Unfallversicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung bei einem Vorstellungsgespräch aus Eigeninitiative und Vorliegen
einer Eingliederungsvereinbarung gemäß § 15 SGB II
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Unfall der Klägerin am 5. März 2007 als Arbeitsunfall anzuerkennen ist.
Zum Unfallzeitpunkt war die Klägerin arbeitslos und bezog Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Im Februar 2007 wurde sie von einem Unternehmen aufgrund ihrer eigenen Initiativbewerbung zu einem Vorstellungsgespräch
eingeladen, welches in der G. in H. stattfinden sollte. Auf dem Rückweg von diesem Vorstellungsgespräch rutschte die Klägerin
auf dem Weg zum Ausgang auf einer Treppe aus und verletzte sich dabei (u.a. Subluxation der oberen beiden Schneidezähne).
Mit Bescheid vom 17. September 2008 lehnte die Beklagte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung
aus Anlass des Ereignisses vom 5. März 2007 ab und führte zur Begründung aus, Unfallversicherungsschutz bestünde nur bei einer
besonderen, im Einzelfall an die Klägerin gerichteten Aufforderung. Ein solcher Sachverhalt liege hier nicht vor.
Hiergegen legte die Klägerin am 14. Oktober 2008 Widerspruch ein und trug vor, sie sei auch bei solchen Bewerbungsgesprächen,
die sie eigeninitiativ ausgelöst habe, gesetzlich unfallversichert. Zudem werde in der Informationsbroschüre des Bundesministeriums
für Arbeit und Soziales darauf hingewiesen, dass man auf dem Weg zum Bewerbungsgespräch unfallversichert sei. Sie habe eine
Eingliederungsvereinbarung mit der Verpflichtung zu vier Stellenbewerbungen pro Monat unterzeichnet. Demzufolge sei jede einzelne
Stellenbewerbung inklusive Bewerbungsgespräch verbindlich; dies komme einer Aufforderung der Arbeitsverwaltung gleich. Auf
Nachfrage teilte das Jobcenter SGB II K. mit, die Klägerin stehe seit dem 15. Februar 2005 im Leistungsbezug. Am Unfalltag sei sie aber keiner Weisung, Aufforderung,
Bitte, Empfehlung oder ähnlichen Erklärung des Trägers der Grundsicherung nachgekommen; sie habe sich den Arbeitgeber selbst
gesucht und den Vorstellungstermin selbst vereinbart.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück, da es an einer Aufforderung
im Sinne des Gesetzes fehle.
Am 23. Februar 2009 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau Klage erhoben und die Anerkennung des Unfalls als Arbeitsunfall begehrt. Sie hat ausgeführt, dass die Vorschrift
des §
2 Abs.
1 Nr.
14 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB VII) aus einer Zeit vor der rechtlichen Umwälzung des Arbeitsförderungsrechts durch Einführung des SGB II zum 1. Januar 2005 entstamme. Die damalige Rechtsprechung könne nicht ohne Einschränkung herangezogen werden. Der Empfänger
von Arbeitslosengeld II stehe in einem deutlich geänderten Pflichtenverhältnis, wie es durch eine Eingliederungsvereinbarung
konkretisiert werde. Soweit in einer Eingliederungsvereinbarung die Verpflichtung zu einer bestimmten Anzahl von Stellenbewerbungen
pro Monat festgelegt worden sei, so müssten diese nachgewiesen werden, um Sanktionen abzuwenden.
Mit Urteil vom 13. Januar 2010 hat das Sozialgericht Dessau-Roßlau die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt,
es liege keine Aufforderung zu jenem Vorstellungsgespräch vor. Auch die Eingliederungsvereinbarung sei keine Aufforderung
des Jobcenters gewesen.
