung und die Aushändigung des Ausweises an den Kläger als die maßgebliche Entscheidung
verstanden, die im vorgenannten Sinne Verwaltungsaktscharakter hatte.
Der Unfall gilt im Sinne von § 1150 Abs. 2 S. 1
RVO als Arbeitsunfall nach dem Dritten Buch (der
RVO). Denn die Ausnahmeregelung des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1
RVO greift nicht durch, weil der Unfall auch nach dem Dritten Buch der
RVO zu entschädigen wäre.
Dies ist zu prüfen, weil der Unfall einem Träger der bundesdeutschen gesetzlichen Unfallversicherung erst nach dem 31. Dezember
1993 am 18. Juni 2006 bekannt geworden ist. Der Meldestichtag ist nicht - wie der Kläger meint - dadurch gewahrt, dass der
Unfall sofort einem zuständigen Organ der DDR gemeldet worden ist. Denn dabei handelt es sich nicht um den im obigen Sinne
zuständigen Träger. Dies folgt schon aus dem Text des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1
RVO, weil das Abstellen auf den Zuständigkeitsstichtag des 1. Januar 1991 gegenstandslos wäre, wenn über die Funktionsnachfolge
zur Sozialversicherung beim FDGB jede frühere Zuständigkeit bei der Kenntnisnahme ausreichen würde (BSG, Urt. v. 19.12.00
- B 2 U 8/00 R - SozR 3-2200 § 1150 Nr. 4).
Bei einem anerkannten Arbeitsunfall nach dem Recht der DDR unterliegt auch die Feststellung des Unfalls in dem Sinne der Bestandskraft,
dass der Unfall auch für die Prüfung eines fiktiven Arbeitsunfalls im Sinne der
RVO als feststehend gilt. Dies gilt insbesondere auch für die Frage nach einem unmittelbaren (Erst-)Körperschaden, der Bestandteil
des Unfallbegriffes im Sinne von § 548 Abs. 1 S. 1
RVO ist. Diese Doppelwirkung der Bestandskraft ist möglich, weil der Unfallbegriff im § 220 Abs. 1 AGB nicht von demjenigen des § 548 Abs. 1 S. 1
RVO abweicht.
Die Anknüpfung an einen festgestellten Unfall folgt mittelbar aus § 1150 Abs. 2 S. 1
RVO. Schon danach erfolgt die Übernahme von Arbeitsunfällen der Sozialversicherung (der DDR) in das Bundesrecht mit der Geltung
als Arbeitsunfälle nach der
RVO u.a. für "Unfälle", ohne dass damit ausnahmslos der Unfallbegriff im Sinne des § 548 Abs. 1
RVO vorab gesondert zu prüfen wäre. Die Vorschrift besagt insbesondere nicht, dass auch angesichts eines anerkannten Arbeitsunfalls
des Rechts der DDR der Begriff des Unfalls im Sinne des § 548 Abs. 1
RVO noch zu prüfen wäre. Insoweit gilt die mit § 1150 Abs. 2 S. 1
RVO bezweckte Kombination von Vertrauensschutz und Verwaltungsvereinfachung für alle Tatbestandsmerkmale eines schon anerkannt
gewesenen Unfalls gleichermaßen. Eine gesonderte Prüfung des Begriffs des Unfalls stünde nämlich im Gegensatz zur unterbleibenden
Prüfung aller anderen rechtlichen Voraussetzungen des Arbeitsunfalls, ohne dass der Vorschriftenzweck dafür eine Rechtfertigung
erbrächte. Es gibt keine Hinweise darauf, dem Begriff des Unfalls im Einleitungshalbsatz des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1
RVO eine andere Bedeutung beizumessen, zumal sie systematisch als Ausnahmevorbehalt zum Grundfall des § 1150 Abs. 1 S. 1
RVO gefasst ist, dessen Nichterfüllung wieder zur allgemeinen Rechtsfolge einer bloßen Geltung als Unfall nach der
RVO zurückführt. Die Vorschrift des § 1150 Abs. 2 S. 2 Nr. 1
RVO stellt grundsätzlich die Frage nach der bundesrechtlichen Entschädigungsfähigkeit des Unfalls. Dies spricht angesichts der
insoweit vorliegenden, dargestellten Rechtsgleichheit bezüglich des Unfallbegriffs nicht dagegen, einen Unfall bei bereits
erfolgter Anerkennung für die weitere Prüfung als geschehen vorauszusetzen.
