Anforderungen an das Vorliegen einer Klagerücknahmefiktion im sozialgerichtlichen Verfahren
Anhaltspunkte für Zweifel am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses
Tatbestand
Strittig ist zwischen den Beteiligten der Eintritt der Erledigung eines Klageverfahrens nach Rücknahmefiktion.
Die miteinander verheirateten Kläger stehen dauerhaft im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch, 2. Buch (SGB II) bei dem Beklagten und führen in diesem Zusammenhang zahlreiche Rechtsstreitigkeiten gegen den Beklagten.
Am 27. Januar 2017 haben die Kläger vor dem Sozialgericht Schleswig Klage erhoben und dabei die Leistungsgewährung durch den
Beklagten als fehlerhaft bezeichnet. Die Daten von Bescheiden, gegen die sich die Klage richten sollte, war in ihrer Klageschrift
nicht benannt.
Das Sozialgericht hat die Kläger mit Schreiben vom 2. März 2017 aufgefordert, mitzuteilen, gegen welche Bescheide und Widerspruchsbescheide
sich die Klage richten soll. Nachdem die Kläger darauf nicht reagiert haben hat das Sozialgericht an diese Aufforderung mit
Schreiben vom 2. Mai 2005 erinnert und die Kläger gleichzeitig aufgefordert, anzugeben, welches konkrete Ziel mit der Klage
erreicht werden solle. Das Sozialgericht hat die Kläger darauf hingewiesen, dass die Klage gemäß §
102 Abs.
2 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) als zurückgenommen gelte, wenn das Verfahren trotz Aufforderung durch das Gericht länger als 3 Monate nicht betrieben werden
und diese zur Betreibung des Klageverfahrens aufgefordert. Dieses Schreiben ist den Klägern ausweislich der in der Akte befindlichen
Postzustellungsurkunde am 5. Mai 2017 zugestellt worden.
Nachdem in den nächsten Monaten bis einschließlich Anfang September 2017 kein Eingang seitens der Kläger feststellbar war,
hat das Sozialgericht den Beteiligten mit Schreiben vom 4. September 2017 mitgeteilt, dass die Klage nach §
102 Abs.
2 Satz 1
SGG als zurückgenommen gelte und das Verfahren damit beendet sei.
Darauf haben die Kläger mit Schreiben vom 7. September 2017 reagiert und der Erledigung des Klageverfahrens inhaltlich widersprochen.
Das Sozialgericht hat das inhaltliche Vorbringen der Kläger als Fortsetzungsbegehren gewertet.
Nach Anhörung der Beteiligten zu der beabsichtigten Verfahrensweise hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 8. Januar
2019 festgestellt, dass die am 27. Januar 2017 unter dem Aktenzeichen S 16 AS 68/17 erhobene Klage seit dem 7. August 2017 als zurückgenommen gilt.
Der Gerichtsbescheid ist den Klägern ausweislich der in der Akte befindlichen Zustellungsurkunden am 11. Januar 2019 zugegangen.
Am 13. Februar 2019 ist die Berufungsschrift der Kläger vom 1. Februar 2019 bei dem Sozialgericht Schleswig ein gegangen,
die von dem Sozialgericht zuständigkeitshalber an das Landessozialgericht verwiesen worden ist.
Die Kläger beantragen,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 8. Januar 2019 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr höhere
Unterkunftskosten zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Kläger haben mit Schriftsatz vom 20. März 2020 gegenüber dem Sozialgericht unter Benennung der erstinstanzlichen Aktenzeichen
dieses Verfahrens Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begehrt.
Mit Beschluss vom 24. September 2020 hat das Landessozialgericht die Berufung dem Berichterstatter übertragen.