Gegen das ihr am 19. Januar 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin noch im gleichen Monat Berufung eingelegt und ihren bisherigen
Vortrag vertieft.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 9. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2009 sowie das Urteil
des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 13. Januar 2010 aufzuheben und den Unfall vom 5. März 2007 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat eine Eingliederungsvereinbarung zwischen der Klägerin und dem Jobcenter SGB II beigezogen. Danach verpflichtete sich die Klägerin u. a. zur "Stellensuche/Erstellung von Bewerbungsunterlagen" mit mindestens
vier Bewerbungen pro Monat. Dabei hatte sie ausdrücklich auch das Internet, die gelben Seiten sowie die Presse zur Stellensuche
zu nutzen. Teil der Eingliederungsvereinbarung war eine umfangreiche, formularmäßige Rechtsfolgenbelehrung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
sowie der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung
und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Die nach §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte, form- und fristgerecht erhobene (§
151 Abs.
1 SGG) sowie auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
beschwert die Klägerin nicht im Sinne der §§
157,
54 Abs.
2 Satz 1
SGG. Denn der streitige Vorfall ist kein Arbeitsunfall, weil es insoweit an der nach §
8 Abs.
1 SGB VII erforderlichen versicherten Tätigkeit fehlt.
Nach dem hier allein in Betracht kommenden §
2 Abs.
1 Nr.
14 SGB VII (im weiteren, soweit nicht anders bezeichnet, in der Fassung des Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz, BGBl. I
2005, 2729) sind in der Unfallversicherung u.a. kraft Gesetzes Personen versichert, die nach den Vorschriften des SGB II der Meldepflicht unterliegen, wenn sie einer besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zuständigen Trägers nachkommen, diese oder eine andere Stelle aufzusuchen.
Die Klägerin unterlag im Zeitpunkt des Unfalls der allgemeinen Meldepflicht nach § 59 SGB II i.V.m. §
309 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (
SGB III), da sie damals Arbeitslosengeld II vom Jobcenter SGB II K. bezog. Der Weg, auf dem sie den Unfall erlitt, wurde von ihr jedoch nicht unternommen, weil sie "im Einzelfall" einer
"Aufforderung" des nach § 6 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II zuständigen Trägers (hier des Jobcenters SGB II K.) nachgekommen wäre.
Zwar steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der zum Unfall führende Weg im sachlichen Zusammenhang mit dem Vorstellungsgespräch
am 5. März 2007 stand und die Klägerin bei ihrem Sturz auf der Treppe, der zur Subluxation der oberen beiden Schneidezähne
führte, einen Unfall erlitten hat.
Wie die Klägerin selbst in ihrem Widerspruchsschreiben eingeräumt hat, ist aber tatsächlich keine konkrete Aufforderung zum
Aufsuchen dieses potentiellen Arbeitgebers durch das Jobcenter SGB II K. ergangen. Das selbstständige Tätigwerden des Arbeitslosen ohne Aufforderung ist nach der Rechtsprechung des BSG nicht versichert (Urteil vom 31. Januar 1974 - 2 RU 169/72 - SozR 2200 § 550 Nr. 1; Urteil vom 20. Januar 1987 - 2 RU 15/86 - SozR 2200 § 539 Nr. 119; Urteil vom 24. Juni 2003 - B 2 U 45/02 R - Juris; zu Bewerbungen aus Eigeninitiative auch Urteil des Senats vom 25. Mai 2011 - L 6 U 123/07 - Juris). Diese Entscheidungen sind zwar zu Versicherten nach dem
SGB III ergangen. Nicht anderes gilt aber für die selbständige Arbeitssuche eines Beziehers von Leistungen nach dem SGB II (Riebel in Hauck, Kommentar
SGB VII, §
2 Rn. 211).
Eine Aufforderung im Sinne von §
2 Abs.
1 Nr.
14 SGB VII setzt die Äußerung eines auf Herbeiführung einer Rechtswirkung gerichteten Willens voraus. Maßstab zur Beurteilung, ob eine
bestimmte Verlautbarung eine derartige Willenserklärung darstellt, ist ihr Erklärungswert. Entscheidend hierfür ist nicht,
was die auffordernde Stelle äußern wollte, sondern wie der Inhalt der Verlautbarung unter den gegebenen Umständen vom Empfängerhorizont
aus betrachtet objektiv zu verstehen ist (BSG, Urteil vom 11. September 2001 - B 2 U 5/01 R - SozR 3-2700 § 2 Nr. 3). Auch eine mit einer Bitte oder Empfehlung umschriebene Äußerung kann demnach eine Aufforderung
sein, sofern nur der Eindruck vermittelt wird, es werde ein bestimmtes Verhalten erwartet (BSG, Urteil vom 8. Dezember 1994 - 2 RU 4/94 - SozR 3-2200 § 539 Nr. 32; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 - B 2 U 25/06 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 11, m.w.N.). Für unerheblich erachtet es der Senat daher, dass die allgemeinen und pauschalen Rechtsfolgenbelehrungen,
wie sie hier in der Eingliederungsvereinbarung vom 30. April 2006 getroffen wurde, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
unwirksam sind. Maßgeblich ist insoweit wie auch sonst der Empfängerhorizont. Unter einer Aufforderung i.S.v. §
