Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung
Verfassungsmäßigkeit der Kürzung des Zugangsfaktors
Keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung zwischen Pensionären und Rentnern
Verfassungsmäßigkeit der fehlenden Rückwirkung der Anhebung der Altersgrenze auf 65 Jahre für die Zurechnungszeit auf Bestandsrentner
Tatbestand
Streitig ist eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die am ___________ 1957 geborene Klägerin beantragte am 24. April 2015 eine Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten.
Mit Bescheid vom 18. November 2015 bewilligte die Beklagte ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. August 2014.
Als Rentenantrag gelte der am 6. August 2014 gestellte Antrag auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Die Anspruchsvoraussetzungen
seien seit dem 14. Oktober 2013 erfüllt (Beginn der Arbeitsunfähigkeit). Die Rente werde längstens bis zum 31. Januar 2023
(Monat des Erreichens der Regelaltersrente) gezahlt. Der monatliche Zahlbetrag betrage 1.051,86 EUR. Hierbei berücksichtigte
die Beklagte u.a. eine Zurechnungszeit von 64 Monaten (1. November 2013 bis 24. Februar 2019 bzw. bis zur Vollendung zur Vollendung
des 62. Lebensjahres) und einen verminderten Zugangsfaktor in Höhe von 0,108 (für die Anzahl der Kalendermonate für die Zeit
vom 1. November 2017 bis 31. Oktober 2020 vervielfältigt mit dem Faktor 0,003). Der für die Zeit vom 1. August 2014 bis 31.
Dezember 2015 ausgewiesene Nachzahlungsbetrag wurde zur Erfüllung von Erstattungsansprüchen an die Krankenkasse (1. August
2014 bis 13. April 2014 iHv 7.479,35 EUR) und die Agentur für Arbeit (14. April 2015 bis 31. Dezember 2015 8.954,96 EUR) überwiesen.
Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 8. Dezember 2015 Widerspruch gegen den Rentenbescheid. Der Bescheid entspreche nicht
den rechtsstaatlichen Grundsätzen des
Grundgesetzes (
GG). Er verstoße außerdem gegen Ziele des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (
SGB IX) sowie des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG). Ihre volle Erwerbsminderungsrente sei auf das Niveau des Arbeitslosengelds bzw. des Krankengeldes anzuheben. Die Rente
wegen Erwerbsminderung solle erreichen, dass der Lebensstandard nicht wesentlich eingeschränkt werde. Hierzu im Widerspruch
stehe die Einführung des gekürzten Zugangsfaktors. Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener Gleichbehandlung bedürfe es
analog zu der Mindestpension für Beamte in der gesetzlichen Rentenversicherung einer Mindestsicherung für Erwerbsminderungsrentner.
Ein weiteres Problem bestehe darin, dass die private Versicherungswirtschaft keine adäquaten Produkte vorhalte, die das Risiko
der Erwerbsminderung abdeckten, sodass ein Lebensstandard aus drei Säulen de facto Illusion sei. Es liege zudem ein Verstoß
gegen Art. 28 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vor. Danach sei der soziale Schutz und die Verwirklichung des Rechts
auf einen angemessenen Lebensstandard von Deutschland anzuerkennen. Dabei sei u.a. auch der gleichberechtigte Zugang zu Leistungen
und Programmen der Altersversorgung für Menschen mit Behinderungen zu sichern. Diese Vorgabe bedeute, dass auch Menschen mit
einer Erwerbsminderungsrente beim Bezug einer Altersrente nicht aufgrund ihrer Erwerbsminderung schlechter gestellt werden
dürften. Darüber hinaus richtete sich der Widerspruch auch gegen die von der Beklagten ermittelten Entgeltpunkte für Beitragszeiten.
Die Klägerin fügte diesbezüglich diverse Gehaltsunterlagen bei. Für die Zeiten der Pflege ihres Vaters von Juni 2008 bis Januar
2010 liege kein Gutachten des MDK vor. Ihr Vater habe eine Begutachtung zur Pflegestufe verweigert.