Ergänzend wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie den weiteren Inhalt der
Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte gemäß §
153 Abs.
5 SGG durch den Berichterstatter und die ehrenamtlichen Richter über die Berufung entscheiden, weil das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid
gemäß §
105 Abs.
1 SGG entschieden hat und der Senat die Berufung zuvor dem Berichterstatter durch Beschluss übertragen hat.
Die Berufung ist bereits nicht zulässig, denn sie ist nicht fristgerecht eingelegt worden. Gemäß §
151 Abs.
1 SGG in Verbindung mit §
105 Abs.
3 SGG ist die Berufung bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids schriftlich oder
zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Einlegung der Berufung bei dem Sozialgericht wahrt diese
Frist gemäß §
151 Abs.
2 SGG. Darauf sind die Kläger in der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Gerichtsbescheids auch hingewiesen worden.
Der angefochtene Gerichtsbescheid ist den Klägern am 11. Januar 2019 zugestellt worden. Gemäß §
64 Abs.
1, Abs.
2 SGG endete die Frist am 11. Februar 2019. Eine Verlängerung dieser Frist gemäß §
64 Abs.
3 SGG war nicht vorzunehmen, denn das Fristende fiel weder auf einen Samstag oder Sonntag noch auf einen gesetzlichen Feiertag.
Der 11. Februar 2019 war vielmehr ein Montag.
Die Berufung ist indessen erst am 13. Februar 2019 und damit 2 Tage zu spät bei dem Sozialgericht Schleswig eingegangen.
Den Klägern ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Berufungsfrist zu gewähren. Die
Kläger haben zwar am 20. März 2020 einen nicht weiter begründeten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt.
Diese Antragstellung lässt aber schon nicht erkennen, ob sie überhaupt auf die Berufungsfrist bezogen ist, sie ist vor allem
aber ihrerseits nicht fristgerecht, denn gemäß §
67 Abs.
3 SGG ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist unzulässig, außer
wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Ungeachtet
dessen sind auch keine Wiedereinsetzungsgründe im Sinne von §
67 Abs.
1 SGG ersichtlich. Es ist nicht ersichtlich, dass die Kläger ohne Verschulden daran gehindert gewesen wären, die Berufungsfrist
einzuhalten.
Gemäß §
158 SGG war die Berufung daher als unzulässig zu verwerfen. Eine Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt.
Der Senat weist aber außerhalb der Entscheidung rein deklaratorisch darauf hin, dass die Berufung bei fehlender Unzulässigkeit
unbegründet wäre denn das Sozialgericht hat zu Recht mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid festgestellt, dass die Klage als
zurückgenommen gilt. Grundlage für die Entscheidung des Sozialgerichts ist §
102 Abs.
2 SGG. Danach gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate
nicht betreibt. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 ergebende Rechtsfolge hinzuweisen. Diese Voraussetzungen
lagen vor. Auch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der bestehenden Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses
war gegeben. Das Sozialgericht konnte infolge seiner fruchtlosen Konkretisierungsaufforderung vom 2. März 2017 Zweifel an
dem fortbestehenden Rechtsschutzinteresse der Kläger hegen. Es hat die Kläger mit Schreiben vom 2.Mai2017 daher zu Recht und
formgerecht zur Betreibung des Verfahrens aufgefordert und diese dabei auf die Rechtsfolge aus §
102 Abs.
2 SGG hingewiesen. Dieses Schreiben ist den Klägern auch am 5 Mai 2017 zugestellt worden. Da die Kläger das Verfahren trotz Zustellung
der ordnungsgemäßen Betreibensaufforderung mehr als 3 Monate lang nicht betrieben haben gilt die Klage als zurückgenommen.
Die Wirkung der Rücknahme ist dabei 3 Monate nach Zustellung der Betreibens Aufforderung eingetreten, also am 5. August 2017,
einem Freitag. Dass das Sozialgericht die Wirkung der Rücknahmefiktion demgegenüber in dem angefochtenen Gerichtsbescheid
auf den 7. August 2017 datiert hat, hindert die Rechtmäßigkeit des Gerichtsbescheides nicht.
Die Kostenentscheidung beruht §
193 Abs.
1, Abs.
4 SGG und folgt der Sachentscheidung.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor.