Tatbestand
Streitig ist der Beginn einer Verletztenrente.
Die 1956 geborene Klägerin ist hauptberuflich als Beamtin tätig und als Jagdpächterin bei der Beklagten versichert. In dieser
Eigenschaft verlor sie am 27. Mai 2017 während des Abendansitzes zur Jagd beim Einstieg von der Leiter in die Kanzel des Hochsitzes
das Gleichgewicht, stürzte auf den Boden und zog sich dabei laut D-Arztbericht vom selben Tag eine Calcaneusfraktur rechts
zu. Wegen der Fortzahlung ihrer Beamtenbezüge erhielt die Klägerin kein Verletztengeld. Ab dem 8. Januar 2018 attestierte
der Unfallchirurg Dr. L. Arbeitsfähigkeit. In seinem Gutachten vom 25. April 2018 stellte er die Diagnosen Calcaneus- und
Innenknöchelfraktur rechts sowie knöcherner Ausriss an der dorsalen körperfernen Fibula rechts und bewertete die unfallbedingte
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vom 8. Januar 2018 an mit 30 vom Hundert (vH).
Mit Bescheid vom 26. Juni 2018 erkannte die Beklagte den Unfall vom 27. Mai 2017 mit einem Trümmerbruch des rechten Fersenbeins
nebst begleitender Innenknöchelfraktur und knöchernem Abriss am Außenknöchel als Arbeitsunfall an und gewährte der Klägerin
ab dem 8. Januar 2018 Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE um 30 vH in Höhe von 210,89 € monatlich.
Hiergegen erhob die Klägerin am 25. Juli 2018 Widerspruch. Gemäß §
80a Abs.
2 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (
SGB VII) werde für Personen, die als landwirtschaftliche Unternehmer pflichtversichert seien, eine Rente für die ersten 26 Wochen
nach dem sich aus §
46 Abs.
1 SGB VII ergebenden Zeitpunkt nicht gezahlt. Der Beginn der Wartezeit ergebe sich demnach im Regelfall aus §
46 Abs.
1 SGB VII. Maßgeblich sei danach der Tag, ab dem Arbeitsunfähigkeit festgestellt werde, bzw. derjenige, an dem Heilbehandlungsmaßnahmen
beginnen würden. Die durch §
80a Abs.
2 SGB VII normierte Wartezeit gehe der Regelung des §
72 Abs.
3 SGB VII vor, die lediglich eine kraft Satzung mögliche Wartezeit von bis zu 13 Wochen vorsehe. Hier habe vom 27. Mai 2017 an bis
zum 8. Januar 2018 Arbeitsunfähigkeit bestanden. Danach sei bis zum 25. November 2017 die Wartezeit von 26 Wochen gelaufen,
womit der von der Beklagten ausgewiesene Beginn der Verletztenrente am 8. Januar 2018 unzutreffend sei.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2018 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Gemäß §
80a Abs.
2 SGB VII werde Verletztenrente frühestens nach Ablauf von 26 Wochen nach Eintritt des Versicherungsfalls geleistet. Sofern jedoch
Anspruch auf Verletztengeld bestehe, beginne die Rente mit dem Ende des Verletztengeldanspruchs. Aufgrund der vom Dienstherrn
während der Dienstunfähigkeit weiter gezahlten Bezüge sei es trotz bestehenden Grundanspruchs wegen §
52 Nr. 1
SGB VII jedoch nicht zur Auszahlung des Verletztengeldes gekommen. Mit dem Wegfall der unfallbedingten Dienstunfähigkeit am 8. Januar
2018 beginne mithin der Anspruch auf Verletztenrente.
Am 30. November 2018 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage erhoben und an ihrer Ansicht festgehalten.
Mit Bescheid vom 26. April 2019 hat die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 26. Juni 2018 auch eine Peronealsehnenluxation
als Unfallfolge festgestellt.
Mit Urteil vom 10. September 2019 hat das SG die Klage unter Zulassung der Berufung abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Die Beklagte habe den Rentenbeginn
entsprechend §
72 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII zu Recht auf den 8. Januar 2018 bestimmt. Denn der in §
80a Abs.
2 SGB VII negativ beschriebene Ausschlussgrund, dass „kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist“, treffe auf die Klägerin nicht
zu. Aufgrund des Arbeitsunfalls sei sie für ihr Dienstverhältnis als Beamtin bis zum 7. Januar 2018 dienstunfähig gewesen
und habe damit grundsätzlich Anspruch auf Verletztengeld gehabt. Dieses sei nur deshalb nicht zur Auszahlung gelangt, weil
die weiter gewährten Dienstbezüge anzurechnen gewesen seien.
Gegen das ihr am 19. September 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 2. Oktober 2019 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Berufung eingelegt und ergänzend zu ihrer bisherigen Ansicht gemeint, für die Anwendung von §
80a Abs.
2 SGB VII komme es auf den tatsächlichen Bezug von Verletztengeld an.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 10. September 2019 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides
vom 26. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2018 sowie der Fassung des Bescheides vom 26.
April 2019 zu verurteilen, ihr auch vom 27. November 2017 bis zum 7. Januar 2018 Verletztenrente als vorläufige Entschädigung
i.H.v. 210,89 € monatlich zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beginn einer Verletztenrente ergebe sich aus §
72 Abs.
1 SGB VII. Durch §
80a SGB VII werde nur §
72 Abs.
1 Nr.
2 SGB VII geändert. Die Wartezeit bedeute, dass bei fehlendem Anspruch auf Verletztengeld die Rente nicht am Tag nach dem Versicherungsfall,
sondern erst nach 26 Wochen beginne. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) komme es bei §
72 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII nicht darauf an, ob Verletztengeld gezahlt werde; maßgeblich sei, ob ein Anspruch auf diese Leistung bestanden habe (Urteil
vom 15. Mai 2012 – B 2 U 31/11 R – juris, Rn. 40).
Der Berichterstatter hat darauf hingewiesen, dass §
80a Abs.
2 SGB VII (nur) eine einheitliche Wartezeit regele. Für das Entstehen des Anspruchs auf Verletztengeld dürfe es weder auf den Zeitpunkt
der Fälligkeit noch denjenigen des tatsächlichen Zuflusses ankommen. Da Beamte auch während einer Dienstunfähigkeit Anspruch
auf Fortzahlung ihrer Bezüge hätten, komme für sie ein dem Grunde nach gegebener Anspruch auf Verletztengeld letztlich nie
zum Zuge. Für schwerer verletzte Beamte bewirke §
72 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII im Verhältnis zu nicht dienstunfähigen Kollegen, die während der ersten 26 Wochen nach Eintritt des Versicherungsfalls ebenfalls
ihre Bezüge fortgezahlt erhielten, einen späteren Rentenbeginn. Dies lasse sich vermeiden, wenn §
80a Abs.
2 SGB VII als lex specialis gegenüber §
72 Abs.
1 SGB VII gedeutet werde. Bestehe kein Anspruch auf Verletztengeld, sei die Rente gemäß §
80a Abs.
2 Halbsatz 2
SGB VII für die ersten 26 Wochen nach Eintritt des Versicherungsfalls nicht zu zahlen. Bei dem Grunde nach gegebenem Verletztengeldanspruch
lasse sich §
80a Abs.
2 Halbsatz 1
SGB VII auch im Sinne eines entsprechenden Ergebnisses deuten.
Die Beklagte hat hierzu gemeint, eine Diskriminierung der Klägerin sei nicht erkennbar. Dass für schwerer verletzte Beamte
ein späterer Rentenbeginn gelte als für ihre leichter verletzten, nicht dienstunfähigen Kollegen, sei weder eine Benachteiligung
noch ein Systemfehler. Dieses Ergebnis trete nicht nur bei ihnen, sondern allen Schwerverletzten ein, die dem Grunde nach
Anspruch auf Verletztengeld hätten. Im Vergleich zu Beamten sei die Auswirkung bei diesen Betroffenen sogar gravierender.
Denn sie erhielten für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und damit diejenige des Verletztengeldbezuges lediglich 80% des Regelentgelts
und erlitten folglich einen echten Einkommensverlust. Auch für sie beginne die Verletztenrente erst mit dem Ende der Arbeitsunfähigkeit
bzw. nach 78 Wochen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Rechtsstreits durch den Senat ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
sowie der von der Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Beratung und
Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§
151 Abs.
1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg, worüber der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß §
124 Abs.
2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte.
Der Bescheid der Beklagten vom 26. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2018 sowie des Bescheides
vom 26. April 2019 beschwert die Klägerin nicht im Sinne der §§
157,
54 Abs.
2 Satz 1
SGG. Die Beklagte hat hierin den Beginn der Verletztenrente im Ergebnis zutreffend bestimmt.
Gemäß §
72 Abs.
1 SGB VII wird Verletztenrente von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet (Nr. 1)
bzw. an dem der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist (Nr. 2). Mit dem Gesetz
zur Modernisierung des Rechts der landwirtschaftlichen Sozialversicherung vom 18. Dezember 2007 (BGBl. I, S. 2984) ist durch die Einführung des §
80a SGB VII für Renten an landwirtschaftliche Unternehmer sowie deren Ehegatten oder Lebenspartner ab dem 1. Januar 2008 eine einheitliche
Wartezeit eingeführt worden. Dabei sah §
80a Abs.