Die Beklagte nahm mit Schreiben vom 22. Februar 2016 Stellung. Der Zugangsfaktor richte sich nach §
77 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) und verringere sich demnach um 0,003 von 1,0 um jeden Kalendermonat, den die Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung
des 65. Lebensjahrs in Anspruch genommen werde. Bezüglich der Anerkennung von Pflichtbeitragszeiten für die Pflege ihres Vaters
in der Zeit von Juni 2008 bis Januar 2010 sei die Beklagte an die Entscheidungen der Pflegekasse gebunden. Hinsichtlich der
Berücksichtigung eines höheren beitragspflichtigen Einkommens für die Jahre 1985, 1991, 1995 und 1999 wies sie darauf hin,
dass das steuerpflichtige Einkommen nicht gleich dem rentenversicherungspflichtigen Einkommen ist. Für die Jahre 2000 bis
2002 seien die Entgelte nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze beitragspflichtig gewesen.
Mit Schreiben vom 31. Mai 2016 vertiefte die Klägerin ihr bisheriges Vorbringen und übersandte weitere Unterlagen.
Mit Bescheid vom 19. Juli 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Ihrem Begehren, eine Rentenzahlung in Höhe von Arbeitslosengeld
oder Krankengeld zu erhalten, könne nicht entsprochen werden. Bei der Rentenberechnung seien alle nachgewiesenen bzw. glaubhaftgemachten
Beitragszeiten und Anrechnungszeiten berücksichtigt worden. Die im Widerspruchsverfahren eingereichten Entgeltunterlagen entsprächen
den berücksichtigten Daten. Die Berechnung selbst entspreche den gesetzlichen Vorschriften. Der angefochtene Bescheid sei
daher nicht fehlerhaft. Soweit die Klägerin der Auffassung sei, das angewandte Recht sei nicht mit dem
GG vereinbar, weise sie darauf hin, dass sie - die Beklagte - bei ihrem Handeln an Recht und Gesetz gebunden sei. Sie dürfe
nicht prüfen, ob ein Gesetz verfassungsgemäß sei. Diese Prüfung erfolge nur durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Der
Bescheid sei deshalb nicht zu beanstanden.
Die Klägerin hat am 19. August 2016 Klage vor dem Sozialgericht Schleswig erhoben mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt
und vertieft hat. Analog zur Mindestversorgung bei Dienstunfähigkeit im Beamtenrecht sei bei der Erwerbsminderungsrente eine
Mindestsicherung als "Teilhabeäquivalenz" in Höhe des Arbeitslosengelds festzusetzen. Kürzungen bei vorzeitiger Inanspruchnahme
der Erwerbsminderungsrente seien als nicht verfassungsgemäß zu streichen, da die Abschläge das Gebot der Verhältnismäßigkeit
verletzten. Die Erwerbsminderungsrente werde aus individuell überprüften zwingenden gesundheitlichen Gründen in Anspruch genommen.
Der Zugang unterliege strengen sozialmedizinischen Prüfungen. Sie sei nicht als freiwillige Frührente zu behandeln. Wenn jemand
aufgrund einer Krankheit Erwerbsminderungsrente beantragen müsse, tue er es nicht, um vorzeitig in den Ruhestand zu wechseln,
sondern aufgrund massiver gesundheitlicher Einschränkungen. Deshalb dürften Erwerbsminderungsrentner nicht mit Abschlägen
auf ihre Rente belastet werden. Es sei weiter nicht nachvollziehbar, dass diverse versicherungsfremde Leistungen (z.B. Mütterrente)
aus der Gesetzlichen Rentenversicherung und nicht aus Steuermitteln beglichen würden.
Die Beklagte hat sich im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen und den Inhalt der streitigen Bescheide bezogen.
Das Sozialgericht hat die Klage, nach Anhörung der Beteiligten, mit Gerichtsbescheid vom 27. August 2018 abgewiesen. Der angefochtene
Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie habe keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente
in Höhe von Krankengeld oder 67 % entsprechend Arbeitslosengeld. Es fehle hierfür an einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage.
Die Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit sei, wie das BVerfG entschieden habe (Beschluss
vom 11. Januar 2011 - 1 BvR 3588/08), ein legitimes Ziel zur Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung und mit dem
GG vereinbar. Es liege hierin auch keine Verletzung der Eigentumsgarantie. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte die persönlichen
Entgeltpunkte infolge fehlerhafter Berechnung von zu geringem rentenversicherungspflichtigen Einkommen fehlerhaft berechnet
habe, lägen nicht vor. Die von der Klägerin angenommene verfassungswidrige Ungleichbehandlung zwischen Dienstunfähigkeitspensionen
von Beamten und Erwerbsminderungsrentnern hinsichtlich der Höhe greife ebenfalls nicht durch. Es handele sich um grundsätzlich
verschiedenartige Systeme, bei denen schon nicht zwei wesentlich gleiche Gruppen im Sinne von Art.
3 Abs.
1 GG ungleich behandelt würden. Im Beamtenrecht herrsche das sog. "Alimentationsprinzip", wonach aufgrund der besonders engen
gegenseitigen Beziehung zwischen Beamten und Dienstherrn eine besonders umfassende finanzielle Zuwendung des Dienstherrn erfolge.
Im Erwerbsminderungsrecht als Teil der gesetzlichen Rentenversicherung gelte hingegen das Versicherungsprinzip, wonach sich
die Rentenhöhe als Äquivalent von geleisteten Beiträgen und Versicherungszeiten darstelle. Allein diese unterschiedlichen
Systeme rechtfertigten unterschiedliche Bezüge im Falle der Dienst- und Erwerbsminderung. Soweit die Klägerin darüber hinaus
umfangreiche verfassungsrechtliche Bedenken äußere, so seien diese letztlich als sozialpolitische Forderungen einzuordnen,
die jedoch keine Vorlage an das BVerfG im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle im Sinne von Art.
100 GG gebieten würden. Die Kammer halte keine der möglichen rentenrechtlichen Normen, die die Höhe des Erwerbsminderungsrentenanspruchs
bedingten, für verfassungswidrig.
Die Klägerin hat gegen den ihr am 13. September 2018 zugestellten Gerichtsbescheid am 11. Oktober 2018 Berufung vor dem Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht erhoben. Sie vertieft und wiederholt ihr bisheriges Vorbringen. Insbesondere sehe sie sich in den Beschlüssen
der Bundesregierung zu Leistungsverbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten mit der Beschränkung, diese jeweils nur auf
Neuzugänge anzuwenden, in ihrem Grundrecht auf den Gleichheitssatz des Art.
3 Abs.
1 und
3 GG verletzt. Dass Bestandsrentner von der schrittweisen Anhebung der Zurechnungszeit ausgeschlossen seien, sei willkürlich.
Eine solche Schlechterstellung sei sozialpolitisch nicht zu rechtfertigen und verfassungswidrig. Für die Ungleichbehandlung
gebe es keine plausiblen Gründe. Ihr stünden daher die Neuerungen in Bezug auf die Anhebung der Zurechnungszeit nach dem EM-Leistungsverbesserungsgesetz
ab dem 1. Januar 2018 als auch nach dem RV-Leistungs- und Stabilisierungsgesetz ab dem 1. Januar 2019 zu. Der gewählte Stichtag
1. Januar 2019 wie auch die vorangegangenen (1. Januar 2018 und 1. Juli 2014) erschienen willkürlich, da das Ziel, eine Verbesserung
der Erwerbsminderungsrenten zu bewirken, damit nur partiell erreicht werde. Ein knapper Finanzrahmen, wie er zur Begründung
der Regelung vorgebracht worden sei, könne nicht die Benachteiligung einer einzelnen Gruppe von Versicherten rechtfertigen,
insbesondere nicht, wenn parteiübergreifend Einigkeit über die Notwendigkeit nach Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner
bestehe. Eine private Vorsorge gegen Erwerbsminderung sei gerade für gesundheitlich vorbelastete Personen unmöglich, u.a.
auch deshalb, weil die risikoadäquate Kalkulation von privaten Versicherungen gegen Erwerbsminderung weiterhin zulässig bleibe.
