Verfahren zur Feststellung der Behinderung nach SGB IX - Neufeststellungsantrag; Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche; somatoforme Schmerzstörung; Bewegungseinschränkung;
erhebliche Gehbehinderung; Einzelbehinderungen; verschiedene Funktionssysteme; Gesamtbehinderungsgrad; Gesamtmaßstab; GdB;
Grad der Behinderung; Wegstrecke; mehrfache Berücksichtigung; Merkzeichen G; Hilfsmittel
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 und das Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung
der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr).
Der am ... 1952 geborene Kläger beantragte am 2. April 2008 beim Beklagten die Feststellung von Behinderungen. Nach medizinischer
Sachaufklärung stellte der Beklagte mit Bescheid vom 24. Juni 2008 einen GdB von 30 fest (jeweils Einzel-GdB von 20 für chronisches
Schmerzsyndrom bei Fibromyalgie sowie Funktionseinschränkung der Wirbelsäule bei degenerativen Veränderungen und Kalksalzminderung).
Am 13. März 2009 beantragte der Kläger die Neufeststellung und das Merkzeichen G. Der Beklagte lehnte den Antrag zunächst
ab. Nach medizinischen Ermittlungen im Widerspruchsverfahren schlug der ärztliche Gutachter des Beklagten vor, das chronische
Schmerzsyndrom mit einhergehenden vegetativen und funktionellen Störungen mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten. Damit seien
die Einschränkungen im Bereich der Wirbelsäule eng verbunden, die einen GdB von 20 bedingten. Da das Schmerzsyndrom zu psychischen
Einschränkungen führe, seien die geltend gemachten Depressionen und Ohrgeräusche mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten.
Die Gesundheitsstörungen überlagerten sich gegenseitig, sodass ein Gesamt-GdB von 40 vorgeschlagen werden könne. Dem folgend
stellte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2010 ab 13. März 2009 einen GdB von 40 fest. Die Feststellung
des Merkzeichens G lehnte er ab, weil die Behinderungen nicht wenigstens einen GdB von 50 bedingten.
Am 26. Mai 2011 stellte der Kläger einen weiteren Neufeststellungsantrag und verwies erneut auf seine Wirbelsäulenerkrankung,
das chronische Schmerzsyndrom sowie Gelenk- und Muskelschmerzen. Außerdem beantragte er erneut das Merkzeichen G. Der Beklagte
holte einen Befundschein der Fachärztin für Allgemeinmedizin Q. vom 1. September 2011 ein, die folgende Diagnosen stellte:
chronisches Schmerzsyndrom bei Fibromyalgie, Polyarthralgie, Osteoporose mit alten Brustwirbelkörper (BWK)-Frakturen im Bereich
6 und 7, degeneratives Halswirbelsäulen (HWS)- und Brustwirbelsäulen (BWS)- Syndrom mit HWS-Steilstellung und BWS-Kyphose.
Gehstrecken bis 200 Meter könne der Kläger bewältigen, doch könne er nicht schmerzfrei gehen. Hilfsmittel benutze er dabei
keine. In Anlage übersandte die Ärztin weitere Unterlagen. Die Klinik für Rheumatologie und Orthopädie V.-G. hatte nach dem
stationären Aufenthalt vom 13. bis 21. April 2011 folgenden Diagnosen gestellt: chronisches Schmerzsyndrom, Polyarthrose,
manifeste Osteoporose, arterielle Hypertonie, Zustand nach Thrombose linker Unterschenkel. Der Kläger habe zunehmende Schmerzen
am ganzen Körper geschildert. Es bestehe eine vegetative Symptomatik durch häufige Kopfschmerzen, Tinnitus und Schlafstörungen.
Bei Befunderhebung sei der Kläger kardiopulmonal kompensiert gewesen. Die Gehfähigkeit sei schmerzbedingt auf 200 bis 300
Meter eingeschränkt gewesen. Darüber hinaus wurden u.a. folgende Befunde erhoben: vollständiger Faustschluss; Fingerbodenabstand
(FBA) 45 cm; Zeichen nach Schober 10/12 cm; schmerzhafte Bewegungseinschränkung der HWS, der Lendenwirbelsäule (LWS), beider
Schultern und beider Hüftgelenke; übrige Gelenke frei beweglich. Während des stationären Aufenthalts habe eine Schmerzreduktion
erreicht werden können.
Nach Beteiligung seiner ärztlichen Gutachterin Dr. R. vom 27. Oktober 2011, die bei dem Kläger keine Veränderungen im Gesundheitszustand
feststellen konnte, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 1. November 2011 die Neufeststellung des GdB und die Feststellung
des Merkzeichens G ab.