2 SGB VII in der bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung vor, die Rente für die ersten 26 Wochen nach dem sich aus §
46 Abs.
1 SGB VII für den Zahlungsbeginn des Verletztengeldes maßgeblichen Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit nicht zu zahlen. Wegen §
72 Abs.
1 Nr.
2 SGB VII bestand damit für Versicherte mit einer verbleibenden MdE um mindestens 30 vH im Fall eines nicht entstandenen Anspruchs
auf Verletztengeld (keine Arbeitsunfähigkeit, keine ganztägiger Erwerbstätigkeit entgegenstehende medizinische Behandlung)
keine Wartezeit von 26 Wochen. Sie aber besser zu stellen als diejenigen, die nicht weiter arbeiten können – also schwerer
verletzt sind –, ist nicht zu rechtfertigen. Um dieses unbillige Ergebnis zu verhindern, wurde durch das Gesetz zur Verbesserung
der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen und zur Änderung anderer Gesetze vom 21. Dezember
2008 (BGBl. I, S. 2940) mit Wirkung zum 1. Januar 2009 in §
80a Abs.
2 SGB VII der Halbsatz „oder, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist, für die ersten 26 Wochen nach Eintritt des Versicherungsfalls.“
eingefügt. Ein anderer Sinn ist der Gesetzesergänzung nicht zu entnehmen (vgl. BT-Drs. 16/10901, S. 16).
Da die Klägerin bis zum 7. Januar 2008 dienstunfähig gewesen ist, war ihr nach den §§
72 Abs.
1 Nr.
1,
46 Abs.
3 Nr.
1 SGB VII vom 8. Januar 2018 an Verletztenrente zu leisten. Für die §§
72 Abs.
1 Nr.
2,
80a Abs.
2 Halbsatz 2
SGB VII bleibt deshalb kein Raum, weil entsprechend den zutreffenden Ausführungen des SG infolge der unfallbedingten Dienstunfähigkeit im Sinne von §
45 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII – dem Grunde nach – ein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist. Dass das Verletztengeld wegen §
52 Nr. 1
SGB VII nicht zur Auszahlung gelangte, ist für die Anwendung von §
72 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII dagegen unerheblich (vgl. BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 – B 2 U 31/11 R – s.o.).
Durch den Beginn der Verletztenrente ab dem 8. Januar 2018 (statt vom 27. November 2017 an) wird die Klägerin auch nicht unzulässig
benachteiligt, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat. Insbesondere ist sie entgegen der gesetzlichen Systementscheidung
nicht gegenüber sonstigen Versicherten im Sinne von §
2 Abs.
1 Nr.
5 lit. a)
SGB VII zu privilegieren, zumal diese im Gegensatz zur Klägerin einen realen Einkommensverlust erleiden.
Für alle Versicherten gilt nach §
80a Abs.
2 SGB VII eine einheitliche Wartezeit von 26 Wochen. Nach ihrem Ablauf beginnt für alle Betroffenen ohne dem Grunde nach bestehenden
Anspruch auf Verletztengeld entsprechend §
72 Abs.
1 Nr.
2 SGB VII die Verletztenrente. Allen Versicherten mit Verletztengeldanspruch ist die Rente nach §
72 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII ab dem Tag nach dem Ende des Verletztengeldes zu leisten. Liegt dieser innerhalb der Wartezeit, ist ebenfalls frühestens
deren Ablauf der Rentenbeginn. Ist dies nicht der Fall, bewirkt die Norm bei allen (schwerer) Betroffenen einen entsprechend
späteren Rentenbeginn. Hätte – über die Mindestwartezeit hinaus – auch §
72 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII durch §
80a Abs.
2 SGB VII abgeändert werden sollen, wäre statt einer Beibehaltung der Anknüpfung an den sich aus §
46 Abs.
1 SGB VII ergebenden Zeitpunkt eine Streichung des ersten Halbsatzes im Sinne eines einheitlichen Abstellens auf eine Wartezeit von
26 Wochen nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erwarten gewesen. M.a.W. hätte durch das Gesetz vom 21. Dezember 2008 (s.o.)
eine Neufassung des §
80a Abs.
2 SGB VII wie folgt genügt: „Für Versicherte im Sinne des §
2 Abs. 1 Nr. 5 Buchstabe a) beginnt eine Rente 26 Wochen nach Eintritt des Versicherungsfalls.“
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Die Rechtslage ist zur Überzeugung des Senats nicht klärungsbedürftig. Allein deshalb, weil zu §
80a Abs.
2 SGB VII – im vorliegenden Zusammenhang – keine höchstrichterliche Entscheidung existiert, liegt noch keine grundsätzliche Bedeutung
vor (vgl. hierzu nur Keller und Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl. 2020, §
144 Rn. 28 und §
160 Rn. 8a, m.w.N.).