Der bei dem Unfall eingetretene Erstschaden bestand jedenfalls in einer schmerzhaften Prellung. Aufgrund des Schreibens des
"Z." vom 10. Juli 1987 ist gesichert, dass der Kläger sich am 3. Juni 1987 dort in ärztliche Behandlung begeben hat. Entgegen
des nach Angaben des Klägers selbst dort mitgeteilten Behandlungsergebnisses, wonach ein Gesundheitsschaden nicht vorzufinden
sei, lag ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild vor. Dies ergibt sich aus dem Schreiben der Staatlichen Versicherung vom
25. Mai 1988, wonach eine Schadensersatzpflicht nach ärztlicher Beurteilung der medizinischen Betreuung dem Grunde nach anerkannt
wird. Dieses Schreiben bezieht sich auf die Eingabe der Eltern des Klägers vom 11. August 1987, in der sie näher beschrieben
haben, der Kläger sei mit einer Knieschwellung und Problemen beim Laufen trotz Aufsuchens der Lagerärztin unbehandelt geblieben.
Diese Abfolge lässt den Schluss zu, dass sich die Darstellung der Eltern des Klägers bewahrheitet hat und sich ein Behandlungsfehler
in der Form ereignet hat, dass ein behandlungsbedürftiges Krankheitsbild vorgelegen hat, aber übersehen wurde. Offen bleiben
kann, ob auch der kurz nach dem Unfall offensichtlich diagnostizierte und behandelte Meniskusschaden mit dem Unfallgeschehen
in Zusammenhang steht; die Feststellung eines konkreten Gesundheitserstschadens oder von Unfallfolgen hat der Kläger nicht
beantragt.
Der Kläger hat seinen Unfall als ein auf Grund eines Lehrverhältnisses Beschäftigter im Sinne von § 539 Abs. 1 Nr. 1
RVO und im Sinne von § 548 Abs. 1 S. 1
RVO bei der damit genannten Tätigkeit erlitten. Zwischen dem Verhalten zum Unfallzeitpunkt und dem Beschäftigungsverhältnis besteht
eine sachliche Verbindung, der sog. innere Zusammenhang (vgl. BSG, Urt. v. 17. Okt. 1990 - 2 RU 13/90 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 5). Dieser liegt hier darin, dass die Pflicht eines Lehrlings zum Erwerb vormilitärischer Kenntnisse
gerade als Teil des Lehrverhältnisses geregelt war. So sah § 133 Abs. 2 AGB für Lehrlinge die Verpflichtung zur Teilnahme
an der vormilitärischen Ausbildung vor. Mit der speziellen Regelung im Arbeitsrecht unter Bezug auf Lehrverhältnisse hat der
Gesetzgeber der DDR diese Pflicht in Bezug zum Beschäftigungsverhältnis des betreffenden Lehrlings gesetzt und die Möglichkeit
geschaffen, im Falle einer verweigerten Teilnahme arbeitsrechtliche Sanktionen zu verhängen. Dieser Zusammenhang ist im Falle
des Klägers noch im Verhältnis gerade zu seinem Lehrbetrieb durch die Einfügung einer entsprechenden Klausel in seinen Lehrvertrag
vertieft worden. Denn dadurch wird dem Verpflichteten verdeutlicht, es gehe nicht nur um die Wahrnehmung bürgerlicher Pflichten
gegenüber dem Staat, sondern gerade auch um Verpflichtungen des Lehrlings gegenüber seinem Betrieb. Allgemein für Jugendliche
lässt sich eine entsprechende, sanktionsbewehrte Rechtspflicht hingegen nicht feststellen. Vielmehr behandelt § 24 des Jugendgesetzes
der DDR (v. 24.1.1974, GBl. I S. 45) den Erwerb vormilitärischer Kenntnisse nur als Ehrenpflicht zum Erwerb der "hohen Achtung
der sozialistischen Gesellschaft". Sachlich unterscheidet sich die Pflicht nicht von derjenigen zum Besuch des Unterrichts
in allgemeinbildenden Fächern an Berufsschulen, die ebenfalls nicht ohne weiteres einen unmittelbaren Bezug zum Erlernen eines
Berufs aufweisen. Auch dieser Unterrichtsbesuch unterliegt dem allgemeinen Versicherungsschutz des § 539 Abs. 1 Nr. 1
RVO für Lehrlinge, wie sich aus der entsprechenden Verweisung in § 539 Abs. 1 Nr. 14 Buchst. c
RVO ergibt.
Gegen den sachlichen Zusammenhang kann nicht mit der Beigeladenen eingewandt werden, in der Bundesrepublik Deutschland habe
es keine vormilitärische Ausbildung gegeben. Bei der Prüfung des fiktiven Versicherungsfalls "nach dem Dritten Buch" (der
RVO) ist nicht der Sachverhalt fiktiv darauf zu überprüfen, ob er sich in der Bundesrepublik Deutschland hätte ereignen können,
sondern darauf, wie er rechtlich zu behandeln gewesen wäre, wenn die
RVO für den Unfall bereits gegolten hätte. Dabei ist es auch in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitsrecht vorbehalten, Pflichten
eines beschäftigten Lehrlings zu begründen.
Die Teilnahme am Lager in P. diente der vormilitärischen Ausbildung. Davon ist der Senat überzeugt, weil dies der Kläger bereits
in einer Klage gegen ein Krankenhaus wegen Fehlbehandlung vom 8. August 1991 ausdrücklich so mitgeteilt hat, obwohl der Umstand
ihm insoweit keinen Vorteil verschaffte. Zudem war die Gesellschaft für Sport und Technik die Organisation zur vormilitärischen
und wehrsportlichen Erziehung und Ausbildung der Jugendlichen in der DDR (DDR-Handbuch, aaO., Schlagwort "Gesellschaft für
Sport und Technik") Die vormilitärische Ausbildung war auch ursächlich für das Schadensereignis, weil das Bewältigen einer
Hindernisbahn allgemeinkundig ein typischer Übungsteil im Rahmen wehrertüchtigender Ausbildung ist. Dass sich der Unfall bei
dieser Gelegenheit ereignet hat, entnimmt der Senat dem Schreiben der Mutter des Klägers vom 30. Juli 1987. An dessen Inhalt
in Bezug auf den abgelaufenen Unfall hat der Senat keine Zweifel, weil die Darstellung zu der Anerkennung des Arbeitsunfalls
geführt hat. Dies lässt darauf schließen, dass sich die Unfallschilderung bestätigt hat.
Zuständiger Versicherungsträger für den Kläger ist die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der Bundesausführungsbehörde für Unfallversicherung
auf Grund deren Sonderzuständigkeit nach Anl. I Kap. VIII Sachg. I Abschn. III Buchst. c Maßg. 8 Nr. 2 Buchst. ee zum Einigungsvertrag (EV - G. v. 23.9.1990, BGBl. II S. 885). Denn der danach maßgebliche Unfallversicherungsschutz des Klägers nach der ErwVO beruhte auf deren § 1, welcher Umstand
allein die Zuständigkeit der Beklagten begründet. Es kann dahinstehen, ob die Anerkennung zu Recht vorrangig auf § 1 ErwVO
gestützt worden ist oder auch - ggf. sogar vorrangig - ein Arbeitsunfall nach § 220 Abs. 1 S. 1 AGB anzuerkennen gewesen wäre.
Denn die Beklagte ist an den Anerkennungsbescheid der Betriebsgewerkschaftsleitung gebunden. Dass ein solcher Bescheid ergangen
ist, folgt - wie bereits dargelegt - aus der Eintragung durch die Betriebsgewerkschaftsleitung im Sozialversicherungsausweis
des Klägers.
Im Übrigen hat es sich bei der Teilnahme an der vormilitärischen Ausbildung - wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung
vom 1. Dezember 2011 bestätigt hat - auch tatsächlich um einen Fall des § 1 ErwVO gehandelt, nämlich um einen Unfall bei einer
durch eine gesellschaftliche Organisation organisierten gesellschaftlichen Tätigkeit. Das Lager zur vormilitärischen Ausbildung
war von der GST organisiert, wie schon daraus folgt, dass sich nach dem vorgelegten Schriftverkehr der Leiter des "zentralen
Ausbildungszentrums" der Gesellschaft für Sport und Technik mit dem Vorgang befasste und von einer Vorstellung des Klägers
in der Ambulanz des Zentrums am 3. Juni 1987 berichtete. Die GST war eine gesellschaftliche Organisation (vgl. zur Übereinstimmung
des Begriffs mit dem der Massenorganisation Lexikon des DDR-Sozialismus, herausgegeben von Eppelmann u.a., Paderborn 1996,
Schlagwort "Massenorganisation"; zur Einordnung der GST als Massenorganisation DDR-Handbuch, herausgegeben vom Bundesministerium
für innerdeutsche Beziehungen, 3. Aufl., Köln 1985, Schlagwort "Gesellschaft für Sport und Technik").
Der Kläger verrichtete zum Zeitpunkt seines Unfalls auch eine gesellschaftliche Tätigkeit, die als Mitarbeit bei der Lösung
gesellschaftlicher Probleme zum Ausdruck gesellschaftlichen Bewusstseins zu verstehen ist (Handbuch, aaO., Schlagwort "gesellschaftliche
Tätigkeit"). Um einen solchen Beitrag zur Lösung des gesellschaftlichen Problems der Wehrbereitschaft handelte es sich bei
der Teilnahme an der vormilitärischen Erziehung. Dies ergibt sich aus § 24 des Jugendgesetzes, wonach der Erwerb vormilitärischer
Kenntnisse der hohen Achtung der sozialistischen Gesellschaft unterlag und der Verteidigung des Sozialistischen Vaterlandes
diente.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Der Senat hat die Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zugelassen, weil er für klärungsbedürftig hält, ob Unfälle von Lehrlingen bei der vormilitärischen Ausbildung in der DDR
im Sinne von § 1150 Abs. 2 S. 2
RVO als solche nach dem Dritten Buch der
RVO zu entschädigen wären.