Dagegen legte der Kläger am 14. November 2011 Widerspruch ein und verwies insbesondere auf seine starken Schmerzen und dadurch
bedingte Ein- und Durchschlafstörungen. Der Beklagte holte einen Befundschein der Ärztin für Orthopädie Dr. L. vom 19. März
2012 ein, die über die letztmalige Behandlung des Klägers am 12. September 2011 berichtete und folgende Diagnosen stellte:
chronisches Schmerzsyndrom, chronisch rezidivierende HWS-Beschwerden bei degenerativen Veränderungen, manifeste Osteoporose
und beginnende Großzehengelenkarthrose/Arthralgie rechts. Der Kläger habe über eine seit Herbst 2009 bestehende deutliche
Verschlimmerung und in diesem Zusammenhang über Schlafstörungen, Tinnitus und Kopfschmerzen geklagt. Die Schmerzen strahlten
in den Oberschenkel und die seitlichen Arme aus. Im Übrigen verwies sie auf die während des stationären Aufenthalts im April
2011 in V.-G. erhobenen Befunde. Daraufhin führte die Versorgungsärztin des Beklagten Dr. V. in ihrer Stellungnahme vom 27.
Mai 2012 ergänzend aus: Eine erhebliche Gehbehinderung liege nicht vor. Es seien auch keine Gehhilfen erforderlich. Die chronischen
Kopfschmerzen hätten durch eine ganzheitliche Therapie gut gebessert werden können. Die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule
seien alle ausreichend und leidensentsprechend mit einem GdB von 20 berücksichtigt worden. Dem folgend wies der Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 29. Juni 2012 den Widerspruch des Klägers zurück.
Dagegen hat der Kläger am 18. Juni 2012 Klage beim Sozialgericht (SG) Magdeburg erhoben und nochmals auf die bestehenden Schmerzen hingewiesen. Auch die Hypertonie sei nicht ausreichend berücksichtigt
worden.
Das SG hat zunächst den Reha-Entlassungsbericht B. vom 27. Dezember 2011 (Aufenthalt vom 1. Dezember bis 22. Dezember 2011) mit
folgenden Diagnosen beigezogen: chronisches Schmerzsyndrom mit Myalgien und Polyarthralgien, anhaltende somatoforme Schmerzstörung,
Polyarthrose, manifeste Osteoporose mit Zustand nach zwei BWK-Frakturen, arterielle Hypertonie. Nach dem Bericht sei der Kläger
seit 2009 als selbständiger Taxi- und Mietwagenunternehmer tätig gewesen. Seit Mai 2011 sei er arbeitsunfähig, weil insbesondere
das lange Sitzen, aber auch das Tragen von Lasten zu einer verstärkten Schmerzsymptomatik führe. Im Bereich des zentralen
Nervensystems hätte eine gedrückte Stimmungslage festgestellt werden können. Sensomotorische Ausfälle der oberen und unteren
Extremitäten hätten nicht bestanden. Es habe sich ein langsames und schleppendes Gangbild gezeigt. Der Einbeinstand und der
Fersenstand seien beidseits ausführbar gewesen. Der Zehenstand rechts sei bei Schmerzangabe im rechten Großzehengrundgelenk
eingeschränkt gewesen. Im Bereich der Wirbelsäule sei eine deutlich verstärkte thorakale Kyphose, ein diffuser Klopf- und
Druckschmerz über den Dornfortsätzen der LWS, ein mäßiger Hartspann der Schulter-/Nackenmuskulatur sowie der thorakalen und
lumbalen Rückenstrecker festgestellt worden. Folgende Bewegungsmaße waren erhoben worden: HWS: Seitneige 15/0/15 Grad, Rotation
60/0/60 Grad; BWS/LWS: FBA 8 cm, Seitneige 15/0/15 Grad, Rotation 10/0/10 Grad, Schober 10/12 cm, Ott 30/31 cm; Hüftgelenke:
Extension/Flexion beidseits 0/0/110 Grad beidseits, Abduktion beidseits 30/0/20 Grad. Beide Schulter-, Ellenbogen-, Hand-,
Knie- und Sprunggelenke hätten keine Funktionseinschränkungen gezeigt. Eine eingeschränkte Dorsalextension und Druckschmerz
hätte im rechten Großzehengrundgelenk vorgelegen. Die arterielle Hypertonie sei medikamentös gut eingestellt. Kardiorespiratorische
Insuffizienzzeichen hätten nicht vorgelegen. Die angegebenen Beschwerden seien auf die Polyarthrose und die anhaltende somatoforme
Schmerzstörung zurückzuführen. Eine schmerztherapeutische Mitbetreuung sei empfehlenswert.
Das SG hat zunächst einen weiteren Befundbericht der Ärztin Q. vom 6. Juni 2014 eingeholt. Danach bestünden muskuläre Verspannungen,
eine ausgeprägte BWS-Kyphose und Druckschmerzhaftigkeit über nahezu allen Gelenken. Die Gehstrecke gebe der Kläger tagesformabhängig
zwischen 50 und 200 Metern ohne Hilfsmittel an. Die Magenbeschwerden seien medikamentös gebessert. Regelmäßig, jedoch ohne
dauerhaften Erfolg, werde der Kläger im Fachkrankenhaus V.-G. behandelt. Es erfolge eine schmerzmedikamentöse Behandlung.
