Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung; Zulässigkeit eines Arzneikostenregresses wegen unwirtschaftlicher
Verordnungsweise bei Unterlassen des Direktbezugs; Ermessen der Prüfgremien bei der Festlegung von Honorarkürzungen
Tatbestand:
Streitig ist in dem verbundenen Verfahren bezogen auf die Quartale II/2006 bis I/2007 die Rechtmäßigkeit wegen Unwirtschaftlichkeit
festgesetzter Arzneikostenregresse i.H.v. insgesamt 16.311,60 Euro.
Die Klägerin ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und mit Vertragsarztsitz in K. im Bezirk der Beigeladenen zu 2) zur vertragsärztlichen
Versorgung zugelassen.
Mit am 30. April 2007 (Quartal II/2006), 28. Juni 2007 (Quartal III/2006), 28. September 2007 (Quartal IV/2006) bzw. 28. Dezember
2007 (Quartal I/2007) beim Prüfungsausschuss bzw. der Prüfungsstelle eingegangenen Anträgen der Beigeladenen zu 1) setzte
dieser/diese nach vorheriger Anhörung der Klägerin ihr gegenüber zu Gunsten der Beigeladenen zu 1) mit Bescheiden vom 25.
Juli 2007 (Quartal II/2006), 25. Oktober 2007 (Quartal III/2006), 17. Dezember 2007 (Quartal IV/2006) und 24. Juni 2008 (Quartal
I/2007) Regresse i.H.v. dreimal 4.028,40 EUR (Quartale II-IV/2006) sowie 4.226,40 EUR (Quartal I/2007) fest und führte zur
Begründung aus: Aufgrund des von ihr getätigten Bezugsweges über die Apotheke habe die Klägerin hinsichtlich der Verordnung
des Gerinnungsfaktors VIII SDH Inters 1000 DFL an einen Versicherten der Beigeladenen zu 1) Mehrkosten in der regressierten
Höhe verursacht, die bei einem Direktbezug über den Hersteller hätten vermieden werden können. Dadurch sei das Wirtschaftlichkeitsgebot
missachtet worden. Zwei Mitarbeiterinnen der Beigeladenen zu 1) hätten die Klägerin am 28. Oktober 2005 in einem persönlichen
Gespräch über die Möglichkeiten und die damit verbundene Kostenersparnis des Direktbezuges gemäß § 47 Arzneimittelgesetz (AMG) informiert. Danach dürften pharmazeutische Unternehmer das bezeichnete Präparat u.a. auch an Ärzte abgeben. Im Hinblick
auf die Behandlung von Hämophilie-Patienten sei dies die wirtschaftlichste Verordnungsweise. Das von der Klägerin vorgetragene
Argument, wegen damaliger auswärtiger Tätigkeit des Patienten sei der Bezug nur über die Apotheke möglich gewesen, sei nicht
nachvollziehbar. Sowohl die Arztpraxis als auch die Apotheke, von der der Patient das Medikament bezogen habe, hätten sich
an dessen Wohnort befunden. Die jeweils werktags erfolgten Abholungen seien demnach auch durch Angehörige möglich gewesen.
Ebenso wenig überzeuge ihr Vortrag, sie habe über keine geeigneten Lager- und Kühlmöglichkeiten für das Medikament verfügt.
Für dieses sei eine Lagerung in einem Umkarton (Lichtschutz) nicht über 25° C (kein Einfrieren) vorgesehen. Es sei nicht ersichtlich,
dass derartige Bedingungen (Lagerung bei Raumtemperatur oder im Kühlschrank) in der Arztpraxis nicht zu gewährleisten seien.
Die Rechnungslegung des Herstellers erfolge direkt unter Beifügung der Verordnung gegenüber der Krankenkasse. Somit sei die
Arztpraxis auch von einem zusätzlichen Arbeitsaufwand, wie z.B. einer Einziehung der Medikamentenzuzahlung, befreit.
Zur Begründung ihrer dagegen am 15. August, 6. November und 28. Dezember 2007 sowie 15. Juli 2008 erhobenen Widersprüche führte
die Klägerin im Wesentlichen aus: Für die Regressfestsetzung fehle es an der erforderlichen Rechtsgrundlage. Ihre Inanspruchnahme
verstoße gegen die Art.
2,
12 und
14 Grundgesetz (
GG). Die §§
2 und
12 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (
SGB V) stellten lediglich Rechtsprinzipien dar; §
106 SGB V regele den vorliegenden Einzelfall nicht. Aus § 47 AMG lasse sich weder eine Verpflichtung des Herstellers zur Belieferung anderer Abnehmer als Apotheken noch eine Verpflichtung
anderer Abnehmer zum Bezug und zur Abnahme entnehmen. Vorliegend habe es sich lediglich um die Nachverordnung eines für den
Patienten lebenswichtigen Präparats gehandelt, auf das er vom Hämophiliezentrum der Martin-Luther-Universität H.-W. eingestellt
worden sei. Auch auf die §§ 3 und 12 der einschlägigen Prüfvereinbarung (PV) ließen sich die Regresse nicht stützen. Zwar
hätten Mitarbeiterinnen der Beigeladenen zu 1) sie auf den alternativen Bezugsweg hingewiesen, nicht jedoch auf eine angebliche
Verpflichtung, diesen auch zu nutzen.
Mit Bescheiden vom 25. April 2008 (Prüfbescheide vom 25. Juli und 25. Oktober 2007) und 29. April 2009 (Prüfbescheide vom
17. Dezember 2007 und 24. Juni 2008) wies der Beklagte die Widersprüche unter Bezugnahme auf die Argumentation in den Prüfbescheiden
als unbegründet zurück.
Gegen den ihr am 28. April 2008 zugestellten Bescheid vom 25. April 2008 hat die Klägerin am 28. Mai 2008 und gegen den ihr
am 30. April 2009 zugestellten Bescheid vom 29. April 2009 am 29. Mai 2009 vor dem Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage erhoben und ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. § 47 AMG sei nicht konzipiert, um hinsichtlich der Leistungserbringer das Wirtschaftlichkeitsprinzip sicher zu stellen. Im Übrigen
lägen auch die Voraussetzungen von § 47 Abs. 1 Ziff. 2a) AMG nicht vor. Sie sei keine hämostaselogisch qualifizierte Ärztin. Schließlich müsse sie beim Direktbezug die Versicherung erhöhen,
was nicht gefordert werden könne. Angesichts des hohen Abgabepreises des Präparats sei diese nämlich im Hinblick auf Diebstahl,
Vandalismus, Elementarschäden sowie Schutz vor Verderbnis bei Stromausfall anzupassen, was eine Prämiensteigerung um mehrere
100,00 EUR bedinge.
Der Beklagte hat darauf verwiesen, dass der Vertragsarzt nach § 13 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) verpflichtet sei, die notwendigen Verordnungen zu treffen, soweit die zu verordnenden Leistungen in die Leistungspflicht
der gesetzlichen Krankenversicherung fielen. Dabei habe er das Wirtschaftlichkeitsgebot zu beachten und seine Verordnungsweise
danach einzurichten. Mit dem gewählten Bezugsweg habe die Klägerin das Maß des Notwendigen überschritten, weil der Direktbezug
vom Hersteller deutlich kostengünstiger sei. Der in § 47 AMG geregelt Sondervertriebsweg habe der Klägerin offen gestanden, zumal sie von der Beigeladenen zu 1) hierauf hingewiesen worden
sei. Kosten oder Aufwendungen für Versicherungen, die auf die Klägerin abgeschoben würden, seien insoweit nicht ersichtlich.
Mit Beschlüssen vom 20. Mai 2009, 16. Dezember 2011 und 27. Januar 2012 hat das SG die Beigeladenen an den Verfahren beteiligt und diese zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Mit Urteil vom 9. Mai 2012 hat das SG die Klagen abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Die wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise festgesetzten Regresse
seien zu Recht erfolgt, wobei weder die Wahl der Prüfmethode noch die Höhe der Regresses zu beanstanden seien. Die von der
Klägerin getätigten Verordnungen seien hinsichtlich des Bezugsweges zwar grundsätzlich zulässig gewesen. Allerdings habe die
Möglichkeit einer wesentlich kostengünstigen Versorgung bestanden, über die sie von der Beigeladenen zu 1) rechtzeitig unterrichtet
worden sei. Da diese ihr gegenüber lediglich beratend tätig werden könne, sei unerheblich, wenn die Klägerin von der Beigeladenen
zu 1) nicht darauf hingewiesen worden sei, zwingend den günstigeren Vertriebsweg zu nutzen. Es sei auch kein Grund dafür ersichtlich,
weshalb der Patient das streitige Präparat notwendig aus der Apotheke statt der Arztpraxis der Klägerin habe holen sollen.
Darauf, ob die Klägerin über die Zusatzbezeichnung Hämostaseologie verfügt habe, komme es vorliegend nicht an. Denn die Weiterbildungsordnung
der Ärztekammer Sachsen-Anhalt vom 27. November 1993 in der Fassung vom 11. November 2002 habe derartiges nicht vorgesehen.
Anderes ergebe sich erst nach der am 16. April 2005 beschlossenen und am 8. Dezember 2005 durch das Ministerium für Gesundheit
und Soziales genehmigten Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Sachsen-Anhalt, nach der die Weiterbildungszeit zwölf Monate
betrage. Schließlich greife auch der Einwand einer höheren Versicherungsprämie nicht, da nicht erkennbar sei, weshalb keine
sofortige Übergabe an den Versicherten bzw. einen seiner Familienangehörigen habe erfolgen können.
Gegen das ihr am 6. Juni 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin noch im selben Monat Berufung eingelegt und an ihrer Ansicht
festgehalten. Ergänzend verweist sie darauf, dass die Berücksichtigung des Bezugsweges im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots
allenfalls auf Grundlage von §
73 Abs.
8 SGB V möglich sei. Diese Vorschrift sei jedoch erst zum 1. April 2007 in Kraft getreten und somit auf den streitgegenständlichen
Zeitraum (1. April 2006 bis 31. März 2007) nicht anwendbar. Auch dieser Umstand stütze ihre Auffassung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 9. Mai 2012 sowie die Bescheide des Beklagten vom 25. April 2008 und 29. April
2009 aufzuheben;
hilfsweise, den Beklagten unter Aufhebung seiner Bescheide zu verpflichten, ihre Widersprüche unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Unter Wiederholung und Vertiefung seiner Ausführungen verteidigt er seine Entscheidungen und diejenige des SG. Ihre Position als Vertragsärztin beinhalte für die Klägerin zugleich Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit. Das Wirtschaftlichkeitsgebot
gelte nicht nur in Bezug auf die Versorgung der Versicherten mit gleich wirksamen Medikamenten, sondern ebenso für die Wahl
des Bezugsweges. Es gebe keinen sachlichen Grund, dem Versicherten bei unterschiedlich teuren Bezugsquellen einen Anspruch
auf Versorgung mit dem Medikament aus der teureren Quelle zu gewähren. Entgegen der Ansicht der Klägerin komme es auch nicht
darauf an, ob sie über die Zusatzbezeichnung "Hämostaseologie" verfügt habe.
Auf entsprechenden Hinweis des Berichterstatters hat die Beigeladene zu 1) mitgeteilt, dass im Rahmen der Regressberechnung
der Herstellerrabatt nicht mit eingeflossen und das streitgegenständliche Blutplasmakonzentrat nach der Arzneimittelpreisverordnung
(AMPreisV) auch nicht herstellerrabattpflichtig sei. Ansonsten haben sich die Beigeladenen nicht (weiter) geäußert und insbesondere
keine Anträge gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
sowie der beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung
und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Der Senat ist nach den §§
10 Abs.
2 Satz 1,
31 Abs.
2,
40 Satz 2
SGG für die Entscheidung zuständig, weil es sich beim vorliegenden Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung um eine klassische
vertragsärztliche Angelegenheit handelt. Dabei entscheidet der Senat in der sich aus den §§
12 Abs.
3 Satz 1,
33 Abs.
1,
40 Satz 1
SGG ergebenden Besetzung mit je einem ehrenamtlichen Richter aus dem Kreis der Krankenkassen und der Vertragsärzte, da der Rechtsstreit
die Entscheidung eines Gremiums betrifft, in welchem deren Vertreter mitgewirkt haben.
Die zulässigen (kombinierten) Klagen (vgl. hierzu Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 6. Mai 2009 - B 6 KA 3/08 R - MedR 2010, 276; Urteil vom 16. Juli 2003 - B 6 KA 44/02 R - GesR 2004, 144; Urteil vom 24. November 1993 - 6 RKa 20/91 - SozR 3-2200 § 368n Nr. 6; Urteil vom 3. Februar 2010 - B 6 KA 37/08 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 26) sind im Sinne des Hauptantrags begründet. Die Bescheide des Beklagten vom 25. April 2008 und
29. April 2009 sind rechtswidrig und beschweren die Klägerin damit im Sinne der §§
157,
54 Abs.
2 Satz 1
SGG.
Als Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide kommt §
106 Abs.
2 Satz 4
SGB V in der hier noch maßgeblichen Fassung des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes vom 14. November 2003 (BGBl. I, 2190) i.V.m.
den §§
3 und
12 der auf Grundlage von §
106 Abs.
3 Satz 1, Abs.
5 SGB V auf Landesebene geschlossenen und - grundsätzlich - im Zeitraum der Quartale I/2004 bis IV/2012 anwendbaren PV der Beigeladenen
zu 2) in Betracht. Danach hat der Prüfungsausschuss u.a. auf begründeten Antrag einer Krankenkasse zu prüfen, ob der Vertragsarzt
durch veranlasste, verordnete oder selbst erbrachte Leistungen im einzelnen Behandlungs- bzw. Verordnungsfall gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot
verstoßen hat (§ 12 Abs. 1 Satz 1 PV). Er entscheidet, ob und in welcher Höhe Unwirtschaftlichkeit besteht (§ 12 Abs. 3 Satz
2 PV), wobei es auf ein ärztliches Verschulden nicht ankommt (vgl. statt aller nur BSG, Urteil vom 20. März 2013 - B 6 KA 27/12 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 40, m.w.N.; Urteil vom 3. Februar 2010 - B 6 KA 37/08 R, s.o.).
Ausgehend hiervon sind die angefochtenen Bescheide in formeller Hinsicht zunächst nicht zu beanstanden. Insbesondere sind
im vorausgegangenen Verwaltungsverfahren die insoweit zu beachtenden Anforderungen erfüllt. Die Beigeladene zu 1) hat ihre
Prüfanträge ausführlich begründet und jeweils die zugrunde liegenden Unterlagen (etwa die einzelnen Verordnungen) beigefügt.
Daneben sind die Anträge jeweils auch innerhalb der nach § 12 Abs. 2 PV zu beachtenden Frist von zwölf Monaten nach Ablauf
des Behandlungsquartals, in dem die entsprechenden Verordnungen durch die Klägerin ausgestellt wurden, bei den Prüfgremien
eingegangen (vgl. hierzu aber auch BSG, Urteil vom 3. Februar 2010 - B 6 KA 37/08 R, aaO.).
1. In der Sache hat der Beklagte jedoch unzutreffend entschieden, dass die Klägerin gegen das von ihr zu beachtende Wirtschaftlichkeitsgebot
verstoßen hat.
Nach dem im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Wirtschaftlichkeitsgebot (§
12 Abs.
1 SGB V) müssen die Leistungen an die Versicherten ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen
nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können die Versicherten nicht beanspruchen
und dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken. Für den Bereich der vertragsärztlichen Versorgung wird das Gebot in den
§§
70 Abs.
1 Satz 2,
72 Abs.
2,
75 Abs.
2 SGB V nochmals aufgegriffen und in § 13 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Bundesmantelvertrag Ärzte/Ersatzkassen (EKV), der auf Grundlage von §
83 Abs.
3 SGB V (in der Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20. Dezember 1988, BGBl. I, 2477) vereinbart und auf Basis von §