Das Ziel der Lebensstandardsicherung in der Altersvorsorge aus drei Säulen sei gescheitert. Des Weiteren sehe sie sich in
den Beschlüssen der Bundesregierung zur Beibehaltung der Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten in ihrem Grundrecht auf den
Gleichheitssatz des Art.
3 Abs.
3 GG und des Benachteiligungsgebots gemäß UN-BRK verletzt. Anders als bei der Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente sei
die Erwerbsunfähigkeit ein schicksalhaftes Ereignis, welches nicht geplant oder aufgehoben werden könne. Eine Parallele zu
den Abschlägen der Altersrente verbiete sich somit. Es liege kein ausreichender Sachgrund für eine Gleichbehandlung verschiedenartiger
Rentenarten vor. Bei der zum 1. Januar 2019 erfolgten Beitragssatzerhöhung in der Pflegeversicherung (3,3 % für Kinderlose)
handele es sich faktisch ebenfalls um eine Kürzung der Erwerbsminderungsrente, da die Beiträge von den Rentnern selbstständig
aufgebracht werden müssten.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 27. August 2018 aufzuheben und den Bescheid vom 18. November 2015 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juli 2016 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine volle Erwerbsminderungsrente
auf Dauer in Höhe des Krankengeldes gemäß UN-Behindertenrechtskonvention, hilfsweise ab dem 1. Januar 2018 und ab dem 1. Januar
2019 eine höhere Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung der seit dem 1. Januar 2018 und 1. Januar 2019 geltenden Zurechnungszeiten
und ohne Abschlag zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Mit Beschluss vom 8. August 2019 hat der Senat die Entscheidung über die Berufung der Berichterstatterin gemeinsam mit den
ehrenamtlichen Richtern gemäß §153 Abs. 5
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) übertragen.
Im Hinblick auf das vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassene Revisionsverfahren (B 13 R 24/20 R) hat die Berichterstatterin mit Verfügung vom 4. Januar 2021 das Ruhen des Verfahrens angeregt. Die Beklagte hat dem zugestimmt,
die Klägerin nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge
der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Über das Berufungsverfahren konnte gemäß §
153 Abs.
5 SGG durch die Berichterstatterin zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entschieden werden, nachdem der Senat mit Beschluss
vom 8. August 2019 eine entsprechende Übertragung vorgenommen hat.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 18. November
2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juli 2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Sie hat unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf eine höhere Erwerbsminderungsrente. Die Voraussetzungen
einer Vorlage an das BVerfG gemäß Art.
100 GG sind nicht erfüllt.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 18. November 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juli 2016
mit dem die Beklagte der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer ab dem 1. August 2014 unter Berücksichtigung
einer Zurechnungszeit von 64 Monaten und einem verminderten Zugangsfaktor von 0,108 bewilligt hat. Die Klägerin verfolgt ihr
Begehren auf eine höhere Erwerbsminderungsrente mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 und 4
SGG).
Für die von der Klägerin mit ihrem Hauptantrag begehrte Erwerbsminderungsrente in Höhe des Krankengeldes fehlt es bereits
an einer entsprechenden Rechtsgrundlage.
Die Beklagte hat die volle Erwerbsminderungsrente der Kläger gemäß §
43 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) entsprechend der gesetzlichen Vorschriften festgesetzt und berechnet.
Zum maßgeblichen Zeitpunkt der erstmaligen Festsetzung der Rente (vgl. §
300 SGB VI) betrug die Zurechnungszeit gemäß §
59 SGB VI idF des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes vom 23. Juni 2014 64 Monate. Danach beginnt die Zurechnungszeit bei einer Rente
wegen Erwerbsminderung mit dem Eintritt der hierfür maßgebenden Erwerbsminderung (vgl. §
59 Abs.
2 S. 1 Nr.
1 SGB VI aF) und endet mit Vollendung des 62. Lebensjahres (vgl. §
59 Abs.
2 S. 2
SGB VI aF). Der Leistungsfall wurde vorliegend auf den 14. Oktober 2013 bestimmt. Die Klägerin vollendete am ___________ 2019 ihr
62. Lebensjahr. Die Zurechnungszeit beträgt damit 64 Monate (1. November 2013 bis 24. Februar 2019).
Anhaltspunkte dafür, dass die Summer der persönlichen Entgeltpunkte unrichtig ermittelt oder berücksichtigt wurden, bestehen
nicht und werden auch von der Klägerin nicht mehr geltend gemacht.
