Tatbestand
Der Kläger begehrt die vollständige Kostenübernahme für eine prothetische Versorgung seines Oberkiefers.
Der 1947 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Im Jahr 2010 wurde bei ihm ein Plattenepithelkarzinom im
Bereich des weichen Gaumens links und des linken Zungenrandes festgestellt. Es erfolgte eine Tumorresektion. Im Rahmen der
Behandlung wurden Zähne im Ober- und Unterkiefer gezogen.
Am 21. November 2012 beantragte der Kläger unter Vorlage des Heil- und Kostenplanes des behandelnden Zahnarztes Dr. B vom
20. November 2012 die Kostenübernahme für die Versorgung mit Zahnersatz im Oberkiefer. Beantragt wurde von ihm eine herausnehmbare
Prothese für die Zähne 18 bis 13 sowie 25 bis 28. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 7. Dezember 2012 einen voraussichtlichen
Festzuschuss in Höhe von 353,52 EUR. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2012 lehnte sie eine weitere Kostenübernahme des beabsichtigten
konventionellen Zahnersatzes ab. Zur Begründung führte sie aus, eine weitere Kostenbeteiligung über den Festzuschuss hinaus
sei nur in Verbindung mit Implantaten möglich wäre. Insoweit sei auch unerheblich, ob einige Zähne im Oberkiefer aufgrund
der Tumorerkrankung hätten gezogen werden müssen.
Der Kläger erhob mit Schreiben vom 1. März 2013 Widerspruch. Er machte geltend, dass aufgrund der Tumorbehandlung eine die
vollständige Kostenübernahme rechtfertigende Ausnahmeindikation vorläge. Dies habe das Sozialgericht Lübeck im Verfahren S 3 KR 659/11 bereits für die implantologische Versorgung des Unterkiefers mit Urteil vom 14. Februar 2013 bestätigt. Die prothetische
Versorgung des Oberkiefers sei ebenfalls aufgrund der Tumorbehandlung erforderlich geworden. Es bestehe lediglich der Unterschied,
dass hier eine konventionelle prothetische Versorgung möglich sei. Dennoch rechtfertige der Umstand, dass eine Ausnahmeindikation
gegeben sei, auch insoweit die vollständige Kostenübernahme.
Nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 5. August 2013 mitgeteilt hatte, dass der Widerspruchsausschuss das Anliegen des Klägers
am 11. September 2013 beraten und voraussichtlich auch darüber entscheiden werde, hat der Kläger am 6. September 2013 Untätigkeitsklage
beim Sozialgericht Lübeck erhoben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 11. September 2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zur Begründung führte
sie aus, es sei zu Recht nur ein Festzuschuss in Höhe von 358,44 EUR bewilligt worden. Es sei unerheblich, aus welchen Gründen
die Eingliederung von Zahnersatz notwendig werde. §
55 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) sehe lediglich einen Festzuschuss vor. Die gesetzliche Bestimmung knüpfe die Beschränkung der Kassenleistung an den Gegenstand
Zahnersatz und nicht an die Ursache des Behandlungsbedarfs. Es werde daher von medizinisch und nicht zahnmedizinisch notwendiger
Versorgung gesprochen. Da in §
55 SGB V die Versorgung mit Zahnersatz abschließend geregelt sei, sei eine weitere Kostenübernahme als Sachleistung nicht möglich.
Daraufhin hat der Kläger sein Klagebegehren geändert und beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.
September 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die gesamten Kosten für den Zahnersatz im Oberkiefer gemäß dem
Heil- und Kostenplan vom 20. November 2012 zu übernehmen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich im Wesentlichen auf die Begründung im Widerspruchsbescheid bezogen.