83 Abs.
1 SGB V (in der Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes, BGBl. I, 2266) geändert wurde (nunmehr §
83 Satz 1 bis
3 SGB V), konkretisiert. Danach hat jeder Vertragsarzt das - durch die auf Bundes- und Landesebene vertraglich geregelte - Gebot
der Wirtschaftlichkeit zu beachten und hierauf seine Behandlungs- und Verordnungsweise einzurichten. Die vom Bundesausschuss
der Ärzte und Krankenkassen (nunmehr Gemeinsamer Bundesausschuss - GBA) nach §
92 SGB V zur ausreichenden, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten beschlossenen Richtlinien sind für ihn verbindlich
(§
91 Abs.
6 SGB V). Weiter bestimmt § 15 Abs. 2 Satz 1 EKV in Aufgriff von §
73 Abs.
5 Satz 1
SGB V, dass der Vertragsarzt bei der Verordnung von Arzneimitteln die Preisvergleichsliste nach §
92 Abs.
2 SGB V beachten soll. Insgesamt resultiert hieraus die vertragsärztliche Verpflichtung, sich nicht nur insgesamt, sondern auch bei
jeder einzelnen Leistung entsprechend dem Wirtschaftlichkeitsgebot zu verhalten (ständige Rspr. des BSG, vgl. nur Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 6 KA 38/10 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 33; Urteil vom 27. Juni 2007 - B 6 KA 44/06 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 17).
Auch wenn der Vertragsarzt danach verpflichtet ist, bei der Verordnung von Arzneimitteln insbesondere auf deren Preise zu
achten (siehe § 9 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 Arzneimittelrichtlinien - AMRL), folgt aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot entgegen der
Auffassung des Beklagten, der Beigeladenen zu 1) und des SG grundsätzlich nicht ohne Weiteres auch seine Verpflichtung, den preisgünstigsten Bezugsweg zu wählen. Eine im Rahmen des
Wirtschaftlichkeitsgebots zu einem Regress führende vertragsärztliche Verantwortung zur Beachtung der Bezugsquelle lässt sich
vielmehr nur dann begründen, wenn Entsprechendes durch (unter-)gesetzliche Regelungen eindeutig angeordnet ist. Das ist im
vorliegenden Zusammenhang nicht der Fall.
a) Eine Grundlage für einen Regress ergibt sich insbesondere nicht aus §
73 Abs.
8 Satz 1
SGB V. Nach der hier maßgeblichen vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2007 gültigen Fassung dieser Vorschrift hatten u.a. die Krankenkassen
die Vertragsärzte auch vergleichend über die jeweiligen Preise verordnungsfähiger Leistungen zu informieren. Abgesehen davon,
dass sich die Norm damit schon nicht an die Vertragsärzte selbst richtete, gehörte die Bezugsquelle überdies nicht zu ihrem
Regelungsgehalt. Hieran hat sich auch auf Grundlage der seit dem 1. April 2007 gültigen Normfassung nichts geändert. Denn
durch das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. März 2007 (BGBl. I, 1622) wurden hinter den Begriff "Leistungen" zwar die
Wörter "und Bezugsquellen" eingefügt. Schon nach dem Gesetzeswortlaut ist der Adressatenkreis aber gleich geblieben. Die Kassenärztlichen
Vereinigungen, Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sowie die Krankenkassen und ihre Verbände haben lediglich zusätzlich die
Möglichkeit erhalten, den Vertragsarzt auch über kostengünstige Bezugswege zu informieren. Bestätigt wird diese Auslegung
durch die Gesetzesbegründung, wonach durch die Neufassung das Vertragsprinzip in der Arzneimittelversorgung gestärkt werden,
das Recht der freien Wahl des Anbieters durch die Vertragsärzte - und die Versicherten - allerdings ausdrücklich unberührt
bleiben sollte (BT-Drucks. 16/3100, 13 und 111). Dieser gesetzgeberische Wille ist im Normwortlaut klar zum Ausdruck gekommen.
Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die vom Beklagten und der Beigeladenen zu 1) angenommene Verpflichtung des Vertragsarztes
zur Wahl des preisgünstigsten Bezugsweges nicht besteht.
b) Auch aus § 47 AMG lässt sich keine im Falle der Nichtbeachtung zum Regress führende Verpflichtung der Klägerin zur Wahl einer bestimmten Bezugsquelle
herleiten, womit unerheblich ist, dass sie Ende Oktober 2005 von Mitarbeiterinnen der Beigeladenen zu 1) auf den insoweit
eröffneten preisgünstigeren Vertriebsweg hingewiesen worden ist. Dabei kann offen bleiben, ob diese Norm auf die Klägerin
überhaupt anwendbar ist, wozu der Senat im Ergebnis neigt.
Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a) AMG "dürfen" pharmazeutische Unternehmer und Großhändler neben Blutzubereitungen und gentechnisch hergestellten Blutbestandteilen
auch Gerinnungsfaktorenzubereitungen unmittelbar an einen hämostaseologisch qualifizierten Arzt im Rahmen der von ihm kontrollierten
Selbstbehandlung von Blutern abgeben. Der Senat geht davon aus, dass es sich bei den vorliegenden Verordnungen des Gerinnungsfaktors
VIII SDH Inters 1000 DFL an einen Versicherten der Beigeladenen zu 1) um ein Präparat im Sinne von § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a) AMG handelt. Zwar verfügte die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum über keine Zusatzbezeichnung als hämostaseologisch
qualifizierte Ärztin, die im Bezirk der Beigeladenen zu 2) nach Abschnitt C der zum 1. Januar 2006 in Kraft getretenen Weiterbildungsordnung
der Ärztekammer Sachsen-Anhalt ohnehin erst ab Anfang 2007 geführt werden konnte. Hierauf würde es nach Ansicht des Senats
aber nicht entscheidend ankommen. Da § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a) AMG insbesondere auf Hämophiliezentren ausgerichtet ist, die - wie hier - die Präparate ihren Patienten zur ärztlich kontrollierten
Selbstbehandlung mitgeben, und zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens (7. Juli 1998) schon rein faktisch keine hämostaseologisch
qualifizierten Vertragsärzte im Sinne der Norm existierten, erfüllt nämlich jeder Arzt, der schon einige Zeit in diesem Bereich
tätig ist, die einschlägige Vorgabe (von Czettritz in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 2010, § 24 Rn. 24).
Hierfür sprechen auch die Gesetzesmaterialien. § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a) AMG in seiner seit Juli 1998 gültigen Fassung beruht auf dem Transfusionsgesetz vom 1. Juli 1998 (BGBl. I, 1752). Zuvor waren Gerinnungsfaktorbestimmungen von der Vorschrift nicht erfasst. Mit der Ergänzungsregelung
sollte klargestellt werden, dass der Arzt entsprechende Präparate auch dann abgeben darf, wenn die Behandlung nicht in seiner
Praxis stattfindet. Bereits seinerzeit hätte sich die Selbstbehandlung von Blutern seit etwa 25 Jahren bewährt; die Abgabe
der Gerinnungsfaktoren durch den Arzt sei geduldete Praxis. Im Übrigen wollte der Gesetzgeber hierdurch Kosten im Gesundheitswesen
einsparen (BT-Drucks. 13/9594). Darüber hinaus gehende inhaltliche Anforderungen an eine "hämostaseologische Qualifikation"
lassen sich dem Gesetz (im streitgegenständlichen Zeitraum) nicht entnehmen. Davon, dass die Klägerin bereits einige Zeit
in diesem Bereich tätig war, ist auszugehen.
Der Annahme, aus § 47 Abs. 1 AMG in Verbindung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot folge ohne weiteres die vertragsärztliche Verpflichtung zur ausnahmslosen
Nutzung dieses Bezugsweges, steht jedoch die eindeutige Gesetzesformulierung entgegen. Die Norm spricht nur davon, dass bestimmte
Arzneimittel u.a. an Ärzte abgegeben werden "dürfen". Von einer Beschränkung allein auf diese Bezugsoption in allen Katalogfällen
des § 47 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AMG ist gerade nicht die Rede. Zudem sprechen die Systematik sowie der Sinn und Zweck des Gesetzes für diese Auslegung. Während
§ 43 AMG den Grundsatz normiert, dass Arzneimittel an Endverbraucher nur von Apotheken abgegeben werden dürfen, sofern sie nicht generell
von der Apothekenpflicht ausgenommen sind, bestimmt § 47 AMG Ausnahmen von dieser Regel und nennt abschließend ganz bestimmte Fälle eines zulässigen - allerdings nicht verpflichtenden
- Direktbezugs (vgl. Rehmann, AMG, 2003, § 47 Rn. 1). Auch ansonsten dient das AMG nicht der Sicherstellung des Wirtschaftlichkeitsgebots, sondern bezweckt im Interesse der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung
von Mensch und Tier die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu gewährleisten, insbesondere für deren Qualität, Wirksamkeit
und Unbedenklichkeit zu sorgen (§ 1 AMG).
Ein abweichendes Verständnis (quasi im Sinne einer Inpflichtnahme des Vertragsarztes) würde für den betroffenen Vertragsarzt
überdies bedeuten, vorsorglich für alle abstrakt von § 47 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AMG erfassten Arzneimittel die notwendigen Aufbewahrungs- und Sicherungsvorkehrungen zu treffen. Diese mögen entsprechend den
Darlegungen des Prüfungsausschuss für die vorliegenden Präparate zwar noch überschaubar sein; sie lassen sich in dieser Form
jedoch nicht entsprechend auf jeden Anwendungsfall der Norm übertragen. Jedenfalls verbliebe eine weitere Vorsorgeverpflichtung
zur Abwendung von Straftaten und zu versichernden Risiken, die nach dem nachvollziehbaren Vortrag der Klägerin mit zusätzlichen
finanziellen Aufwendungen verbunden wäre. Denn davon, dass ein Medikament - wie vorliegend - sogleich in Empfang genommen
wird, kann nicht bei jedem Patienten ausgegangen werden. Überdies ist auch nicht ersichtlich, weshalb eine vertragsärztliche
Beschränkung auf den Bezugsweg des § 47 AMG für den Versicherten in jedem Fall vorteilhafter sein soll, als die übliche und bewährte Versorgung über die Apotheke, bei
der unter Berücksichtigung von Bereitschaftsdiensten regelmäßig ein wartezeitloser Zugang "rund um die Uhr" gewährleistet
ist.
c) Eine Verpflichtung der Klägerin zur Beachtung der Bezugsquelle lässt sich auch nicht den Regelungen der hier maßgeblichen
und vom 1. Juli 2004 bis zum 31. März 2012 gültigen Sprechstundenbedarfsvereinbarung (SSBV) der Beigeladenen zu 2) entnehmen.
Nach § 2 Abs. 7 Sätze 1 und 2 SSBV waren als Sprechstundenbedarf nur die in der Anlage dieser Vereinbarung aufgeführten Mittel,
wozu nach Nr. 7 der Anlage auch bestimmte Arzneimittel zählten, verordnungsfähig. Andere Mittel durften als Sprechstundenbedarf
nicht verordnet werden. Soweit in § 2 Abs. 6 SSBV angeordnet ist, dass die nach den §§ 44 oder 47 AMG von der Apothekenpflicht oder der Vertriebsbindung ausgenommenen Arzneimittel unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit der
Bezugsquelle zu beziehen sind, sind hiervon nur Arzneimittel des Sprechstundenbedarfs betroffen. Diese werden in § 2 Abs.
7 Satz SSBV in Verbindung mit Punkt 7 seiner Anlage aufgeführt, zu dem § 2 Abs. 6 SSBV in unmittelbarem systematischem Zusammenhang
steht, und allein diese sind Gegenstand der genannten Vereinbarung. Hierzu zählen weder Gerinnungsfaktorenzubereitungen noch
sämtliche sonstigen in § 47 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AMG aufgeführten Arzneimittel. Im Übrigen ergibt sich aus der SSBV schon deshalb keine vertragsärztliche Vorgabe im Sinne einer
Bezugsverpflichtung direkt vom Hersteller, die als Ausdruck eines allgemein gültigen Rechtsgedankens verstanden werden könnte,
weil Sprechstundenbedarf nach § 1 Abs. 1 Satz 1 SSBV (nur) verordnet werden "kann". Nur dann, wenn der Vertragsarzt Arzneimittel
als solchen verordnet, hat er insbesondere die durch § 2 Abs. 6 und 7 SSBV normierten Einschränkungen zu beachten. Besteht
danach für ihn aber bereits keine Verpflichtung, überhaupt Sprechstundenbedarf zu verordnen, kann aus der SSBV erst recht
keine - verallgemeinerungsfähige - Pflicht zur Wahl der preisgünstigsten Bezugsquelle erwachsen. Vielmehr liegt auch hier
der Umkehrschluss nahe, dass der Vertragsarzt außerhalb des Anwendungsbereichs der SSBV (also allgemein) frei über die Wahl
des Bezugsweges entscheiden kann.
d) Schließlich enthalten die zur wirtschaftlichen Verordnungsweise von Arzneimitteln in § 9 AMRL getroffenen Konkretisierungen
im Hinblick auf den Bezugsweg ebenfalls keine Ausführungen.
e) Weitere gesetzliche oder untergesetzliche Regelungen, aus denen sich eine Verpflichtung herleiten ließe, bei Arzneimittelverordnungen
die finanziellen Auswirkungen des Bezugsweges zu beachten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere reicht §
12 Abs.
1 SGB V insoweit als alleinige Ermächtigungsgrundlage nicht aus. Diese Norm stellt zwar eine Konkretisierung der allgemeinen Vorschriften
des
SGB V dar. So bestimmt bereits §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB V, dass die Krankenkassen den Versicherten die im dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots
zur Verfügung zu stellen haben, und §
2 Abs.
4 SGB V, dass Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte darauf zu achten haben, dass die Leistungen wirksam und wirtschaftlich
erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden. Gleichwohl wird §
12 Abs.
1 SGB V seinerseits in diversen Einzelnormen wie §
27a Abs.
1 Nr.
1 und
2, § 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 1, § 39 Abs. 1 Satz 2, §
40 Abs.
1, §
43 Abs.
1 und §
60 Abs.
1 Satz 1
SGB V - sowie im vertragsärztlichen Bereich durch die §§
70 Abs.
1 Satz 2,
72 Abs.
2,
75 Abs.
2 und
92 SGB V in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Sätze 1 und EKV - weiter konkretisiert (s.o. unter 1., S. 8). Hintergrund hierfür ist die Notwendigkeit, das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot
mit anderen wichtigen Grundprinzipien - einschließlich der Grundrechte der Leistungserbringer und der Versicherten - in Konkordanz
zu bringen (vgl. Ulmer in Eichenhofer/Wenner,
SGB V, §
13 Rn. 10, 17 ff.).
Eine solche Konkretisierung durch eine andere (unter-)gesetzliche Regelung ist hier zwingend erforderlich, was insbesondere
aus §
92 Abs.
1 SGB V folgt. Danach beschließt der GBA zur Sicherung der ärztlichen Versorgung Richtlinien über die Gewährung einer ausreichenden,
zweckmäßigen und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten. Nach dem klaren Wortlaut kann er dabei die Erbringung und Verordnung
von Leistungen einschränken oder ausschließen, wenn deren Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen ist. Ausdrücklich kann er
auch die Verordnung von Arzneimitteln einschränken oder ausschließen, wenn eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit
mit vergleichbarem diagnostischem oder therapeutischem Nutzen verfügbar ist. Weder im streitgegenständlichen Zeitraum noch
aktuell hat der GBA in der AMRL für den Vertragsarzt jedoch eine Vorgabe zur Beachtung der Bezugsquelle aufgestellt (siehe
zuvor unter d). Die in §
92 Abs.
2 SGB V niedergelegten umfangreichen Anforderungen an Richtlinien, um "dem Arzt die wirtschaftliche und zweckmäßige Auswahl der Arzneimitteltherapie"
zu ermöglichen, wären überflüssig, wenn der Beklagte auch ohne sie direkt aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot eine Verpflichtung
zur Wahl der preisgünstigsten Bezugsquelle ableiten könnte.
Auch §
72 Abs.
2 SGB V spricht dagegen, §
12 Abs.
1 SGB V als ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Regressfestsetzungen anzusehen. Danach ist die vertragsärztliche Versorgung
ausdrücklich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften und der Richtlinien des GBA durch schriftliche Verträge der Kassenärztlichen
Vereinigungen mit den Verbänden der Krankenkassen so zu regeln ist, dass eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche
Versorgung der Versicherten gewährleistet ist. Diese Vorschrift ginge ins Leere, wenn der Beklagte einseitig (ohne schriftliche
Verträge oder Richtlinienvorgaben) festlegen könnte, wie eine wirtschaftliche Versorgung der Versicherten inhaltlich zu geschehen
hat.
2. War damit bereits dem Hauptantrag stattzugeben, kam es auf das Hilfsbegehren der Klägerin nicht mehr entscheidend an. Insoweit
weist der Senat - sofern man sich seiner zuvor dargelegten Rechtsansicht nicht anschließen würde - nur darauf hin, dass auch
die Festsetzung des Regresses der Höhe nach rechtswidrig, da ermessensfehlerhaft war. Weil es sich vorliegend gerade nicht
um einen Arzneikostenregress wegen unzulässiger Verordnungen handelte, war insoweit auch eine Ermessensentscheidung zu treffen
(vgl. nochmals BSG, Urteil vom 3. Februar 2010 - B 6 KA 37/08 R, s.o.).
Dem Recht der Wirtschaftlichkeitsprüfung kommt im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung ein hoher Stellenwert zu. Bei der
Festlegung der Höhe der Honorarkürzungen als Reaktion auf eine festgestellte Unwirtschaftlichkeit steht den Prüfgremien regelmäßig
ein Ermessensspielraum zu, der eine ganze Bandbreite denkbarer vertretbarer Entscheidungen bis hin zur Kürzung des gesamten
unwirtschaftlichen Mehraufwandes ermöglicht und der gemäß §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG nur eingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegt (zur Geltung im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen siehe schon
BSG, Urteil vom 29. Januar 1997 - 6 RKa 5/96 - SozR 3-2500 § 106 Nr. 38; Urteil vom 21. Mai 2003 - B 6 KA 32/02 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 1). Die danach anzustellende gerichtliche Kontrolle bezieht sich darauf, ob die Behörde die gesetzlichen
Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Das schließt ein, dass alle für die Entscheidung relevanten Tatsachen bei der Ermessensausübung berücksichtigt worden sind.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Denn der Beklagte, der die Schadensberechnung der Beigeladenen zu 1) bei seinen Entscheidungen
unverändert übernommen hat, hat keinerlei Überlegungen im Hinblick auf eine Berücksichtigung des Arzneimittelherstellerrabatts
angestellt. Insoweit liegt ein vollständiger Ermessensausfall vor.
Die Rabattierungspflicht ist aber auch im Rahmen des § 47 AMG (= Fall des § 1 Abs. 3 Nr. 3 AMPreisV vom 14. November 1980, BGBl. I, 2147; zuletzt geändert durch Art. 3 des Apothekennotdienstsicherstellungsgesetzes
vom 15. Juli 2013, BGBl. I, 2420) zu beachten (siehe hierzu näher BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 3 KR 3/09 R - SozR 4-2500 § 130a Nr. 6; Urteil vom 27. Oktober 2009 - B 1 KR 7/09 R - SozR 4-2500 § 130a Nr. 4). Das geht auch konform mit der Rechtsprechung des 6. Senats des BSG. Denn nach dieser ist nur dann kein Raum für einen Rabattabzug und/oder einen Abzug von Patienteneigenanteilen, wenn die
Arzneimittel nicht - wie vorliegend - von Apotheken bezogen werden (siehe nochmals Urteil vom 3. Februar 2010 - B 6 KA 37/08 R - SozR 4-2500 § 106 Nr. 26). Allein maßgeblich ist insoweit die tatsächlich erfolgte Abgabeform, was sich aus Wortlaut, systematischem
Zusammenhang sowie Sinn und Zweck der einschlägigen Regelungen ergibt (siehe nochmals BSG, Urteil vom 27. Oktober 2009 - B 1 KR 7/09 R, aaO.).
a) Eine Nichtberücksichtigung des Rabatts ließe sich entgegen der Ansicht der Beigeladenen zu 1) auch nicht auf § 1 Abs. 3
Nr. 6 AMPreisV stützen, wonach das Arzneimittelpreisrecht für die Abgabe von Blutkonzentraten, die zur Anwendung bei der Bluterkrankheit
bestimmt sind, nicht gilt. Denn dieser Norm kommt jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang im Verhältnis zu § 1 Abs. 3 Nr.
3 AMPreisV keine eigenständige Bedeutung zu.
Letztgenannte Vorschrift knüpft an § 47 Abs. 1 Nr. 2a) AMG an. Bereits nach dessen Wortlaut kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass es sich auch beim hier relevanten Präparat
um eine Blutzubereitung handelt. Denn nach dem Gesetzestext, der auf "... aus menschlichem Blut gewonnene Blutzubereitungen
oder gentechnisch hergestellte Blutbestandteile, die, soweit es sich um Gerinnungsfaktorenzubereitungen handelt ..." abstellt,
sind Gerinnungsfaktoren ausdrücklich als eine Untergruppe von Blutzubereitungen zu verstehen. Hierfür spricht auch § 4 Abs. 2 AMG, der Blutzubereitungen dahin legal definiert, als dies Arzneimittel sind, die aus Blut gewonnene Blut-, Plasma- oder Serumkonserven,
Blutbestandteile oder Zubereitungen aus Blutbestandteilen sind oder als Wirkstoffe enthalten. Danach lassen sich Blutzubereitungen
in zwei Gruppen untergliedern, nämlich in Transfusionsprodukte und Plasmaderivate. Zu letzteren gehören insbesondere auch
Gerinnungsfaktoren zur Behandlung der Bluterkrankheit (siehe Hergert in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht,
2010, § 32 Rn. 6 und 8). Handelt es sich demnach bei den zur Behandlung von Blutern hergestellten Gerinnungsfaktoren um nichts
anderes als ein zum selben Zweck bestimmtes Blutkonzentrat gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 6 AMPreisV (= Blutzubereitung im Sinne des AMG), muss diese Vorschrift die gleiche Rechtsfolge nach sich ziehen, die § 1 Abs. 3 Nr. 3 AMPreisV in der zuvor aufgezeigten Auslegung durch das BSG, der sich der Senat anschließt, erfahren hat. Ansonsten würde das insoweit gefundene Ergebnis letztlich leer laufen, da die
zur Behandlung der Bluterkrankheit bestimmten Blutzubereitungen im vorliegenden Zusammenhang mit anderen Worten notwendigerweise
vom sachlichen Anwendungsbereich beider Normen erfasst werden.
Die von der Beigeladenen zu 1) vertretene Auffassung würde letztlich auch dem Ziel des Gesetzgebers widersprechen, das er
mit der Rabattierungsregelung des §
130a Abs.
1 SGB V und der dabei erfolgten Anknüpfung an das Arzneimittelpreisrecht verfolgte. Durch diese Regelung sollte nämlich insbesondere
Einfluss auf die Ausgabenentwicklung und die finanzielle Situation der gesetzlichen Krankenversicherung genommen und insoweit
auch den pharmazeutischen Unternehmen zur Stabilisierung des Aufwandes der Krankenkassen für die Arzneimittel ein angemessener
Beitrag abverlangt werden (vgl. BT-Drucks. 15/28, 1, 11 und 12). Wenn die Krankenkassen diesen Beitrag aber als Herstellerrabatt
vom Abgabepreis abziehen können, ist dies auch bei der Höhe der Regressfestsetzung zu beachten.
Auf §
130a Abs.
1 Satz 5
SGB V könnte die Beigeladene zu 1) sich ebenfalls nicht stützen. Selbst wenn nämlich der Gesetzgeber der Auffassung gewesen sein
sollte, auch eine Blutzubereitung wie das vorliegende Gerinnungspräparat werde nicht von der Herstellerrabattpflicht nach
§
130a SGB V erfasst, was durch die Anfügung des Satzes 5 an dessen Absatz 1 klargestellt werden sollte, ändert dies nichts an der sich
aus den §§ 43, 47 und 78 AMG sowie der AMPreisV ergebenden gegenteiligen Rechtslage (näher hierzu nochmals BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 3 KR 3/09 R - SozR 4-2500 § 130a Nr. 6).
b) Folglich wäre das Preisbildungssystem des § 1 Abs. 1 AMPreisV einschlägig und der vom Arzneimittelhersteller bekannt gemachte
sowie in der sogenannten "Lauer-Taxe" ausgewiesene Abgabepreis zu Grunde zu legen, über dessen Höhe zwischen den Beteiligten
kein Streit besteht. Danach ergäbe sich für das Quartal I/2007 auf Grundlage der von der Beigeladenen zu 1) mitgeteilten Daten
folgende Berechnung: Abzüglich der Zuzahlungen wurde das Präparat dem Versicherten 120mal zu einer Netto-Taxe i.H.v. insgesamt
117.752,40 EUR verordnet. Wird hiervon der nach §
130a Abs.
1a) Satz 1
SGB V einschlägige Rabatt subtrahiert, der sich auch nach den im streitgegenständlichen Zeitraum gültigen Fassungen der Vorschrift
auf 16 % des Nettoabgabepreises belief, ergibt sich ein Betrag i.H.v. 98.912,02 EUR. Dem ist der Netto-Herstellerpreis des
Medikaments i.H.v. 795,00 EUR multipliziert mit 120 gegenüber zu stellen (= 95.400,00 EUR). Wird dieser Wert von 98.912,02
EUR abgezogen, resultiert für das Quartal I/2007 ein Betrag i.H.v. 3.512,02 EUR (statt vom Beklagten entsprechend der Berechnung
der Beigeladenen zu 1) angesetzten 4.226,40 EUR). Wird entsprechend für die Quartale II bis IV/2006 verfahren (Netto-Taxe
i.H.v. jeweils insgesamt 114.782,40 EUR minus 16 % [= 96.417,22 EUR] abzüglich 95.400,00 EUR), ergibt sich jeweils ein Betrag
i.H.v. 1.017,22 EUR (statt jeweils 4.028,40 EUR). Zusammengerechnet würde dies gegenüber der vom Beklagten festgesetzten Regresssumme
i.H.v. 16.311,60 EUR zu einem Wert von 6.563,68 EUR führen.
Nach alledem war der Berufung stattzugeben.
Die Revision war nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zuzulassen, weil der Senat der Frage, inwieweit der Vertragsarzt im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots die Auswirkungen
der Bezugsquelle zu beachten hat, grundsätzliche Bedeutung zumisst. Entsprechendes gilt im Hinblick auf eine Berücksichtigung
des Herstellerrabatts bei einer ggf. vorzunehmenden Schadensberechnung.
Die Entscheidung zum Gegenstandswert ergibt sich aus §
197a Abs.
1 Satz 1 Halbsatz 1
SGG i.V.m. den §§ 1 Abs. 2 Nr. 3, 40 und 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz und entspricht der Höhe des insgesamt festgesetzten Regresses.