Antidepressiva lehne der Kläger ab, da ihn diese nach seiner Einschätzung nur müde machen würden. Auch würden ihm Physiotherapie/Ergotherapie,
Kälte- und Wärmetherapie nach seinen Angaben nicht helfen. Die unter antihypertensiver Medikation gemessenen Blutdruckwerte
seien normoton. Aufgrund des Bluthochdrucks bestünden keine Organkomplikationen. In Anlage zu ihrem Befundbericht hat die
Ärztin weitere Unterlagen übersandt. Nach dem Arztbrief der Praxis für spezielle Schmerztherapie M. vom 10. Juli 2012 (Untersuchung
am 5. Juli 2012) habe der Kläger dort über Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule mit Ausstrahlung in die Extremitäten und in
sämtliche kleine und große Gelenke sowie über Kopfschmerzen mit Licht-, Lärm- und Geruchsempfindlichkeit berichtet. Der Arzt
hatte ein chronisches Schmerzsyndrom, ein LWS-Syndrom, ein myofasziales Schmerzsyndrom, Osteoporose, eine HWS-Syndrom, eine
Cervicobrachialgia links und eine Cervicocephalgia diagnostiziert und das Absetzen von Katadolon (nicht-opioides Analgetika)
als Therapie empfohlen. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B.-O. hatte aufgrund der Untersuchung am 4. Oktober
2012 ebenfalls eine somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Auch bei ihm hatte der Kläger chronische Schmerzen am ganzen
Körper angegeben und berichtet, dass der Schlaf - außer bei starken Schmerzen - "sehr gut" sei. Der Arzt konnte weder eine
Depression noch neurologische Funktionsausfälle feststellen. In der ebenfalls übersandten Epikrise des Fachkrankenhauses V.-G.
vom 28. November 2013 (Aufenthalt 27. August bis 9. September 2013) waren folgende Diagnosen angegeben: chronisches Schmerzsyndrom
bei degenerativen Wirbelsäulen- und Gelenkveränderungen, manifeste Osteoporose, arterieller Hypertonus. Der arterielle und
neurologische Status habe danach keinen pathologischen Befund ergeben. Während der Untersuchung sei der Kläger depressiv geworden
und habe seine Beschwerden nach der Untersuchung als verschlimmert angegeben. Die Wegstrecke betrage nach seiner Einschätzung
maximal 300 Meter. Der Gelenkstatus habe keine konkreten druckschmerzhaften oder geschwollenen Gelenke gezeigt. Doch habe
der Kläger einen ubiquitären Ganzkörperschmerz angegeben. Die Beweglichkeit der Schulter- und Hüftgelenke sei aktiv erschwert
und passiv frei gewesen. Die übrigen Gelenke seien unauffällig gewesen. Der FBA habe 20 cm und das Zeichen nach Schober 10/12
cm betragen. Die Beweglichkeit von HWS und LWS sei eingeschränkt gewesen. Insgesamt sei von einer deutlichen Aggravation auszugehen.
Psychosomatische Wirkungsmechanismen seien mit dem Kläger erneut besprochen und erklärt worden.
Außerdem hat das SG das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung S.-A. (MDK) vom 14. November 2013 mit folgenden Diagnosen
beigezogen: somatoforme Schmerzstörung, chronisches Schmerzsyndrom, Fibromyalgiesyndrom. Der Kläger sei klagsam und depressiv
gewesen. Es sei bereits eine Chronifizierung des Leidens eingetreten und eine Berentung zu empfehlen.
Schließlich hat das SG den Befundbericht der Orthopädin Dr. L. vom 3. Juli 2014 eingeholt, die über die letztmalige Behandlung des Klägers am 9.
Juli 2012 berichtet hat. Danach habe der Kläger im Jahr 2012 insbesondere Ellenbogen und Fußbeschwerden beklagt. Die Ärztin
hat ihre am 19. März 2012 mitgeteilten Diagnosen bestätigt und die funktionellen Auswirkungen im Bereich der Wirbelsäule als
mittelgradig eingeschätzt. Die HWS und LWS seien gering degenerativ verändert und die BWS weise eine Kyphose mit BWK-Frakturen
auf. Funktionell sei die Beweglichkeit von LWS und BWS eingeschränkt. Zudem bestehe ein außergewöhnliches Schmerzsyndrom,
welches mehrfache stationäre und eine schmerztherapeutische Behandlung erforderlich gemacht habe. Außerdem liege ein beginnendes
Dumpingsyndrom beider Schultern vor. Die Abduktion sei auf 100 bis 150 Grad und die Elevation endgradig ab 155 Grad eingeschränkt.
Zwar sei bei der letztmaligen Untersuchung keine aktuelle Gehstrecke erfragt worden, doch bestünden noch starke Fußbeschwerden.
Mit der verordneten Beinrolle und den Schuheinlagen sei dem Kläger ein Gehen möglich. Allerdings sei er nicht schmerzfrei.
Bereits am 11. März 2014 hatte der Kläger einen weiteren Neufeststellungsantrag beim Beklagten gestellt und eine Verschlimmerung
des chronischen Schmerzsyndroms mit Bewegungseinschränkungen angegeben. Neben bekannten Unterlagen hat der Beklagte die Gutachten
des MDK vom 10. Oktober 2011 (Diagnosen: Polyarthrose, chronisches Schmerzsyndrom, degeneratives Wirbelsäulenleiden, Osteoporose)
und vom 15. August 2013 (Diagnosen: somatoforme Schmerzstörung, Fibromyalgiesyndrom) beigezogen. Eine Befunderhebung ist in
beiden Gutachten nicht erfolgt.
In Auswertung der eingeholten Befunde hat der Beklagte auf die prüfärztliche Stellungnahme seiner Ärztin S.-S. vom 24. Juli
2014 verwiesen. Danach sei das führende Leiden eine chronifizierte Schmerzsymptomatik, die zum geringen Teil auf organische
Befunde zurückzuführen, überwiegend aber psychogener Natur sei. Eine konsequente psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung
sei nicht erfolgt. Der Kläger habe sich psychodynamischen Erwägungen gegenüber nicht aufgeschlossen erwiesen. Er habe nur
einmalig im Oktober 2012 einen niedergelassenen Nervenarzt konsultiert. Für die psychische Störung, die in den Befunden als
somatoforme Schmerzstörung oder als Fibromyalgiesyndrom geführt wird, schlage sie daher einen GdB von 30 vor. Die bisherige
Bewertung des chronischen Schmerzsyndroms mit einem Einzel-GdB von 30 und die weitere Bewertung einer psychischen Störung
mit einem Einzel-GdB von 20 erfasse das Kernsymptom doppelt. Als organische Beschwerden bestünden degenerative Veränderungen
der Wirbelsäule und eine Polyarthrose verschiedener Gelenke. Für die Funktionseinbußen des Stütz- und Bewegungsapparates sei
ein GdB von 20 vorzuschlagen. Führend sei dabei die Wirbelsäule. An HWS und LWS bestünden nur geringe degenerative Veränderungen.
An der BWS sei es infolge einer Osteoporose zu Frakturen gekommen. An zahlreichen Gelenken schildere der Kläger eine Schmerzsymptomatik,
ohne dass objektivierbare Funktionseinbußen vorlägen. Ein entzündlich-rheumatische Ursache oder neurologische Leiden seien
ausgeschlossen worden. Die Einschätzung der Orthopädin, wonach mittelgradige funktionelle Auswirkungen im Bereich der Wirbelsäule
bestünden, sei nicht nachvollziehbar, weil zugleich nur geringe degenerative Veränderungen der HWS und LWS dokumentiert worden
seien. In die Bewertung als mittelgradige funktionelle Auswirkungen seien offenbar anhaltenden Schmerzen mit eingeflossen,
die aber bereits berücksichtigt wurden und nicht doppelt zu bewerten seien. Der Tinnitus begründe einen GdB von 10, weil etwaige
psychische Begleitsyndrome bereits in die Bewertung der psychischen Störungen eingeflossen seien. Der seit März 2009 zuerkannte
Gesamt-GdB von 40 sei aus prüfärztlicher Sicht insgesamt sehr großzügig.
Mit Urteil vom 4. August 2014 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Für das im Vordergrund stehende Schmerzsyndrom sei ein
Einzelgrad von 30 angemessen. Dabei habe die Kammer berücksichtigt, dass der Kläger kaum Behandlungen in Anspruch genommen
habe. Zudem sei aufgrund der stationären Schmerztherapie im April 2011 eine wesentliche Schmerzreduktion erfolgt. Außerdem
liege nach dem Entlassungsbericht aus dem Jahr 2013 eine deutlich übertriebene Darstellung der Beschwerden vor. Die Funktionseinschränkung
der Wirbelsäule sei mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Bei dem Kläger bestünden mittelgradige Funktionseinschränkungen
im Bereich der BWS. Im orthopädischen Befundbericht vom Juli 2014 werde eine Verbiegung mitgeteilt und im Reha-Bericht vom
Dezember 2011 sei eine erhebliche Bewegungseinschränkung dokumentiert (Ott 30/31 cm). Mittelgradige Funktionseinschränkungen
in weiteren Abschnitten seien nicht nachgewiesen. Im orthopädischen Befundbericht vom Juli 2014 seien lediglich geringe degenerative
Veränderungen der HWS und LWS angegeben worden. Da keine Behandlungsnotwendigkeit des Tinnitus bestehe, könne dieser allenfalls
mit einem GdB von 10 bewertet werden. In der Gesamtschau könne kein höherer GdB als 40 festgestellt werden. Mehrere Einzel-GdB,
insbesondere von 10 und vielfach auch von 20, wirkten sich grundsätzlich nicht erhöhend auf den Gesamt-GdB aus. Das Merkzeichen
G sei nicht festzustellen, weil schon ein Gesamt-GdB von 50 nicht erreicht werde.
Das Urteil wurde dem Kläger am 8. August 2014 zugestellt.
Mit Bescheid vom 18. August 2014 hat der Beklagte den Neufeststellungsantrag des Klägers vom 11. März 2014 abgelehnt.
Gegen das Urteil vom 4. August 2014 hat der Kläger am 19. August 2014 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt
eingelegt und vorgetragen: Er sei infolge seiner Schmerzen eingeschränkt. Auch die ärztlichen Behandlungen in der Klinik V.
und Dr. L. hätten diese nicht lindern können. Der Schmerz habe sich nunmehr auch im Bereich der oberen Extremitäten (Arme)
entwickelt. Die Erkrankungen führten zur schnellen Ermüdung, Morgensteifigkeit von 30 Minuten, Kopfschmerzen, Magenbeschwerden
und Schlafstörungen. Aufgrund der multiplen Schmerzsymptomatik sei er auch nicht mehr in der Lage, ohne Gefahren für sich
oder andere im ortsüblichen Verkehr Gehstrecken zurückzulegen, sodass auch die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens
G erfüllt seien. Insbesondere sei das Wirbelsäulenleiden mit einem GdB von 20 zu niedrig bewertet. Es lägen Wirbelsäulenschäden
in mindestens zwei Abschnitten vor, die mittelgradig einzustufen seien und danach mit einem GdB von 30 bewertet werden müssten.
Das Schmerzsymptom sei hier aufgrund der erheblichen Beschwerden mit einem GdB von 40 zu bewerten. In der Gesamtschau ergebe
sich ein Gesamt-GdB von 50.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 4. August 2014, den Bescheid des Beklagten vom 1. November 2011 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 29. Juni 2012 sowie den Bescheid vom 18. August 2014 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen,
beim ihm ab Mai 2011 einen GdB von mindestens 50 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen
G festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf nicht konsequente psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlungen. Der Kläger habe sich lediglich einmal beim
Schmerztherapeuten im Juli 2012 vorgestellt. Ein höherer GdB als 30 sei für die psychische Störung bzw. somatoforme Schmerzstörung
nicht gerechtfertigt. Mittelgradige funktionelle Ausführungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten seien medizinisch nicht belegt,
sodass die Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule einen GdB von 20 rechtfertigten. Auch die gesundheitlichen Voraussetzungen
für das Merkzeichen G seien nach den vorhandenen Befundunterlagen nicht gegeben.
Am 3. Juni 2015 hat eine nichtöffentliche Sitzung des Senats stattgefunden. In dieser hat der Kläger erklärt, dass er sich
nur bei seiner Hausärztin in Behandlung befinde. Er habe seit der Behandlung bei Dr. L. keine orthopädischen, schmerztherapeutischen
bzw. neurologisch/psychiatrischen Behandlungen mehr in Anspruch genommen. Ihm helfe nur der Aufenthalt im Salzsee, danach
sei er zwei Tage schmerzfrei. Dort sei er in diesem Jahr schon zehn Mal gewesen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen, sind Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §
143 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) auch statthafte Berufung des Klägers ist unbegründet.
Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 1. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Juni 2012 und
den Bescheid vom 18. August 2014, der Gegenstand des Verfahrens nach §
96 Abs.
1 i.V.m. §
153 Abs.1
SGG geworden ist, ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach §
54 Abs.
1 SGG statthaft. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Gesundheitszustand des Klägers im Zeitraum von der Antragstellung
(26. Mai 2011) bis zur mündlichen Verhandlung des Senats maßgeblich. In diesem Zeitraum hat der Kläger hat keinen Anspruch
auf die Feststellung eines höheren GdB.
Da der Beklagte bereits mit Bescheid vom 22. April 2010 einen GdB von 40 festgestellt und damit über den Behinderungsgrad
des Klägers entschieden hat, richten sich die Voraussetzungen für die Neufeststellung nach § 48 Abs.1 des Zehnten Buches des (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen,
die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen,
wenn sich durch eine Besserung oder Verschlechterung eine Herabsetzung oder Erhöhung des Gesamtbehinderungsgrades um wenigstens
10 ergibt. Im Vergleich zu den Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheids vom 22. April 2010 vorgelegen haben, ist keine
Änderung eingetreten. Die Funktionsstörungen des Klägers rechtfertigen auch weiterhin keinen höheren GdB als 40.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 sowie das Merkzeichen G sind §§
69 Abs.
1,
3, und 4 des
Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (
SGB IX). Nach §
69 Abs.
1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Regelung
knüpft materiell-rechtlich an den in §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit
oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand
abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach §
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades - dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) - nach den allgemeinen Auswirkungen
der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009
in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden. Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG, Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember
2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt.
Soweit der streitigen Bemessung des GdB die GdS-Tabelle der VMG (Teil A) zugrunde zu legen ist, gilt Folgendes: Nach den allgemeinen
Hinweisen zu der Tabelle (Teil B 1) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle leistungsmindernden
Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Nr. 2 e (Teil
A) genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane;
Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sekretion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu
beurteilen. Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B, Nr. 1 a).