Das Sozialgericht hat zur weiteren medizinischen Sachaufklärung einen Befund- und Behandlungsbericht des Zahnarztes Dr. B
vom 5. August 2014 eingeholt. Ferner hat es die Vorgänge S 3 KR 659/11 und S 3 KR 659/11 ER beigezogen. Mit Urteil vom 18. September 2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
"Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 10. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2013 ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Übernahme der gesamten Kosten für die prothetische
Versorgung seines Oberkiefers.
Nach §
27 Abs.
1 S 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. zahnärztliche Behandlung ( §
27 Abs.
1 S 2 Nr.
2 SGB V ) und Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen).
Die zahnärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung
von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst
auch konservierend chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen
und Suprakonstruktionen erbracht werden ( §
28 Abs.
2 S 1
SGB V ).
Der Anspruch auf Zahnersatz ist in den §§
55 ff
SGB V näher geregelt. Nach §
55 Abs.
1 S 1
SGB V haben Versicherte nach den Vorgaben in Satz 2 bis 7 Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer medizinisch notwendigen
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen)
in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist und die geplante Versorgung einer Methode entspricht,
die gemäß §
135 Abs.
1 SGB V anerkannt ist. Diese Voraussetzungen sind bei dem Kläger erfüllt. Die Beklagte hat einen Festzuschuss in Höhe von 353,52
Euro gezahlt. Die Beklagte setzte den Festzuschuss auch der Höhe nach rechtmäßig fest.
Die besonderen Gründe für die Eingliederung des Zahnersatzes bei dem Kläger rechtfertigen darüber hinaus weder einen höheren
Prozentsatz noch die vollständige Übernahme der Kosten der zahnprothetischen Behandlung. Gegenüber §
28 Abs.
2 SGB V enthalten §§
55 , 56
SGB V die spezielleren Normen für Zahnersatz (BSGE 85, 66, 68 = SozR 3-2500 § 30 Nr. 10 S 38; BSGE 76, 40 = SozR 3-2500 § 30 Nr. 5; BSG SozR 3-2500 § 30 Nr. 3). Bei der Versorgung mit Zahnersatz bleibt die Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung auch dann auf einen Zuschuss
beschränkt, wenn der Zahnersatz anderen als zahnmedizinischen Zwecken dient oder integrierender Bestandteil einer anderen
Behandlung ist (BSGE 86, 66, 67 f = SozR 3-2500 § 30 Nr. 10 S 37 f). Deshalb geht auch der Einwand des Klägers, sein Anspruch folge daraus, dass die
zahnprothetische Versorgung wegen der Behandlung einer Tumorerkrankung erforderlich geworden sei, ins Leere. Die hierzu gemachten
Ausführungen des Gutachters in dem Verfahren über die implantologische Versorgung des Oberkiefers zum AZ S 3 KR 659/11 können daher nicht auf das vorliegende Verfahren übertragen werden. Ob z.B. von einer medizinischen Gesamtbehandlung auszugehen
ist, ist (unter weiteren Voraussetzungen) nur für den Anspruch auf implantologische Leistungen einschließlich der Suprakonstruktion
im Rahmen zahnärztlicher Behandlung nach §§
27 , 28 Abs.
2 SGB V von Bedeutung, hat aber keinen Einfluss auf die insoweit speziellen und abschließenden Regelungen der §§ 55 f SGBV.
§
55 SGB V knüpft die Beschränkung der Leistung - wie die Beklagte im Widerspruchsbescheid bereits zutreffend ausgeführt hat - damit
allein an den Gegenstand (Zahnersatz) und nicht an die Ursache des Behandlungsbedarfs. Deshalb verbietet sich ein Rückgriff
auf die allgemeinen Regelungen über die Verschaffung zahnärztlicher Behandlung (BSG aaO).
Diese Grundsätze hat das Bundessozialgericht auch noch mal in einer aktuellen. Entscheidung vom 2. September 2014 (B 1 KR 12/13 R) bestätigt. Die Klägerin in dem dortigen Verfahren litt an einer doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und begehrte ebenfalls
die vollständigen Kosten des Zahnersatzes.