Auch der Zugangsfaktor wurde von der Beklagten richtig bestimmt und festgesetzt. Die Kürzung des Zugangsfaktors erfolgte nach
§
77 Abs.
2 S.1 Nr.
3, S. 2
SGB VI und beträgt für die hier maßgeblichen 36 Kalendermonate insgesamt 0,108.
Der Senat sieht ebenso wie das Sozialgericht keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art.
3 Abs.
1 GG, das Benachteiligungsverbot des Art.
3 Abs.
3 S. 2
GG bzw. das Diskriminierungsverbot des Art.
5 Abs.
2 UN-BRK sowie Art
28 UN-BRK soweit die volle Erwerbsminderungsrente der Klägerin der Höhe nach nicht dem Zahlbetrag für das Krankengeld entspricht.
Soweit die Klägerin eine Verletzung von Art.
3 Abs.
1 GG im Hinblick auf die Beamten bei Dienstunfähigkeit zu gewährende Mindestpension rügt, verweist der Senat nach eigener Prüfung
auf die überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts im Gerichtsbescheid vom 27. August 2018, die zum Gegenstand auch der
hier getroffenen Entscheidung gemacht werden; §
153 Abs.
2 SGG.
Auch das in Art. 5 Abs. 2 UN-BRK normierte Diskriminierungsverbot, das unmittelbar zur Anwendung gelangt und im Wesentlichen
den Vorgaben des Art.
3 Abs.
2 Satz 2
GG entspricht (vgl. BSG, Urteil vom 6. März 2012 - B 1 KR 10/11 R, juris Rn. 31), stützt die Auffassung der Klägerin nicht.
Die Vorschriften zur Rentenhöhe bei Erwerbsminderungsrenten verstoßen nicht gegen das dort geregelte und auch verfassungsrechtlich
geschützte (Art
3 Abs.
3 GG) Benachteiligungsverbot behinderter Menschen (vgl. auch BVerfG zum geminderten Zugangsfaktor bei Erwerbsminderungsrenten,
Beschluss vom 11. Januar 2011 - 1 BvR 3588/08, juris). Die Regelungen knüpften bereits nicht an eine Behinderung im verfassungsrechtlichen und konventionsrechtlichen Sinne
an. Eine behinderungsbezogene Ungleichbehandlung liegt vor, wenn Regelungen und Maßnahmen die Situation des behinderten Menschen
wegen seiner Behinderung verschlechtern, indem ihm z.B. Leistungen, die grundsätzlich jedermann zustünden, verweigert würden
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997 - 1 BvR 9/97, juris Rn. 64 ff.; Beschluss vom 19. Januar 1999 - 1 BvR 2161/94, juris Rn. 53) oder bei einem Ausschluss von Entfaltungsmöglichkeiten oder Betätigungsmöglichkeiten, wenn dieser nicht durch
eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1997
- 1 BvR 9/97, juris Rn. 64 ff.).
Die Vorschriften zur Ermittlung der individuellen Höhe der Erwerbsminderungsrente stellen keine Diskriminierung der Klägerin
wegen ihrer Behinderung (Art. 5 Abs. 2 UN-BRK) dar. Denn die Vorschriften zur Rentenhöhe treffen alle in der Gesetzlichen
Rentenversicherung Versicherten in gleicher Weise und unabhängig vom Vorhandensein einer Behinderung. Es gilt grundsätzlich
das Äquivalenzprinzip, wonach die Höhe der Rente von der Höhe der beitragspflichtigen Einkommen sowie der Dauer der Beitragszahlungen
bzw. der erwarteten Rentenlaufzeit des Einzelnen abhängt. In Bezug auf den für die Rentenhöhe mit maßgeblichen Zugangsfaktor
(vgl. §
77 Abs.
2 S. 1 Nr.
3 SGB VI) hat das BVerfG einen Verstoß gegen Art.
3 Abs.
3 S. 2
GG ausdrücklich verneint (BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 1 BvR 3588/08, juris Rn. 54).
Aus Art. 28 Abs. 1 UN-BRK lassen sich bereits keine konkreten Rechtsansprüche von Behinderten ableiten, die über die im
SGB VI geregelten Ansprüche hinausgehen. Nach dieser Vorschrift erkennen die Vertragsstaaten das Recht von Menschen mit Behinderungen
auf einen angemessenen Lebensstandard für sich selbst und ihre Familien, einschließlich angemessener Ernährung, Bekleidung
und Wohnung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen an und unternehmen geeignete Schritte zum Schutz und
zur Förderung der Verwirklichung dieses Rechts ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung.
Es handelt sich nicht um eine unmittelbar anwendbare Norm, aus der sich ein Anspruch ableiten lässt. Dies ergibt sich aus
dem Wortlaut des Adressaten ("Die Vertragsstaaten...") sowie aus dem Kontext. Die Vorschrift ist erkennbar offen und als Programmsatz
für die Gesetzgebung formuliert (vgl. auch LSG Bayern, Urteil vom 30. September 2015 - L 2 P 22/13 und Urteil vom 12. April 2018 - L 8 SO 227/15, jeweils juris). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der deutsche Gesetzgeber
dagegen dadurch evident verstoßen hätte, dass die Erwerbsminderungsrente des
SGB VI anderen Bemessungsgrundlagen als das Krankengeld unterliegt und etwa im Falle der Klägerin niedriger ausfällt. Behinderten
Menschen, deren Erwerbsminderungsrente nicht zum Lebensunterhalt ausreicht, stehen weitere Sozialleistungen ergänzend zur
Sicherung eines angemessenen Lebensstandards im ausreichenden Maße zur Verfügung.
Zudem weißt der Senat drauf hin, dass die sich aus der UN-BRK ergebenden Verpflichtungen der Vertragsstaaten grundsätzlich
unter dem Vorbehalt der verfügbaren Mittel (Art. 4 Abs. 2 UN-BRK) stehen und mithin die Funktions- und Leistungsfähigkeit
der Gesetzlichen Rentenversicherung zu beachten ist.
Soweit die Klägerin schon jetzt negative Auswirkungen auf ihre Altersrente infolge des gekürzten Zugangsfaktors geltend macht,
ist eine entsprechende Beschwer mangels Altersrentenbezugs bereits nicht gegeben, sodass es diesbezüglich keiner weiteren
Ausführungen bedarf.
Auch, dass die Klägerin den aus ihrer Rente bemessenden Pflegeversicherungsbeitrag allein zu tragen hat, begegnet keinen verfassungsrechtlichen
Bedenken. Der Senat verweist insoweit auf die Entscheidung des BSG vom 29. November 2006 (B 12 RJ 4/05 R, juris) und macht sich diese zu eigen. Die gegen das Urteil erhobene Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG nicht zur Entscheidung
angenommen (Beschluss vom 7. Oktober 2008 - 1 BvR 299/09, juris).
Der von der Klägerin verfolgte Hilfsantrag ist ebenfalls unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine volle Erwerbsminderungsrente
ohne Berücksichtigung eines gekürzten Zugangsfaktors sowie unter Berücksichtigung der zum 1. Januar 2018 und 1. Januar 2019
geltenden Zurechnungszeiten.
Soweit die Klägerin sich gegen den um 0,108 geminderten Zugangsfaktor wendet, entspricht dieser - wie ausgeführt - der gesetzlichen
Vorschrift des §
77 Abs.
2 S. 1 Nr.
3, S. 2
SGB VI. Verfassungsrechtliche Zweifel an der Vorschrift des §
77 Abs.
2 S. 1 Nr.
3 SGB VI teilt der Senat nicht. Das BVerfG hat sich in seinem Beschluss vom 11. Januar 2011 - 1 BvR 3588/08, juris, bereits umfassend - auch mit den von der Klägerin geltend gemachten Argumenten - auseinandergesetzt und die Vorschrift
für vereinbar mit dem
GG gehalten. Demnach müssen Abschläge, die sich an der Tatsache des Eintritts in den Ruhestand vor Vollendung des Regelalters
orientieren, von Verfassungswegen nicht danach unterschieden werden, ob die Zurruhesetzung aus der Perspektive des Betroffenen
freiwillig oder unfreiwillig erfolgt. Dem Umstand, dass dies auch auf gesundheitlichen Einschränkungen beruht, hat der Gesetzgeber
dadurch ausreichend Rechnung getragen, dass die Kürzung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten bei weitem nicht die
Höhe der Kürzung bei vorzeitigen Altersrenten erreicht und zudem noch durch die Zurechnungszeiten teilweise kompensiert werden
(BVerfG - 1 BvR 3588/08, a.a.O., Rn. 49 m.w.N., 53). An der weiterhin bestehenden Gültigkeit der Entscheidung hat der Senat keine Zweifel.
Die Rente der Klägerin war auch nicht unter Berücksichtigung einer höheren Zurechnungszeit gemäß der zum 1. Januar 2018 bzw.
zum 1. Januar 2019 geltenden Vorschriften zu gewähren. Wie ausgeführt hat die Beklagte die Rentenbewilligung in Anwendung
des §
300 SGB VI unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung bereits in Kraft getretenen Vorschriften vorgenommen.
Nach Auffassung des Senats liegt keine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung im Sinne des Art.
3 Abs.
1 GG zwischen Bestandsrentnern und Neurentnern, die von der Anhebung der Zurechnungszeit ab dem 1. Januar 2018 bzw. 1. Januar
2019 profitieren, vor (so auch LSG NRW, Urteil vom 13. März 2020 - L 14 R 883/19, juris - anhängig BSG - B 13 R 24/20 R; vgl. auch zur Nichtanwendbarkeit des §
59 Abs.
2 S. 2
SGB VI idF des RV-Leistungsverbesserungsgesetz vom 23. Juni 2014 auf Bestandsrentner LSG Bayern, Urteil vom 28. September 2016 -
L 19 R 458/16, juris). Der Gesetzgeber kann grundsätzlich bei der Neuregelung von Lebenssachverhalten Stichtagsregelungen einführen, sofern
hierfür nachvollziehbare sachliche Gründe vorliegen (BVerfG, Beschluss vom 27. Februar 2007 - 1 BvL 10/00, juris Rn. 69 ff., insbesondere Rn. 73).
Für Neurentner wirkt sich die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre im Regelfall stärker aus als für
Bestandsrentner. Die durch die Erhöhung der Zurechnungszeit begründete Rentenerhöhung stellt insoweit auch einen Ausgleich
für die Anhebung der gesetzlichen Altersgrenzen dar. Zudem profitieren Rentnerinnen und Rentner, die bereits eine Rente beziehen
vom RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz ebenfalls. Mit dem Gesetz wurde eine Haltelinie eingeführt, die sicherstellt,
dass das Rentenniveau bis zum Jahr 2025 mindestens 48 Prozent beträgt (vgl. §
154 Abs.
3 SGB VI). Hinzukommt, dass eine Gefährdung des Systems der Gesetzlichen Rentenversicherung nicht ausgeschlossen wäre, wenn sämtliche
Leistungsverbesserungen nicht nur für Neurentner Anwendung finden würden, sondern alle Bestandrentner mit umfassten. Durch
die Einbeziehung der Bestandsrentner wären weitere erhebliche finanzielle Mittel erforderlich (vgl. BT-Drs. 19/5412). Die
Funktionsfähigkeit des Rentenversicherungssystems als solches ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG und des BVerfG ein übergeordnetes Gut des Gemeinwohls, das eine sachliche Differenzierung im Sinne des Art.
3 Abs.
1 GG und auch eine Stichtagsregelung für die Anwendung einer gesetzlichen Neuregelung rechtfertigt. Eine Willkürlichkeit der Stichtagsregelungen
durch das EM-Leistungsverbesserungsgesetz oder das RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetz vermag der Senat nicht
zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war im Hinblick auf das vor dem BSG anhängige Verfahren - B 13 R 24/20 R wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zuzulassen.