2 Abs.
1 Nr.
14 SGB VII ist aber mehr als ein (stillschweigendes) Einverständnis oder eine Anregung oder Ausführungen in einem Merkblatt zu verstehen
(BSG, Urteil vom 24. Juni 2003 - B 2 U 45/02 R - Juris; vgl. BT-Drs. 13/2204, 75). Erforderlich ist eine Willensäußerung, die erkennen lässt, dass die Arbeitsverwaltung
ein konkretes Verhalten erwartet (Urteil des Senats 25. Mai 2011 - L 6 U 123/07 - Juris Rn. 36).
Der Hinweis auf eine neue Rechtslage, die durch die Einführung des SGB II entstanden sei, geht fehl. Auch nach dem
SGB III besteht und bestand seit langem die Pflicht zu Eigenbemühungen: Nach §
119 Abs.
5 SGB III hat der Arbeitslose seine Eigenbemühungen auf Verlangen des Arbeitsamtes nachzuweisen, wenn er rechtzeitig auf die Nachweispflicht
hingewiesen worden ist (so bereits die Ursprungsfassung des
SGB III; vgl. BGBl. I 1997, 594; vgl. auch §
35 Abs.
4 SGB III idF des Gesetzes zur Reform der arbeitsmarktpolitischen Instrumente [Job-AQTIV-Gesetz] vom 10. Dezember 2001, BGBl. I, 3443).
Bei diesen vom
SGB III geforderten Eigenbemühungen handelt es sich nach der Rechtsprechung des BSG um eine zur Anspruchsvoraussetzung gewordene versicherungsrechtliche Obliegenheit (vgl. Urteil vom 20. Oktober 2005 - B 7a
AL 18/05 R - SozR 4-4300 § 119 Nr. 3 m.w.N.). Denn die aktive Arbeitssuche war seit jeher Voraussetzung für die Gewährung
von Leistungen an den Arbeitslosen. Damit konkretisiert die Eingliederungsvereinbarung nur eine ohnehin bereits aus dem Gesetz
bestehende Verpflichtung zur eigenständigen Arbeitssuche und schafft keine neuen Pflichten.
Der einengende Wortlaut des §
2 Abs.
1 Nr.
14 SGB VII ist auch kein Zufall. Wie sich bereits aus den Gesetzesmaterialien zur
RVO ergibt, war grundsätzlich kein allgemeiner Versicherungsschutz für Arbeitslose oder Arbeitssuchende gewollt, sondern nur
eine eher punktuell zu nennende Regelung (vergl. Becker, Sozialrecht aktuell 2009, 95). Ein Vorstoß des Ausschusses für Arbeit-
und Sozialpolitik des Bundesrates, solche Personen in den Schutz des geplanten § 539 Abs. 1 Nr. 4
RVO einzubeziehen, die auf eine an sie persönlich gerichtete Aufforderung eines Unternehmers zur Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses
Arbeits- oder Verträglichkeitsproben ablegen, ist bewusst abgelehnt worden (BR-Drs. 94/1/63, 51; BT-Drs. IV/938, 4).
Die Rechtslage gilt weiter, wie bereits der insoweit unveränderte Wortlaut des Gesetzes zeigt. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber
§
2 Abs.
1 Nr.
14 SGB VII im Zuge der Einführung des SGB II geändert, was sich bereits zwanglos daraus ersehen lässt, dass das SGB II in dieser Vorschrift ausdrücklich zitiert wird (seit der Schaffung des SGB II durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. Dezember 2003; vgl. Art. 7 Nr. 1 dieses Gesetzes).
