Ansprüche nach dem Infektionsschutzgesetz bei Infektionen nach einer Grippeschutzimpfung
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Ansprüche des Klägers nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Der am ... 1970 geborene Kläger beantragte am 7. März 2007 beim Versorgungsamt eine Beschädigtenversorgung nach dem IfSG und gab an, er sei nach einer Grippeschutzimpfung an einer nekrotisierenden Fasziitis (Weichteilinfektion der Haut und Unterhaut
einschließlich Muskelgewebe) erkrankt. Der Beklagte zog medizinische Unterlagen bei. Nach den Eintragungen im Impfausweis
wurde der Kläger am 6. Oktober 2006 von der Fachärztin für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren Dr. P. mit Influsplid SSW
2006/2007 AFLUA 189AA gegen Grippe geimpft. Das S. und U. Klinikum N. berichtete in einem Arztbrief vom 12. Oktober 2006 über
seine stationäre Behandlung vom 11. bis 12. Oktober 2006. Chefärztin Dr. G. diagnostizierte einen septischen Schock mit beginnendem
Multiorganversagen unklarer Genese bei Flankenödem rechts (nekrotisierende Fasziitis), einen Zustand nach Grippeschutzimpfung
am 6. Oktober 2006 sowie eine periphere Plexusparese links seit dem Vormittag des 11. Oktober. Nach einer Grippeschutzimpfung
(links) am Freitag, dem 6. Oktober 2006 habe sich der Kläger am 7. Oktober 2006 fiebrig gefühlt und habe seit dem 8. Oktober
2006 nachmittags eine Schwellung, ausgehend von der rechten Axiala dorsal bemerkt. Seit dem 8. Oktober 2006 habe eine hohe
Körpertemperatur bestanden, wobei sich das Flankenödem rechts fortentwickelt habe. Bei der Aufnahme hätten ein manifester
Schock sowie ein ausgedehntes Flankenödem von der rechten Schulter bis an das Becken reichend mit Hämatomen vorgelegen. Die
Rücksprache mit der sicherheitsverantwortlichen Ärztin des Impfstoffherstellers (Sächsische Serumswerke, Chargennr. des Impfstoffes
Influsplid AFLUA 189AA) habe ergeben, dass keine ähnlichen Impfreaktionen gemeldet worden seien. Die Hausärztin Dr. P. habe
angegeben, die Impfung sei komplikationslos ohne Lokalreaktion erfolgt. Nach der Impfung habe sich der Kläger am 8. Oktober
2006 bei ihr ambulant wegen Schmerzen auf der gesamten rechten Körperseite vorgestellt.
In einem Bericht des Universitätsklinikums ... vom 20. Dezember 2006 berichtete Oberarzt Dr. M. über einen stationären Aufenthalt
des Klägers vom 12. Oktober bis 21. Dezember 2006. Hiernach sei er nach einer Grippeschutzimpfung am 6. Oktober 2006 vom Krankenhaus
N. auf die Intensivstation wegen einer nekrotisierenden Fasziitis mit septischen Multiorganversagen aufgenommen worden. Die
Fasziitis sei operativ behandelt worden.
Privatdozent Dr. B. berichtete in einem Reha-Entlassungsbericht der ... Klinik B. am 6. Februar 2007 über einen stationären
Aufenthalt des Klägers vom 4. Januar bis 25. Januar 2007 und diagnostizierte:
Kraft- und Mobilitätsdefizite bei Zustand nach nekrotisierender Fasziitis rechter Oberschenkel und rechte Flanke und rechtes
Skrotum,
Zustand nach Sepsis mit Multiorganversagen,
Zustand Critical illness Neuropathie,
Peroneusparese beidseits (links/rechts).
Ferner gab er an, der Kläger sei am 6. Oktober 2006 gegen Grippe durch Injektion in den linken Oberarm geimpft worden. Am
Folgetag seien Beschwerden in der rechten Rumpfflanke und in der rechten Schulter aufgetreten. Zunächst sei nur der Verdacht
auf eine Zerrung oder Überlastung aufgekommen, später sei er in die U.-klinik H. verlegt worden. In einem Befundbericht vom
3. April 2007 gab Dr. P. an: Am 6. Oktober 2006 habe sie beim Kläger eine Grippeimpfung am linken Oberarm durchgeführt. Am
9. Oktober 2006 habe er über Gliederschmerzen sowie ein Schulterarmsyndrom rechts geklagt. Es bestehe eine Fußheberschwäche
beidseits. Auch könne der Kläger die Großzehen nicht bewegen. Daneben lägen ein großflächiges Narbenbild mit herabgesetzter
Sensibilität sowie eine psychische Überforderung nach einem schweren Krankheitsbild vor. Der Beklagte ließ diese Befunde durch
den Prüfarzt Dr. E. am 12. Juni 2007 auswerten: Die nekrotisierende Fasziitis sei eine schwere, jedoch seltene Weichteileinfektion.
