LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.12.2016 - 7 R 92/15
Rückwirkende Aufhebung einer Rentenauszahlung
Erzielung von Einkommen oder Vermögen
Ruhen eines Sozialleistungsanspruchs
Spätere Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung
1. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X kann auf Konstellationen, in denen die Erzielung von Einkommen oder Vermögen nachträglich nicht zum Wegfall oder zur Minderung,
sondern zum Ruhen eines Sozialleistungsanspruchs führt, analog angewandt werden.
2. Die Frage, in welchem Umfang ein Leistungsbezieher einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus einer späteren Bewilligung
einer Rente wegen voller Erwerbsminderung im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X "Einkommen erzielt", wenn der Rentenversicherungsträger aus dem Nachzahlungsbetrag der Rente wegen voller Erwerbsminderung
vor Auskehrung an den Versicherten Erstattungsansprüche anderer Sozialleistungsträger ausgleicht, hat grundsätzliche Bedeutung.
Normenkette: SGB X § 50 Abs. 1 ,
SGB X § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3
Vorinstanzen: SG Schleswig 19.05.2015 S 21 R 116/13
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 19. Mai 2015 aufgehoben. Die Bescheide der
Beklagten vom 04. Juli 2012 und 10. August 2012 jeweils in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2013 werden
aufgehoben, soweit eine Erstattungsforderung in Höhe von 2.804,81 EUR festgesetzt wurde. Die Beklagte trägt die notwendigen
außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Revision wird zugelassen.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die rückwirkende Aufhebung einer Rentenauszahlung für den Zeitraum 01. Oktober 2011 bis 31.
August 2012 und eine verbleibende Erstattungsforderung der Beklagten in Höhe von 2.804,81 EUR.
Auf Antrag der am 05. Januar 1954 geborenen Klägerin gewährte die Beklagte ihr mit Bescheid vom 06. Februar 2007 mit Wirkung
ab dem 1. September 2006 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Der Auszahlungsanspruch für diese Rente betrug monatlich
525,28 EUR (monatlicher Rentenanspruch vor Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen: 609,25 EUR). Ab März 2007 ging die Klägerin
halbtags einer Erwerbstätigkeit in abhängiger Beschäftigung beim Schleswig-Holsteinischen Landtag nach. Sie arbeitete als
Referentin.
Die Klägerin war ab dem 19. September 2011 arbeitsunfähig und bezog ab dem 31. Oktober 2011 Krankengeld. Die Klägerin ist
bei der AOK NORDWEST gesetzlich krankenversichert. Am 24. November 2011 beantragte sie bei der Beklagten eine Rente wegen
voller Erwerbsminderung.
Mit Bescheid vom 4. Juli 2012 gewährte die Beklagte der Klägerin anstelle der bisherigen Rente ab dem 01. Oktober 2011 Rente
wegen voller Erwerbsminderung. Der monatliche Auszahlungsbetrag ab dem 1. September 2012 betrug 1.172,84 EUR. Für die Zeit
vom 01. Oktober 2011 bis zum 31. August 2012 errechnete die Beklagte einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 12.675,61 EUR. Die
Nachzahlung wurde vorläufig nicht ausgezahlt, da zunächst Ansprüche der Krankenkasse der Klägerin zu klären waren.
Mit dem Bescheid vom 4. Juli 2012 (Anlage 10) hob die Beklagte den Bescheid vom 06. Februar 2007 über die Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung hinsichtlich des Zahlungsanspruches für die Zeit vom 01. Oktober 2011 bis zum 31. August 2012 auf. Sie errechnete
ferner eine Überzahlung in Höhe von 6.337,76 EUR, die zu erstatten sei. Durch den Auszahlungsanspruch auf Rente wegen voller
Erwerbsminderung sei im Hinblick auf den Auszahlungsanspruch für die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung eine wesentliche
Änderung eingetreten. Da nach Erlass des Bescheides vom 6. Februar 2007 durch den Auszahlungsanspruch aus der Rente wegen
voller Erwerbsminderung Einkommen erzielt worden sei, welches zum Wegfall des Anspruchs führe, sei dieser Bescheid mit Wirkung
ab dem 1. Oktober 2011 aufzuheben.
Am 13. Juli 2012 legte die Klägerin Widerspruch ein.
Die AOK NORDWEST berechnete für die Zeit vom 31. Oktober 2011 bis zum 28. Juni 2012 einen Erstattungsanspruch in Höhe von
insgesamt 9.142,66 EUR wegen gezahlten Krankengeldes. Der Erstattungsanspruch setzt sich wie folgt zusammen: Die AOK NORDWEST
zahlte für jeden Tag den Tagessatz für Krankengeld in Höhe von 47,75 EUR. Für den 31. Oktober 2011 zahlte sie somit 47,75
EUR. Für die Zeit vom 01. November 2011 bis zum 31. Mai 2012 zahlte sie insgesamt 10.027,50 EUR und für die Zeit vom 01. Juni
2012 bis 28. Juni 2012 1.337,00 EUR. Den Zahlungen für diese Zeiträume stellte sie Rentenansprüche der Klägerin in Höhe von
37,02 EUR für den 31. Oktober 2011, 8.034,39 EUR für den Zeitraum 01. November 2011 bis 31. Mai 2012 und 1071,25 EUR für die
vom Zeit 1. bis 28. Juni 2012 insgesamt 9.142,66 EUR gegenüber.
Mit Bescheid vom 10. August 2012 hob die Beklagte den Bescheid vom 06. Februar 2007 über die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
hinsichtlich des Zahlungsanspruches für die Zeit ab 01. Oktober 2011 auf. Für die Zeit vom 01. Oktober 2011 bis 31. August
2012 ergebe sich eine Überzahlung von 6.337,76 EUR. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten. Er sei im Interesse der Klägerin
bereits mit der Nachzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung aus dem Bescheid vom 04. Juli 2012 verrechnet worden,
die nach Erfüllung der Ansprüche anderer Stellen - gemeint der AOK NORDWEST - verblieben sei. Die restliche Überzahlung betrage
noch 2.804,81 EUR. Dieser Betrag sei zurückzuzahlen. Wenn für denselben Zeitraum Ansprüche auf mehrere Renten aus eigener
Versicherung beständen, werde nach § 89 Abs. 1 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ( SGB VI) nur die höchste Rente geleistet. Die mit Bescheid vom 04. Juli 2012 bewilligte Rente wegen voller Erwerbsminderung stelle
bezogen auf die mit Bescheid vom 06. Februar 2007 bewilligte Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung Einkommen im Sinne des
§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar. In ihrer Begründung bezog sich die Beklagte auf das Urteil des BSG vom 07. September 2010, Az B 5 KN 4/08 R.
Gegen den Bescheid vom 10. August 2012 legte die Klägerin am 17. August 2012 Widerspruch ein. Die Berechnung der Rückforderung
in Höhe von 6.337,76 EUR sei rechtswidrig. Das von der Beklagten zitierte Urteil könne auf ihren Fall keine Anwendung finden.
Es habe sich um eine Einzelfallentscheidung gehandelt und nicht um eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung, die
nunmehr auf alle Verfahren Anwendung zu finden habe. Ferner handele es sich bei der Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht
um Einkommen im Sinne des § 48 SGB X, da es sich um dieselbe Rentenart handele. Sie habe auf den Bezug der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung vertrauen dürfen
und daneben Hinzuverdienst erzielt bzw. Krankengeld bezogen. Die Aufhebung der Teilrente stelle hierzu eine Änderung zu ihren
Ungunsten dar, da es ihr gegenüber damit zu einer Überzahlung komme, die sie persönlich zurückzuzahlen habe. Da eine Rente
wegen teilweiser Erwerbsminderung und wegen voller Erwerbsminderung jeweils dieselbe Rentenart sei, sei die Nachzahlung lediglich
in Höhe der Differenz zwischen der teilweisen und der vollen Erwerbsminderungsrente festzustellen. Diese Nachzahlung sei dann
auch korrekterweise mit der Krankenkasse abzurechnen. Ferner sei die Reihenfolge der getätigten Erstattungen nicht nachvollziehbar.
Die Widersprüche gegen die Bescheide vom 04. Juli 2012 und 10. August 2012 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom
17. April 2013 zurück. Nach Verrechnung mit der noch aus dem Bescheid vom 04. Juli 2012 zur Verfügung stehenden Nachzahlung
in Höhe von 3.532,95 EUR ergebe sich ein noch zu erstattender Überzahlungsbetrag in Höhe von 2.804,81 EUR. Im Übrigen wiederholte
und vertiefte die Beklagte die Begründungen vom 04. Juli 2012 und 10. August 2012. Die zitierte Entscheidung des BSG sei zwar zu einer Rente für Bergleute ergangen, sei jedoch auf andere Fallgestaltungen übertragbar. Die Träger der Rentenversicherung
hätten sich entschieden, dem vorgenannten Urteil des BSG beim Zusammentreffen mehrerer Renten nach § 89 SGB Sechstes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB VI) mit Erstattungsansprüchen nach § 103 SGB X über den Einzelfall hinaus zu folgen. Nach sorgfältiger Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Rückzahlung und
den privaten Interessen der Klägerin müsse sie von ihrem Rückforderungsanspruch Gebrauch machen. Sie sei verpflichtet, das
Vermögen der Versichertengemeinschaft nach bestem Wissen und Gewissen treuhänderisch zu verwalten. Das zwinge zu einer sparsamen
Haushaltsführung, so dass auf eine Rückforderung nicht verzichtet werden könne. Die Fristen für die Bescheidrücknahme nach
§ 45 Abs. 3 bzw. 4 SGB X seien nicht abgelaufen.
Dagegen hat die Klägerin am 06. Mai 2013 bei dem Sozialgericht Schleswig Klage erhoben. Sie hat ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren
wiederholt und vertieft. Ergänzend hat sie die Auffassung vertreten, in § 89 SGB VI sei nicht geregelt, dass ein grundsätzlich bestehender Anspruch als solcher ende. Die Rentenansprüche sollten danach im Grundsatz
bestehen bleiben, lediglich der Auszahlungsanspruch auf die niedrigere Rente werde gehemmt. In der von der Beklagten zitierten
Entscheidung des BSG sei es um Renten mit unterschiedlichen Schutzfunktionen gegangen. Hier gehe es um ein und dieselbe Rente mit einer einheitlichen
Schutzfunktion, nämlich dem Schutz vor dem Risiko, bei eingeschränktem Leistungsvermögen nicht mehr in vollem Umfang auf dem
allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein zu können. Die Rente wegen voller Erwerbsminderung gehe daher in der Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung (teilweise) auf. Daher scheide eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X aus. Dementsprechend könnten Forderungen der Krankenversicherung nur gegebenenfalls mithilfe des im Bescheid vom 04. Juli
2012 ausgewiesenen Nachzahlungsbetrages beglichen werden, Rückerstattungsansprüche gegenüber der Klägerin könnten jedoch nicht
geltend gemacht werden.
Die Klägerin hat beantragt,
die Bescheide der Beklagten vom 04. Juli 2012 und 10. August 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2013
aufzuheben, soweit damit ein Betrag von 2.804,81 EUR zur Erstattung verlangt worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid bezogen.
Das Sozialgericht Schleswig hat die Klage mit Urteil vom 19. Mai 2015 abgewiesen. Die Beklagte könne von der Klägerin noch
einen Betrag in Höhe von 2.804,81 EUR zur Erstattung verlangen. Der im Bescheid vom 04. Juli 2012 ausgewiesene Nachzahlungsanspruch
der Klägerin in Höhe von 12.675,61 EUR gelte jedoch gegenüber der Klägerin mit Erstattung von 9.142,66 EUR an die AOK NORDWEST
für die Zeit vom 31. Oktober 2011 bis 28. Juni 2012 als erfüllt. Der Anspruch der Klägerin gegen ihre Krankenkasse auf Krankengeld
für die Zeit vom 31. Oktober 2011 bis 28. Juni 2012 sei durch den Beginn der Leistung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung
ab 01. Oktober 2011 nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ( SGB V) rückwirkend weggefallen. Daher habe die Beklagte der AOK NORDWEST das von dieser gezahlte Krankengeld nach § 103 SGB X zu erstatten. Durch diese Erstattungszahlung verminderte sich der Nachzahlungsanspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf
noch 3.532,95 EUR. Diesem Nachzahlungsbetrag habe ein Erstattungsanspruch der Beklagten gegen die Klägerin in Höhe von 6.337,76
EUR aus der Aufhebung der erfolgten Auszahlung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gegenübergestanden. Der Auszahlungsanspruch
aus dem Bescheid vom 06. Februar 2007 habe nach § 48 SGB X im Zuge eines Erst-Recht-Schlusses aufgehoben werden können. Wenn diese Normen dazu ermächtigten, eine Bewilligung in Gänze
aufzuheben, so müsse dieses erst recht nur für den aus der Bewilligung resultierenden Zahlungsanspruch gelten. Nach § 89 Abs. 1 SGB VI habe die Klägerin ab dem 01. Oktober 2011 nur noch einen Anspruch auf Auszahlung der höheren Rente wegen voller Erwerbsminderung
aus dem Bescheid vom 04. Juli 2012 gehabt, während der Zahlungsanspruch der niedrigeren Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
nicht mehr bestanden und geruht habe. Diese Aufhebung habe die Beklagte auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X stützen können. Der Erstattungsanspruch folge aus § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Die Beklagte habe ihre Rückforderung zu Recht teilweise in Höhe von 3.532,95 EUR durch Aufrechnung gemäß § 51 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB I) befriedigt. Der Rückforderung des verbliebenen Betrages in Höhe von 2.804,81 EUR stehe keine etwaige Begrenzung der Erstattungsforderung
der AOK NORDWEST auf die Differenz zwischen der Nachzahlung nach Bewilligung der Rente wegen voller Erwerbsminderung (12.675,61
EUR) und der Auszahlung der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (6337,76 EUR) entgegen. Gründe für eine solche Begrenzung
seien nicht ersichtlich. Eine Begrenzung nur auf den Differenzbetrag würde letztlich die AOK NORDWEST als krankengeldleistende
Krankenkasse unangemessen benachteiligen und würde zu einer Verschiebung der gesetzlichen Risikoverteilung führen. Sei der
Klägerin ein Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung rückwirkend auch für die Vergangenheit zuerkannt worden, bedeute
dies, dass das vorher gezahlte Krankengeld rechtmäßig gezahlt worden sei und damit von der Krankenkasse grundsätzlich nicht
zurückverlangt werden könne. Stünde nur der Differenzbetrag zwischen der vollen Erwerbsminderungsrente und der gezahlten niedrigeren
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für den Erstattungsanspruch zur Verfügung und übersteige das gewährte Krankengeld
dieses, fiele die Krankenkasse mit einem Teil ihrer Erstattungsforderung aus, ohne den Fehlbetrag vom Versicherten zurückfordern
zu können.
Gegen das der Klägerin am 01. Juni 2015 zugestellte Urteil richtet sich deren am 04. Juni 2015 beim Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgericht eingegangene Berufung. Die Berufung begründet sie ergänzend damit, dass eine Änderung in den tatsächlichen
Verhältnissen im Sinne des § 48 SGB X lediglich dadurch eingetreten sei, dass sich ihr Leistungsvermögen verschlechtert habe. Ferner sei die Regelung in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X dahingehend zu verstehen, dass die Änderung der Verhältnisse gerade in dem Einkommens- oder Vermögensgewinn bestehen müsse.
Der Einkommensgewinn müsse also ursächlich sein für den Wegfall des bisherigen Anspruchs. Das sei hier nicht der Fall. Sie
habe nicht etwa durch ihre Tätigkeit zu viel Einkommen erzielt und eine Hinzuverdienstgrenze überschritten, sodass der Anspruch
auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erloschen sei, vielmehr bestehe hier die Änderung der Verhältnisse lediglich
in einer Verschlechterung ihres Leistungsvermögens. Ferner ergebe sich eine Erfüllung aus § 107 SGB X analog, da hier allenfalls ein Erstattungsanspruch der Beklagten gegen sich selbst bestehen könne. Eine analoge Anwendung
hier erforderlich, da diesbezügliche spezialgesetzliche Regelungen im SGB VI fehlten. Auch aus § 100 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI ergebe sich der gesetzgeberische Wille, einen einheitlichen Rentenvorgang bezüglich einer Rente wegen teilweiser und voller
Erwerbsminderung anzunehmen. Deshalb habe der Gesetzgeber in Abs. 1 festgelegt, dass die Rente in neuer Höhe von dem Kalendermonat
an geleistet werde, zu dessen Beginn die Änderung wirksam werde, wenn sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die
Voraussetzungen für die Höhe einer Rente nach ihrem Beginn ändere. Eine Rente wegen voller Erwerbsminderung umfasse auch immer
gleichzeitig eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung. Dieser Umstand rechtfertige die Vergünstigungen in § 100 Abs. 2 SGB VI hinsichtlich der Umstellung einer Teilrente in eine höhere Rente. Dementsprechend gelte im vorliegenden Fall die Rente wegen
voller Erwerbsminderung durch die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als teilweise erfüllt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 19. Mai 2015 sowie die Bescheide der Beklagten vom 04. Juli 2012 und 10. August
2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. April 2013 aufzuheben, soweit ein Betrag von 2804,81 EUR zur Erstattung
verlangt worden ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts Schleswig für zutreffend.
Am 20. Dezember 2016 fand ein Termin zur mündlichen Verhandlung statt, in dem die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie
die Gerichtsakten vorlagen. Sie waren Gegenstand der Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingegangen.
Die Berufung der Klägerin ist begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen
waren teilweise rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten. Sie waren daher insoweit aufzuheben.
Die Beklagte hat keinen Erstattungsanspruch mehr aus § 50 Abs. 1 SGB X. Die Aufhebungsentscheidungen der Beklagten vom 04. Juli 2012 und 10. August 2012 erweisen sich als teilweise rechtswidrig.
Sie waren nur rechtmäßig in Höhe von 3.532,95 EUR. Die darüber hinausgehende Aufhebung in Höhe von 2.804,81 EUR war rechtswidrig.
Die Aufhebungsentscheidungen vom 04. Juli 2012 und 10. August 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides sind formell
rechtmäßig. Da gegen beide Entscheidungen der Beklagten jeweils innerhalb von einem Monat Widerspruch eingelegt und Klage
erhoben wurde, bedarf es keiner Entscheidung, ob es sich bei dem Bescheid vom 10. August 2012 um einen neu rechtsmittelfähigen
Zweitbescheid handelt oder nicht (so das BSG in seinem Urteil vom 07. April 2016, Az. B 5 R 26/15 R Rn. 21 bei [...] zu den dort gegenständlichen Bescheiden. Die Vorgehensweise der hiesigen Beklagten entspricht der der
dort Beklagten).
Die Beklagte stützt ihre Aufhebungsentscheidung vom 04. Juli 2012 bzw. 10. August 2012 auf § 48 SGB X. Nach dessen Absatz 1 Satz 1 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit sich in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei
seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung ereignet, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt
soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufgehoben werden, soweit u. a. Einkommen oder Vermögen erzielt
worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X).
Im Ergebnis zutreffend hat das Sozialgericht auch eine grundsätzliche Anwendbarkeit der Regelung des § 48 SGB X in der hier vorliegenden Konstellation einer auf den 01. Oktober 2011 rückwirkenden Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung
bei vorherigem Bezug einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung seit Februar 2007 angenommen. In dem Gesundheitszustand
der Klägerin ist ab Oktober 2011 gegenüber dem 06. Februar 2007 eine Änderung im Sinne einer Verschlechterung eingetreten,
die dazu führte, dass sie ab Oktober 2011 langfristig arbeitsunfähig erkrankte und gleichzeitig nur noch über ein quantitatives
Leistungsvermögen von weniger als drei Stunden täglich verfügte. Diese Änderung war wesentlich. Denn ab Oktober 2011 war nunmehr
gleichzeitig kraft Gesetzes ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 2 SGB VI mit entsprechenden monatlichen Zahlungsansprüchen nach § 99 Abs. 1 SGB VI entstanden (vgl. BSG, Urteil vom 07. April 2016, Az. B 5 R 26/15 R). Bereits im Oktober 2011 stand folglich "bei objektiver Betrachtung" und unabhängig von der Kenntnis der Beklagten fest,
dass durchsetzbare Ansprüche auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht gleichzeitig bestehen konnten (§ 89 Abs. 1 Nr. 7 und 11 SGB VI), sondern im Hinblick auf den zeitgleich entstandenen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ruhten (BSG a.a.O. m.w.N.). Das hat zur Folge, dass die aus dem Stammrecht auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung resultierenden
monatlichen Einzelansprüche auf Auszahlung während der Dauer des Bezugs der vollen Erwerbsminderungsrente nicht zur Entstehung
gelangten. Der Verwaltungsakt über die Festsetzung des monatlichen Zahlbetrags der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
vom 06. Februar 2007 wurde damit ab Oktober 2011 nachträglich rechtswidrig. Auf solche Konstellationen ist § 48 SGB X, nicht § 45 SGB X, anzuwenden. Hier ist zu bedenken, dass nach § 48 Abs. 1 S. 3 SGB X in Fällen, in denen Einkommen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile des Sozialgesetzbuchs anzurechnen
ist, als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse der Beginn des Anrechnungszeitraums gilt. Wird nachträglich eine weitere,
anspruchsschädliche Sozialleistung (z. B. eine Rente) gewährt, so gilt als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse nicht der
Tag der Bekanntgabe des Rentenbescheides und auch nicht der Tag, an dem der Rentenbetrag erstmalig zur Auszahlung gelangt,
sondern der Tag des Beginns der Rentenleistung (BSG, Urteil vom 06.11.1985 - 10 Rkg 3/84 = BSGE 59, 111, 113; BSG Urteil vom 05.06.2003 - B 11 AL 70/02 R).
Das Sozialgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VI dem Grunde nach zu Recht bejaht; diese Norm kann auf Konstellationen, in denen die Erzielung von Einkommen oder Vermögen
nachträglich nicht zum Wegfall oder zur Minderung, sondern zum Ruhen eines Sozialleistungsanspruchs führt, analog angewandt
werden (BSG, Urteil vom 13. August 1986, Az. 7 Rar 33/85; Urteil vom 26. Oktober 1998, Az. B 2 U 35/97 R Rn 23 bei [...]). Gestützt auf § 89 SGB VI hat das Bundessozialgericht im Verfahren B 5 KN 4/08 R, in dem es um die fragliche Begrenzung eines Erstattungsanspruchs der Bundesagentur für Arbeit gegen einen Rentenversicherungsträger
auf den Differenzbetrag zweier Renten ging, für die Konstellation des Zusammentreffens einer rückwirkend gewährten Rente wegen
Erwerbsunfähigkeit nach altem Recht und einer niedrigeren Rente für Bergleute entschieden. Dabei hat es ausgeführt, dass in
der Bewilligung einer höheren Rente anstelle der bisherigen Rente konkludent bereits eine Aufhebung der niedrigeren Rente
zu erblicken sei, die ihre Stütze in § 48 Abs. 1 SGB X finde. Der dort beklagte Rentenversicherungsträger sei auch berechtigt gewesen, den Bescheid über die Rente für Bergleute
mit Wirkung ab Änderung der Verhältnisse aufzuheben, da durch die höhere Rentengewährung Einkommen erzielt worden sei, welches
zum Wegfall des Anspruchs auf Zahlung der Rente für Bergleute geführt habe. Der zitierten Rechtsprechung folgt der Senat grundsätzlich.
Entgegen der Ansicht der Klägerin kann dem auf Tatbestandsebene nicht entgegengehalten werden, dass es sich bei den Renten
wegen voller Erwerbsminderung und wegen teilweiser Erwerbsminderung nicht um unterschiedliche Rentenarten handele, denn die
Regelung des § 89 SGB VI führt in Abs. 1 Satz 2 diese Renten in Nr. 7 und Nr. 11 als unterschiedliche Rentenarten auf und bestimmt in Verbindung mit ihrem Abs. 1 Satz 1, dass bei Gewährung beider
Renten für den gleichen Zeitraum nur die Rente wegen voller Erwerbsminderung als höhere Rente geleistet wird.
§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB VI rechtfertigt aber nicht die von der Beklagten vorgenommene Aufhebung des Auszahlungsanspruchs der Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung in voller Höhe. Danach ist die Aufhebung nämlich nur legitimiert "soweit" Einkommen oder Vermögen erzielt
wurde, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt hat. Der Betroffene soll nur in dem Umfang, in dem er eine
"doppelte" Zahlung erhalten hat, der Aufhebung der Bewilligung ausgesetzt sein, so dass die rückwirkende Aufhebung auf die
Höhe des nachträglich erzielten Einkommens beschränkt ist; die Aufhebung des Dauerverwaltungsaktes darf nur insoweit erfolgen,
als sich die zu Unrecht bezogene Sozialleistung und das Einkommen, das zum Wegfall der Sozialleistungen führt, decken (Merten
in Hauck/Noftz, SGB X, § 48 Rn 52). Eine Aufhebungsentscheidung kann danach also nur in Höhe des tatsächlich erzielten Einkommens erfolgen (BSG, Urteil vom 13. August 1986, 7 RAr 33/85; Urteil vom 23. März 1995, 13 RJ 39/94; vgl. Steinwedel in Kasseler Kommentar zur Sozialversicherung, § 48 SGB X Rn.50).
Zwar hat die Klägerin durch die auf den 01. Oktober 2011 rückwirkende Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung
einen weiteren Auszahlungsanspruch erlangt, welcher gemäß § 89 SGB VI zum Wegfall des Auszahlungsanspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für den gleichen Zeitraum geführt hat. Der
Klägerin stand der am 04. Juli 2012 errechnete Nachzahlungsbetrag (12.675,61 EUR) jedoch im Zeitpunkt der Abrechnung am 10.
August 2012 nicht mehr in voller Höhe als Einkommen zur Verfügung, sondern nur noch in Höhe von 3.532,95 EUR (12.675,61 EUR
minus 9.142,66 EUR). Zwar gilt der Nachzahlungsanspruch der Klägerin und damit der monatliche Auszahlungsanspruch auf Rente
wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 31. Oktober 2011 bis 28. Juni 2012 durch die von der Beklagten an die AOK NORDWEST
gezahlte Erstattungssumme in Höhe von 9.142,66 EUR nach § 107 SGB X als erfüllt mit der Folge, dass das gezahlte Krankengeld nunmehr als rechtmäßige Zahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung
anzusehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 22. Mai 2002, B 8 KN 11/00 R Rn 16 bei [...]) und dass die Klägerin die Nachzahlung in dieser Höhe nicht mehr von der Beklagten fordern kann. Im Rahmen
der Prüfung, ob die Klägerin vom 01. Oktober 2011 bis 31. August 2012 bezogen auf den Auszahlungsanspruch auf die Rente wegen
teilweiser Erwerbsminderung Einkommen im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X erzielt hat oder nicht, ist in dem Verhältnis zwischen der Beklagten und der Klägerin allerdings zum Zeitpunkt der Abrechnung
am 10. August 2012 nur noch darauf abzustellen, welchen Betrag die Klägerin von der Beklagten aus der mit Bescheid vom 04.
Juli 2012 bewilligten Rente wegen voller Erwerbsminderung letztlich nach Abrechnung aller Erstattungsansprüche für den Zeitraum
vom 01. Oktober 2011 bis 31. August 2012 noch als Zahlbetrag erhält. Wenn die Beklagte aus dem errechneten Nachzahlungsanspruch
der Klägerin auf Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 04. Juli 2012 Erstattungsansprüche anderer Sozialleistungsträger
nach § 103 Abs. 2 SGB X und mit der Wirkung von § 107 SGB X erfüllt und der Nachzahlungsanspruch der Klägerin dadurch geschmälert wird, so verbleibt nur noch der Differenzbetrag - hier
3.532,95 EUR - als anrechenbares Einkommen übrig, welches rückwirkend den Auszahlungsanspruch der Klägerin auf Rente wegen
teilweiser Erwerbsminderung in dem Zeitraum vom 01. Oktober 2011 bis 31. August 2012 in dieser Höhe verringerte (a.A. für
eine entsprechende Fallkonstellation Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. Mai 2015, Az. L 14 R 97/14). Darüber hinaus hat die Klägerin aus dem Bescheid vom 04. Juli 2012 kein anrechenbares Einkommen mehr erzielt, so dass eine
darüber hinausgehende Aufhebung des Auszahlungsanspruchs auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mit Bescheid vom 10.
August 2012 für den Gesamtzeitraum 01. Oktober 2011 bis 31. August 2012 rechtswidrig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG und folgt der Sachentscheidung.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG, da die Frage, in welchem Umfang ein Leistungsbezieher einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aus einer späteren Bewilligung
einer Rente wegen voller Erwerbsminderung im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X "Einkommen erzielt", wenn der Rentenversicherungsträger aus dem Nachzahlungsbetrag der Rente wegen voller Erwerbsminderung
vor Auskehrung an den Versicherten Erstattungsansprüche anderer Sozialleistungsträger ausgleicht, grundsätzliche Bedeutung
hat.
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