Über den - soweit hier von Interesse - unveränderten Wortlaut wird dies auch anhand der Gesetzesentwurfsbegründung deutlich,
wonach es sich nur um eine Anpassung an die neuen Zuständigkeiten bzw. eine redaktionelle Anpassung handelt (BT-Drs. 15/1516,
73 zum Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt).
Trotz mehrfacher Änderungen blieb der Wortlaut in dem maßgeblichen Teil bis heute gleich. Dies wird besonders deutlich durch
den jüngst eingefügten §
2 Abs.
1 Nr.
14 b)
SGB VII, wodurch die bisherige Vorschrift im Wesentlichen unverändert zu §
2 Abs.
1 Nr.
14 a)
SGB VII wurde (vgl. Viertes Gesetz zur Änderung des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011,
BGB. I 2011, 3062). Denn hierdurch sollte eine Anpassung an die neuen Instrumente der Arbeitsförderung vorgenommen werden (dazu
BT-Drs. 17/6764, 24). Trotzdem ist der Wortlaut der hier besonders relevanten Tatbestandsmerkmale nicht geändert worden; weiter
wird von einer "besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung (...) des nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Zweiten Buches zuständigen Trägers (...), diese oder eine andere Stelle aufzusuchen", ausgegangen.
Damit bleibt die eigenständige Stellensuche im alleinigen Verantwortungsbereich des Versicherten, auch wenn eine Eingliederungsvereinbarung
nach § 15 SGB II bzw. §
35 Abs.
4 SGB III vorliegt, die den Betroffenen zum Teil umfangreiche Pflichten auferlegt und insbesondere Eigenbemühungen abverlangt (siehe
näher hierzu nur Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 15 Rn. 24 ff.). Dies ersetzt keine besondere Aufforderung im Einzelfall i.S.v. §
2 Abs.
1 Nr.
14 SGB VII. Trotz des Interesses der staatlichen Gemeinschaft an einer funktionierenden Arbeitsvermittlung und einer niedrigen Arbeitslosigkeit
dient die Erlangung eines Arbeitsplatzes vornehmlich den Interessen des Arbeitslosen (Urteil des Senats vom 14. April 2011,
L 6 U 99/06 - Juris, Rn. 33; vergl. auch Becker, aaO.). Rechtsgrund für den hier umstrittenen Versicherungsschutz sind nämlich nur das
Rechtsverhältnis zur Arbeitsverwaltung und die sich aus diesem Rechtsverhältnis ergebenden Pflichten. Den meldepflichtigen
Personen soll bei der Erfüllung der im Interesse einer geordneten Arbeitsvermittlung liegenden Meldepflicht und bei Herstellung
der von der Verwaltung für erforderlich gehaltenen persönlichen Kontakte Unfallversicherungsschutz in gleicher Weise gewährt
werden, wie ihn ein Arbeitnehmer in Bezug auf den Weg zum und den Aufenthalt am Arbeitsplatz hat (BSG, Urteil vom 8. Dezember 1994 - 2 RU 4/94 - SozR 3-2200 § 539 Nr. 32 = Juris Rn. 29 mwN). Daher bietet es sich an, hier die selbständige, eigenwirtschaftliche Tätigkeit
von dem weisungsabhängigen, eher fremdnützigen Befolgen einer Aufforderung abzugrenzen.
Die Verpflichtung zur Vorlage von Bewerbungsschreiben in einer Eingliederungsvereinbarung konkretisiert zwar unter Umständen
die Pflichten des Arbeitslosen; allerdings ist die Klägerin bei der Erfüllung dieser nicht deshalb generell gesetzlich unfallversichert.
Bereits die ausdrücklich verlangten Bewerbungsschreiben werden regelmäßig in den Privaträumen geschrieben und können daher
nicht unter den Tatbestand des §
2 Abs.
1 Nr.
14 SGB VII gefasst werden. Auch der nachfolgende Einwurf eines Bewerbungsschreibens in den Briefkasten, die Beschaffung von Briefpapier,
Briefmarken, Zeitungen mit Stellenanzeigen u.ä. erfolgt nicht aufgrund einer "besonderen, an den Arbeitslosen im Einzelfall
gerichteten Aufforderung" des Grundsicherungsträgers, einen bestimmten Ort aufzusuchen. Der Arbeitslose handelt hier selbständig
und eigenverantwortlich.