Die Infektion führe unter der Haut zu einer fortschreitenden Zerstörung der Faszien (bindegewebige Hüllen von Muskel) und
Fettbereichen bei oft intakter Hautoberfläche und Muskulatur. Ursache der Infektion seien Bagatellverletzungen wie zum Beispiel
ein Insektenstich. Bei einem großen Teil der auftretenden Erkrankungsfälle lasse sich die Ursache nicht mehr genau feststellen.
Ein Zusammenhang zwischen der Grippeschutzimpfung und der nekrotisierenden Fasziitis sei nicht wahrscheinlich. Die Injektionsstelle
habe sich am linken Arm befunden, während die Weichteileinfektion vom rechten Rumpfband ausgegangen sei. An der Impfeinstichstelle
sowie der Umgebung seien keine Lokalreaktionen aufgetreten. Nach den wissenschaftlichen Veröffentlichungen des Robert-Koch-Instituts
sei in keinem Fall von einer nekrotisierende Fasziitis oder ähnlichen Erkrankungen im Folge einer Grippeschutzimpfung berichtet
worden. Hierbei sei zu beachten, dass der Grippeschutzstoff kein Lebendimpfstoff sei.
Mit Bescheid vom 21. Juni 2007 lehnte der Beklagte eine Beschädigtenversorgung nach dem im IfSG wegen eines fehlenden Ursachenzusammenhangs ab. Hiergegen richtete sich der am 19. Juli 2007 bei dem Beklagten eingegangene
Widerspruch des Klägers. Zwischen der Impfung (6. Oktober 2006) und dem Arztbesuch (9. Oktober 2006) habe er sich keine Bagatellverletzung
zugezogen, so dass viel für eine Impfschädigung spreche. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2008 wies der Beklagte den
Widerspruch zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 1. April 2008 Klage beim Sozialgericht Halle (SG) erhoben und sein Begehren weiterverfolgt. Der Beklagte habe versäumt, im Vollbeweis nachzuweisen, dass die feststehende
Impfung die aufgetretenen gesundheitlichen Schäden nicht verursacht habe. Zur Glaubhaftmachung hat der Kläger Auszüge aus
dem Arzneitelegramm vorgelegt. Bei ihm seien großflächige Narbenbildungen, mit Narbenschmerzen am rechten Oberschenkel, Torso
sowie am Skrotum zurückgeblieben. Nach einem beigefügten Arztbrief von Prof. Dr. R. vom 13. November 2006 (... Universität
H.-W.) seien sowohl vom Krankenhaus N. als auch vom Universitätsklinikum Streptokokken im Blut festgestellt worden. Zur Bekräftigung
seines Sachvortrages hat der Kläger ein Gedächtnisprotokoll über die Ereignisse vom 6. bis 11. Oktober 2006 vorgelegt.
Der Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht. Eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Klägers bei unaufgeklärtem Ursachenzusammenhang
zwischen Impfung und Gesundheitsschaden komme nach der Rechtsprechung des BSG nicht in Betracht. In einer beigefügten prüfärztlichen Stellungnahme führte die Versorgungsärztin Dr. W. vom 13. Mai 2008
aus: Die nekrotisierende Fasziitis werde durch Bakterien verursacht und könne nach Bagatellverletzungen wie z.B. Prellungen
entstehen. Die Eintrittspforte für die Bakterien könne so minimal sein, dass sie nicht mehr zu identifizieren sei. Über die
Ursache einer nekrotisierende Fasziitis bestehe in der medizinischen Wissenschaft keine Ungewissheit. Bei der Grippeschutzimpfung
würden Virusantigene injiziert, die keine vergleichbare klinische Reaktion wie bei einer bakteriellen Infektion auslösen könnten.
