Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Zugunstenverfahren über einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer höheren Erwerbsminderungsrente
unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors 1,0.
Dem ________________ 1965 geborene Kläger wurde von der Beklagten mit Bescheid vom 14. Juni 2006 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung
auf Zeit ab dem 1. Mai 2006 bewilligt, die in der Folgezeit mit Bescheid vom 8. September 2008 bis zum 30. September 2011
und danach mit weiterem Bescheid vom 11. Juli 2011 bis zum 30. September 2014 befristet wurde. Sie berechnete die Rente unter
Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 0,892.
Am 28. Januar 2014 beantragte der Kläger die Überprüfung des Rentenbescheids vom 11. Juli 2011 und begehrte die Neuberechnung
unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts im Urteil vom 16. Mai 2006 (Az. B 4 RA 22/05 R), nach der Beziehern von Erwerbsminderungsrenten, die - wie er - das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, eine abschlagsfreie
Rente zu gewähren sei.
Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Februar 2014 und Widerspruchsbescheid vom 5. März 2014 ab. Zur Begründung
führte sie aus, dass die Minderung des Zugangsfaktors auf 0,892 nicht zu beanstanden sei. Der Beginn der Rente wegen Erwerbsminderung
am 1. Mai 2006 liege beim Kläger vor Vollendung des für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebenden Lebensalters von 60
Jahren und 0 Monaten. Der Zeitraum der vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente beginne am 1. Oktober 2025 nach Ablauf des Kalendermonats
in dem der Kläger das 60. Lebensjahr vollendet und in der am 30. September 2028 mit Ablauf des Kalendermonats der Vollendung
des 63. Lebensjahres. Dieser Zeitraum umfasse 36 Kalendermonate. Der Zugangsfaktor für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage
von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente gewesen seien, vermindere sich danach um 36 × 0,003 = 0,108 und betrage damit
0,892. Die Minderung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten sei Gegenstand zahlreicher sozialgerichtliche Verfahren
und zweier Verfahren beim Bundesverfassungsgericht gewesen. Das Bundesverfassungsgericht habe entschieden, dass die Minderung
des Zugangsfaktors bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach §
77 Abs.
2 Satz 1 Nr.
3 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) mit dem
Grundgesetz vereinbar sei (Beschluss vom 11. Januar 2011 - 1 BvR 3588/09 und 1 BvR 555/09). Danach sei die Minderung der Erwerbsminderungsrente geeignet und erforderlich gewesen, die Finanzierung der gesetzlichen
Rentenversicherung sicherzustellen und die Betroffenen im Übrigen nicht übermäßig zu belasten. Dabei sei zu berücksichtigen,
dass bei einem Rentenbeginn vor Vollendung des 60. Lebensjahres nicht nur der Zugangsfaktor gemindert, sondern auch die Zurechnungszeit
aufgewertet werde. Die Minderung der Rente belaste diese Versicherten deshalb nicht übermäßig. Bei Versicherten mit einem
Rentenbeginn ab dem vollendeten 60. Lebensjahr sei die Minderung des Zugangsfaktors gerechtfertigt, weil sonst zu befürchten
gewesen sei, dass anstelle einer mit Abschlägen behafteten Altersrente eine abschlagsfreie Erwerbsminderungsrente in Anspruch
genommen wäre.
Dagegen hat der Kläger am 4. April 2014 Klage beim Sozialgericht Schleswig erhoben und sein Begehren weiterverfolgt.
Er hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 4. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. März 2014 zu verpflichten,
ihm eine Rente wegen Erwerbsminderung mit einem ungekürzten Zugangsfaktor von 1,0 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nachdem das Sozialgericht die Beteiligten mit Verfügung vom 15. September 2015 zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid
angehört hat, hat es die Klage mit Gerichtsbescheid vom 1. April 2016 abgewiesen. Die als kombinierter Anfechtungs-, Verpflichtungs-
und Leistungsklage zulässige Klage sei unbegründet, weil die angefochtenen Bescheide rechtmäßig seien und den Kläger nicht
in seinen Rechten verletzten. Er habe keinen Anspruch auf Änderung des Rentenbescheids vom 11. Juli 2011 und Verpflichtung
der Beklagten zur Gewährung einer abschlagsfreien Rente mit einem ungekürzten Zugangsfaktor von 1,0. Die Beklagte habe die
hier maßgeblichen Regelungen des §
77 Abs.
2 Satz 1 Nr.
3 und Satz 2 und Satz 3
SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung zutreffend angewendet und den Zugangsfaktor mit 0,892 zutreffend berechnet.
Die Kürzung des Zugangsfaktors bei Renten wegen Erwerbsminderung sei mit Verfassungsrecht vereinbar. Der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage schließe es sich an. Soweit sich der Kläger auf die Rechtsprechung des 4. Senats
des Bundessozialgerichts im Urteil vom 16. Mai 2006 berufe, könne dies seiner Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Denn das Bundessozialgericht
habe diese Rechtsprechung zwischenzeitlich aufgegeben. Die nunmehr für das Rentenversicherungsrecht allein zuständigen Senate
(5. und 13. Senat) hätten zwischenzeitlich wiederholt entschieden, dass Erwerbsminderungsrentner nach dem Sinn des §
77 Abs.
2 SGB VI eine Absenkung des Zugangsfaktors auch dann hinnehmen müssten, wenn sie bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet
hätten, weil die Regelung letztlich nur die Höhe der Rentenabsenkung begrenzen könne. Dieser Auslegung, die auch das Bundesverfassungsgericht
nicht beanstandet habe, schließe sich die Kammer an. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf Bl 40 ff. der Gerichtsakte
Bezug genommen.
Gegen diesen ihm am 6. April 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger mit Schriftsatz vom 3. Mai 2016, der am Montag
den 9. Mai 2016 beim Sozialgericht Schleswig eingegangen ist, Berufung eingelegt.
Zur Begründung vertieft er sein bisheriges Vorbringen. Die Kürzung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten für unter
60-jährige Versicherte verstoße gegen die eindeutige Gesetzeslage.
Er beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen entsprechend,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 1. April 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. Februar 2014 in
Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. März 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Bescheid vom 11. Juli
2011 zu ändern und ihm eine höhere Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung eines ungekürzten Zugangsfaktors 1,0 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Der Senat hat die Berufung dem Berichterstatter mit Beschluss vom 18. Juli 2016 zur Entscheidung übertragen.
Die Leistungsakten des Beklagten haben dem Senat vorgelegen. Auf diese Akten und auf die Gerichtsakte wird wegen der Einzelheiten
des Sach- und Streitstands ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Berichterstatter hat gemäß §
153 Abs.
5 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheiden können, weil das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid gemäß §
105 SGG entschieden hat und ihm der Senat die Berufung mit Beschluss vom 18. Juli 2016 übertragen hat. Die Voraussetzungen des §
105 Abs.
1 Satz 1
SGG haben vorgelegen, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufgewiesen hat und
der Sachverhalt geklärt gewesen ist.
Das Gericht hat ohne den ausgebliebenen Kläger (einseitig) mündlich verhandeln und auf Grundlage dieser Verhandlung entscheiden
können (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
126 Rn. 4). Der Kläger ist mit Verfügung vom 22. Dezember 2016 ordnungsgemäß geladen worden (vgl. §
110 Abs.
1 SGG). Die Verfügung ist ihm am 27. Dezember 2016 zugestellt worden. Eine Verhinderung hat der Kläger nicht geltend gemacht.
Das Gericht lässt es ausnahmsweise dahinstehen, ob die Berufung zulässig ist (zur Zulässigkeit dieser Vorgehensweise BSG, Urteil vom 29. Januar 2008 - B 7/7a AL 6/06 R -SozR 4-4100 § 128 Nr 8; vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
a.a.O., Vor §
143 Rn. 2a m.w.N.). Die Berufungsfrist (§
151 Abs.
1 SGG) war allerdings bereits abgelaufen, bevor die Berufungsschrift des Klägers beim Sozialgericht (vgl. §
151 Abs.
2 Satz 1
SGG) eingegangen ist. Nach Zustellung des Gerichtsbescheids am 6. April 2016 begann der Lauf der einmonatigen Berufungsfrist
am 7. April 2016 und endete am Freitag, den 6. Mai 2016, 24.00 Uhr. Allerdings hätte der Fall Anlass geben können, dem Kläger
nach §
67 Abs.
2 Satz 4
SGG Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren, weil der Tag des Fristendes zwischen einem gesetzlichen Feiertag (Christi
Himmelfahrt am 5. Mai 2016) und dem Wochenende gelegen hat und es angesichts des Feiertags möglicherweise zu einer verzögerten
Postbeförderung gekommen war. Die Schwierigkeiten, mögliche Wiedereinsetzungsvoraussetzungen zu ermitteln, wären nach freiem
Ermessen des erkennenden Senats in Anbetracht des Einzelfalls unverhältnismäßig gewesen.
Denn die Berufung ist jedenfalls offensichtlich unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht
die zulässige kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1 Satz 1, Abs.
4 SGG), gerichtet auf Verpflichtung der Beklagten zur Änderung des bestandskräftigen Bewilligungsbescheids vom 11. Juli 2011 und
Gewährung höherer Erwerbsminderungsrente unter Berücksichtigung eines ungekürzten Zugangsfaktors als unbegründet abgewiesen.
Der ablehnende Bescheid vom 4. Februar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. März 2014 ist rechtmäßig und vermag
den Kläger nicht zu beschweren. Der Senat nimmt auf die in jeder Hinsicht überzeugenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen
Gerichtsbescheid Bezug, weist die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück und sieht von einer weiteren
Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§
153 Abs.
2 SGG). Das Berufungsvorbringen des Klägers gibt zu weiteren Ausführungen keinen Anlass.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG. Sie orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.
Gründe, gemäß §
160 Abs.
2 SGG die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.