Ebenso hat das Bundessozialgericht in seiner aktuellen Entscheidung nochmals bestätigt, dass die Regelungen über die Versorgung
der Versicherten mit Zahnersatz (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen) nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
oder das verfassungsrechtliche Benachteiligungs- bzw. gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot verstoßen. Eine
grundrechtsorientierte Auslegung des Leistungsrechts im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung kommt daher auch bei
einer drohenden Zahnlosigkeit nicht in Betracht (vgl. BSG vom 4.3.2014 - B 1 KR 6/13 R = SozR 4-2500 § 28 Nr. 7 ).
Nur wenn die Notwendigkeit des Zahnersatzes auf einer von der gesetzlichen Krankenversicherung gewährten Erstbehandlung beruht,
die sich im Nachhinein als gesundheitsschädlich und damit als hoheitlicher Eingriff in nicht vermögenswerte Rechtsgüter darstellt,
gebietet Art
2 Abs.
2 S 1
GG eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften des
SGB V dahingehend, dass der Versicherte vom gesetzlichen Eigenanteil freizustellen ist ( BVerfG Beschluss vom 14.8.1998 - 1 BvR 897/98 - NJW 1999, 857 f; BSGE 85, 66, 70 = SozR 3-2500 § 30 Nr. 10 S 41). Ein solcher Fall liegt beim Kläger aber nicht vor."
Gegen das seiner Prozessbevollmächtigten am 30. September 2015 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 15.
Oktober 2015 beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingegangenen Berufung. Der Kläger macht geltend, das Sozialgericht
habe bei seiner Entscheidung den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. August 1998 - 1 BvR 897/98 - unberücksichtigt gelassen. Danach gebiete Art.
2 Abs.
1 Satz 1
Grundgesetz (
GG) bei verfassungskonformer Auslegung des
SGB V über die Eigenbeteiligung des Versicherten an den zahnärztlichen und zahntechnischen Behandlungs- und Leistungskosten, dem
Versicherten Heilbehandlungsmaßnahmen ohne die sich nach den gesetzlichen Vorschriften vorgesehene Eigenbeteiligung zu verschaffen.
Das treffe nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts immer dann zu, wenn ein Arzt bei Einhaltung der Regeln der ärztlichen
Kunst verpflichtet gewesen sei, die Vorgaben des Leistungs- und Leistungserbringerrechts des
SGB V zu beachten und hierzu nur ohne weitere Behandlungsalternativen in der Lage gewesen sei, um eine fachgerechte Behandlung
des Versicherten durchzuführen, indem nur eine bestimmte Untersuchungs- und Behandlungsmethode angewendet worden sei, worauf
das schädigende Ereignis - hier der Zahnausfall - beruht habe, so dass Zahnersatz notwendig geworden sei. Wenn also diese
alternativlose Behandlungsmethode ursächlich für die Schädigung der Gesundheit des Versicherten gewesen sei, dann solle der
Versicherte nicht mehr auf den Regelanteil der Versicherung zurückgeworfen werden, sondern vielmehr berechtigt sein, die vollständige
Kostenübernahme in Anspruch nehmen zu können. Diese Situation sei in seinem Fall gegeben gewesen. Im Rahmen der Tumorbehandlung
hätte ein Teil der Zähne im Oberkiefer entfernt werden müssen. Dies habe die einzige medizinische Behandlungsmöglichkeit dargestellt,
um die nachhaltige Tumorentfernung zu ermöglichen. Auch der Sachverständige Dr. K habe in seinem Gutachten vom 11. September
2012, welches das Sozialgericht Lübeck im Verfahren S 3 KR 659/11 eingeholt habe, bestätigt, dass die Entfernung mehrerer Zähne im Bereich der Tumorerkrankung zwingend notwendig gewesen sei.
Zwar habe das Sozialgericht Lübeck den Vorgang S 3 KR 659/11 zum Verfahren beigezogen, diese Umstände jedoch in seine Entscheidung nicht einbezogen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 18. September 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2012 in der
Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für die Versorgung
des Oberkiefers mit einer herausnehmbaren Prothese für die Zähne 18 bis 13 sowie 25 bis 28 gemäß dem Heil- und Kostenplan
vom 20. November 2012 in vollem Umfang zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie erwidert, auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zum Aufopferungsgedanken ergebe sich kein Anspruch
auf eine weitere Kostenübernahme. Aus den Ausführungen des BVerfG ergebe sich, dass es nicht darum gehe, ob eine medizinische
Alternative vorhanden sei, sondern vielmehr darum, ob eine Alternative nach dem Leistungsrecht gegeben sei. Es handele sich
somit um eine medizinische Entscheidung des Arztes, dass die gewählte Behandlung die richtige sei. Dieser Entscheidung wohne
das allgemeine Risiko medizinischer Maßnahmen bei, dass sich daraus Probleme ergeben können. Die durchgeführte Therapie sei
sicher die aus medizinischer Sicht geeignete Behandlungsmöglichkeit für den Kläger gewesen und entsprechend den Regeln der
ärztlichen Kunst durch die behandelnden Ärzte als Therapie der Wahl angesehen worden. Für die Behandlung von Krebserkrankungen
stünden jedoch weitere vertraglich zugelassene Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, so dass für den behandelnden Arzt keine
Beschränkung auf nur eine Behandlungsmöglichkeit durch den Gesetzgeber vorgelegen habe. Deshalb sei der vorliegende Sachverhalt
nicht dem Tatbestand einer "Aufopferung" vergleichbar, denn es fehle an einer gesundheitlichen Schädigung infolge hoheitlichen
Zwangs sowie an den hieraus erwachsenden unmittelbaren schädlichen Folgen.
Hiergegen wendet der Kläger ein, dass das Vorbringen der Beklagten nichts an der Tatsache ändere, dass seinen behandelnden
Ärzten keine weiteren vertraglichen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten, um die Krebserkrankung erfolgreich
zu behandeln. Dafür sei die Extraktion der Zähne im Oberkiefer erforderlich gewesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakten
Bezug genommen. Diese haben dem Senat ebenso wie die Vorgänge S 3 KR 659/11 und S 3 KR 659/11 ER vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Unabhängig davon scheitert das Berufungsbegehren des Klägers hier auch daran, dass die Genehmigung des Heil- und Kostenplanes
durch die Beklagte befristet war und der Kläger die Frist von sechs Monaten, innerhalb der der Zahnersatz in der vorgesehenen
Weise eingegliedert sein musste, verstreichen ließ, ohne die Behandlung in Angriff zu nehmen. Die Befristung der Genehmigung
soll insbesondere dafür Sorge tragen, dass die nach dem Heil- und Kostenplan geplante vertragszahnärztliche Behandlung nicht
durch einen nach der Genehmigung sich ändernden Zahnbefund ganz oder teilweise gegenstandslos wird, aber gleichwohl durchgeführt
werden kann. Denn die der Krankenkasse obliegende Aufgabe der Sicherung der wirtschaftlichen Leistungserbringung beschränkt
sich nicht auf eine punktuelle Prüfung und Genehmigung. Die Befristung trägt maßgeblich dazu bei, die Effektivität der Prüfung
der Krankenkasse als den Leistungserbringungsvorgang begleitende Aufgabe in ihrer zeitlichen Dimension abzusichern ( BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 - B 1 KR 5/12 R -, juris). Das hat auch Auswirkungen auf das Leistungsrecht. Der Leistungsanspruch des Versicherten ist von der Genehmigung
der Behandlung und deren Befristung abhängig (BSG, a.a.O., Rn. 14). Die Genehmigung der Beklagten entfiel mit Ablauf der sechsmonatigen Frist.