Damit scheide der eigentliche Impfstoff als Ursache für die Erkrankung des Klägers aus. Allein die Verunreinigung des Injektionsstoffes
oder der Injektionsspitze könne als Ursache für die bakterielle Infektion in Betracht kommen. In diesem Falle wäre jedoch
eine deutliche Lokalreaktion an der Einstiegstelle am linken Oberarm (Rötung, Schwellung, Abszess) zu erwarten gewesen, die
nicht vorgelegen habe. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der nekrotisierenden Fasziits und der Grippeschutzimpfung sei
daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen.
Das SG hat einen Befundbericht von Dr. P. vom 12. Mai 2010 eingeholt. Hiernach habe der Kläger bei der Impfung keine gesonderten
Beschwerden angegeben. Er habe berichtet, die Grippeimpfung regelmäßig seit Jahren zu erhalten. Diese sei in den linken Oberarmmuskel
nach Desinfektion intramuskulär injiziert worden.
Das SG hat ein Sachverständigengutachten von Prof. Dr. G. nach Aktenlage vom 18. Mai 2011 erstatten lassen. Der Sachverständige
hat angegeben: Bei der nekrotisierenden Fasziitis handele es sich um eine schwere Infektionskrankheit der Haut und der Unterhaut,
die durch mittels kleinster Hautverletzung eingedrungene Erreger ausgelöst werde. In den meisten Fällen sei die Eintrittspforte
für die Erreger nicht mehr aufklärbar. Die Erkrankung sei beim Kläger durch ßhämolytische Streptokokken hervorgerufen worden.
Es handele sich damit um ein bakteriell bedingtes Krankheitsbild. Grundsätzlich sei die Injektion geeignet, Hautkeime in die
untere Haut verbringen zu können. Im vorliegenden Fall bestehe jedoch kein räumlicher Zusammenhang zwischen der Injektionsstelle
am linken Oberarm und den Läsionen an der rechten Schulter, der rechten Flanke sowie des rechten Oberschenkels. Trotz der
bestehenden Zeitnähe zwischen der Impfung und der Erkrankung bestehe kein kausaler Zusammenhang. Hinweise für eine unübliche
Impfreaktion seien nicht gegeben.
Der Kläger hat gegen das Gutachten geltend gemacht: Nach der Verdachtsfallliste des Paul-Ehrlich-Instituts seien unter anderem
ein septischer Schock, Nierenversagen und andere Erkrankungen nach einer Grippeimpfung gemeldet worden. Das Auftreten derartige
Symptome nach Impfungen sei daher bekannt, auch wenn keine Raumnähe zur Injektionsstelle bestanden habe. Es werde beantragt,
das Gutachten des Sachverständigen nicht zu verwerten. Er beantrage zudem eine Nutzen-Risiko-Analyse des bei ihm verwendeten
Impfstoffs.
Das SG hat vom Sachverständigen Prof. Dr. G. eine ergänzende Stellungnahme vom 21. Juli 2011 eingeholt. Hiernach sei die Diagnose
einer nekrotisierenden Fasziitis gesichert. Diese Erkrankung sei Ursache für den beim Kläger aufgetretenen septischen Schock
geworden. Die häufigste Art einer durch Injektion eingebrachten Infektion sei der sog. Spritzenabzess, der auf den Bereich
der Injektionsstelle begrenzt bleibe. Im Gegensatz dazu werde die nekrotisierende Fasziitis durch Bakterien hervorgerufen,
die die Fähigkeit zur lokalen Ausbreitung besäßen. Über die Häufigkeit dieser Erkrankung nach einer Impfung ließen sich in
der Literatur keine Angabe finden. Für die Annahme eines wahrscheinlichen kausalen Zusammenhangs wäre zu fordern, dass die
nekrotisierende Faszitis im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zur Injektion entstanden wäre. Dies sei jedoch im vorliegenden
Sachverhalt nicht anzunehmen, da sich die Injektionsstelle auf der linken Körperseite befunden und sich die nekrotisierende
Fasziitis demgegenüber auf der rechten Körperseite entwickelt habe. Dies sei nach den vorliegenden medizinischen Befunden
sicher belegt. Eine lokale Impfreaktion sei dagegen nicht dokumentiert worden. Gegen eine Kontamination der verwendeten Impfcharge
spreche auch, dass keine weiteren Fälle einer invasiven Infektion durch Streptokokken nach Applikation des Impfstoffes gemeldet
worden seien (vgl. Abfrage der Pei-Datenbank vom 21. Juli 2011). Wenn es anlässlich der Impfung zu einer Infektion mit Streptokokken
gekommen wäre, hätte eine lokale Infektion mit deutlich erkennbaren Entzündungsreaktionen auftreten müssen. Es sei anerkannte
Lehrmeinung, dass es sich bei der nekrotisierende Fasziitis um eine Infektion handele, die von einer lokalen Eintrittspforte
ausgehe. Hierbei handele es sich meist um Bagatelltraumen, die oft vom Betroffenen nicht wahrgenommen würden (kleine Bagatellwunden,
Schürfungen, Kratzartefakte, Mückenstiche usw.). Nach anerkannter Lehrmeinung breite sich die nekrotisierende Fasciitis entlang
der Muskelfaszie lokal aus. Eine Streuung über den Blutstrom zum Beispiel vom linken zum rechten Oberschenkel sei dabei als
ein sehr seltenes Ereignis anzusehen. Gegen eine Verschwemmung auf die andere Seite spreche, dass der Stoff gemäß der Anwendungsvorschrift
nur intramuskulär appliziert worden sei. Eine Übertragung auf die andere Körperseite nach sachgerechter Injektion sei daher
unwahrscheinlich. Unter Würdigung des aktuellen Wissensstandes sei ein Zusammenhang zwischen der Grippeimpfung und dem Gesundheitsschaden
unwahrscheinlich.