Noch weniger können die Vorgaben einer Eingliederungsvereinbarung, Eigenbemühungen nachzuweisen, auf weitere, nicht einmal
genannte Tätigkeiten als "antizipierte" Aufforderung erstreckt werden. Die Verpflichtung bezog sich nur auf die Abgabe von
Bewerbungsschreiben; Vorstellungsgespräche waren hiervon nicht umfasst. Mit einem Bewerbungsschreiben stand zudem noch nicht
ansatzweise fest, ob es überhaupt zu irgendeinem Vorstellungsgespräch kommen würde; noch weniger waren solche Gespräche in
irgendeiner Form hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Durchführung näher konkretisiert. Der Träger von SGB II-Leistungen kann nur abstrakt und allgemein zu Bewerbungsbemühungen auffordern und insoweit maximal eine generelle, "antizipierte"
Aufforderung zu Vorstellungsgesprächen vorsehen, sofern sich dafür eine Gelegenheit ergeben sollte. Eine besondere Aufforderung
im Einzelfall, wie sie das Gesetz ausdrücklich vorsieht, ist hier aber schon sprachlich nicht denkbar. Dieser aus dem allgemeinen
Sprachgebrauch zu entnehmende Wortsinn einer "besonderen, an sie im Einzelfall gerichteten Aufforderung" bildet den Ausgangspunkt
und bestimmt zugleich die Grenze der Auslegung, da das, was jenseits des möglichen Wortsinns liegt, mit ihm auch bei "weitester"
Auslegung nicht mehr vereinbar ist, nicht als Inhalt des Gesetzes gelten kann (BSG, Urteil vom 24. Juni 2003 - B 2 U 45/02 R - Juris zu §
2 Abs.
1 Nr.
14 SGB VII unter Hinweis auf Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl, 163, 164). Eine Ausweitung des Unfallversicherungsschutzes
nach § 2 Abs. 1 Nr. 14 SGB II auf die selbstständige Stellensuche ist so weit vom Wortlaut in dieser Norm entfernt, dass eine richterliche Rechtsfortbildung
nicht mehr in Betracht kommt. Wenn die Terminsvereinbarung mit einem potentiellen Arbeitgeber Versicherungsschutz auf dem
damit verbundenen Weg wegen einer solchen "antizipierten" Aufforderung auslösen könnte, wäre auch nicht erklärlich, warum
später durch das Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz (UVMG, BGBl. I 2008, 2130) die Worte "oder eines beauftragten Dritten nach §
37 des
Dritten Buches" in diese Vorschrift eingefügt wurden (wieder abgeändert durch das Dritte Gesetz zur Änderung des
Vierten Buches Sozialgesetzbuch vom 5. August 2010, BGBl. I 1127). Denn hier wäre erst recht von einer "antizipierten" Aufforderung auszugehen gewesen.
Die Ausweitung des Versicherungsschutzes auf alle Tätigkeiten, die der Erlangung einer Arbeitsstelle dienen, ist nicht möglich,
da dann der Unfallversicherungsschutz konturen- und letztlich uferlos würde. Unklar wäre auch die Sachlage, wenn mehr als
die der Anzahl nach konkret aufgegebenen Bewerbungen pro Monat abgegeben werden würde und nur die letzte - möglicherweise
Monate später - in ein Vorstellungsgespräch münden würde (vgl. zu Bewerbungen aus Eigeninitiative Urteil des Senats vom 25.
Mai 2011 - L 6 U 123/07 - Juris). Hier stellen sich viele Abgrenzungsfragen und auch Fragen der Gleichbehandlung, soweit man im Übrigen - wie das
BSG - Bewerbungen aus Eigeninitiative weiterhin nicht unter den Schutz der Gesetzlichen Unfallversicherung stellt. Ein allgemeiner
Versicherungsschutz für Arbeitslose und Arbeitssuchende ist jedoch nicht gewollt (Urteil des Senats vom 14. April 2011, L 6 U 99/06 - Juris, Rn. 33; vergl. auch Becker, aaO.).