Nach diesem Maßstab ist bei dem Kläger weiterhin ein GdB von 40 ab Mai 2011 bis zum jetzigen Zeitpunkt festzustellen. Dabei
stützt sich der Senat auf die eingeholten Befundberichte nebst Anlagen, den Reha-Entlassungsbericht B., die Epikrisen des
Fachkrankenhauses V.-G., seine eigenen Angaben und die versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten.
a)
Für die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers, die dem Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" zuzuordnen sind,
ist seit dem Neufeststellungsantrag zum jetzigen Zeitpunkt ein GdB von 30 festzustellen.
Nach Teil B, Nr. 3.7 VMG werden leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 bewertet.
Für stärker behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere
depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen)
ist ein Bewertungsrahmen von 30 bis 40 vorgesehen. Schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen
Anpassungsschwierigkeiten werden mit einem GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit 80 bis
100 bewertet. Psychische Anpassungsschwierigkeiten, die einen Behinderungsgrad von 30 bis 40 rechtfertigen, sind nach dem
Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirates (BMA am 18./19.03.1998 - zitiert nach Rohr/Sträßer, Teil B: GdS-Tabelle-19,
96. Lfg. - Stand Dezember 2011) durch Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße gekennzeichnet. Dieses Kriterium ist zur
differenzierenden Einschätzung von Anpassungsschwierigkeiten analog auch dann heranzuziehen, wenn die Symptomatik der psychischen
Störungen ganz unterschiedlich ist (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 8./9.11.2000, Rohr/Sträßer, a.a.O.,
GdS-Tabelle-18). Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten setzen neben den Auswirkungen im Berufsleben erhebliche familiäre
Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung voraus (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am
18./19.03.1998 - zitiert nach Rohr/Sträßer, a.a.O., GdS-Tabelle-19).
Nach diesem Maßstab kann für die seelische Erkrankung des Klägers seit der Antragstellung am 26. Mai 2011 auch weiterhin maximal
ein GdB von 30 festgestellt werden. Nach den übereinstimmenden Befunden seiner behandelnden Ärzte und dem Reha-Bericht B.
leidet er an einer somatoformen Schmerzstörung. Diese Diagnosen finden sich bereits in der Epikrise des Fachkrankenhauses
V.-G. vom April 2011. Auch in den Befundberichten der Ärztin Q. vom September 2011 und Juni 2014, im Arztbrief des Facharztes
für Neurologie und Psychiatrie Dr. B.-O. vom 4. Oktober 2012, in der Epikrise des Fachkrankenhauses V.-G. vom 28. November
2013 und im MDK-Gutachten vom November 2013 werden diese Diagnosen bestätigt. Zwar sind in der Folgezeit keine weiteren ärztlichen
Behandlungen erfolgt, doch da diese Diagnosen bereits bei der ersten Antragstellung im Jahre 2008 gestellt und mehrfach die
Chronifizierung festgestellt wurde (z. B. Befundbericht der Ärztin Q. vom September 2011), geht der Senat davon aus, dass
diese Erkrankung auch weiterhin vorliegt. Darüber hinaus wurde von der Ärztin Q. im September 2011 und Juni 2014 sowie im
MDK-Gutachten vom November 2013 eine Erkrankung an Fibromyalgie diagnostiziert. Dagegen konnte eine depressive Erkrankung
sowie eine anderweitige psychiatrisch/neurologische Erkrankung durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B.-O.
am 4. Oktober 2012 ausgeschlossen werden. Zwar wurde in der Epikrise des Fachkrankenhauses V.-G. vom 28. November 2013 mitgeteilt,
dass der Kläger während der Untersuchung depressiv geworden sei und seine Beschwerden nach der Untersuchung als verschlimmert
angegeben habe. Eine Depression wurde aber weder als Entlassungsdiagnose angegeben noch ist eine weitergehende psychiatrische
Abklärung erfolgt. Seine Verhaltensweise wurde vielmehr im Zusammenhang mit der festgestellten Aggravation gesehen.
Die Auswirkungen der psychischen Störung des Klägers insgesamt, also der somatoformen Schmerzstörung und der Fibromyalgie,
sind mit einem GdB von 30 zu bewerten. Diese führen zu einer stärker behindernde Störung mit einer wesentlicher Einschränkung
der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit. Der Kläger leidet unter ausgeprägten Schmerzen am ganzen Körper, Kopfschmerzen und
dadurch bedingten Schlafstörungen. Er hat aktive Bewegungseinschränkungen und Gehstörungen ohne entsprechendes organisches
Korrelat. Außerdem leidet er an Tinnitus, der ebenfalls nach der Epikrise der Klinik V. (Aufenthalt vom 13. bis 21. April
2011) als vegetative Symptomatik des chronischen Schmerzsyndroms zu sehen ist. Allerdings kann der Bewertungsrahmen für stärker
behindernde psychische Störungen mit einem GdB von 40 nicht ausgeschöpft werden. Auswirkungen der Schmerzstörung (z.B. Interessenverluste
oder sozialer Rückzug) oder Auswirkungen der Schlafstörungen (z.B. Konzentrationsstörungen) sind nicht dokumentiert. Es hat
zu keinem Zeitpunkt eine konsequente psychiatrisch-psychotherapeutische bzw. schmerztherapeutische Behandlung stattgefunden.
Der Kläger war jeweils einmal beim Nervenarzt und einmal beim Schmerztherapeuten. Seit über zwei Jahren findet gar keine fachärztliche
Behandlung der Schmerzen mehr statt. Dies spricht gegen einen hohen Leidensdruck, der in einem GdB von 40 zum Ausdruck kommt.
b)
Der Kläger leidet außerdem an Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule, die dem Funktionsbereich Rumpf zuzuordnen sind. Dafür
ist ein GdB von 20 festzustellen.
Für Wirbelsäulenfunktionseinschränkungen sind die maßgeblichen Bewertungskriterien in Teil B, Nr. 18.9 VMG vorgegeben. Danach
folgt der GdB bei Wirbelsäulenschäden primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung, der Wirbelsäuleninstabilität
sowie aus der Anzahl der betroffenen Abschnitte der Wirbelsäule. Nach Teil B, Nr. 18.9 VMG rechtfertigen erst mittelgradige
funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt, z.B. eine anhaltende Bewegungseinschränkung
oder eine Instabilität mittleren Grades, einen Einzel-GdB von 20. Funktionsstörungen geringeren Grades bedingen allenfalls
einen Einzel-GdB von 10. Schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende
oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte
Wirbelsäulensyndrome) rechtfertigen einen GdB von 30, mittelgradige bis schwere in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen GdB
von 30 bis 40. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen - oder auch intermittierenden
Störungen bei einer Spinalkanalstenose - sind zusätzlich zu berücksichtigen.
Unter Anwendung dieses Bewertungsmaßstabs lassen sich über den gesamten Zeitraum seit dem Neufeststellungsantrag im Mai 2011
bis zur Entscheidung des Senats mittelgradige Funktionseinschränkungen im Bereich der BWS und maximal geringe Funktionseinschränkungen
im Bereich von HWS/LWS feststellen. Sofern Dr. L. allgemein über mittelgradige funktionelle Auswirkungen im Bereich der Wirbelsäule
berichtet hat, lässt sich dies mit einem organischen Korrelat nur in Bezug auf die BWS, nicht aber die HWS und LWS nachvollziehen.
Dr. L. hat selbst mitgeteilt, dass zwar die BWS eine Kyphose mit BWK-Frakturen aufweise, die HWS und LWS aber lediglich gering
degenerativ verändert seien. Damit stehen im Bereich der HWS und LWS die Schmerzen aufgrund der somatoformen Störung im Vordergrund.
Darauf hat die Versorgungsärztin S.-S. am 24. Juli 2014 zutreffend hingewiesen. Auch die Hausärztin Q. hat degenerative Wirbelsäulenveränderungen
angegeben, ohne damit verbundene Funktionseinschränkungen festzustellen. Schließlich finden sich auch im Reha-Bericht B. und
in den Epikrisen von V.-G. keine Hinweise auf zumindest mittelgradige degenerative Veränderungen im HWS- und LWS-Bereich.
Soweit die in V.-G. im April 2011 erhobenen Befunde schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der HWS und LWS gezeigt haben, sind
diese nach dortiger Einschätzung im Zusammenhang mit der somatoformen Schmerzstörung zu sehen und im Rahmen dieser vom Senat
auch schon bewertet worden. Während des Aufenthalts in V.-G. im Jahre 2013 wurde überdies eine Aggravation festgestellt, sodass
die dort mitgeteilten Bewegungseinschränkungen ebenfalls ohne objektives Korrelat dokumentiert wurden. Einzig die funktionelle
Einschränkung im Bereich der BWS (Ott 30/31cm) findet ihre objektive Erklärung in der vorhandenen Kyphose, sodass von einem
Einzel-GdB von 20 für die mittelgradigen Einschränkungen im Bereich der BWS auszugehen ist.
Darüber hinaus liegen keine neurologischen Defizite vor, die erhöhend zu berücksichtigen sind. Auch motorische Störungen oder
Beeinträchtigungen (dazu VMG, Teil B, Nr. 18.9) sind nicht nachgewiesen. Diese hat Dr. B.-O. in seinem Arztbrief aus dem Jahre
2012 ausgeschlossen. Auch der Reha-Bericht B. und die Epikrisen von V.-G. haben keine solchen Einschränkungen nachgewiesen.
c)
Die Bluthochdruckerkrankung des Klägers ist dem Funktionssystem Herz-Kreislauf zuzuordnen. Dafür ist nach Teil B, Nr. 9.3
VMG als leichte Form der Hypertonie, bei der keine oder eine geringe Leistungsbeeinträchtigung und höchstens leichte Augenhintergrundveränderungen
vorliegen, ein GdB von 0 bis zu 10 anzunehmen. Nach dem Befundbericht der Ärztin Q. vom 6. Juni 2010 sind die unter antihypertensiver
Medikation gemessenen Blutdruckwerte normoton. Auch bestehen aufgrund des Bluthochdrucks keine Organkomplikationen. Die gute
medikamentöse Einstellung des Bluthochdrucks und das Fehlen von kardiorespiratorischen Insuffizienzzeichen wurden während
der stationären Aufenthalte in B. und V.-G. bestätigt, sodass lediglich ein Einzel-GdB von maximal 10 für diese Erkrankung
festgestellt werden kann.
d)
Der Tinnitus kann nach Teil B, Nr. 5.3. VMG maximal mit einem GdB von 10 bewertet werden, da erhebliche psychische Begleiterscheinungen
weder durch einen HNO-Arzt noch durch einen Facharzt für Psychiatrie bestätigt wurden. Im Übrigen wurden die bestehenden Ein-
und Durchschlafstörungen aufgrund der Tinnitus durch den Senat bereits im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche berücksichtigt,
sodass keine unzulässige Doppelbewertung erfolgen kann.
e)
Weitere Funktionseinschränkungen, für die ein GdB von mindestens 10 festgestellt werden kann, sind nicht nachgewiesen. Die
von der Ärztin Q. beschriebenen Magenprobleme haben sich nach ihren Angaben wieder gebessert. Damit ist von einem Behandlungsleiden,
nicht aber von einer dauerhaften Funktionsbeeinträchtigung auszugehen. Die geschilderten Bewegungseinschränkungen im Großzehengrundgelenk
begründen keinen Einzel-GdB, da erst der Verlust der Großzehe zu einem Einzel-GdB führt (VMG, Teil B, Nr. 18.14). Die Einschränkungen
beim Kläger sind dem nicht gleichzusetzen. Schließlich ist nach der Epikrise des Fachkrankenhauses V.-G. vom 28. November
2013 (Aufenthalt 27. August bis 9. September 2013) von keinen weiteren GdB-relevanten Einschränkungen am Stütz- und Bewegungsapparates
auszugehen. So war die Beweglichkeit der Schulter- und Hüftgelenke passiv frei gewesen. Auch die übrigen Gelenke waren unauffällig
gewesen, sodass keine organisch bedingte Funktionseinschränkung festgestellt werden konnte. Die bei der aktiven Bewegung dokumentierten
Schmerzen sind bereits bei der Bewertung der somatoformen Schmerzstörung berücksichtigt worden. Eine doppelte Bewertung ist
unzulässig. Im Übrigen spricht gegen das Vorhandensein weiterer GdB-relevanter orthopädischer Einschränkungen, dass der Kläger
seit mittlerweile drei Jahren keine fachärztliche Behandlung in Anspruch nimmt.
f)
Da bei dem Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach §
69 Abs.
3 Satz 1
SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A, Nr. 3 der VMG anzuwenden. Nach Nr. 3c ist
in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und
inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten
Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.
Danach hat der Beklagte ausgehend von dem Einzel-GdB von 30 für das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" eine Erhöhung
aufgrund der Funktionsstörungen im Bereich der Wirbelsäule, die mit maximal 20 zu bewerten sind, auf 40 vorgenommen. Dies
erscheint wohlwollend, ist im Ergebnis aber nicht zu beanstanden. Die mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete Bluthochdruckerkrankung
erhöht das Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung nicht weiter (dazu VMG, Teil A, Nr. 3 ee). Für einen Ausnahmefall sind aufgrund
der fehlenden kardialen Beeinträchtigung keine Anhaltspunkte ersichtlich. Gleiches gilt für den Tinnitus, da seine psychischen
Auswirkungen bereits im Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" berücksichtigt wurden, sodass keine doppelte Bewertung
erfolgen kann.
Eine weitere Erhöhung, die zur Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft führen würde, widerspräche dem nach Teil A, Nr.
3b VMG zu berücksichtigenden Gesamtmaßstab. Die Schwerbehinderteneigenschaft kann nur angenommen werden kann, wenn die zu
berücksichtigende Gesamtauswirkung der verschiedenen Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer
wie etwa die vollständige Versteifung großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine
Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher Kommunikationsstörung beeinträchtigen. Derartig schwere Funktionsstörungen liegen bei
dem Kläger nicht vor.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G. Insoweit
schließt sich der Senat den versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Beklagten an. Das Merkzeichen G setzt voraus, dass der
Kläger schwerbehindert ist. Den für notwendigen Gesamtbehinderungsgrad von 50 (§
2 Abs.
2 SGB IX) erreicht er nicht. Im Übrigen liegen keine sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen
und/oder der LWS vor, die für sich einen GdB von 50 bedingen (dazu VMG, Teil D 1, Nr. 1d). Deutliche Einschränkungen des Gehvermögens
wegen innerer Leiden sind auch nicht festzustellen. Der Kläger nutzt auch keine Hilfsmittel, sodass die Voraussetzungen für
das Merkzeichen G - trotz der von ihm angegeben schmerzbedingten Einschränkung der Wegstrecke - nicht festzustellen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 SGG liegen nicht vor.