Das SG hat mit Urteil vom 28. September 2011 die Klage abgewiesen und sich dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen des gerichtlichen
Sachverständigen gestützt.
Der Kläger hat gegen das ihm am 19. Oktober 2011 zugestellte Urteil am 10. November 2011 Berufung beim Landessozialgericht
Sachsen Anhalt eingelegt. Er trägt vor: Das SG habe versäumt, eine Nutzen-Lasten-Analyse beizuziehen. Zur weiteren Bekräftigung hat der Kläger ein Rechtsgutachten von Rechtsanwalt
Prof. Dr. Z. vom 28. September 2011 vorgelegt.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 28. September 2011 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Juni 2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 17. März 2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die nekrotisierende Fasziitis als
Impfschaden in Folge der Impfung vom 6. Oktober 2006 anzuerkennen und ihm eine Beschädigtenrente nach einem GdS von mindestens
25 vom Hundert ab dem 6. Oktober 2006 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach einem Hinweis des Berichterstatters auf die Entscheidungsreife des Verfahrens hat der Kläger am 30. März 2012 einen Antrag
nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gestellt und Dr. H. als Sachverständigen bestimmt. Dieser hat in seinem nach Aktenlage gefertigten Sachverständigengutachten
vom 26. August 2012 ausgeführt: Zum Zeitpunkt der Impfung habe sich der Kläger gesund und leistungsfähig gefühlt. Wie bei
einem rechtshändigen Impfling empfohlen, sei die Impfung in den linken Arm verabreicht worden. Ob eine Indikation für die
Grippeimpfung vorgelegen habe, sei zweifelhaft. Der Kläger sei zum Zeitpunkt der Impfung 36 Jahre alt gewesen und gehörte
nicht zu einer besonderen Gefährdungsrisikogruppe. Am Tag nach der Impfung habe er ein Schubfach in der Küche eingebaut. Am
Abend habe er sich abgeschlagen geführt und eine Appetitlosigkeit bemerkt. Am Sonntag, den 8. Oktober, sei neben einem Schwächegefühl
mit Gliederschmerzen eine erhöhte Körpertemperatur aufgetreten. Am 9. Oktober 2006 habe er sich bei der Hausärztin vorgestellt,
da Schmerzen im Bereich des rechten Arms aufgetreten seien. Zunächst sei eine Überlastung oder Zerrung des Armes vermutet
worden. In der weiteren Folge habe sich der gesundheitliche Zustand dramatisch verschlechtert. So habe er höheres Fieber bis
39 °C gehabt. Nachdem eine Schwellung mit bläulicher Färbung auf der rechten Körperseite aufgetreten sei, sei die stationäre
Krankenhauseinweisung erfolgt. Durch eine mittels Streptokokken verursachte Infektion habe sich beim Kläger eine nekrotisierende
Fasziitis entwickelt. Hierbei handele es sich um eine lebensbedrohliche Weichteileinfektion, die durch einen dramatischen
und schnellen Verlauf gekennzeichnet sei. Bakterielle Erreger führten dabei zu einer meist kompletten Zerstörung des Haut-
und Bindegewebes. Der nekrotisierenden Fasziitis gehe regelmäßig ein sog. Bagatelltrauma voraus. Durch Schürfungen, Insektenstiche
oder Kratzer gelangten die Erreger durch die Haut in das Gewebe. Hierbei komme es zu einer explosionsartigen Vermehrung der
Keime, die als Stoffwechselprodukte auch Toxine bilden. Diese bakteriellen Toxine wirkten dann entscheidend an der Entstehung
des lebensbedrohlichen Streptokokken-assoziierten toxischen Schock-Syndroms (STSS) mit. Auch Injektionen im Verlaufe von Impfungen
seien theoretisch geeignet, Eintrittspforte einer Bakterieninfektion zu sein. Die Ursache sei meist eine unzureichende Desinfektion
der Injektionsstelle sowie die mehrmalige Verwendung von Injektionsnadeln. Der Impfstoff Influsplit 2006/2007 sei ein trivalenter
viraler Spaltimpfstoff. Die Antigene, die den Impferfolg immunologisch auslösen sollen, stammten aus in Hühnereiern gezüchteten
Grippeviren. Diese Grippeviren seien durch ein chemisches Verfahren inaktiviert worden. Für den Impfstoff Influsplit SSW seien
im Jahr 2002 zwei sehr ähnliche Verdachtsfälle berichtet worden, in denen es nach einer Impfstelle aus zu einer nekrotisierende