Es besteht daher keine Gesetzeslücke. Fälle wie der vorliegende sind nicht deshalb vom Gesetz nicht erfasst, weil der Gesetzgeber
solche Sachverhalte übersehen hätte, sondern im Gegenteil nicht unter Unfallversicherungsschutz stellen wollte (ausführlich
dazu Schlegel in Schulin, Handbuch Unfallversicherung, § 18 Rn. 15). Das BSG hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass für die Zubilligung von Unfallversicherungsschutz bei einem Arbeitslosen beim Vorliegen
anerkennenswerter bzw. zwingender Gründe jenseits des gesetzlichen Tatbestandes kein Raum besteht (BSG, 24. Juni 2003 - B 2 U 45/02 R - Juris; siehe auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. Juli 2012, L 3 U 209/11 - Juris). Die Tatbestandsvoraussetzungen, die an die für den Unfallversicherungsschutz für Arbeitslose erforderliche Aufforderung
zu stellen sind, wurden vom Gesetzgeber des
SGB VII gerade gegenüber dem zumindest weiteren Wortlaut der Vorgängervorschrift der
RVO "präzisiert" (vgl. BT-Drucks 13/2204, 75 zu Nr. 14), um den Unfallversicherungsschutz genau auf diesen Bereich möglicher
Aktivitäten der Arbeitslosen zu begrenzen und ihn nicht ausufern zu lassen. Eine Rechtsfortbildung würde demgegenüber der
Sache nach sogar noch einen zusätzlichen neuen Tatbestand schaffen, bei dessen Vorliegen Arbeitslose unter dem Schutz der
gesetzlichen Unfallversicherung stünden. Angesichts dieser Ausgangssituation und der bewussten Zurückhaltung des Gesetzgebers
trotz der genannten Entscheidung des BSG könnte eine solche Ausweitung des Unfallversicherungsschutzes nicht von der Rechtsprechung vorgenommen werden, sondern nur
vom Gesetzgeber. Dies ist nicht geschehen (vgl. BSG, 24. Juni 2003 - B 2 U 45/02 R - Juris).
Dies harmoniert mit der Systematik des SGB II. So unterscheidet § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II (in der Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, BGBl. I 2006, 1706) iVm §
144 Abs.
1 Nrn. 2 und 3
SGB III (in der Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des
Dritten Buches Sozialgesetzbuch, BGBl. I 2005, 3676) bei Sanktionen zwischen der Verhinderung eines Vorstellungsgesprächs einerseits und dem fehlenden Nachweis von Eigenbemühungen
andererseits. Bei Leistungsansprüchen besteht zwar grundsätzlich ein Rechtsanspruch auf Erstattung von Fahrtkosten für ein
Vorstellungsgespräch als Leistung zur Eingliederung in Arbeit gemäß § 16 Abs. 1 SGB II i.V.m. §
35 SGB III (Eicher in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., § 16 Rn. 61; Thiel in LPK-SGB II §
16 Rn. 11); §
35 SGB III findet jedoch auf die bloße Selbstsuche nach freien Stellen oder einstellungsbereiten Personen keine Anwendung, weil insoweit
keine Vermittlung im Sinne der Bestimmung vorliegt (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. März 2010 - L 19 B 309/09 AS, Juris; Hennig in Eicher/Schlegel,
SGB III, §
35 Rn. 29).
Aus den Angaben in der Informationsbroschüre des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, wonach der Arbeitslose auf dem
Weg zu einem Bewerbungsgespräch unfallversichert sei, folgt nichts anderes. Zum einen kann diese Broschüre nicht die Gesetzeslage
ändern; zum anderen versteht es sich von selbst, dass bei einer stichwortartigen Erläuterung der "Wichtigen Begriffe" die
"Sozialversicherung" eines Beziehers von Leistungen nach dem SGB II auf einer halben Seite nicht umfassend dargestellt werden kann und soll.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG. Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Rechtslage durch eine Vielzahl von Entscheidungen des BSG geklärt ist und wie dargelegt keine neuen Gesichtspunkte ersichtlich sind.