Fasziitis gekommen sei. In beiden Fällen sei die gleiche Impfcharge betroffen gewesen. In diesen Fällen habe die Fasziitis
von der Impfstelle ihren Ausgang genommen. Nach zunächst lokale Rötungen und Schwellungen habe sich die Infektion am Arm und
der Schulter und der Flankenregionen der Seite ausgebreitet, auf der die Impfung verabreicht worden sei. Dieser Erkrankungsverlauf
sei auch typisch. Nach den Veröffentlichungen der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) ergebe sich zur
Grippeschutzimpfung kein Hinweis auf Folgen bakterieller Infektionen. Hinweise auf Probleme mit dem Impfstoff oder der verwendeten
Charge lägen aus dem Jahr 2006 nicht vor. Aufgrund des Krankheitsverlaufes müsse im Fall des Klägers von einer koinzidenten
Infektion rechts mit Streptokokken ausgegangen werden. Ein Impfschaden sei daher unwahrscheinlich. Beim Kläger bestehe - wie
dies bereits Prof. Dr. G. in seinem Gutachten ausgeführt habe - lediglich ein zeitlicher Zusammenhang zwischen der Impfung
und der Erkrankung. Den Ausführungen von Prof. Dr. G. sei daher vollständig zuzustimmen.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten sowie das Rechtsgutachten von Prof. Dr. Z. vom 28. September 2011 haben
vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung des Senats. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes
und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§
143,
144 Abs.
1 Satz 2
SGG statthafte und auch in der von §
151 Abs.
1 SGG vorgeschriebenen Form und Frist eingelegte Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung
von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem IfSG. Das Urteil des SG H. ist daher zu Recht ergangen.
Streitgegenstand ist das Begehren des Klägers, die Folgen der erlittenen nekrotisierenden Fasziitis als Impfschaden festzustellen
und hieraus Versorgungsleistungen zu erlangen.
Der Anspruch des Klägers aufgrund der am 6. Oktober 2006 durchgeführten Grippeschutzimpfung richtet sich nach dem IfSG. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält derjenige, welcher durch eine empfohlene oder angeordnete Schutzimpfung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat,
wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung
der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Ein Impfschaden ist ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden. § 2 Nr. 11 IfSG definiert diesen als gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden
gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung. Die schädigende Einwirkung (die Impfung), die gesundheitliche Primärschädigung
in Form einer unüblichen Impfreaktion und die Schädigungsfolge (ein Dauerleiden) müssen nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich
sein (BSG, Urteil vom 19. März 1986, 9a RVi 2/84, SozR 3850 § 51 Nr. 9). Dagegen genügt nach § 61 Satz 1 IfSG für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung.
Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich,
die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat.
Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders
enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist (BSG, Urteil vom 7. April 2011- B 9 VI 1/10 R m.w.N. - zitiert nach juris).
Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalitätsbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen
Fassungen geltenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) anzuwenden und zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt
beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS)) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine
Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten (BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.). Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht
generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm normähnlich (BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.). Die AHP in der Fassung seit 2004 enthält unter den Nr. 53 bis 143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung
bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen
zum Inhalt haben.
Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP
2004 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim
BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 - IV.c.6-48064-3; vgl. auch
Nr. 57 AHP 2008): Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete STIKO entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion
und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse
der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin (EB) veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft
dar. Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Abs. 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f. IfSG durchzuführen. Dies ergibt sich auch aus Nr. 35 bis 52 (S. 145 bis 169) der AHP (BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.).
Die seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der AHP getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung (BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.) Anders als die AHP 2004 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern, sodass insoweit entweder auf die letzte
Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen
Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen
(BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.). Dabei sind alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen,
auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.).
Unter Beachtung dieser Grundsätze steht zunächst fest, dass der Kläger am 6. Oktober 2006 mit dem Grippeschutzimpfstoff Influsplid
SSW 2006/2007 AFLUA 189AA geimpft worden ist. Die Impfung wurde am linken Oberarm vorgenommen. Außerdem steht im Vollbeweis
fest, dass der Kläger an einer nekrotisierenden Fasziitis auf der rechten Körperseite erkrankt ist. Dies lässt sich nach dem
umfassend dokumentierten Krankheitsgeschehen sicher belegen und ist zwischen Beteiligten auch nicht umstritten.
Das nach der Grippeschutzimpfung aufgetretene Krankheitsgeschehen einer nekrotisierenden Fasziitis und die damit verbundenen
Schädigungsfolgen sind nach Ansicht des Senats unter Würdigung der Gesamtumstände nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
durch die Impfung verursacht worden. Insoweit folgt der Senat den vorliegenden Gutachten von Prof. Dr. G. und von Dr. H. Nach
beiden überzeugend begründeten Gutachten kann der eigentliche Impfstoff (abgeschwächte Viren) die beim Kläger durch Streptokokken
verursachte bakterielle Infektion nicht verursacht haben. Allein eine unzureichende Desinfektion oder eine wiederverwendete
Injektionsnadel könnte das bakterielle Geschehen beim Kläger nachvollziehbar erklären. Die impfbedingte Verursachung der nekrotisierenden
Fasziitis würde jedoch voraussetzen, dass das Infektionsgeschehen vom linken Oberarm, an dem der Impfstoff injiziert worden
war, seinen Ausgang genommen hat. Hierfür liegen jedoch keinerlei Anhaltspunkte vor. So hat die behandelnde Impfärztin Dr.
P. über keinerlei Impfreaktionen am linken Arm des Klägers berichtet. Demgegenüber ergibt sich aus den vorliegenden medizinischen
Befunden, dass das Infektionsgeschehen der nekrotisierenden Fasziitis von der rechten Körperseite des Klägers seinen Ausgang
genommen hat und folglich mit der Impfung am linken Oberarm schon wegen der körperlichen Entfernung in keinem wahrscheinlichen
Ursachenzusammenhang steht. Hinweise für eine Verschwemmung von Bakterien vom linken Oberarm auf die rechte Körperseite des
Klägers sind bei einer intramuskulären Applikation unwahrscheinlich (so Prof. Dr. G.). Gegen eine Kontamination der verwendeten
Impfcharge spricht, dass keine weiteren Fälle einer invasiven Infektion durch Streptokokken nach Applikation des Impfstoffes
dieser Charge gemeldet worden sind. Nach der von den Sachverständigen dargelegten anerkannten Lehrmeinung breitet sich die
nekrotisierende Fasziitis lokal entlang der Muskelfaszie aus. Beide gerichtlichen Sachverständigen halten einen Zusammenhang
zwischen Grippeimpfung und Gesundheitsschaden daher für unwahrscheinlich und schließen sich den versorgungsärztlichen Stellungnahmen
von Dr. E. vom 12. Juni 2007 und von Dr. W. vom 13. Mai 2008 an. Nachdem ein bloß zeitlicher Zusammenhang zwischen Impfung
und Schädigung für den Ursachenzusammenhang nicht genügen kann, hält auch der Senat einen Ursachenzusammenhang zwischen der
Grippeimpfung und dem eingetretenen Gesundheitsschaden für unwahrscheinlich. Auf die Frage einer Nutzen-Lasten-Analyse sowie
auf die im Rechtsgutachten von Dr. Z. aufgeworfenen Rechtsfragen kann es daher nicht ankommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Gründe nach §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.